Krieg oder Spezialoperationen?

…. was läuft rein rechtlich gesehen im Nahen Osten ab?

Bei längerem Nachdenken über den Haftbefehlsantrag gegen Ministerpräsident Netanjahu kommen einem einige Ungereimtheiten der gegenseitigen Argumentation zu Bewusstsein.  Die deutsche Journaille und die bundesdeutschen Politiker empfinden sich derart in der Pflicht gegenüber Israel, als hätten sie den Holocaust persönlich vor ein paar Jahren erst mitveranstaltet. Als Spießbürger von Natur wagen sie auch nicht, den IStGH zu brüskieren und, wie es Israel erwartet, einen Haftbefehl gegen Netanjahu „einfach“ zu ignorieren. Hilft ein deutsches Einreiseverbot für Netanjahu, Gallant und Ben Gvir? Gegen letzteren natürlich deswegen, um den Zusammenhang eines Einreiseverbots mit dem Haftbefehl zu verschleiern. Wie hysterische Irre brüllen sie in Deutschland jeden nieder, der ein israelkritisches Wort wagt, und ersticken damit auch das Keimen von Gedanken, die Israel vor dem IStGH gut hätte nutzen können. Dort argumentiert Israel mit moralischem Blabla, um sich zu rechtfertigen. Da stellt sich einmal die Frage, wieso die vermeintliche israelische Armee nach einem angeblichen halben Jahr Einsatz im so genannten Gazastreifen die Stadt immer noch nicht im Griff hat. 50 Jahre zuvor hatte Israels Armee die syrische geschlagen und die ägyptische eingekesselt, und dafür knappe 3 Wochen benötigt. 2.600 israelische Soldaten sollen damals gefallen sein und drei Mal so viele seien auf der Gegenseite im Feld geblieben. Heute sind wir zwar erst bei 10% der israelischen Verluste von damals, und die der Hamas dürften auch wieder die dreifache Ziffer erreichen, aber kollateral pflastern 35.000 Leichen von Zivilisten beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen den Kriegspfad. Alles ist irgendwie anders als vor 50 Jahren.

Wäre der Gazafeldzug ein klassischer Krieg, würde die Armee Gaza besetzen; die Araber wie auch die arabische Polizei würden ihre Jobs unter dem Besatzungsregime weiter machen wie unter ihrer militärisch verdrängten Regierung. So ist es nicht mehr. Militär und Polizei eines Landes gehören heute als „bewaffnete Macht“ des Staates zusammen, der Kombattantenstatus vermischt sich mit zivilen Einrichtungen. Schon 1870 war es dem amerikanischen Kriegsbeobachter William T. Sherman aufgefallen, dass die Deutschen nicht realisierten, gegen ein feindliches Volk Krieg zu führen. Sie empörten sich über „francs tireurs“. Man kann heute in Gaza davon ausgehen, dass alle Araber „francs tireurs seien.

Solches will man im Westen nicht wahrhaben. Analog zur Realitätsverweigerung verbietet das deutsche Grundgesetz den Einsatz der Streitkräfte „im Innern“; damit ist natürlich nicht das deutsche Territorium gemeint, denn jeder Krieg setzt sich auf deutschem Boden fort. „Innern“ kann man nur so verstehen, dass die deutschen Streitkräfte nicht in Bürgerkriegen agieren dürfen; man hat sie aber in Afghanistan trotzdem für eine prowestliche Regierung gegen die Taliban aufmarschieren lassen. Die Grenzen des rechtlich Zulässigen verwischen sich schon dank einer unpräzisen Sprache. Carl Schmitt (der große Rechtsdenker während des deutschen Nationalsozialismus) schrieb 1963 über die Theorie des Partisanen, eine Abhandlung, deren Gedanken auf den israelisch-arabischen Konflikt ziemlich gut passen. Mangels neuer juristischer Koryphäen hat noch die Adenauerregierung Schmitt um seine Gedanken gebeten. WIKIPEDIA erläutert Schmitts Gedanken zur Theorie des Partisanen so:

