Was viele vergessen zu haben scheinen, als sie Markus Söder applaudierten, kann man in WIKIPEIA rekapitulieren:
„Markus Söder forderte 2006 die Übernahme eines klaren Verbotes von Blasphemie in das Strafrecht. Wenn Kirche und Papst in einer Zeichentrickserie für Jugendliche lächerlich gemacht würden, habe das „nichts mehr mit Satire zu tun“. Er forderte, der § 166 StGB müsse erweitert werden. Religiöse Symbole müssten „endlich gesetzlich geschützt sein“. Nachdem Volker Beck erklärt hatte, der § 166 StGB sei „ein Relikt aus voraufklärerischer Zeit“, erwiderte Söder: „Volker Beck spinnt.“ Er erklärte, die Achtung religiöser Gefühle gehöre zu den „Grundwerten unserer Gesellschaft“. .. Eine Verschärfung des Paragrafen 166 StGB sei notwendig.“
Für den juristischen Laien sei die Vorschrift skizziert:
Strafgesetzbuch (StGB)
§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird … bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Die Idee mit der Störung des „öffentlichen Friedens“ ist von den Vorschriften der Nazi-Zeit abgekupfert. Damals sollte strafbar sein, öffentliche Empörung zu entfachen, weswegen sich brave Deutsche gerne als „empört“ erklären. Daheim kann man niemand erpören und darf also weiterhin fluchen. Aber seit dem 1. Juni 2018 ist in jedem Dienstgebäude ein Kreuz anzubringen. Dazu erklärte Söder:
„Das Kreuz ist nicht Zeichen einer Religion“; im Kreuz spiegle sich „unsere bayerische Identität und Lebensart“ wider.
Komischerweise machen bayerische Juden noch kein Kreuzzeichen, wenn ihnen eine Sau über den Weg läuft. Das müsste auch noch Pflicht werden im allerchristlichen Freistaat. Aber schon damals löste der Beschluss eine Diskussion aus. Vertreter der Kirchen widersprachen der Beschlagnahme des Kreuzzeichens durch den Staat. Bundespräsident Steinmeier distanzierte sich vom Kreuz-Beschluss mit den Worten:
„Es gibt verfassungsrechtliche Maßstäbe. 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Kreuz den Wesenskern des Christentums symbolisiert … Das müssten die Landesregierungen berücksichtigen. Steinmeier als bekennender Christ wollte außerdem bekennen: „Was uns sonntags in der Kirche fehlt, wird das Kreuz in den Behörden nicht ersetzen.“
Wie formulierte es Ludwig Thoma? „Söder sei ein ausgezeichneter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande“; aber auch mit seinem juristischen Verstand kann es nicht allzuweit her sein.
Beginnen wir mit dem allgemeinen Verstand von Söder; die Bilder verbreiteten dokumentieren, dass er im Karneval am echtesten herauskommt. In Google kann man viele Erscheinungsformen des bayerischen Ministerpräsidenten betrachten (alle Fotos aus Google/dpa):
Einmal als bayerischer Monarch, dann als preußischer Reichskanzler
Augsburger Allgemeine Bildergalerie: Die verrückten Kostüme des Markus Söder
Inzwischen mit Bart und Friedrich Merz in der Nähe der Realität. Die zwei Beiden…
wollen einen «Politikwechsel für Deutschland»: sie stellen das gemeinsame Wahlprogramm für 2025 vor. (Foto Frederic Kern/Imago
Wieder in seiner Realität zurück:
Marilyn Monroe (???) oder Homer Simpson: Das sind Söders beste Fastnachts-Kostüme
Markus Söder in seinen Faschingskostümen: Ein Überblick
SZ
Man kann zwar agen „es war Fasching“, aber so viel Hingabe an den Karneval lässt sein Amtsethos nicht erkennen. Zwischenrein spazierte er auch als Moses herum
Foto: Stern
Damit sind wir wieder bei den Juhden. Kurt Tucholski meinte hierzu, dass „über den Antisemitismus wie über jede Abneigung wohl zu reden sei. Was aber hier getrieben wird, ist Volksverdummung schlimmster Art, und das alte Wort Roda Rodas (Alexander Rosenfeld) passt wie gehauen hierher: »Der Antisemitismus wäre… eine ganz nette Sache. Aber er wird wohl erst etwas werden, wenn ihn die Juden in die Hand nehmen« Das ist ganz richtig, denn jeder kluge Jude könnte viel bessere und schlagendere Dinge gegen das Judentum anführen als alle Deutschnationalen zusammen, bei denen kaum ein Argument stimmt.“
Das gilt natürlich analog für den Philosemitismus. Die Philosemiten verschaffen den Juden Dinge und Umstände, die sie nicht nur nicht brauchen, sondern die ihnen durchaus schaden. Trotzdem erntete Markus Söder vor einem jüdischem Publikum stehende Ovationen in der Generalversammlung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Diese jüdische Repräsentanz ist ein bundesdeutsches Konstrukt, in dem analog auch nur der jüdischen Diaspora Bärendienste geleistet werden können.
