Der zu d´ Agostinos Lied „l ´amour toujours“ eingedeutschte Refrain klingt unmissverständlich; empört die bundeselitäre Gesellschaft, seine Journaille und die moralische Szene; natürlich fährt die Redaktion der Jüdischen Allgemeinen auf dem Trittbrett des Empörungszuges mit. Die NZZ fasste es (28.5.24) in verstehbare Worte:
Eine Staatskrise namens Sylt:
Ein paar Idioten singen ein ausländerfeindliches Lied, und Deutschland dreht durch
1.
Es sind aber nicht „ein paar Idioten“ auf Sylt gewesen, die den Text eingedeutscht haben, sondern „Idioten“ überall im klassenlosen Land,, wo die Melodie auf Volksfesten erklang. Die Journaille hat es nicht mitbekommen, dass auch die Deutschen des flachen Landes den „bastone tedesco“ schwingen. Die deutschen Journalisten sind nämlich keine wirklichen Journalisten, sondern dienstbeflissene Sprachorgane von amtlichen Stellen. Die Leute landauf, landab haben es leid, Millionen ausländischer Schnorrer zu unterhalten. Die mediale Empörung lässt den Psychologen tiefer blicken. Das „Gegrölte“ scheint für die Empörten klar Text zu sein: „der Deutsche“ ist für sie immer noch der Deutsche des nationalsozialistischen Ideals. Wenn man dagegen unter „den Deutschen“ alle versteht, die die förmliche Staatsangehörigkeit des Territoriums innehaben, dann kann angesichts der aktuellen russischen Bedrohung der Ruf „Deutschland den Deutschen“ gar nicht so nationalsozialistisch klingen. Aber für unsere degenerierte Gesellschaft gehört die alte Hexe von der FDP (in der „Heute Show“„Flak-Zimmermann“ gescholten) bereits nach „rechts-außen“.
Gehen wir gedanklich einmal ganz nach rechts: Wenn man die SS als den harten Kern „der Nazis“, und letztere wiederum als den harten Kern Deutschlands betrachtet, so sollte man wissen, dass die SS auch indische und muslimische Einheiten aufgestellt hatte, deren individuelle Mitglieder – außer den Franzosen der SS-Division Charlemagne – nach einem Führererlass die deutsche Staatsangehörigkeit erwarben. Unter den Deutschen Dank SS waren auch Afghanen. Die demokratische Bundewehr hat dagegen ihre afghanischen Ortskräfte im Stich gelassen, als sie sich in geordneter Flucht in ihre Flugzeuge begab. Den Führererlass von 1944 setzte erst die Kohlregierung außer Kraft und gefährdete die deutsche Nationalität von unschuldigen Nachkommen derer, die für Deutschland gekämpft hatten. „Ausländer raus“ ist folglich keine NS-Parole, sondern eine praktische Aussage der aktuellen deutschen Demokratie, die auch vietnameische Familien aus der DDR-Zeit abschieben lässt. Die SWAPO-Kinder, die die DDR im Raum Halle ausgebildet hatte, wurden längst „repatriiert“. So plump rassistisch wie „unsere“ Grünen es behaupten, waren „die Nazis“ also gar nicht. Sogar die semitischen Araber wussten „die Nazis“ zu schätzen, was der Besuch des Großmuftis von Jerusalem beim Führer zeigt.
Summa summarum: Was heute als rechtsradikal“ angesehen wird, hat mit den Vorstellungen der Vorkriegszeit nicht viel gemein.
2.
Rechtlich noch unseriöser erscheint es, aus dem Tanzgeflatter einen Augenblick in Zeitlupe verweilen zu lassen, in dem die Haltung eines Tanzenden (er grüßt in diesem Augenblick niemanden) als „Hitlergruß“ (Saluto Romano) gesehen werden könnte. Die linke Journaille ermittelt, oder lässt sich „Empörendes“ zutragen, um es zum Skandal aufzumischen. Die degenerierte Journaille funktioniert nach dem vorweltkriegerischen Prinzip, die Justiz zu nötigen, entweder rechtlich gegen die „Störer“ vorzugehen oder als unfähig zu erscheinen. Das ist die Generaltechnik deutscher Rechtzspflege..