„… Schmitt sieht den Partisanen als politisches Wesen der Gegenwart, das sich …  als eigenständiger Typus etabliert hat. … Durch eine äußere Form partisanischer Kriegführung, in der dem einzelnen Partisanen nicht die Legitimation des gemeinen Soldaten zugutekommt, verstößt er gegen alle Konventionen des Kriegsvölkerrechts..…. Während Clausewitz den Kriegsbegriff schon 1830 [nach den Erfahrungen aus den französischen Revolutionskriegen] erweitert hatte, jedoch gedanklich im Rahmen der Staatlichkeit verblieben war, sei es Lenin gelungen, den Krieg seiner staatlichen Fesselung….zu entziehen. Lenin entwickelte den konventionellen zum revolutionären Kriegsbegriff fort. Für Lenin stelle der Krieg sich eben nicht mehr als Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Staaten im Rahmen des klassischen Völkerrechts dar, sondern als der „revolutionäre Parteien-Krieg des internationalen Klassenkampfes“. …..  Lenin verwirklichte das „Bündnis der Philosophie mit dem Partisanen“, indem er das Kennzeichen der „Irregularität“ von seinem ursprünglichen Inhalt als Modus Vivendi der Kriegführung hin zur prinzipiellen Infragestellung bestehender Ordnung erweiterte…… Schmitt geht folglich auf die damit einhergehende Veränderung des partisanischen Feindbildes ein. Das Feindbild als eigentliche Grundlage der Analyse Schmitts liefert zugleich die Grundlage zur Erkenntnis eines sich radikal fortentwickelnden Kriegsverständnisses. Die traditionelle Trennung des Völkerrechts zwischen Erklärung und Ausführung der Feindschaft betrachtet Schmitt als verdienstvolle Errungenschaft der europäischen Menschheit, weil durch den Verzicht auf Kriminalisierung des Kriegsgegners die Feindschaft relativiert wird. Die Verneinung der absoluten Feindschaft“ ermöglichte den Europäern, wieder Frieden miteinander zu schließen……  Lenins Schaffung eines partisanischen, absoluten Feindbilds und der daraus resultierenden absoluten Feindschaft führt zum Bedürfnis, den anderen Menschen zu vernichten, indem sich die Menschen …..einem unentrinnbaren moralischen Zwang unterwerfen:

Die Menschen, die Mittel der Vernichtung gegen andere Menschen anwenden, sehen sich gezwungen, diese anderen Menschen, also ihre Gegner auch moralisch zu vernichten. Sie müssen die Gegenseite als Ganzes für verbrecherisch und unmenschlich erklären, sie für einen totalen Unwert abtun. Sonst sind sie eben selber Verbrecher und Unmenschen.

Wert und Unwert entfalten nach Schmitt ihre eigene Logik, und diese zwinge zu einer „immer neuen, immer tieferen Diskriminierung, Kriminalisierung und Abwertung bis zur Vernichtung allen lebensunwerten Lebens“ – der Vernichtung der Träger des Unwerts.

… Schmitt schreibt (S. 95)wörtlich

„In einer Welt, in der sich die Partner auf solche Weise gegenseitig in den Abgrund der totalen Entwertung hineinstoßen, bevor sie sich physisch vernichten, müssen neue Arten der absoluten Feindschaft entstehen. Die Feindschaft wird so furchtbar werden, dass man vielleicht nicht einmal mehr von Feind oder Feindschaft sprechen darf und beides sogar in aller Form vorher geächtet und verdammt wird, bevor das Vernichtungswerk beginnen kann. Die Vernichtung wird dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richten sich überhaupt nicht mehr gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven Durchsetzung höchster Werte, für die angeblich kein Preis zu hoch ist. Erst die Ablehnung der wirklichen Feindschaft macht die Bahn frei für das Vernichtungswerk einer absoluten Feindschaft.“