Söders Bärendienst wird wie fvon der Jüdischen Allgemeinen referiert, womit simultan die mäßige juristische Kultur des Ministerpräsidenten eklatant wird:
„… als Ehrengast des Zentralrats übte (sic! üben!) Söder scharfe Kritik am Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu und führte aus: »Das Gericht hat sich massiv selbst beschädigt«, und gab damit eine klare Antwort auf die Frage, ob Netanjahu auf deutschem Boden verhaftet werden sollte. in einer anschließenden Fragerunde auf die Frage eines Delegierten zum jüngsten Beschluss des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) stellte Söder klar: »Ich hielte es für absurd, wenn auf deutschem Boden der Regierungschef von Israel verhaftet werden würde.« …. Als Ehrengast des Zentralrats und der Ratsversammlung hatte Söder hervorgehoben: »Jüdisches Leben hat eine feste Heimat in Bayern. Die Bayerische Staatsregierung und ich ganz persönlich geben ein klares Schutzversprechen: Wir schützen jüdisches Leben und Freiheit in jeglicher Form und werden jedem Auswuchs von Antisemitismus konsequent entgegentreten. Jüdisches Leben gehört zu unserem Alltag und hat einen festen Platz in unserer Mitte.« Jüdisches Leben habe das Recht, sich in Deutschland zu entwickeln. Herzlich willkommen in Bayern», betonte Söder zum Schluss seiner Rede, für die er stehende Ovationen erhielt…..“
Soweit die Jüdische Allgemeine. Die von Söder gedroschenen Phrasen waren zuvor schon von Philipp Peyman Engel gedruckt und publiziert worden. Ein paar Ausgaben später schreibt das alte Hetzblatt:
„Was muss sich Markus Söder dieser Tage nicht alles anhören: »Selbstbesoffenheit« …. »Hanswurst«, bei dem selbst große historische Gesten zu einem »Funfact« verkommen (Claudia Roth). Peer Steinbrück formulierte: »Da sind irgendwelche Synapsen nicht richtig verdrahtet bei dem Mann«.
