Der Westen auf dem Weg zur Selbstaufgabe

Ayaan Hirsi Ali wurde in Somalia geboren. 1992 floh sie in die Niederlande. 2006 zog sie in die USA
Quelle: ANTHONY ANEX/KEYSTONE/picture alliance

In der WELT (12.6.24) kommt Ayaan Hirsi Ali mit ihrer bekannten „islamophoben“ Ansicht zu Wort, dass der Westen verlernt habe, elementare Bedrohungen klar und deutlich zu erkennen. Dabei stünde derzeit nicht weniger auf dem Spiel als unsere freiheitliche Lebensweise.

Natürlich hat sie recht; die Frage ist allerding, wann der Westen es verlernt habe, elementare Bedrohungen zu erkennen. Erkennen verlangt einen klaren Blick, saubere Linsen und passende Werkzeuge. Wenn man allerdings nur den Islam für verderblich hält, aber die verwandten Aberglauben nicht, tut man sich schwer, dem Volk zu erklären, wo der Unterschied zwischen Islamophobie und Antisemitismus liegt; es sei hier kurz notiert: Islamophobie richtet sich gegen eine Religion, der Antisemitismus zielt in seiner klassischen Form auf religionslose, getaufte Abkömmlinge von Juden und „Drei-Tage-Juden“..

Hierzu muss man aber wissen, dass Ayaan Hirsi Ali die Niederlande und damit Europa verlassen musste, weil sie wegen ihrer Islamkritik in das Fadenkreuz unserer politischen Justiz geriet und unsere staatstreuen Medien sich auf sie einschossen. Heute dämmert es manchen, dass Islamophilie Elemente von Antisemitismus in sich trägt, wie es Michel Abitbol (in: Le passé d’une discorde – Juifs et Arabes depuis le VIIème siècle) beschreibt. Obwohl Juden und Moslems gut 1000 Jahre in der arabischen Welt zusammenlebten, hatte sich die soziale Stellung der Juden in dieser Welt derart verschlechtert, dass Adolphe Cremieux den Juden Algeriens auf Antrag die französische Staatsbürgerschaft zubilligen musste. Jeder einzelne jüdische Antrag kam also einer Flucht aus der orientalischen Welt in die westliche gleich. Dazu muss man wissen, dass „Frankreich“ bereits 300 Jahre zuvor Asylland portugiesischer Juden war, die als vermeintliche „Neuchristen“, bzw. als „portugiesiesche Christen“ in den Bürgerrechten unter dem ancien régime den Altchristen nicht nachstanden. Probleme bereitete 1792 die Gleichstellung der Juden von Metzt und dem Elsass, die sich als eigene Nation verstanden. Man überwand sie. Hauptmann Alfred Dreyfus war Offizier in Frankreichs Armee, als es im preußischen Heer noch keine jüdischen Offiziere gab. Wer redet da von „Antisemitismus in Frankreich“? Natürlich Juden aus dem Kreis der Donaumonarchie. Der Zorn auf Dreyfus war objektiv Ausdruck französischer Deutschfeindlichkeit; Dreyfus war beschuldigt, für Deutschland spioniert zu haben. Seine Familie entstammte dem Elsass, das damals zum Deutschen Reich gehörte. Natürlich traf es den Falschen.