Sieht man von den Religionskriegen des Mittelalters (Katharer) und der frühen Neuzeit ab, und denkt, nach 1815 habe die zivilisierte Welt begonnen, so merkt man doch, dass schon der Amerikanische Bürgerkrieg das Kriegsdenken ansatzweise verändert haben muss. Den besiegten Südstaaten wurden Militärgouverneure vorgesetzt. Besitz entzogen und Strafverfahren gegen die „Rebellen“ eingeleitet. Das Abfackeln von Atlanta war dagegen kein Verbrechen. Dem Bürgerkrieg folgten die Indianerkriege, die die Vertreibung der Rothäute bewirkten. Die Kriegführung des 2. Weltkrieges kannte keinen Respekt mehr für das menschliche Leben der Zivilbevölkerung. Vor 50 Jahren noch hatte Israel mit Ägypten einen klassischen Krieg geführt, nach dem es zu „europäischen“ Friedensschlüssen mit Ägypten und Jordanien kam. Heute ist es anders; die Staaten haben ihre Räume abgesteckt, aber die Völker noch lange nicht.

So gesehen war der Angriff vom 7.10.23 ein Akt irregulärer „partisanischer“ Kriegsführung, auf die Israel theoretisch auch nur irregulär antworten kann. Insoweit ließe sich auch ein „überzogener“ (Biden) Gegenschlag vertreten, der das feindliche Volk der „francs tireurs“ treffen muss. Umso unverständlicher wird es, dass die israelische Regierung im IStGH-Verfahren versucht, vor dem Gericht eine konventionelle Kriegführung seinerseits zu behaupten. Seine Juristen samt der deutschen Streithelfer haben ganz offensichtlich nicht viel an historischen und militärischen Kenntnissen auf dem Kasten.

In Israel sind die Grundlagen für eine partisanische Kriegsführung längst gelegt:

Die eigentlich 40-köpfige (!) Regierung Israels wird für die kriegswichtigen Dinge durch 3 Leute ersetzt. Diese formieren ein kleines „Kriegskabinett“, das aus „Bibi“, Gantz und Gallant besteht. Das Charakteristische an den drei Graziösen ist, dass keiner von ihnen ein klassischer Militär ist; die drei Kriegsführer sind militärisch „irregulär“:

Gantz war als Fallschirmjäger General zwar konventioneller Soldat; Fallschirmjäger gehörten jedoch bei der Wehrmacht zur Luftwaffe, so dass man Gantz auch ein Denken in taktischen Überraschungserfolgen unterstellen darf. Fallschirmtruppen sind so etwas wie eine Vorhut (z.B. Film „Brücke von Arnheim“) oder eine Art „verlorener Haufen“; (wie in der Landsknechtszeit) . Als solcher wurden sie auch auf Kreta und in Monte Cassino abgenutzt und ausgelaugt. Eine typische Fallschirmjäger-Unternehmung war 1944 der „Rösselsprung“ in Jugoslawien. Man wollte Tito in seinem Quartier überraschen. Auch dieses Unternehmen war ein militärischer Fehlschlag. Facir: Gantz hat nicht das Baraka für einen Sieg. Auf dem klassischen Schlachtfeld spielen Leute wie Gantz  kaum eine Rolle. Gantz ist auch die letzten 20 Jahre Minister in zivilen Angelegenheiten gewesen.

Netanjahu selbst war Chef eines Spezialkommandos zur Terrorismusbekämpfung, und Gallant war Kapitän in der Marine. Ein eigentlich militärisches Denken ginge von Infanterie- und Artillerieoffizieren aus, zu denen natürlich auch Führer der Panzertruppe gehören. Sinn für eine Landkriegsführung kann den Herrschaften des Kriegskabinetts eher nicht in Fleisch und Blut liegen. Moshe Dayan dagegen war klassischer Soldat; er hatte seinerzeit eine britische Infanterie- und Offiziersausbildung und hatte infanteristisch während des Weltkriegs gekämpft. Und er hat seine Kriege gewonnen. Von diesem Unterschied her kann man für die heutige Führung auf eine grundsätzliche Irregularität bei der Gedankenführung schließen; man kann mutmaßen, dass Gantz, Netanjahu und Gallant zumindest ansatzweise „partisanisch“ im Sinne von Carl Schmitt denken.