Die Parole „Ausländer raus“ ist eigentlich nur ein Indiz für das völlige Versagen unserer Rechtsordnung, einen modernen Ausländer- und Staatsangehörigkeitsstatus zu entwickeln. Kein EU-Ausländer unterliegt dem klassischen Ausländerrecht, vielmehr müsste es schon „EU-Inländer“ heißen. „Ausländer“ im Sinne unseres Gesetzes können z.B. auch dunkelhäutige „Steuerinländer“ aus dem Kongo sein. Wer will wissen, ob die „deutschblütigen“ (ns Ausdruck) Tänzer ihre Konten nicht in Panama unterhalten und Steuerausländer sind? Vielleicht sind sie Inländer, und meinen „Steuerausländer raus“, wie es die SPD ähnlich im Schilde führt. Ist ein eingebürgerter Türke als „Ausländer“ gemeint? Omid Nouripour von Obergrün schreibt sogar seinen Namen noch in Englisch oder Französisch, statt sich in Nuripur schreiben zu lassen. Die deutsche Leitkultur hat noch nicht einmal die Orthografie durchdrungen. Es geht dem empörten Bewusstsein ab, dass jeder EU- Staatsangehöriger in Deutschland nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung benötigt, wenn er eine Immobilie erwirbt. Die empörte Journaille denkt natürlich an die Flüchtlinge ohne Asylgrund, die von den Behörden aus Deutschland wieder entfernt werden sollen. Von diesen Schnorrern will sich auch der Staat befreien, warum sollen „Prosecco-Rechte diesen Wunsch nicht durch Gesang unterstützen dürfen?.
Ganz einfach, warum: Die Empörten sind selbst in der Mehrheit Schnorrer; sie erkennen den Angriff auf die nicht-asylberechtigten Fremden als Präzedenz der Gefährdung ihrer eigenen Schnorrerexistenz.
Wie predigte der Hl. Paulus? „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“.
In der NZZ wurde es ähnlich kommentiert:
„…. Zunehmend herrscht die Vorstellung, das eigene Anliegen sei so außerordentlich, dass ordentliche Regeln seiner Durchsetzung nicht gelten könnten
Eine Demokratie funktioniert aber nur, wenn die Regel gilt und nicht die Ausnahme. Beispiel, wie man im Geist dieser Außerordentlichkeit argumentiert: Wenn es heißt, dass es Wladimir Putin nicht interessiere, wie unsere Schuldenbremse funktioniere, artikuliert man: Mein Anliegen ist so außerordentlich, dass für mich die ordentlichen Regeln der Schuldenbremse nicht gelten können.:Wer das Putin-Argument benutzt, kann ganz grundsätzlich auf politische Prozesse verzichten. Denn Putin interessiert auch nicht, was in der Verfassung sonst steht.
Wer davon überzeugt ist, dass die Armee angesichts der außerordentlichen Bedrohungslage besser finanziert werden soll, muss auf ordentlichem Weg eine Mehrheit finden: Das ist einer der vielzitierten Werte, die einen Rechtsstaat erst ausmachen. Der Sinn einer Verfassung ist es, eine allgemeingültige Ordnung zu garantieren, über die sich niemand erheben kann: Die Coronakrise und die Methode Angela Merkel haben in verblüffender Weise gezeigt, dass in Deutschland die Mehrheit der Bürger auf Rechtstaatlichkeit verzichtet, wenn sie „Notstand“ oder Außerordentlichkeit wittern. Die politische Selbstbevollmächtigung ist weit verbreitet. Der Klimawandel ist ein weiteres «fahles Ross der Apokalypse» für den Rechtsstaat– von den Klimabewegten wird es so nahe wie möglich herangeholt, um die Dringlichkeit zu illustrieren. Sie nennen es «Klimakrise» oder «Klimakatastrophe». Der Klimawandel wird so vom Problem zur Gefahr, und die Legitimität des rechtswidrigen Handelns steigt.
