von Shir Hever
Dem 53 Tage währenden Angriff auf den Gazastreifen, von Israel Operation „Fels in der Brandung“ genannt, folgte ein weltweiter Aufschrei gegen die exzessive Gewalt des israelischen Militärs. Die israelische Regierung sieht sich nun vonseiten der internationalen Gemeinschaft mit Forderungen nach Gerechtigkeit und der Übernahme von Verantwortung konfrontiert. Innerhalb Israels wird hingegen eine Intensivierung der Gewalt gefordert. Die israelische Regierung zeigt sich nicht gewillt, die legalen, politischen und moralischen Konsequenzen, die sich aus der Invasion des Gazastreifens ergeben, zu übernehmen und hat stattdessen unilateral Schritte unternommen, die schleichende Annexion des Westjordanlands voranzutreiben. Damit sendet sie der Welt ein klares Signal, dass sie kein Interesse an der Gründung eines palästinensischen Staates hat. In der Tat hat Premierminister Netanyahus Rede vor den Vereinten Nationen am 29. September einmal mehr gezeigt, dass die Regierung keinerlei Pläne hat, Frieden zu erreichen oder internationales Recht einzuhalten. Vielleicht hat Netanyahu gehofft, ISIS und den Iran anzuprangern, und dies würde die Welt von Israels Kriegsverbrechen ablenken.
Jedoch sagen Taten mehr als Worte. Die Schritte, die die israelischen Regierung zur weiteren Festigung der Besatzung des Westjordanlands vorgenommen hat, waren (1) die Deklarierung von 380 Hektar palästinensischen Landes im Westjordanland als „Staatseigentum“, womit das genannte Gebiet von den ansässigen Palästinenser/innen ethnisch gesäubert und die Errichtung illegaler Kolonien vorangetrieben werden kann; und (2) die Erteilung der Erlaubnis an die Stiftung Ir David („Davidstadt“, in Israel als „Elad“ bekannt), 25 Wohnungen in sieben Gebäuden in Silwan, einem palästinensischen Viertel in Ostjerusalem, zu übernehmen. Kolonist/innen sind von bewaffneten israelischen Streitkräften begleitet in diese Wohnungen eingedrungen.
Diese beiden Taten treiben einen Keil durch das Westjordanland und verhöhnen die Behauptung der israelischen Regierung, sie sei an Friedensverhandlungen interessiert. Stattdessen demonstrieren sie die selbst auferlegte Hingabe und Vehemenz, mit der die israelische Regierung sich territorialer Erweiterung verschrieben hat.
Die Stiftung Ir David ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die von der israelischen Regierung stark unterstützt und finanziert wird. Sie wurde 1986 mit dem Ziel gegründet, „die jüdische Verbindung zu Jerusalem für alle Generationen anhand von Touren, Unterricht, Bevölkerungszuwachs und Veröffentlichungen zu stärken. Des Weiteren sollen mittels Stipendien religiöse Studien gefördert werden sowie kulturelle Aktivitäten mit Bezug zu Jerusalem und jüdischen Werten; ebenso sollen jüdische Institutionen in Jerusalem und Touren in der Stadt unterstützt werden.“ Die Bezugnahme dieser NGO auf das Judentum stellt eine gefährliche und inakzeptable Verbindung zwischen dem Judentum und der rechtsextremen und rassistischen Politik der israelischen Regierung in Ostjerusalem her – eine Politik, deren Ziel die Veränderung der demographischen Natur der Stadt Jerusalem ist.
Der Stiftung Ir David wurde erlaubt, Touren für Schulkinder und israelische Soldat/innen im besetzten (und seit 1980 illegal annektierten) Ostjerusalem durchzuführen. Dafür erhielt sie öffentliche Gelder. Zusätzlich erhält die Stiftung private Spenden von Einzelpersonen wie Roger Hertog. Obwohl das Budget von Ir David größer ist als das der sieben größten linken und für Menschenrechte arbeitenden NGOs in Israel zusammengenommen, hat die Stiftung vom israelischen Justizministerium eine Sondergenehmigung bekommen, um ihre Finanzberichte nicht vollständig publizieren zu müssen. Somit kann sie undurchsichtig bleiben. Die Stiftung Ir David benötigt diese Undurchsichtigkeit, die ihr hilft, die Natur und das Ausmaß ihrer Aktivitäten zu verbergen. Viele dieser Aktivitäten werden mit der Finanzierung der Regierung unternommen und verletzen internationales Recht.
Die Übernahme von Wohnungen und Gebäuden von deren palästinensischen Besitzer/innen in Ostjerusalem durch Ir David erfolgte durch eine Kombination von Zwangsausübung, der Verwendung von „archäologischen“ Ausreden und dem Ankauf von palästinensischem Eigentum. Diese Übernahme ist Teil der illegalen Annexionspolitik der israelischen Regierung in Ostjerusalem sowie ihrer illegalen Kolonisierungspolitik des Westjordanlands und ist als offenkundiger Versuch anzusehen, die einheimische Bevölkerung der Stadt aus ihren Häusern und ihrem Zuhause zu verdrängen.
Als Juden und Jüdinnen lehnen wir die Rechtfertigung solcher illegaler und gewalttätiger Aktivitäten im Namen des Judentums entschieden ab. Als Deutsche und Europäer/innen rufen wir sämtliche europäische Regierungen dazu auf, die israelische Regierung für ihre Politik zur Rechenschaft zu ziehen, auch wenn sie diese Politik durch NGOs durchführen lässt, die als ihre Vertretung agieren. Die Europäische Union ist dazu verpflichtet, ihr ökonomisches Assoziierungsabkommen mit Israel an die Einhaltung von Menschenrechten und internationalem Recht zu binden. Eine unmittelbare Aussetzung des Assoziierungsabkommens wäre eine angemessene Reaktion auf die offensichtliche Missachtung von internationalem Recht und Menschenrechten.
Abschließend möchten wir hiermit unseren Aufruf an sämtliche europäische Staaten, insbesondere jedoch Deutschland, erneuern, den Verkauf von Waffen an Israel sofort einzustellen.
Verlautbarung im Namen der Jüdischen Stimme für Gerechten Frieden in Nahost e. V.