In diesem Vergleich deutet sich auch an, dass die IDF von heute mehr als Polizeitruppe funktioniert. Summarisch könnte man sagen, der jetzige Krieg in Gaza sei kein Krieg im klassischen Sinn, sondern eine „Spezialoperation“ polizeilicher Art. Natürlich kann auch eine Bereitschaftspolizei in Deutschland über schweres Gerät verfügen; ihre Kampfweise ist allerdings eine andere: die Polizei scheut eigene Verluste an Menschenleben. Auch die Prügelpolizisten in Deutschland sind heute mindestens Leute im Unteroffiziersrang. Den „einfachen Polizisten“ als Pendant zum „einfachen Soldaten“ oder Gefreiten gibt es nicht. Gegen einen Verbrecher kann niemals ein Polizist geopfert werden, selbst 1000 tote Verbrecher wiegen das Leben eines ordentlichen Polizisten nicht auf. So gesehen sind in Gaza bereits zu viele „Polizisten“ der IDF gefallen.

Trotzdem kann man die heutigen IDF nicht mit den deutschen Polizeieinheiten des letzten Weltkriegs gleichsetzen. Aber ein Abgleich mit der Waffen-SS des Deutschen Reichs sei hier erlaubt, weil auch in der FAZ dazu schreibt:

In Israel sind Vergleiche mit dem Dritten Reich überraschend weit verbreitet. Sie haben sogar Hochkonjunktur.

Nicht nur Netanjahu lebt geistig noch anno 1938 (Haaretz); die Leute sind auf breiter Front in die dreißiger Jahre zurückgeschritten. Wir dürfen daher Wikipedia zitieren, das über die Waffen-SS schreibt:

Im Führererlass vom August 1938 erlaubte Hitler die Aufstellung einer SS-Division mit eigener Artillerie und legte deren Frontverwendung im Mobilmachungsfall fest. Hitler hatte sich eine Truppe zu seiner höchstpersönlichen Verfügung geschaffen, die sich durch „unbedingte Treue“ auszeichnen sollte. … Die Waffen-SS wurde schließlich ab Ende 1939 …. auf dreieinhalb Divisionen erweitert: die Verfügungsdivision, die später in „Das Reich“ umbenannt wurde, die aus den Totenkopfverbänden hervorgegangene Totenkopfdivision mit zunächst 18.000 Mann und die aus Kräften der Ordnungspolizei gebildete Polizeidivision. Die Leibstandarte wurde zu einem verstärkten motorisierten Infanterieregiment ausgebaut…..Die Wehrmacht anerkannte 1940 die SS-Verfügungsdivision und die SS-Totenkopfdivision als kämpfende Einheiten und damit als Parallelarmee[11] an,..“

Die Waffen-SS zeichnete sich auch durch überdurchschnittlich hohe Verluste aus; das bedeutet, dass ihr Mangel an militärischer Kapazität durch Blut verzollt wurde. Berühmt und berüchtigt sind ihre Einsätze in Warschau, in Jugoslawien, in Russland und sonst bei der Partisanenbekämpfung. Folglich gab es schon im Zweiten Weltkrieg Mischformen von Polizei- und Militärorganisationen, so dass man auch folgern kann, dass sich die IDF von einer klassischen Armee zu einer Art Bereitschaftspolizei entwickelt haben könnten. Itamar Ben Gvir und Belazel Smotrich sollen eine neue Schutztruppe in der Westbank aufbauen . Die USA haben inzwischen ein koscheres „Bataillon 97“ für dessen Kriegsverbrechen sanktioniert. Die Waffen-SS´ler bildeten aber keine „Revolutionsgardisten“ a à la Mullah-Regime. Auch eine Smotrich-Verfügungstruppe muss praktisch funktionieren. Natürlich ist für Israelis die SS kein Vorbild, aber das Vorgehen der Marines in Vietnam, das 2 Millionen Zivilsten das Leben kostete, könnte für Israel als Muster taugen. Was die aktuelle Kriegsführung betrifft, kann man auch einen Blick auf den „Krieg“ Italiens gegen die sizilianische Mafia riskieren; vielleicht erscheinen die Pläne Ben Gvirs dann harmloser. WIKIPEDIA meint:

Von 1926 bis zum Ende des Jahrzehnts wurde die Mafia mit allen Mitteln entschieden bekämpft. Dabei ging es Benito Mussolini vor allem darum, die Autorität des Zentralstaats und der faschistischen Bewegung herzustellen. Mussolini entsandte daher den „eisernen Präfekten“ Cesare Mori nach Sizilien, der mit Mitteln der Diktatur gegen die Mafia mit militärischen Mitteln vorging. Tausende – oft auch zu Unrecht Verdächtigte – wurden verbannt, getötet oder ins Gefängnis geworfen. Häufig geschah dies ohne Gerichtsverfahren. Die Mafiafamilien lösten sich unter dem Verfolgungsdruck nicht auf, blieben aber inaktiv. Viele „Ehrenmänner“ flohen in die Vereinigten Staaten, andere nach Tunis….. Zu den in die USA ausgewanderten Mafiosi zählten illustre Namen wie Joe BonannoCarlo GambinoJoe Profaci und Joe Masseria….. Ganz zerschlagen konnte Mori die Organisation jedoch nicht. Obwohl er viele der einflussreichsten Capos namentlich kannte und auch zu belangen versuchte, waren diese durch politische Protektion geschützt. 1925 identifizierte Mori als Chef der Mafia von Palermo einen Mann namens Di Giorgio, den Bruder des Oberkommandierenden der italienischen Armee auf Sizilien. Den Sekretär der faschistischen Partei von Palermo, den Augenarzt Alfredo Cucco, klagte er an. 1929 wurde Mori nach Rom zurückberufen; Cucco wurde freigesprochen, Di Giorgio niemals belangt. Mussolini hatte seine Herrschaft über Sizilien hinreichend konsolidiert und erklärte die Mafia daher für besiegt…..

Nach der Landung der Alliierten 1943 auf Sizilien ….. entstand die Organisation neu. … …. Die Amerikaner suchten nach Gegnern des Faschismus, des Kommunismus und nach lokalen Autoritäten…..  Sie fanden Hilfe bei „Respektspersonen“…..

Das sind ja schöne Aussichten für den Nahen Osten; die Massaker können dann keine Verbrechen sein, sondern der natürliche Ausdruck der moderneren partisanischen Kriegsführung; der Fehler von „Bibi“ liegt möglicherweise darin, dass er den Angriff vom 7.10.23 mit dem Holocaust in Verbindung bringt. Der Angriff war aber eine partisanische Kriegshandlung, die nichts mit dem Holocaust gemein hat. „Die Deutschen“ hatten im Holocaust gerade nicht die arbeitsfähigen jungen Juden ermordet, sondern die älteren Herrschaften, Schwangere und Kinder und die ihnen sonst als unnütz erscheinenden Personen (vgl.: Rudolf Höß in: Kommandant von Auschwitz, Thema „Zigeuner“). Deswegen führten sie auch keinen „partisanischen“ Krieg gegen die Juden, sondern betrieben eine atavistische archaische, anachronistische Form des Wirtschaftens (Adam Tooze) für ihre Kriegsproduktion. Ihr Militär selbst führten den Krieg überwiegend klassisch; die Partisanenbekämpfung durch die SS auf dem Balkan, in Italien und in den rückwärtigen Frontgebieten beanspruchte vielleicht 10% der deutschen Kräfte (Jean Lopez in Barbarossa 1941). Aber für Israel ist der partisanische Krieg zum Krieg schlechthin geworden. Die Hamas ist ein Partisanenverband im Sinne Schmitts, Sie könnte einen militärischen Sieg Israels überleben und Palästina neu infiltrieren, wenn Israel keine eigene partisanische Kriegsführung umsetzt. Wenn sich die Verhältnisse in Arabien ändern und die USA neue Verbündete suchen müssen, dann gute Nacht, Judenstaat. „Was tun?“, spricht Jehova. Wie löst man das Problem?