Man kann auch an diesem Fall feststellen, dass die Affäre Dreyfus in die Vorstellungswelt aschkenasischer Zionisten passt, So wird aus dem Fall Dreyfus ein Lehrstück zum Thema Antisemitismus, um unter Juden eine generelle Phobie zu erzeugen, als wäre quasi alle Welt judenfeindlich eingestellt. De Jüdische Allgemeine geniert es nicht, diese Furcht virulent zu halten. Sie zögert nicht, das Schächtverbot in den Niederlanden zu kritisieren, weil diese Form des tierquälerischen Schlachtens auch bei Orthodoxen praktiziert wird. Die Unehrlichkeit dahinter wird offenbar durch einen Blick auf den Speisezettel von Benjamin Netanjahu, der unkoschere Meeresfrüchte (Scampi und moules marinières) verzehrt (Moshe Zimmermann). Die jüdische Gesellschaft zieht gleichsam ein lahmes Bein aus der orientalischen Welt hinkend nach. Vereinfacht ausgedrückt: „Die Juden“ in ihrer Gesamtheit sind noch nicht ganz im Westen angekommen, die wirklich westlichen Juden sind religionslos, längst getauft oder als Zionisten in Palästina eingetroffen. Wenn man das Raster in dieser Weise einstellt, kann man pro-israelisch sein und zugleich die krumme Tour der religiösen Traditionspflege unserer Diaspora kritisieren.

Das jüdische Dilemma kommt in der Diskussion in der Tribune Juive zum Ausdruck, wo die „portugiesische“ (sephardische) Tradition gegen aschkenasische Oppression opponiert. „Die Sepharden“ sind natürlich auch für Israel. Das jüdisch-arabische Verhältnis lässt sich in den Pariser Vorstädten jederzeit erleben. Man fühlt sich in die Zeit Adolphe Cremieux rückversetzt. Michel Gurfinkel rezensierte einen Aufsatz der Rechtsanwältin Noëlle Lenoir (keine Jüdin). Die den Mangel an Sympathie für Israel analysiert.


Zur Person:
Noëlle Lenoir (* 27. April 1948 in Neuilly-sur-Seine) ist eine französische Juristinn. Als erste Frau saß sie von 1992 bis 2001 im Conseil Constitutionnel. Lenoirs Wort hat Gewicht, sowohl im Recht als auch in der Politik. Als internationale Anwältin ist sie Mitglied des Staatsrats und war zwei Jahre lang Ministerin für europäische Angelegenheiten. In der aktuellen politischen Debatte in Frankreich gilt sie als eine der stabilsten Säulen der westlichen Gedankenwelt. Sie schreibt:
„Die Drangsalierung Israels durch die Vereinten Nationen hat obsessive Ausmaße und nichts mit der Wahrung des Friedens zu tun. Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, Israels Premierminister und Verteidigungsminister wegen „Kriegsverbrechen“ in Gaza anzuklagen, geht an den Maßstäben von Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht vorbei. Die ursprüngliche Agenda der UN bei ihrer Gründung lautete ‚Nie wieder'“, d.h. „Keine Angriffskriege mehr, keine Völkermorde mehr, keine Missachtung grundlegender Menschenrechte mehr. Was wir heute erleben, ist eine Orwellsche Umkehrung dieser ethischen Imperative…..Heute nimmt der Iran den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat ein. Saudi-Arabien hat den Vorsitz des UN-Ausschusses für Frauenrechtet. n ähnlicher Weise beeilt sich der Internationale Strafgerichtshof, das sonst inaktivste und zögerlichste Gericht der Welt (esr hat sich in einem Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren nur mit einem Dutzend von Fällen befasst und eben begonnen, Fälle zu untersuchen, die mehr als zwanzig Jahre zurückliegen) Israel zu belasten. Dabei war der Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober eindeutig Mord nach internationalem Recht. Die aktuellen israelischen Militäroperationen in Gaza stellen eher ein Fall von Verteidigung und Vorbeugung gegen solche Attacken dar. Der Gerichtshof als solcher soll nur die nationalen Gerichte ergänzen: Er sollte nur unter Umständen tätig werden, in denen nationale Gerichte nicht verfügbar oder nicht vertrauenswürdig sind. Israels Justizsystem kann nicht einfach übergangen werden, als existiere es nicht. Es existiert dagegen kein Justizsystem, das die HAMAS-Führer an dem Recht verpflichtet. Die praktischen Folgen einer internationalen Anklage gegen Hamas-Führer wären folglich bedeutungslos, während die Anklage gegen Netanjahu und Gallant voraussichtlich schwerwiegende Folgen haben werden, sowohl für sie als Individualpersonen als auch für das Gesamtbild der israelischen Nation. Die deutsche Regierung ist offenbar wankend, ob sie, Herrn Netanjahu auf deutschem Boden verhaften soll, wenn er zur Haft ausgeschrieben wird, weil es förmliches Gesetz sei. Man könnte heute etwas anderes erwarten, insbesondere angesichts des wiederholten Engagements Deutschlands für die Sicherheit Israels. Beunruhigend ist auch die unverhohlene islamische Haltung des Generalstaatsanwalts. Zwar ist es immer noch möglich, dass die Anklagekammer des Internationalen Strafgerichtshofs Khans Anschuldigungen nicht gutheißen wird. Wenn Khan jedoch Erfolg hat, müssen wir uns fragen, ob die Vereinten Nationen und viele ihrer Tochtergesellschaften, einschließlich des Internationalen Gerichtshofs, noch echte internationalen Organisationen sind, sondern eher Machinationen gegen westliche Demokratien. Unter den Gründernationen der Vereinten Nationen hatte es damals eine Mehrheit westlicher oder westlich funktionierender demokratischer Nationen gegeben; heute sind zwei Drittel der Mitgliedstaaten – manchmal als „Globaler Süden“ bezeichnet – entweder nicht funktionsfähig oder undemokratisch und werden von intensiven „antiwestlichen“ Ressentiments angetrieben. Das sollte nicht länger ignoriert werden.

