Es gibt Leute, die dachten, dass ein Gericht für seine Entscheidungen nicht belangt werden kann. Die deutsche Justiz hatte in der so genannten Nazi-Zeit auf 16.000 Todesurteile entschieden, aber kein Richter wurde für diese Brutalität je drangenommen (Ingo Müller in: Furchtbare Juristen). In der Sicherheit der Unangreifbarkeit für Exzesse fuhrwerken heute noch deutsche Richter gegen Leute mit abweichender Meinung herum. Theoretisch gibt es die Strafvorschrift der Rechtsbeugung, aber in solchen Fällen entscheidet die Justiz in eigener Sache und und stellt solche Verfahren umgehend ein, notfalls mit dem Hinweis auf die Dummheit des beschuldigten Richters. Kann man nun unterstellen, dass die Richter, die den Haftbefehl gegen Ministerpräsident Netanjahu erließen, dumm sind, oder dass sie das Recht beugten? Letzteres eher nicht, denn die Vorwürfe gegen die Richter zielen auf ungenügende Beweiswürdigung ab. Rechtsbeugung ist also „außen vor“, wie man so sagt. Man wirft ihnen jüdischerseits aber banalen Justizirrtum vor, dem die Richter aus „antisemitischer“ Voreingenommenheit erlagen.
Wie war es im Mittelalter? Nach dem Untergang des (west-)römischen Reichs und der anschließenden Vertreibung der Byzantiner aus dem westlichen Mittelmeerraum fiel der Codex Justiniani (Juris Civilis) bei den barbarischen Königreichen in Vergessenheit. Erst im 12. Jahrhundert tauchte der CJC wieder im Bewusstsein der Europäer auf. Das prozessuale Denken des europäischen Rechtsempfindens ist jedoch älter als 900 Jahre und hatte sich separat herausgebildet:
Anders als im oströmischen Reich stand im Westen ein machtloser Papst an der Spitze der Christenheit. Er legitimierte aber die neuen Reiche auf dem Boden der ehemaligen römischen Provinzen. Es entstand ein Nebeneinander von kirchlicher und weltlicher Gewalt, das soch zum Nebeneinander von Rechtsprechung und Exekutiven entwickelte. Zwar zofften sich Kaiser und Papst das ganze Mittelalter hindurch um die Frage des Rangs und der Kompetenzen, aber ein wesentlicher Grundstein unserer Rechtskultur war mit den Taufen der germanischen Könige und der Kaiserkrönung von Charlemagne gelegt. Jeder König (wie der Kaiser) blieb Herr der exekutiven (weltlichen) Gewalt in seinem Territorium, aber dem Papst stand – wenn auch noch nicht so klar entwickelt wie heute – die judikative Gewalt im ganzen Abendland zu. Die Gewaltentrennung, speziell die zwischen judikativer und exekutiver Gewalt ist heute das A und O unserer Rechtskultur, die um 800 gepflanzt wurde und zur Blüte gelangte.
Diesen Zivilisationsschritt scheint man in Israel und der proisraelischen Welt rückgängig machen zu wollen. In Israel, dessen Struktur dem orientalischen Despotismus näher steht als der Ordnung des Westens, kämpfen die Menschen gegen die Bestrebungen Netanjahus, die Judikative der Regierung unterzuordnen.
Karrikatur der Tribüne Jüive: Sollen das mafiose Gangster sein?
Nun muss man aus der Tribüne Jüive erfahren, dass von Amerika aus im Interesse der augenblicklichen Regierung Israels dem System der Gewaltenteilung Abbruch getan werden soll. Dort hofft man auf einen Donald Trump, der den Kampf Kaiser Heinrich IV. gegen Papst Gregor, der seit 1077 unterbrochen ist, wieder aufnähme. Sie schreiben:
„Die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den damaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant werden nicht unbeachtet bleiben…. Sie werden erhebliche Auswirkungen auf die Aktivitäten des IStGH und seiner Mitarbeiter haben. Diese Leute werden Repressalien und Sanktionen erleiden, mit denen sie nicht rechneten, ebenso wie die Mitgliedsländer, die dazu neigen, die Haftbefehle zu vollstrecken….Die antisemitischen Richter…. haben keinerlei Vorstellung davon, was sie erwartet…Trumps neuer Sicherheitsberater Mike Waltz hat bereits gesagt, dass der IStGH „nicht vertrauenswürdig sei“, und, dass es eine „starke Antwort“ der Trump-Regierung gegen die „antisemitische Befangenheit“ des Gerichts geben werde:
Senatorin Lindsey Graham sagte, die USA müssten energisch gegen die Praxis des IStGH vorgehen. Sie nannte den IStGH eine „schurkische und politisch motivierte Organisation“. Sie wolle ein Gesetz einbringen, das sich gegen Länder richtet, die mit dem IStGH bei der Vollstreckung von Haftbefehlen kollaborieren.
Senator John Thune, der künftige republikanische Mehrheitsführer im Senat – eine Schlüsselposition bei der Durchsetzung von Trumps Gesetzesreformen – kündigt bereits konkrete Sanktionen an; welche das sein werden? Die übliche Litanei:
Einfrieren von Vermögenswerten von IStGH-Beamten und Richtern, was sie daran hindert, auf Finanzmittel zuzugreifen, die bei US-Banken und ihren Partnern im Ausland verwahrt werden, mit anderen Worten, bei allen westlichen Banken.
Personen, die mit dem IStGH in Verbindung stehen, können. Beschränkungen für die Einreise in die USA erliegen, was sie daran hindert, an Sitzungen und an diplomatischen Gesprächen teilzunehmen.
Der Unlawful Courts Act sieht Sanktionen gegen alle ausländischen Personen vor, die an Ermittlungen des IStGH beteiligt sind.
US-Bürger oder -Organisationen (Hallo, Frau Amal Clooney), die Dienstleistungen oder Unterstützung für sanktionierte IStGH-Beamte erbringen, müssen mit schweren Strafen rechnen, darunter Geldstrafen von bis zu 1 Million US-Dollar und Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren
Länder, die mit den Ermittlungen des IStGH kooperieren, können ebenfalls mit Sanktionen belegt werden, die Handelsbeschränkungen oder andere wirtschaftliche Sanktionen umfassen können, die darauf abzielen, die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof zu verhindern
Angehörige der Rechtsberufe, die den IStGH bei seinen Ermittlungen unterstützen, können sanktioniert werden, wenn festgestellt wird, dass sie an der Arbeit des Gerichtshofs „teilgenommen oder anderweitig unterstützt“ haben“.
Sauber, sauber. Das kann ja was werden. Inzwischen wird bereits die leicht linke HAARETZ in Israel quaratäniert. Die deutsche Regierung hätte sich gar nicht so weit vorlehnen sollen. Zum einen wird „Bibi“ gar keine Zeit aufbringen, ihr seine Referenz zu erweisen, und letztlich haben die Deutschen schon früher nach den Schüssen vor dem israelischen Konsulat (17.2.1999 in Berlin) die israelischen Schützen ruckzuck ausfliegen lassen. Und wenn wirklich die amerikanische Regierung wünscht, dass die Haftbefehle in Deutschland nicht vollstreckt werden, dann wird Deutschland die Vollstreckung aussetzen, wenn es sich nicht selbst auf den Standpunkt stellt, Mittäter von Netanjahu zu sein. Von keinem Gangster kann man erwarten, dass er den Komplizen festnimmt und den Sbirren ausliefert.
Außerdem zieht die TJ mathematische Analogien:
- 300 Raketen und Drohnen, die der Iran im April auf Israel abgefeuert hat, 220 Raketen im Oktober. Keine IStGH-Sanktionen.
- 5,5 Millionen Tote im Kongo. Kein Verfahren in Sicht.
- 500.000 Tote in Syrien. Keine Reaktion des IStGH.
- 500.000 Tote im Sudan. Der IStGH ist nicht präsent.
- 400.000 Tote im Jemen. IStGH: „Jemen? Welcher Jemen? »
- 300.000 Tote im Irak. Das ICC ist belegt, es verfügt über ein Schwimmbad.
- 250.000 Tote in Afghanistan. Der IStGH schläft, macht keinen Lärm.
Und dem gegenüber schlappe 40.000 Tote in Gaza (die Hälfte davon Hamas-Kämpfer). Aber Juden sind involviert. Und schon wirft der IStGH Israel Völkermord vor.“
Soso. Peinlich ist die Argumentation: Dass Mord so etwas wie „Politik mit anderen Mitteln“ ist, weiß man seit Niccolò Machiavelli. 20.000 tote Hamas-Kämpfer? Um Gottes Willen! Wie viele Kämpfer hat denn die HAMAS noch? Ein kleiner Denkfehler besteht allerdings darin, dass der IStGH nicht aus eigener Initiative handeln kann. Gegen Israel und gegen Deutschland haben Südafrika und Nicaragua Klage erhoben. Insoweit fehlt es weltweit an einem Kläger gegen die aufgezählten Länder. Dennoch darf man den Maßstab der TJ anlegen: Nach Ansicht der Tribüne Jüive sind es doch immerhin 20.000 Nicht-Kämpfer gewesen, die kollateral ijr Leben lassen mussten. Die Herrschaften meinen also, dass noch einige zig-tausende Leichen hinzukommen dürfen, bevor man von Völkermord sprechen darf. Vielleicht sollte man die Zahl der Toten in Relation zur Zahl der lebenden Bevölkerung setzen: 40.000 Tote bei 2 Millionen Einwohnern in Gaza: das macht 2%. Syrien hat 22 Millionen Einwohner: Dort sind es mit 500.000 Toten schon 5% der Bevölkerung. Alles klar? Der Krieg in Gaza darf noch 90.000 Tote erfordern, bevor der Vollzug des Haftbefehl gegen „Bibi“ in Erwägung gezogen werden darf.
Spielt es eine Rolle, was die Tribüne Jüive schreibt? Theoretisch nicht. Aber bei uns denkt der Zentralrat wahrscheinlich ähnlich. Der amtlichen Politik ist die Sache unangenehm. Denn jeder kleine Amtsrichter könnte sich berufen fühlen, Benjamin Netanjahu in Haft nehmen zu lassen, jeder Dorfpolizist könnte ihn festnehmen. Aber so kann es praktisch nicht kommen, denn „Bibi“ reist mit gepanzerter Limousine in Deutschland herum. Selbst der antisemitischste Amtsrichter kann da nichts machen. Nur die unglückliche Bundesregierung müsste sich zwischen Trump und Amala Clooney entscheiden. Gut, dass eine solche auch nur auf dem Papier besteht. Hoffentlich bleibt es beim „jetzt nie wieder“. Nie wieder ein Besuch von Benjamin Netanjahu.
von Lobenstein