Das Problem liegt genau darin, dass „die Juden (sich selbst be-) lügen“ (Martin Luther), was aus dem frühneuzeitlichen Sprachgebrauch übersetzt heute heißen müsste: „sich selbst etwas vormachen“. Der jüdische Staat muss mythische Narrative einsetzen, weil das Volk für die Moderne nicht reif ist. Israel ist ein Kolonialstaat; es ist in der Kolonialzeit entstanden. Jerusalem hatte zwar schon orthodoxe Stadtviertel (Mea Shearim) bevor die Zionisten kamen, war aber vor 100 Jahren noch eine arabische Stadt. Die Idee der zionistischen Landnahme entwickelte sich im Schlepptau der europäischen Kolonialmächte. Während die Italiener den Türken 1911 Libyen abnahmen, hatten die Deutschen Scheu, den Türken Palästina für die Juden abzuknöpfen. Die Balfour-Erklärung von 1917 ist objektiv eine Privaturkunde. 1919 wären die Juden noch zu wenige gewesen, einen jüdischen Staat zu verteidigen. Erst der Zweite Weltkrieg stärkte kollateral und faktisch die Zionisten durch Einwanderung. Der UNO-Beschluss auf Teilzuweisung von Palästina an seine jüdische Einwohnerschaft, die durch einen gewonnen Krieg über die arabischen Nachbarn und die zuletzt durch eine „Nakba“ Herr des Landes wurden. Israels Geburt beginnt durchaus ruhmreich, aber sein späterer Gründungsmythos stützt sich auf den Holocaust. Damit macht man Israel zu einer Art Notwehrstaatlichkeit. Das ist die Schizophrenie, die das Land in den Untergang führen könnte Wie Carl Schmitt ausführt, gehört zum partisanischen Denken auch immer ein gewisser Wahnsinn, der natürlich nicht destruktiv sein darf. Die heutige israelische Regierung und die Mehrheit der Wähler ist nur teilweise vom partisanischen Denken durchdrungen; nicht alle sehen im Gegner nur mehr Kriminelle und Terroristen. Zwar führen Netanjahu, Gantz und Gallant durchaus den Krieg konform mit den Vietnam-Maßstäben der USA, die in Afghanistan und Somalia nach „Kriminellen“ fahndeten, aber das reicht nicht wirklich aus, um Terroristen zu vernichten. Der partisanische Krieg ist auf das ganze partisanische Volk zu erstrecken. Tatsächlich haben die Israelis aber die Gazawis nur vor sich hergetrieben. Die Amerikaner und Europäer haben schon Probleme damit, etwa im Kosovo den serbisch besiedelten Teil Serbien anzugliedern. Grenzen erscheinen den Westlern sakrosankt. Insoweit empört sich die jüdische Welt durchaus konsequent, mit „Terroristen“ von der Hamas in einem Haftbefehl genannt zu werden. Sie ist einerseits noch teil-konventionell orientiert, aber praktiziert streckenweise partisanisches Denken. Die halbe Dritte Welt sieht das mit den Augen der Hamas. Für sie ist Israel der absolute Feind im schmitt´schen Sinn.

Ein Fehler in diesem Zusammenhang ist, dies mit „Antisemitismus“ zu erklären.

Eine weitere Narretei der israelischen Regierung war es, sich überhaupt vor dem IStGH einzulassen anstatt ihn generell zu ignorieren. Erst prozessieren und dann Urteilsschelte zu betreiben überzeugt nicht. Wenn Israel aber wieder überzeugen möchte, sollte es das partisanische Kriegsdenken entweder ganz aufgeben oder konsequent umzusetzen. Beides ist machbar.  Der Gaza-Krieg, nach klassischen Grundsätzen geführt, hätte zu einer Belagerung von Gaza-Stadt mit dem Ziel der Kapitulation und Herausgabe der Geiseln führen müssen. Völkerrechtlich wäre dies völlig in Ordnung gewesen. Entweder trotzt eine Stadt der Belagerung wie Paris 1870 oder erklärt sich zur „offenen Stadt“ wie Paris 1940. Aber einerseits partisanisch zu massakrieren und dann doch nicht zum Sieg im Kampf zu kommen, setzt die Regierung Netanjahus dem Vorwurf des Verbrechens aus. Die von Schmitt als Weiterentwicklung des Kriegsdenkens durch Lenin identifizierte Art der Kriegsführung ist a.)  kein Fortschritt und b.) kein Weg zum sicheren Erfolg. So wenig wie der kommunistische Staatskapitalismus oder die Diktatur des Proletariats dem Volk zum Segen dienen, führt ein partisanisch geführter Krieg nicht zum Sieg

von Lobenstein

 

 

 

 

 

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