Straffreiheit für Abdallah Abu Rahmah – Offener Brief an die Bundesregierung

von „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“

Die Jüdische Stimme (JS) fordert Straffreiheit für Abdallah Abu Rahmah. Die Zusammenarbeit zwischen der Dachorganisation der JS EJJP (Föderation „Europäische Jüdinnen und Juden für einen gerechten Frieden – European Jews for a Just Peace) und dem Bürgerkomitee des palästinensischen Dorfs Bil’in begann 2006. Das ein Jahr zuvor  von Abdallah Abu Rahmah mit anderen Bil‘inern gegründete und von ihm bis heute maßgeblich geprägte Komitee entstand angesichts der Errichtung eines Trennzauns zwischen dem Dorf und 60% seines bewirtschafteten Agrarlands durch die israelische Armee. Das auf den Weg gebrachte Komitee verschrieb sich von Anbeginn dem gewaltfreien Widerstand gegen die international als Apartheidzaun bezeichnete, Grenzziehung mitten durch die besetzten Gebiete. Gleichzeitig war ihm – ebenfalls von Anfang an – die regelmäßige Zusammenarbeit mit israelischen, jüdischen und internationalen Vereinigungen wichtig. Die gemeinsam mit diesen durchgeführten wöchentlichen Aktionen am Zaun fanden international starke Beachtung und Solidarität, zumal der Verlauf der eigenmächtigen Grenzziehung Israels gegen Internationales Recht verstieß

Die Aufklärung über Ziele und Praxis des Bil’iner Komitees sowie der politische Schutz seiner Mitglieder gehören seit Jahren fraglos zu den wichtigsten Schwerpunkten der JS in der Bundesrepublik Deutschland. In regelmäßigen, Mahnwachen machte die JS gemeinsam mit anderen Organisationen in Berlin über Jahre auf die Übergriffe des israelischen Besatzungsregimes auf das Dorf und ebenso auf die ideenreichen Aktionen des gewaltfreien Volkswiderstands dort aufmerksam. Im Vordergrund stand dabei stets  der von den Bil’iner beklagte Landraub im Interesse der unweit des Dorfs völkerrechtswidrig gebauten und ständig expandierenden Siedlung Modiin Illit. Eine Petition des Komitees, vertreten durch den israelischen Menschenrechtsanwalt Michael Sfard an den Obersten Gerichtshof Israel bewirkte 2007 die gerichtliche Anweisung der Regierung Israels, den Verlauf des Zauns nahe Bil’in zu korrigieren. Die vom israelischen Verteidigungsministerium ständig hinausgezögerte Aufhebung der illegalen Grenzziehung wurde schließlich vier Jahre später, – wiederum gerichtlich – erzwungen. Am 1. Juli 2011 erhielten die Bil’iner knapp die Hälfte ihres Agrarlands zur eigenen Bewirtschaftung zurück.

Die erfolgreiche Politik des Komitees, das sowohl in Palästina als auch international hohes Ansehen nicht zuletzt auch seitens der EU oder des bundesdeutschen Außenministeriums genießt, wurde von israelischer Seite fortwährend mit gewaltsamen, in mehreren Fällen mörderischen Übergriffen auf das Dorf beschieden. Darüber hinaus setzte die Armee immer Schikanen gegen Mitglieder des Komitees und Aktivisten der gewaltfreien Volksbewegung ein, um den friedlichen Widerstand auf palästinensischer Seite zu lähmen. Abdallah Abu Rahmah steht als Koordinator des Komitees und seiner Aktivitäten seit Jahren im Visier der Besatzer. Gerade wegen seiner unbeirrbaren Entschlossenheit zur Gewaltfreiheit ist er – so scheint es – ein inakzeptabler Störfaktor im Besatzungsregime, das vorgeblich die israelische Bevölkerung vor palästinensischen Gewalttätern schützen soll.

