Die Juden in Frankfurt, aber dies gilt auch für die Juden in ganz Deutschland, sind wohl irgendwann und irgendwo in der Zeit vor der Aufklärung und der Französischen Revolution stehen geblieben. Die Leistung der Aufklärung und insbesondere der Französischen Revolution bestand darin, dass man auch in Europa anfing, zwischen Staat, also Politik, und Kirche, also Religion, zu unterscheiden.
Darauf basiert auch unser Grundgesetz, das für alle Deutschen gilt, aber offensichtlich für die Juden und deren Zentralrat nicht. Sie, die Juden, können nicht nur nicht „zwischen Politik und Religion nicht trennen“, sie identifizieren sich auch mit dem Staat Israel, der für sie „der jüdische Staat“ ist, und wenn dieser Staat kritisiert wird, was für diese Juden „beschimpft“ heißt, dann „sind auch wir Frankfurter Juden gemeint“.
Dazu passen die Worte von Erzbischof Tutu: „Hütet euch vor Antisemitismus und allen anderen Formen von Rassismus, aber hütet euch auch genauso davor, zum Schweigen gebracht zu werden von jenen, die euch wegen der Kritik an der unterdrückerischen Politik Israels als Antisemiten abstempeln wollen.“
Insofern stimmt, was Ünal Kaymakci vom Vorstand des „Rat der Religionen“ in Frankfurt entgegnet, dass der Vorwurf seitens der jüdischen Gemeinde „infam“ sei. Ich würde noch hinzufügen, dass er dumm und für die Juden kontraproduktiv ist. Immerhin besteht der Entschluss der Jüdischen Gemeinde, ihre Mitgliedschaft im Rat ruhenzulassen, seit August 2014.
Eine Kritik des völkerrechtswidrigen Krieges des Staates Israel (und nicht der jüdische Staat), ist keine Kritik am Judentum und auch kein Zeichen für Antisemitismus. Immerhin leben in Israel mehr als 25 Prozent Nichtjuden, und Israel ist auch ihr Staat. Und es sollte auch nicht vergessen und unterdrückt werden, dass selbst unter den jüdischen Bürgern des Staates der völkerrechtswidrige Krieg Kritik hervorruft. Noch ist diese Kritik möglich, aber schon melden sich Koalitionspartner von Benjamin Netanjahu, die solche Kritik verbieten möchten und die (jüdischen) Kritiker als Landesverräter beschimpft. Wir erleben es dieser Tage mit den Organisatoren der „Breaking the Silence“-Ausstellung in Zürich, die in der rechten israelischen Presse als Landesverräter und Antisemiten diffamiert werden.
Es ist höchste Zeit, dass auch die Juden in Deutschland im 21. Jahrhundert ankommen. Dazu gehört, dass sie sich auch harte Kritik an der Politik des Staates Israel anhören müssen, ohne gleich die Antisemitismus-Keule, die sie offensichtlich immer im Gepäck haben, hervorzuholen. Der Frankfurter Rat der Religionen hat einen Ruf. Zu diesem Ruf gehört, dass sich der Rat von Anfang an als ein Forum verstanden hat, in dem auch harte Auseinandersetzungen möglich sein können. Die Jüdische Gemeinde macht aber daraus einen „Kindergarten“ und spielt die Beleidigten, obwohl es gar nicht um sie ging und geht, sondern um einen souveränen Staat, dessen Bürger zwar zu Drei Viertel Juden sind, der aber 4 000 Kilometer von Frankfurt entfernt liegt.
Wenn die Frankfurter Juden aber den Dialog verweigern und alle Muslime für eine Kritik an Israel verantwortlich machen, zumal die Kritik berechtigt war, dann sollte der Rat der Religionen so viel Mut und Stolz besitzen und auf die rückwärtsgewandten Juden verzichten.