Wahrscheinlich hat Peer Steinbrück recht. Der Mann spinnt wahrscheinlich wie Volker Beck (s.o.). Die Jüdische Allgemeine sieht es aber anders:
„….Markus Söder hatte sich bei seinem Kurzbesuch(!) in Polen mal (so eben sic!) hingekniet (Anm.: eher nicht , um das Schuhbandel neu zu binden), nämlich vor einer wichtigen Location, dem Denkmal für den Aufstand der Juden gegen die deutschen Besatzer 1943 …. Willy Brandt bekam dafür den Friedensnobelpreis. Markus Söder … ist ständig bestrebt, Kanzlerformat zu zeigen (Anm.: er wird den Nobelpreis auch noch bekommen wollen). … Jedenfalls sah Söder nichts Anrüchiges darin, es Willi Brandt in Warschau nachzutun (hat er das mit seinem Kniefall en passant?) und dort an gleicher Stelle auf ein Knie zu fallen. …. Kenner dürften bemerkt haben: Brandt war damals auf beiden Knien, Söder jetzt nur auf einem. …. Söders Kniefall wird, ebenso wie Brandts Kniefall, in die Geschichtsbücher eingehen. …“
Naja: Brandts Kniefall geschah vor einem großen Publikum, bei Söders Geste waren nur wenige Passanten Zeugen. Aber am Wurststand fanden sich mehr Leute ein:
Knien macht bekanntlich hungrig: Markus Söder mit Bratwurst. Foto: picture alliance/dpa
Passt alles wunderbar zusammen für ein psychologisches Gutachten einer fehlerhaften Verdrahtung. Für beide: Seit wann macht Knien hungrig? Überhaupt meint die Jüdische Allgemeine:
„es sei »völlig respektlos und auch unangemessen gegenüber Millionen von Juden und jüdischen Bürgern in unserem Land, die genau das erwarten, dass man einen Respekt à la Söder zeigt«. …..“ (Obacht: § 166 StGB „Weltanschauung“)
Wenn in Deutschland ein Politiker nichts mehr bringt, macht er auf Schutzpatron der Juden. Das funktioniert immer. Die Frage ist nur, ob solche Patronate den Juden nützen oder ob die Juden sich mit ihnen lächerlich machen lassen. Die Diaspora hat nämlich andere Probleme als den IStGH-verfolgten Netanjahu, der mit Sicherheit nicht nach Deutschland kommen wird, um sich eine Fußfessel wie Nicolas Sarkozy anlegen zu lassen. Das Problem, das die jüdische Diaspora in Frankreich hat, kann sich durchaus auch in Deutschland entwickeln. Die Tribüne Jüive beklagt eine Tendenz in „Le Monde“, einem an sich seriösen Blatt:
„… dort stellte sich ein Teil der Reaktion offen auf die Seite der Palästinenser. Das ist nicht neu in einer Zeitung, die schon immer pro-palästinensisch orientiert war. Im Zentrum ihrer Büros ist eine ganze Pin-Wand mit der Aufschrift reserviert „Stoppt den Völkermord in Gaza“. Diejenigen, die diesen Flickenteppich gewidmet haben, mischten Presseausschnitte über die anhaltenden Gemetzel, Fotos von verstümmelten Kindern, eine Zeitleiste mit dem Titel „Lass dir von niemandem sagen, dass es am 7. Oktober 2023 begann“ mit der Litanei der Verbrechen, die Israel angelastet wurden. Die ausgestellten Karikaturen grenzen an klassischen Antisemitismus: eine Karikatur, die eine Hand zeigt, die ein Produkt mit der Aufschrift „Ethnische Säuberung“ hält und Blut auf eine Landkarte von Palästina spritzt: „es war immer ein Völkermord“.
Die Emotion angesichts der Geschehnisse in Gaza ist durchaus legitim, bleibt aber trashig, wenn man eine so einhellige Meinung zu einem so komplexen Konflikt zeigt. Mehrere Personen berichten von einer Planungssitzung, in der es hieß: „Wir haben ein Problem mit der jüdischen Gemeinde, sie sind uns feindlich gesinnt.“ …. Am Jahrestag der Anschläge kursierte in den sozialen Netzwerken eine Titelseite von Le Monde: „Sonderausgabe, Gaza erdrückt von einem Jahr Krieg und Chaos“. Viele Persönlichkeiten äußerten ihre Empörung. Ist das ein pro-palästinensischer Tropismus? Die New York Times ist in ihrer Berichterstattung über den Konflikt viel ausgewogener als ‚Le Monde‘….. Im Juni 2024 unterschieden der Historiker Vincent Lemire und der Anwalt Arié Alimi zwischen „kontextuellem, populistischem, wahltaktischen, instrumentalisiertem“ linken Antisemitismus und rechtsextremem Antisemitismus, der „ontologisch“ sei. …. Einige zeigen … auf den Chefredakteurs Benjamin Barthest. Er bringe die offen antisemitischen Positionen seiner Frau Muzna Shihabi zur Kenntnis. Diese frühere PLO-Unterhändlerin, die Barthes als Korrespondent in Ramallah kennengelernt hatte, postete am 7. Oktober 2023, wenige Stunden nachdem Hamas-Gleitschirme auf die Nova-Party herabstürzten, um die tanzenden Leute zu massakrieren:
„Sie haben schon lange davon geträumt, zu fliegen, Freiheit zu spüren und ihre Heimatstädte in Palästina zu sehen. Sie sind meist Flüchtlinge und dürfen nicht in ihre Heimat zurück. Sie sind die Jugend von Gaza. Der 7. Oktober ist der Tag der Überraschungen“.
Sie … beschuldigte Emmanuel Macron, unter dem Einfluss der CRIF(Zentralrat der Juden in Frankreich) zu stehen. Muzna Shihabi wurde wegen ihrer antiisraelischen Äußerungen aus dem Verein CARE ausgeschlossen. „Ich bin überhaupt keine Aktivistin, ich bin eine einfache Palästinenserin, die ihr Leben erzählt“, sagt Muzna Shihabi vor den Kameras von Al Jazeera, die gekommen waren, um sie als Opfer der „Zensur“ zu filmen.
Am 4. Mai 2024 twitterte Muzna Shihabi: „Frankreich, Komplizin des Völkermords, lässt einen palästinensischen Arzt nicht herein, damit er nicht erzählen kann, was er in Gaza gesehen hat.“ 20 Minuten später twitterte Benjamin Barthes: „Der palästinensisch-britische Arzt Gasshan Abu Sitta wurde bei seiner Ankunft am Flughafen abgewiesen.“ Um 13.33 Uhr erschien auf der Website von „Le Monde“ ein Artikel, der von Benjamin Barthes gezeichnet war: „Dem palästinensischen Arzt Gasshan Abu Sitta, Zeuge der Hölle von Gaza, wurde das Betreten französischen Bodens verboten“. (Anm. d. Red. der TJ: Der betreffende Arzt wurde von Deutschland aus dem Schengen-Raum verbannt, Frankreich wendet insoweit nur EU-Recht an)….. Der Herausgeber von „Le Monde“, Jérôme Fenoglio, verteidigte auf Anfrage von „Le Figaro“ Benjamin Barthes als „einen exzellenten Spezialisten für den Nahen Osten, der seit Monaten Ziel einer bösartigen Kampagne sei, die versucht, die Berichterstattung Le Mondes über den anhaltenden Konflikt zu beeinflussen“. …. © Eugénie Bastié
Bei uns in Deutschland leben wie in Frankreich mehr Araber als Juden, zumindest seit der Kanzlerschaft Angela Merkels. Man kann deren Recht auf Meinungsäußerung nicht ewig kurz halten. Die Wahrscheinlichkeit persönlicher Beziehungen zwischen Palästinensern mit Alt-Deutschen ist wesentlich höher als Liaisons von Juden und nicht-jüdischen Deutschen. Die Leute, die die Diaspora umgeben, sehen Bilder von Gaza und bekommen die historische Verwüstung des Warschauer Ghettos vor Augen gehalten. Die Philozionisten fördern damit die Verknüpfung der Ghetto-Verwüstung mit den aktuellen Verwüstungen von Gaza. Sie kommen zu dem Schluss, dass „die Juden“ mit zweierlei Maß messen. Insoweit leisten Leute wie Söder mit ihren politischen Auftritten der jüdischen Diaspora einen Bärendienst. Soweit sie mit bundesdeutschen Geldern gespeist wird, nimmt die Diaspora ihre Gefährdung nicht wahr, was schon Eva Gabriele Reichmann bedauerte. Ma macht dieselben Fehler wie zu Tucholskis Zeiten.
von Lobenstein