Die Internationale Liga für Menschenrechte zeichnete am 10. Dezember 2008, dem 60. Jahrestag der Verkündung der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte 1948 das von Abdallah Abu Rahmah koordinierte Bil’iner Komitee gemeinsam mit den Israeli Anarchists Against The Wall mit der Carl–von–Ossietzky–Medaille aus. Im Folgejahres wurde gegen Abu Rahmah ein Strafverfahren wegen diverser politischer Vergehen als Koordinator des Bil’iner Widerstands eingeleitet. Am 24. August 2009 wurde Abu Rahmah wegen Aufwiegelung sowie Organisation von Demonstrationen und Widerstandshandlungen in Bil’in schuldig gesprochen und mit einer einjährigen Haftstrafe im Militärgefängnis Ofer belegt. Die damalige Hohe Außenvertreterin der EU Cathrine Ashton erklärte sich offiziell beunruhigt über die mit der Verurteilung möglich gewordene Inhaftierung des „Menschenrechtsverteidigers“ (Human Rights Defender) Abu Rahma, zumal diese „in der Absicht geschehe, ihn und andere PalästinenserInnen daran zu hindern, ihr legitimes Recht wahrzunehmen und gewaltfrei gegen den Tatbestand der Trennmauer zu protestieren.“ Überdies stellte sie klipp und klar fest, dass die EU den Verlauf der Trennmauer für illegal erachte, sofern diese auf palästinensischem Land gebaut sei(Brüssel, 24. August 2010 A167/10)

Am 10. Dezember 2009 auf den Tag genau ein Jahr nachdem Abdallah Abu Rahmah in Berlin für das Bil’iner Komitee die Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 in Berlin entgegengenommen hatte,  wurde sein Haus gegen 02:00 Uhr morgens umstellt, beschossen und schließlich gestürmt. Die Familie des damals 39 Jahre alten Lehrers und Experten der arabischen Literatur wurde aus dem Schlaf gerissen. Abdallah wurde vor den Augen seiner Frau und drei kleinen Kinder geschlagen, gedemütigt und gewaltsam aus dem Haus gezerrt. Die von Abu Rahmah  verbüßte, von 12 auf 16 Monate verlängerte Haftstrafe endete im März 2011.

Am 10. Mai 2012 wurde Abu Rahmah auf einer Demonstration in Beitunia, nahe dem israelischen Militärgefängnis Ofer festgenommen. Die Demonstration wurde in Gedenken an die Nakba 1948 einberufen, jener Katastrophe der Vertreibung von 750.000 Palästinenser aus den ihnen seit Jahrhunderten angestammten Gebieten, um den jüdischen Staat Israel, der mehrheitlich Juden beheimaten sollte, zu etablieren. Gleichzeitig galt es Solidarität mit politischen Gefangenen zu demonstrieren, die seit Wochen in Ofer und anderen Militärgefängnissen mit einem Hungerstreik gegen die menschenrechtswidrigen Bedingungen und Dauer ihrer Festsetzung ohne Gerichtsverfahren protestierten. Die Teilnahme an einer Demonstration verstößt gegen die Militärverordnung Israels, die Palästinensern in den besetzten Gebieten  jede Form der Erhebung und des Widerstands verbietet. Als Abu Rahmah sich zudem Bulldozern entgegenstellte, die Beton für Sperranlagen auf palästinensischem Territorium anlieferten, wurde er sofort festgesetzt. Nach wenigen Stunden kam er gegen eine Kaution wieder frei. Das vom israelischen Militär gegen ihn eingeleitete Strafverfahren wegen Behinderung eines Soldaten – des Fahrers des Bulldozers also –  bei der Ausübung seines Militärdienstes wurde am 21. Oktober 2014 gerichtlich verhandelt.

Abdallah Abu Rahmah wurde schuldig gesprochen. Das Strafmaß soll am 8. Februar 2015 verkündet werden. Die Familie Abu Rhamahs befürchtet seine abermalige Inhaftierung für eine ungewisse Zeit.

Die JS erklärt:  Die anhaltenden Schikanen gegen den bewährten Koordinator des Bil’iner Komitees, gegen den Menschenrechtsverteidigers der EU und den Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 kommen einer Drangsalierung gleich, die von der internationalen Zivilgesellschaft und Solidaritätsbewegung mit den Palästinenser_innen nicht stillschweigend hingenommen werden wird.

Die JS fordert die Bundesregierung und das Bundesaußenministerium auf, sich nachdrücklich für die Garantie der universell verbrieften Grund– und Menschenrechte auch in den von Israel besetzten Gebieten und im vorliegenden Fall für die Straffreiheit von Abdallah Abu Rahma einzusetzen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert