Von Abraham Melzer
Seit Jahren, und seit dem 7. Oktober 2023 fast täglich, lesen wir in der Presse, hören im Rundfunk und sehen im Fernsehen, dass „die Zahl der antisemitischen Straftaten sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat.“ Es müssten inzwischen zigtausender Straftaten sein und wir müssten eigentlich in antisemitischen Straftaten ersticken. Ist dem wirklich so?
Ich lebe als Jude in Deutschland und merke nichts davon, außer die ständigen Berichte in der Zeitung, auch in der FAZ. Und erst recht habe ich nicht den Eindruck, dass ich von der Polizei mehr geschützt werden muss als nichtjüdische Mitbürger oder gar moslemische. Das Bundesinnenministerium ruf aber zum Schutz von Juden (nur Juden?) in Deutschland auf. Und die FAZ beruft sich ausgerechnet auf den jüdischen Philosophen Theodor W. Adorno in ihrem Ruf nach Autorität. Zum letzten Mal, als wir „Autorität“ in Deutschland hatten, gab es nicht weniger Antisemitismus, sondern mehr, viel mehr, und am Ende hat es bis nach Auschwitz geführt.
Was aber bei den täglichen Warnungen vor Antisemitismus fehlt, ist die klare Beschreibung was Antisemitismus (heute) ist und wo und wann es anfängt. Ich lese immer wieder, dass es sich um „Israel bezogenen Antisemitismus“ handelt. Was bedeutet das aber? Für Adorno fing der Antisemitismus stets mit dem „Gerücht über die Juden“, was immer er damit auch meinte. Das ist aber nicht debatierbar, sondern einfach nur falsch. Deshalb, sagte Adorno, müsse dem „Gerücht“ die Wahrheit entgegengesetzt werden. Wer aber die Wahrheit über den Vernichtungskrieg Israels gegen die Palästinenser, ja die Palästinenser und nicht nur die Hamas oder die Hisbollah, sagt, gilt als Antisemit und wenn er selbst Jude ist, wie ich, dann sogar als „berüchtigter Antisemit“. Wie absurd ist das?
Es wäre wünschenswert und wichtig, wenn die Presse uns endlich aufklärt, was das für „antisemitische Straftaten“ sind, die die FAZ am Anfang ihres Beitrags stellt, die die Statistik angeblich immer wieder ermittelt. Oder ist es nur Kritik an Israels völkerrechtswidrige Politik, die nach § 5 unseres Grundgesetzes erlaubt ist. Nur leider halten sich Politiker und Medien nicht daran.
Das Jahr 2024 endete mit einem Eklat, den die Presse anheizte; so etwa die NZZ, die berichtete:
„Judenhass, Schwurbler und Esoteriker: Evangelische Gemeinden auf Abwegen. Eine Kirche im Bundesland Hessen hat einen antisemitischen Weihnachtsmarkt veranstaltet. Unsere Recherche zeigt, wie katastrophal die Zustände wirklich sind. ….
Die Jüdische Gemeinde Darmstadt hat Strafanzeige gegen die lokale Michaelisgemeinde gestellt…. Die Staatsanwaltschaft ermittelt…“
Antisemitismus ist ein echtes Problem und zugleich ein Schreckgespenst geworden. Zwar leben Juden nach den Beobachtungen der Tribune Juive in den USA ohne antisemitische Belästigungen, aber in Europa ist es anders: Hajo Meyer hatte einst gesagt, dass früher derjenige als Antisemit galt, der Juden hasste, und heute derjenige als Antisemit beschimpft wird, den die Juden hassen. Und den Eindruck habe ich auch.
Der Satiriker Roda Roda wird gern von jüdischen Publizisten wie Broder zitiert; „Aus dem Antisemitismus könnte noch was Rechtes werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden“.
Inzwischen haben sich jüdische Funktionäre und Politiker seiner wirklich angenommen und zeihen jüdische Friedensaktivisten und Gelehrte als Antisemiten. Deutsche Akademiker, Unidirektoren, Oberbürgermeister und Sparkassendirektoren verweigern Friedensaktivisten und Gelehrten – auch wenn sie jüdisch sind – das Recht der Meinungsfreiheit verwehren. Statt der SA können sie die Polizei aufmarschieren lassen, wie es im Sommer 24 zur Sprengung des von der „Jüdischen Stimme“ mitveranstalteten Palästinakongresses geschah. Den unerwünschten Juden wird einfach „jüdischer Selbsthass“ unterstellt. Wie soll man dieses „rätselhafte Phänomen“ verstehen? Was motiviert jüdische Funktionäre wie Josef Schuster und Charlotte Knobloch, oder jüdische Intellektuelle wie Broder und Wolffsohn, sich derartig verächtlich gegenüber anderen Juden zu äußern? Menschen, die behaupten, in Israel passiere – abgesehen vom Holocaust – Vergleichbares zum Dritten Reich, sind nach Broders Überzeugung Antisemiten. Dabei räumte er in der Jüdischen Allgemeinen selbst ein, dass Israelis – und er meinte Juden – „Täter“ seien, ein Begriff, der sonst nur in Bezug auf „Nazis“ angewendet wird, sind. Ja, was gilt denn nun?
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen verabscheut die jüngsten Angriffe auf Juden und jüdische Institutionen, und nimmt sie sehr ernst. Manche jüdischen Funktionäre allerdings bauschen die Ereignisse derart auf, als sei das Dritte Reich kurz vor der Auferstehung von den Toten. Die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ sei der erste Vorbote der antisemitischen Pogrome. Schuster, Broder und Knobloch, um nur wenige zu nennen, tun so, als ob der Antisemitismus die finale Phase der Endlösung der Judenfrage eingeläutet habe, reden, als stünde ein zweites Auschwitz vor der Tür. Sie unterstützen damit die amerikanische Anti-Defamation League (ADL), die sich mehr als alle anderen Organisationen bemüht, das Bild eines aufkeimenden Antisemitismus in Europa zu verbreiten. Wie kommen sie auf diese Idee?
Bürger überall auf der Welt, darunter auch etliche Juden, haben aus den Ereignissen der letzten 80 Jahre gelernt, eine Hemmschwelle zu überwinden, und Israels Politik und Kriegsverbrechen so zu kritisieren, wie sie es bei allen anderen Völkern üblich ist.
Solches darf nach Meinung mancher Juden nicht vorkommen (Ahavat Israel). Für Juden ist es daher grundsätzlich schwierig, sich von Israels Übergriffen zu distanzieren, bei anderen Gelegenheiten dagegen auch leichter als es Nichtjuden fällt. Letztere sind immer einer Art moralischer Erpressung durch Zionisten ausgesetzt, vor allem in Ländern wie Deutschland mit seiner antisemitischen Vergangenheit. Sie müssen sich dann doppelt für ihre Stellungnahme rechtfertigen. Juden werden allerdings auch unter besonderen Druck gesetzt, oft von ihren Familienangehörigen. Man nennt sie zwar nicht Antisemiten, aber dafür Nestbeschmutzer, Vaterlandsverräter, oder auch „koschere Antisemiten“ unabhängig davon, ob Israel ihr Vaterland ist oder nicht.
Gelegentlich wird unsere Neigung zu empörten Reaktionen gefordert, die eine legitime Kritik an der israelischen Politik und ihren Praktiken verlangen. Wenn Palästinenser rücksichtslos enteignet, schnöd entrechtet, willkürlich eingesperrt, vertrieben und nicht seltengetötet werden, ist es ganz und gar nicht antisemitisch, die Taktiken des Boykotts, des Investitionsentzugs und Sanktionen (BDS) als gewaltfreie politische Maßnahmen gegen eine Macht zu verteidigen, die wie eine historische Kolonialmacht sich über die politischen Rechte einer Minderheit hinwegsetzt. Man muss nicht der BDS-Kampagne nahestehen, um sie als eine legitime politische Äußerung der Betroffenen, zu akzeptieren. Auch ohne, dass jemand die BDS unterstützen möchte, muss man zugeben, dass diese Bewegung nicht zensiert oder für ihre Ansichten bestraft werden darf. In den USA ist bisher jeder Versuch, Gesetze zu erlassen, um die Unterstützung der BDS-Kampagne zu verbieten oder zu kriminalisieren, an der Verfassung der USA gescheitert. Entsprechende Bestimmungen höheren Rechts finden sich auch in den Urkunden über die Menschenrechte und sogar im Grundgesetz. Leider werden solche von vielen Stadtverwaltungen, von Köln bis München und Hamburg bis Frankfurt ignoriert. Sie stehen im Gegensatz zu einer fiktiven „Staatsraison“. Dennoch können die Kommentatoren der Verhältnisse nicht um eine Diagnose herumkommen, dass zwischen der Feindschaft gegenüber Juden und der Gegnerschaft zur Politik Israels ein Zusammenhang besteht. Dieser führte dazu, dass europäische Antisemiten häufig Sympathien für Israel erklären: je schlechter sich Israel benimmt, desto höher steigt das Land in ihrer Wertschätzung. Und je mehr Israel in der Schätzung neo-nazistischer Parteien steigt, desto mehr fühlen sich deutsch-jüdische Patrioten diesen Parteien verbunden. Der jüdische Publizist Henryk M. Broder machte im Frühjahr 2019 eine europäische Begegnungstour mit rechten und ultrarechten europäischen Parteien. Er begann mit der AfD, wo er von der Parteivorsitzenden Weigel herzlich umarmt wurde, und ist inzwischen, wie man hört, auch schon bei der FPÖ gewesen. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis er nach Ungarn und Polen reist.
Es ist die Politik der israelischen Regierung, vor allem in den letzten Jahrzehnten, die rudimentäre antijüdische Gefühle verstärkt und gleichzeitig Sympathien bei rechten Parteien gewonnen hat. Im Grunde hat Israel selbst erheblich zum Wiederaufleben des Antisemitismus beigetragen. Das ist freilich ein Ergebnis, mit dem viele israelische Politiker keineswegs unglücklich sind. Denn die zionistische Ideologie Herzls setzt einen virulenten Antisemitismus voraus.
Geht es den meisten Deutschen, die täglich über Israel und den Antisemitismus schreiben, wirklich um Israel und um die Bekämpfung des Antisemitismus, oder nur um ihre Selbstdarstellung? Wenn ich z. B. an den Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker denke oder an die Frankfurter „linke“ Aktivistin Jutta Ditfurth, dann kommen mir Zweifel an deren Ehrlichkeit. Sie wollen zeigen, wie sehr sie sich von den Verbrechen des Dritten Reiches und ihren eigenen Familientraditionen distanziert haben, und dass sie echte „Gutmenschen“ geworden sind. Jutta Ditfurth hat zugegeben, dass ihre Familie antisemitisch war. Dass sie durch ihre zwanghafte Läuterungsdemonstration die Rechte und Würde dritter Menschen verletzen, Moslems, Christen und Juden, wollen sie nicht wahrnehmen. Sie denken, dass ein einseitiges, blindes Eintreten für israelische Positionen das Gebot der Stunde sei. Dabei sind diese ganz und gar keine jüdischen Positionen, für die sie sich stark machen, denn das Judentum lehnt Rassismus und Menschenverachtung ab. Wollen sie die Ermordung jüdischer Semiten dadurch ausgleichen, dass sie heute moslemische Semiten diskriminieren und vertreiben?
Es vergeht doch seit Jahren kein Tag an dem nicht in irgendeiner Zeitung, im Rundfunk oder im Fernsehen, über Antisemitismus geschrieben wird. Meistens dozieren vermeintliche Experten, die wenig Ahnung von Judentum und kaum Kenntnisse über Israel haben, und daher wie Blinde über Farben reden. Der Versuch, die anstößige israelische Politik mit dem Holocaust zu rechtfertigen, widerspricht den moralischen Grundsätzen des Judentums. Wenn ein Deutscher mit Blick auf Auschwitz zu den Maßnahmen Israels eine Meinung hat, dann schweige er besser taktvoll und diskret. Das ist das Einzige, was der Holocaust rechtfertigen kann; er kann aber nicht die Maßnahmen der israelischen Regierung gegen Araber rechtfertigen. Es ist offensichtlich, dass wir nicht vor der Gefahr eines zweiten Auschwitz stehen, auch wenn Hetzer wie Josef Schuster vom Zentralrat der Juden, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Jüdischen Gemeinde in München oder der Hofjude und Hofnarr Henryk M. Broder immer wieder diese Vorstellung beschwören. Sie verunsichern damit nur ihre geistige Klientel, die angeblich auf gepackten Koffern sitze. Noch nie sind Juden sicherer gewesen als heute. In den USA, in Europa und auch in Deutschland leben Juden friedlich und zumeist in Wohlstand.
Schaut man aber nach Israel, dann kann einem schwindlig werden. Seitdem Benjamin Netanjahu an der Regierung ist, gleitet Israel ohne Halt nach rechts. Es nähert sich immer mehr einem wirtschaftlichen Abgrund. Nationalismus und Rassismus bestimmen die Richtlinien Netanjahus Politik.
Statt aber die Gründe für diese Entwicklung in der israelischen Politik zu suchen, holt man lieber die Antisemitismus-Keule hervor. Die Völkergemeinschaft, die Europäer und vor allem die Deutschen werden als Judenhasser in verletzender Weise diskreditiert. Man schreckt nicht einmal vor Beleidigungen zurück. Die Taktik ist klar: man zeigt auf andere, um von seinen eigenen Problemen abzulenken. Und wenn das internationale Strafgericht in Den Haag gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erlässt, wegen der Beteiligung an Kriegsverbrechen, dann ist die Antwort Netanjahus und der israelischen Öffentlichkeit: Die Richter sind Antisemiten.
