Yahya Sinwar, ein Märtyrer?

aus der  Tribüne Jüive

Yahya Sinwar © AP Photo/John Minchillo

Der Führer der Hamas, der „Drahtzieher“ der islamistischen Anschläge vom 7. Oktober in Israel, wurde in Gaza getötet. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man noch „Der Dorn und die Nelke“ kaufen, ein Buch, das für seine „berührenden“ Qualitäten gelobt wurde. Der Autor: Yahya Sinwar, der Führer der Hamas. Diese Autobiografie, eine Art islamistischer „Mein Kampf„, die 2004 veröffentlicht wurde, wurde im April 2024, sechs Monate nach den von ihm angeordneten Gräueltaten, ins Französische übersetzt.

Bei bibliographischen Recherchen über die Hamas stieß ich auf eine von der FNAC veröffentlichte Mitteilung, in der ein „zutiefst bewegender“ Roman beworben wird, der „einen einzigartigen Einblick in eine Geschichte der Widerstandsfähigkeit und des Widerstandsgeistes“ bietet. FNAC ermutigt die Leser, „in die Tiefen der Psyche des Autors während seiner Jahre der Gefangenschaft einzutauchen, und trotz der Einschränkungen seiner Zelle einen unerschütterlichen Geist zu offenbaren“. Dieses literarische Werk sei geprägt von „der Leidenschaft und Entschlossenheit des Mannes, der die politische Landschaft weiterhin beeinflusst“. Dieser Mann wr kein Geringerer als Yahya Sinwar, der Führer der Hamas und die Person, die für die Gräueltaten vom 7. Oktober verantwortlich ist.

Wenn dieses Buch jedoch im Jahr 2004 geschrieben wurde, als der Autor eine Haftstrafe verbüßte, wird die französische Ausgabe im April 2024 in einer E-Book-Version unter dem Titel L’Épine et l’Œillet veröffentlicht, übersetzt aus dem Englischen „The Thorn and the Carnation“ (die englische Übersetzung ist die der arabischen Version Al-Shawk wa’l Qurunful), d.h. sechs Monate nach dem Angriff vom 7. Oktober .entstanden.

Vor seiner Inhaftierung war Sinwar für den internen Sicherheitsdienst der Hamas, „Al-Majd“, verantwortlich. Bekannt als der „Schlächter des Khan Younis“, war er verantwortlich für Strafoperationen gegen Palästinenser, die mit Israel kollaborierten. Sinwar wurde beschuldigt, die Entführung, Folter und Ermordung von zwei israelischen Soldaten und vier Palästinensern, die der Kollaboration mit Israel verdächtigt wurden, organisiert zu haben. Er wurde zu vier Mal lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Er wurde 2011 zusammen mit anderen Gefangenen freigelassen, die gegen den von der Hamas gefangen genommenen Soldaten Gilad Shalit ausgetauscht worden waren.

Im Jahr 2018 erklärte Sinwar in einem Interview mit der Reppublica-Journalistin Francesca Borri, dass für ihn der einzige Stoff, in den Medien zu existieren, das Blut sei: „Kein Blut, keine Nachrichten“. Diese Behauptung hat sich am 7. Oktober bestätigt.

Die Erzählung Sinwars handelt von einem Kämpfer der Hamas und von dem Programm der Zerstörung Israels, für das wir ihn kennen. Dank der Exegese der pro-palästinensischen Website Chronicle of Palestine erfahren wir, dass für Sinwar „die außergewöhnliche Verbindung zwischen Religion und Nationalismus“ durch „die Verpflichtung zum Dschihad oder Heiligen Krieg zum Ausdruck kommt, der die nationale Sache mit Heiligkeit durchdringt und sie im Individuum verwurzelt“. Mit anderen Worten, diese fiktionalisierte Biografie ist nichts anderes als ein Aufruf zum Dschihad, zum Heiligen Krieg gegen die Juden und gegen diejenigen, die sie unterstützen.