Anderes Beispiel: In Basel rief das Parlament im Jahr 2019 den «Klima-Notstand» aus, um dem Klima «sehr hohe Priorität» einzuräumen. Vier Jahre später schrieb der damalige Regierungspräsident Beat Jans in einem Bericht zur «Klimaschutzstrategie»: «Wir leben in einer Zeit des Wandels … geprägt von neuen Herausforderungen … die Klimakrise ist längst Realität …» In seinem Vokabular zeigt sich das Problem: Wenn sich ein Notstand durch «neue Herausforderungen» in einer «Zeit des Wandels» rechtfertigen lässt, um Dinge zu verändern, die «längst Realität» sind, dann herrscht überall Notstand. Wer den Notstand ausruft, muss aus akuter Not gezwungen sein, sich über die allgemeingültige Ordnung zu erheben.
Ein Notstand, ein Außerordentlichkeitszustand muss so eng wie möglich definiert sein, sonst höhlen sich diese Begriffe aus. Die Normalität wird zur Illusion. Seit die Welt globalisiert ist und Versorgungsketten international zusammenhängen, können selbst weit entfernte Kriege zu einer Mangellage führen. Auch als Gefühl gibt es die Normalität nicht mehr: Mein Handy involviert mich in jeden Konflikt auf diesem Planeten. Das ist die Welt von heute. Der Krieg in der Ukraine und auch der Klimawandel werden potenziell bedrohlich. Die Corona-Jahre sind ein gutes Beispiel dafür: Ein Virus rechtfertigt den Notstand mehr als andere Krisen, weil es sich rasend schnell verbreitet und ultimativ ins eigene Leben eingreift. Deshalb regierte die Bundesregierung zu Beginn der Pandemie mit einer Art Notrecht. Nicht-verfassungsmäßige Ministerpräsidentenkonferenzen wurden einberufen, statt den Bundesrat zu konsultieren. Aber alles, was in diesem Land im abgekürzten Verfahren beschlossen wird, kann heftige Gegenreaktionen auslösen. Der Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen kam schnell, das Land erlebte fiebrige Monate und unzählige Demonstrationen. In der Pandemie erkannte eine große Mehrheit einen Gesundheitsnotstand, ihr Satz war: Ohne Gesundheit ist alles nichts. Aber eine Minderheit erkannte einen Grundrechtenotstand, ihr Satz war: Ohne Versammlungsfreiheit ist alles nichts. Mit der Zeit verhärteten sich die Fronten. Alternativlos darf in einer Demokratie aber nicht viel mehr sein als der Tod. Eine Demokratie funktioniert nur, wenn die Regel regiert und nicht die Ausnahme. In der Budgetdebatte des Bundestags lässt sich jeweils besichtigen, was passiert, wenn nur noch Ausnahmen angemeldet werden: Da stellt sich ein Sicherheitspolitiker ans Pult und sagt, das Militär müsse man vom Sparen ausnehmen, denn da gehe es eben «um die Substanz des Landes». Da geht ein Regionalpolitiker nach vorne, um zu sagen, beim regionalen Verkehr könne man unmöglich sparen – da gehe es «um den Zusammenhalt des Landes». So geht es immer weiter. Überall gibt es Ausnahmen, Sonderfinanzierungen. Es ist, jedes Jahr von neuem, eine dysfunktionale Debatte. Aus diesem Grund hat sich die Schweiz eine Schuldenbremse auferlegt – wobei diese aber, wie gewiss bald die nächste Ständerätin erklärt, in Ausnahmesituationen mit einem Spezialfonds umgangen werden müsse …Wenn die erste sagt: «Ohne Sicherheit ist alles nichts», könnte die zweite sagen: «Ohne Freiheit ist alles nichts», die dritte: «Ohne Ernährungssicherheit ist alles nichts», und die vierte: «Ohne Kaufkraft ist alles nichts». Die Selbstbevollmächtigung ist der Versuch, die mühsamen Mühlen der Demokratie zu umgehen – im erklärten Bestreben, diese Demokratie zu retten. Das eigene Empfinden kann aber nicht verabsolutiert werden, das ist der Sinn des Systems.