Zwar trifft Deutschland wohl eine Schuld daran, dass es so weit kommen konnte, aber es hilft weder den Juden noch den Israelis und auch nicht den Palästinensern, wenn man immer nur zurückblickt und sich weigert, nach vorn zu schauen. Es stimmt, ohne den deutschen Nationalismus und Rassismus hätte es in den dreißiger Jahren nicht die massive Einwanderung nach Palästina gegeben. Ohne die britische Mandatsmacht, die diese Einwanderung begünstigt hat, hätten wir nie die Probleme von heute bekommen. Aber wir sollten auf die heute anstehenden Probleme schauen und nicht in der Vergangenheit nach Rechtfertigung suchen. Wir sollten vor allem nach Recht und Gerechtigkeit streben und dem Propheten Jeremias nacheifern, der gerufen hat: „Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachlaufen.“
Der angebliche neue Antisemitismus ist letztlich nichts anderes als ein Propagandainstrument bestimmter jüdischer und israelischer Interessen. Für diese ist es geschickt, wenn Antizionismus mit Antisemitismus vermengt wird. Die Zionisten haben von Anfang an mit den antisemitischen Nazis kooperiert. Bis zuletzt hat Benjamin Netanjahu den Antisemitismus begrüßt, weil er „Juden nach Israel spült“. Kritik an dieser Politik ist nicht einmal Antizionismus, sondern eine nur allzu berechtigte Kritik an der aggressiven, nationalistischen, ja chauvinistischen Politik Israels, die von vielen Juden und Israelis mitnichten antisemitisch bzw. antijüdisch aufgefasst wird. Netanjahu hat sogar versucht, den Mufti von Jerusalem, Hagh al Husseini, für den Holocaust verantwortlich zu machen und behauptet, der Mufti hätte Hitler die Ermordung der Juden ins Ohr geflüstert. Als ob Hitler Ratschläge des Muftis, den er verachtete, nötig hatte. Diese Behauptung wird aber trotzdem immer wieder frisch daher gebetet.
Aber die Kritik kann noch so sachlich, berechtigt und moderat sein, von zionistischer Seite wird stereotyp der Vorwurf erhoben, dass sie „weit über eine sachlich gerechtfertigte Kritik hinausginge.“ Man hört immer wieder von prozionistischen Kreisen, vom Zentralrat der Juden und anderen jüdischen Hasspredigern, dass man selbstverständlich Israel kritisieren könne und dürfe. Wenn man es aber tut und nicht etwa Israel, sondern dessen Politik kritisiert, dann wird man umgehend als Antisemit verleumdet. Diese zionistische Kritikabwehr wurde und wird derart überzogen, dass sie immer weniger Menschen überzeugt und auch immer mehr Juden und Israelis abstößt.
Inzwischen ist eine radikal chauvinistische Partei aus der Asche wieder auferstanden. Es ist eine israelische Nazi-Partei, die in eine Koalition rechter Parteien in das israelische Parlament einzog, gefördert von Benjamin Netanjahu, der so hofft, mit deren Hilfe an der Macht zu bleiben. Kein Wunder, wo doch schon sein Vater, der jahrzehntelang Sekretär des rechtsradikalen jüdischen Politikers Ze‘ev Jabotinski war, des Ahnherrn der heutigen rechten Parteien, ein bekennender Faschist und Bewunderer von Mussolini war. Seine paramilitärische Beitar-Jugend brachte sich mit braunen Hemden zur Geltung.
Das Panier der neuen Kach-Partei lautet: Entfernung aller Nichtjuden aus Jerusalem, Aberkennung der israelischen Staatsbürgerschaft für alle nichtjüdischen Israelis und Kontaktverbot zwischen Juden und Arabern. Die Nazis in Deutschland dürften sich freuen und manche Juden auch. Manche sind schon der AfD beigetreten und verteilen dort fleißig Persilscheine.
Ich habe lange geglaubt, dass es zwecklos und entwürdigend ist, mit solchen jüdischen Chauvinisten zu diskutieren. Das würde ihnen bloß Legitimität verschaffen. „Es gibt jedoch Zeiten, in denen Absurditäten zu politischen Tatsachen werden und nicht mehr ignoriert werden können“, schreibt Omer Bartov. Wir müssen uns wohl oder übel mit diesen Leuten auseinandersetzen, nicht nur, indem wir ihre gewalttätigen, rassistischen Vorstellungen entlarven, sondern indem man ihnen Grenzen setzt, und sei es mittels Boykotts und Delegitimation.