Man wundert sich über die französische Veröffentlichung dieses romantisierten Aufrufs zum Mord im Jahr 2024, wenige Monate nach dem Massaker vom 7. Oktober, obwohl der Roman an sich schon 2004 geschrieben war. Warum jetzt, wo israelische Geiseln in Gaza von Hamas-Attentätern getötet und gefoltert werden, wo doch Millionen von Islamisten und Antisemiten sich über die Blutflut freuen, die der Roman mitverursacht hat?

Warum sind die großen französischen Verlage von den Schriften eines Mannes, angetan der für den Tod so vieler Juden, für so viele Vergewaltigungen, für so viele Massaker verantwortlich ist, die nach den präzisen und detaillierten Vorschriften von Sinwar begangen wurden? Krankhafte Identifikation? Eine riesige Klientel, die nur auf das neue islamische „Mein Kampf“ – Buch gewartet hat? Präsenz der Muslimbruderschaft in diesem Geschäft? Ich stelle diese Hypothese aus folgendem Grund in den Raum. Die englische Übersetzung, die ich studiert habe, beginnt mit einer Widmung: „Ich widme dieses Buch all jenen, deren Herzen für das Land Isra und Mir’aj schlagen, vom Ozean bis zum Golf, wahrlich, vom Ozean zum Ozean.“ Isra und Mir’aj ist die nächtliche Reise, gefolgt von der Himmelfahrt des Propheten Muhammad. Der Legende nach fanden diese Ereignisse auf dem Tempelberg statt, wo der Kalif Abd al-Malik auf den Ruinen des jüdischen Tempels den Felsendom und die al-Aqsa-Moschee errichtete.

Es ist klar, dass das Buch aufgrund der Reaktionen in den sozialen Netzwerken von den französischen Verlagen, die seine zutiefst „berührenden“ Qualitäten gelobt haben, inzwischen vom Markt genommen wurde: von FNAC und von Decitre. Aus diesem Anlass hat die Website Actualité beschlossen, einen Artikel zu veröffentlichen, der teilweise von den oben zitierten Autoren der Chronik Palästinas inspiriert ist. „Aber was ist von der schwefelhaltigen Arbeit Yahya Sinwars übrig gelassen? Zunächst einmal ist es eine Autobiografie geblieben. Darin beschreibt der Hamas-Führer in Gaza sein Engagement für den Aufbau einer Infrastruktur des Widerstands in Gaza. Ursprünglich 2004 veröffentlicht, und im Gefängnis geschrieben, präsentiert es die Reflexionen und Erfahrungen eines Lebens, das vom bewaffneten Widerstand geprägt war. Des Weiteren werden die Herausforderungen des Widerstands gegen die israelische Besatzung und die Dynamik zwischen den verschiedenen palästinensischen Fraktionen untersucht. Das Buch bietet einen Überblick über interne Spannungen und palästinensische Bestrebungen. Darin beschreibt er sich selbst als gläubigen Mann, der sich der palästinensischen Sache verschrieben hat. Er vermeidet alle antisemitischen Ressentiments und konzentriert sich auf den Kampf gegen die Besatzung. Es liegt an jedem Menschen, zu beurteilen, ob er ihm glaubt oder nicht,

Sinwars Arbeit wird als „schwefelhaltig“ bezeichnet, während gleichzeitig der Ausdruck „Widerstand“ ohne Anführungszeichen verwendet wird: Für den Autor scheint es, dass die Organisation von Morden an Juden und Palästinensern, die mit Israel kollaborieren, zum Widerstands gehört. Als guter Fürst der Unterwelt in den Tunneln überlässt er jedoch bescheiden und liberal den Lesern die Entscheidung, ob Sinwar antisemitisch ist oder nicht.

Wir sind gerührt von so viel Objektivität.

Yana Grinshpun

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