Hier haben wir einen Ansatzpunkt des Antisemitismus in einem Land absoluter Gleichsetzung der Klassen und Schranken:: „Die Juden“ sehen sich selbst als etwas so Außerordentliches an, dass sie laufend Recht auf Regelverstöße beanspruchen. Das fördert die Gefahr von Schwelbrand des Antisemitismus.
3.
Aber man muss auch „altera pars“ hören. Im Deutschen Fernsehen erklärte Maybritt Illner, man müsse Benjamin Netanjahu kritisieren, aber warum, wusste sie nicht. Das erfährt man bei Al Jazeera. Im französischen Fernsehen dagegen konnte sich Ministerpräsident Netanjahu ausführlich äußern (2.6.24) , worüber die Tribune Juive berichtet; dort kann man auch das ganze Interview von LCI abrufen:
Er „erledigte den Job“ auf LCI,; sein Auftritt wurde, ständig unterbrochen von einem Darius Rochebin. Er wich jedoch keiner Frage aus, beherrschte sein Thema, argumentierte eindeutig, wenn auch nicht brillant, und selbst wenn sich seine Worte durch eine unglückliche technische Störung mit denen des Übersetzers überschnitten, antwortete er Punkt für Punkt alle Fragen eines journalistischen Staatsanwalts.
Er sprach zeitweise auf Französisch und hielt sich an seine Richtlinie: „Israel, das mit dem Projekt eines erobernden Iran konfrontiert war, war nur ‚auf dem Weg‘, der es in den Westen führen sollte. Der Kampf des jüdischen Staates war ein Kampf für Demokratie. Würde Frankreich, wenn ihm die Anerkennung eines palästinensischen Staates vor den Toren von Paris vorgeschlagen würde, so schnell bereit sein, diesen Staat anzuerkennen? Die Anerkennung eines Staates Palästina würde Terrorakte auf der ganzen Welt „ermutigen“, auch in Frankreich. Israels Sieg über den Antisemitismus war der Sieg der jüdisch-christlichen Zivilisation gegen die Barbarei, auch ein Sieg Frankreichs.“
Auf die Frage nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen ihn sagte Benjamin Netanjahu, es sei absolut ein Fehler. Falsch sei es, Israel zu beschuldigen, Zivilisten verhungern zu lassen. „Wir haben alles getan, was wir konnten, um Lebensmittel zu liefern. Es ist, als wäre Winston Churchill bei den Nürnberger Prozessen angeklagt worden. Der IStGH-Richter schürt die Flammen des Antisemitismus“, fügte er hinzu und zog eine Parallele zum Fall Dreyfus.
Auf die Frage nach der Ausbreitung pro-palästinensischer Mobilisierungen auf der ganzen Welt antwortete er: „Wo waren sie, als Millionen von Menschen in Syrien, im Irak und im Jemen ermordet wurden? Zu diesem Zeitpunkt sagten sie nichts. Sie zielen auf Israels Demokratie ab, weil die Juden sich verteidigen“, bevor er versicherte, dass „jeder zivile Tod eine Tragödie war, aber dass es für die Hamas eine Strategie sei: „Sie benutzen wissentlich Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Wir haben Tausende von Flugblättern verteilt. Wir tun alles, um Zivilisten aus den Konfliktgebieten zu evakuieren, und die Hamas tut alles, um sie in diesem Gebiet zu behalten, indem sie auf sie schießt.“
Auf die Frage nach der Anerkennung des Staates Palästina meinte er, dass eine solche Aktion terroristische Akte auf der ganzen Welt „ermutigen“ würde: „Terroristen könnten den Westen von diesem Staat aus belästigen. Sie hatten Anschläge in Nizza, Toulouse, die Ermordung von Samuel Paty. Wenn Sie einen terroristischen Staat neben Ihrem Haus errichten würden, würden Sie dann weiterhin Frieden haben? Ein anerkannter palästinensischer Staat wäre ein terroristischer Staat, ein Marionettenstaat des Iran. Wir müssen in Gaza drei Dinge tun: die Hamas besiegen, sicherstellen, dass es eine Entmilitarisierung und Deradikalisierung gibt, und Frieden schaffen. Wenn Sie ihnen jetzt einen Staat geben, wird das die größte Belohnung für die Terroristen sein“, fügte er hinzu, bevor er fortfuhr: „Ich würde mich freuen, die Teilnahme einer internationalen Truppe im Gazastreifen zu sehen. Wir wollen eine Truppe sehen, die die Rückkehr des Terrorismus verhindert. Aber im Moment sehe ich keine.“
Auf Emmanuel Macrons jüngste Äußerungen über die mögliche Anerkennung eines palästinensischen Staates zurückkommend, kommentierte er: „Wenn wir die Existenz eines palästinensischen Staates in den Pariser Vororten in Betracht ziehen würden, mit Tausenden von Terroristen, die Paris zerstören und Franzosen töten wollen, würden Sie das nicht sagen.“
Auch in diesem Zusammenhang erkennt man das spezifisch deutsche Problem: es wird jede Diskussion unterdrückt, weil die gedankliche Arbeit scheut. Warum sollen die Gegner von „Bibi“ sich nicht zu einem Kongress zusammenfinden würfen? Man erfährt deren Argumente und kann darauf eingehen, sie widerlegen oder ihnen folgen. In Deutschland bevorzugt man den Stillstand, jede Bewegung wird zum Skandal, wenn nicht sogar im Tanz zum „Hitlergruß“.
4.
Problem sind also weder „die Juden“ noch Ministerpräsident Netanjahu, sondern die Deutschen in ihrer Verbohrtheit, die „Außergewöhnliches“ nicht gewöhnlich behandeln können, sondern alles Ungewöhnliche skandalsüchtig ins Mega-außergewöhnliche steigern; und dies machen sie zwanghaft. Die NZZ lässt dies durch Homer Persico (Research Fellow am Shalom Hartman Institute und Rubinstein Fellow an der Reichman-Universität in Israel) erklären (Der vollständige Artikel ist erschienen in im Online-Magazin «Café Américain» :
„Getrieben von Hass und Selbsthass opfert die weltrevolutionäre Linke Israel auf dem Altar ihrer Erlösungsutopie. Mit den komplexen Realitäten um Gaza hat der Protestaufruhr in der linken westlichen Akademie nur oberflächlich zu tun. Der jüdische Staat muss herhalten als Inkarnation aller Sünden der Moderne. Und die Hamas ist das einmal mehr neu entdeckte revolutionäre Subjekt. Im Jahr 1978, als die Proteste gegen Schah Mohammed Reza Pahlevi an Umfang und Dynamik zunahmen, besuchte der französische Philosoph Michel Foucault Teheran. Er schrieb für die französische und italienische Presse mehrere Artikel über die revolutionären Vorgänge und setzte sich mit dem Schriftsteller Baqir Parham zu einem Gespräch über das Weltgeschehen zusammen.