Es ist nachvollziehbar, dass fanatische Zionisten uns nicht mögen. Wir mögen sie auch nicht. Der Unterschied ist nur, dass wir sie nicht daran hindern, ihre Meinung zu sagen oder Israel-Tage zu veranstalten, während sie alles tun, um unsere Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Es ist ein Skandal, wenn der Zentralrat der Juden und jüdische Funktionäre linken jüdischen Intellektuellen Antisemitismus vorwerfen, weil diese sich für die Rechte der Palästinenser und einen gerechten Frieden in Israel einsetzen. Und es ist ein noch größerer Skandal, dass deutsche Funktionsträger (der Bürgermeister in Göttingen, die dortige Unipräsidentin, der Antisemitismusbeauftragte, etc.…), sich dieser Verleumdungskampagne unterwerfen und sich gegen die Vergabe des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ wenden.
Besonders ärgerlich für uns kritische demokratische Juden ist der Mangel an Sensibilität bei Herrn Josef Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sich nicht geniert, den Bundespräsidenten zu kritisieren wegen seines Glückwunschtelegramms zum iranischen Nationalfeiertag. Schuster schreibt: »Beim Glückwunschtelegramm des Bundespräsidenten zum Jahrestag der Revolution im Iran scheint die Routine‐Diplomatie das kritische Denken verdrängt zu haben.“ Dabei scheint es mir, dass bei Schuster das kritische Denken ausgesetzt hat. Es ist eine ausgesprochene Unverschämtheit, dass beim Thema Iran im Zentralrat offenbar die nötige Sensibilität gefehlt hat. Weiterhin sagte Schuster laut Bild.de: »Ich erwarte vom Bundespräsidenten, dass er die nächste Gelegenheit ergreift, um gegenüber dem Iran unmissverständlich die kritische Haltung der Deutschen zu verdeutlichen, in deren Namen er spricht.«
Josef Schuster hat da aber nichts zu erwarten und sollte sich für diesen Ton möglichst bald entschuldigen. Wir, als Volk, dürfen aber sehr wohl von unserem Präsidenten erwarten, dass er den Israelis „unmissverständlich die kritische Haltung der Deutschen verdeutlicht, in deren Namen er spricht.“
Das Auswärtige Amt hatte dazu erklärt, solche Telegramme seien zu Nationalfeiertagen eine verbreitete Praxis im diplomatischen Verkehr zwischen Staaten. Darauf hat auch das Bundespräsidialamt hingewiesen. Offenbar hat Schuster das nicht eingesehen. Ich habe nirgends gelesen, dass der Zentralrat der Moslems in Deutschland sich beim Bundespräsidenten beschwert hat, weil er 2018 Israel zum 70. Geburtstag gratuliert hat. Da liegt auch der Unterschied zwischen Menschen ohne Erziehung, die davon ausgehen, dass sie alles dürfen, weil sie Juden sind, und kultivierten Menschen, die sensibel genug sind zu wissen, was man nicht tun darf. Einen besseren Beweis, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland nichts anderes ist als eine Filiale der israelischen Botschaft und ein treuer Vertreter der israelischen Propaganda, konnte uns Schuster nicht erbringen.
Er erweist sich damit als getreuer Anhänger der rechtsextremen israelischen Regierung und liefert den Kritikern dieser Politik noch mehr Munition, diese abzulehnen. Es ist wie ein Teufelskreis, in dem wir alle stecken. Seit dem Jahre 2004 verweisen die israelischen Regierungen zunehmend auf den Holocaust, um ihre Unterdrückung der Palästinenser zu rechtfertigen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland fördert ihn dabei, indem er die Gefahr eines neuen Holocaust heraufbeschwört und sich in außenpolitischen Fragen einmischt, die ihn gar nicht angehen. Es ist nicht die Aufgabe eines Zentralratsvorsitzenden Kommentare zur deutschen Außenpolitik zu geben.
Wenn er sich aber für berufen hält, die Außenpolitik zu beeinflussen, dann sollte er sich bei der Politik Israels zu Wort melden und die dortigen Menschenrechtsverletzungen anprangern. Leider ist er aber auf diesem Auge blind. Er will nicht wahrhaben, dass -so sehen es inzwischen viele israelische Kommentatoren – „Israel zunehmend eine Erosion der Demokratie, ein Erstarken des Rassismus, das Aushöhlen des Rechtsstaates und einen immer rücksichtsloseren Einsatz von Gewalt, erlebt. Kritik an Regierungshandeln wird in Israel regelmäßig nicht nur als antizionistisch, sondern als antisemitisch betrachtet.“