Interessant. Was nun?, sprach Zeus. Israel verteidigt in gewisser Weise den alten Westen. Können die Massaker an Zivilisten in Gaza den Westen retten? Das erscheint unwahrscheinlich, einmal nicht. weil eine aus dem Ruder laufende Kriegführung schon Israel in Gefahr bringt, und zweitens nicht, weil der Westen selbst morsch ist. Einerseits muss der Westen und muss vor allem Europa Israel dankbar sein, wie auch der Ukraine, islamische Terroristen und Russen von seinem morschen Gebälk für eine Gnadenfrist lang fernzuhalten. Das ändert nichts daran, dass das morsche Holz ersetzt werden muss. Und die Ironie dabei besteht darin, dass der Westen die jüdisch-christliche Ideologie abschüttelt muss, wenn er wieder lebensfähig werden will. Diese Ironie versteht der verdummte Westbürger jedoch kaum¸daher zur Erinnerung:

Die westliche Demokratie und die republikanische Staatsform hatten ihre Wiege in Hellas und Rom in vorchristlicher Zeit stehen. Damals (man müsste schreiben „es war einmal..“) glaubte man nicht an eine Schöpfergott, der ähnlich dem alten Jehova von Abraham Gehorsam fordern konnte oder der den Christen die Obrigkeit gegeben habe (Martin Luther). Die Obrigkeit ging aus Wahlen der „Demen“ (Athen) hervor. Der klassische Mythos der alten Griechen erzählt, dass das Göttergeschlecht der Titanen, dem der Schöpfer des Menschen, Prometheus, entstammte, von den olympischen Göttern gestürzt worden sei. Der „westliche“ Mensch wuchs auf in dem Bewusst sein, gegen den Willen der Götter dank eigener Intelligenz und Schläue zu überleben (Karl Beloch in: Geschichte Griechenlands). Er lernte, sich vor den Gewalten der Götter zu schützen und siegte über den Orientalismus bei Marathon (490), Salamis (480) und Plataiai (479), alles vor 2.500 Jahren. Mit dem christlichen Schwachsinn von der Trinität, der Zwei-Naturenlehre zu Jesus und der Einführung eines jüdisch- proto-islamischen Gehorsams ging das Römische Reich endgültig in die Binsen.

Der Westen braucht ein Bewusstsein für seine eigene Klassik und Erkenntnis, dass das Christentums nichts anderes ist als die Verfassungslehre von der Göttlichkeit des Staates, den Kaiser Konstantin neu strukturierte.

von Lobenstein

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