Mit Blick zunächst auf den Westen stellte Foucault in den Raum, dass der Wunsch, eine «nicht entfremdete, klare, übersichtliche und ausbalancierte Gesellschaft» zu schaffen, in den zurückliegenden zweihundert Jahren den westlichen Industriekapitalismus hervorgetrieben habe, der «die härteste, wildeste, egoistischste, unehrlichste und unterdrückerische Gesellschaft [darstellt], die man sich vorstellen kann».
Der Westen stellte für Foucault das reine Böse dar. Doch aus dem Osten, insbesondere aus Iran, wo Jung und Alt gleichermaßen das Joch der Tyrannei überwanden, wuchs neue Hoffnung. Foucault sagte zu Parham, er gehe mit jenen in Iran einig, die sagten, dass Marx durchaus richtig gesehen habe, dass Religion das Opium der Massen sei – außer es handle sich um den schiitischen Islam. Die Schia sei anders, so Foucault, «wegen der Rolle des Schiitentums bei einem politischen Erwachen» Foucault pries die revolutionäre Menge und schrieb enthusiastisch über die Bewegung zum Sturz des Schahs (der zweifellos ein Diktator war). Wenn man Foucaults Artikel liest, gewinnt man den Eindruck, dass er nicht nur die Freiheit des iranischen Volkes herbeisehnte, sondern sich auch an dessen Ablehnung der Moderne ergötzte. «Die jüngsten Ereignisse», so schrieb er nur einen Monat nach seinem Gespräch mit Parham, «bedeuten keine Zurückweisung der Modernisierung durch extrem rückständige Kräfte, sondern die Ablehnung einer Modernisierung, die selber ein Archaismus ist….. Nicht die von Khomeiny angeführte revolutionäre Bewegung war rückschrittlich, sondern die Moderne selbst. Als archaisches System musste sie beseitigt werden, und Foucault feierte das, was er als dessen iranische Ablehnung betrachtete. «Die Modernisierung als politisches Projekt und als Prinzip der gesellschaftlichen Transformation gehört in Iran der Vergangenheit an.» Als Teil der französischen philosophischen Tradition – die allerdings selbst modern ist – identifizierte Foucault die Revolution mit der «volonté générale» des iranischen Volkes. Er dachte, dass die Moderne die Iraner zwar von sich selbst entfremdet habe, hoffte aber zugleich (in seltsamer Abkehr vom meisten, was er bis dahin publiziert hatte), dass die Annahme des fundamentalistischen Islams sie zur eigentlichen Identität zurückführen und ihnen erlauben würde, zu einem Leben in wahrer Freiheit zu finden. Foucault stellte sich vor, dass die islamistische revolutionäre Bewegung nicht in einer ruchlosen Theokratie enden würde, sondern in einer idealen «politischen Spiritualität», die nicht nur im Nahen Osten, sondern in der ganzen Welt einer neuen Form von nichtentfremdeter Politik zur Durchsetzung verhelfen würde. Die Tatsache, dass seine Vision moralisch und politisch scheiterte, verfolgte ihn in den letzten Jahren seines Lebens, worüber sein Biograf Didier Eribon schreibt: «Die Kritik und der Sarkasmus, den man Foucaults ‹Fehler› in Bezug auf den Iran zukommen ließ, trugen zu seiner Verzweiflung bei . . . Lange Zeit äußerte sich Foucault kaum noch zu Politik oder Journalismus.»
Der Erinnerung an Foucaults Romanze mit der iranischen Revolution haftet heute nichts Nostalgisches mehr an. Denn erst vor zwei Monaten hat eine so prominente Foucault-Adeptin wie die Gender-Philosophin Judith Butler darauf bestanden, dass der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 «bewaffneter Widerstand» und «kein terroristischer Angriff» gewesen sei………. Erneut begegnet uns der Kapitalismus als der teuflische Unhold, gegen den die Terroristen den Aufstand proben, und wieder ist da die Hoffnung auf eine authentische Existenz, welche durch die zwar schmerzhafte, aber auch «unvermeidliche» Arbeit des Massenmords herbeigeführt werden soll.
Was hier vorliegt, eine Verurteilung des Westens an sich.
Der islamistische Fundamentalismus ist ein alter Favorit dieser Denker, und zweifellos trägt seine rezente Abweichung von den Ideen und Werten des säkularen Westens zu seinem «authentischen» Charme bei. …. Sartre beschwört ähnliche Gräueltaten herauf, wenn er meint, dass «einen Europäer abzuknallen bedeute, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: nämlich einen Unterdrücker auszuöschen und den Menschen, den dieser unterdrückt, zu befreien. …Der Überlebende spürt zum ersten Mal nationalen Boden unter seinen Füssen.» Hier findet sich die intellektuelle Vorlage für die Suche nach dem authentischen Sein durch Vergrößerung der Gewalt…… Diese Denkweise hat eine Geschichte…… Deutschland war der Meinung, dass Paris, wie Richard Wagner einmal schrieb, durch «Freiheit und Entfremdung» korrumpiert seien; russische Denker wie Tolstoi und Dostojewski dachten ähnlich über Deutschland, und indische, chinesische und japanische Intellektuelle betrachteten ganz Europa als degeneriert und verdorben…….Gegenwärtig zielt diese seltsame antimoderne Revolte voll auf Israel. ….. Natürlich ist ein beträchtlicher Teil der Kritik an Israel nicht unbegründet. Israel unterdrückt ein anderes Volk und zeigt keine Bereitschaft, diese Unterdrückung zu beenden…… Es genügt aber, die Rufe nach der vollständigen Zerstörung des Staates Israel zu hören, um zu begreifen, dass die Protestbewegung eine Gesinnung transportiert, die mehr umfasst als das Eintreten für die Unabhängigkeit der Palästinenser…. Die Menge, die abwechselnd Waffenstillstand und globale Intifada fordert, erinnert an Foucault………. So wie die Absetzung des Schahs für Foucault gemessen an seiner Ablehnung der Moderne vernachlässigbar war ….. ist die mögliche Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser nur ein Nebenschauplatz in Anbetracht der imaginierten Auslöschung Israels als einer Insel des Westens inmitten des Ostens.
Israels Jüdischsein lässt seine Existenz zu einem doppelten Schlag ins Gesicht seiner Verächter werden. Als Stammvater des Christentums erscheint ihnen das Judentum als der archaischste Kern des Westens, als Ur-Punkt des Ur-Westens. Israel wird auf diese Weise zu einem Totem, das die bösen Geister der gesamten westlichen Geschichte vereint. Es zeugt von einer unglaublichen historischen Ironie, dass die Juden nunmehr weder als ein orientalisches, semitisches Paria-Volk noch als degenerierte untermenschliche Rasse dastehen, sondern als die reinsten Vertreter des Westens und des grausamsten weißen Suprematismus. Darüber hinaus haftet Israel als ursprünglichem Teil des Westens natürlich auch dessen Erbsünden…. An…„
Es ist daher auch mit unserem „deutschen“ Rechtsverständnis nicht vereinbar, wenn Regierungsmitglieder mit Polizeigewalt gegen palästinensische Proteste vorgehen: das Drama in Gaza ist nicht so außergewöhnlich, dass unsere Rechtsordnung eingeschränkt werden muss. Hirn ist verlangt. Und genauso dämlich ist es, sich das Geschrei und Gewäsch zu eigen zu machen, das den Gaza-Konflikt sonst kommentiert. Vorschlag: Selber denken. Dann kommt man vielleicht drauf, dass dieses Deutschland von Imbezilen, Schwachsinnigen und sonst wie Debilen repräsentiert wird. Sie wissen nicht, was sie tun, nicht, was sie tun sollen und nicht, was getan werden müsste. In Deutschland muss man in der Politik kehren und ausmisten.
von Lobenstein