Die größte Katastrophe des Judentums

17.06.2024, Abraham Melzer

(Geschrieben im Krankenhaus unter unerträglichen Schmerzen)

Manche sagen, und es sind auch sehr viele Juden darunter, dass die größte Katastrophe des Judentums die Gründung des Staates Israel war. Gemeint hat Seligmann wohl die größte Katastrophe der Juden und nicht des Judentums. Das Judentum ist eine Ideologie (Religion + Kultur) und kann durch einen noch so brutalen Anschlag nicht gefährdet sein. Juden und Judentum sind nicht dasselbe. Juden sind das Volk, die Masse, die Menschen. Judentum ist die Religion, die Ethik und Moral und schließlich die Kultur. Für das Judentum war nicht einmal der Holocaust, die Ermordung von sechs Millionen Menschen jüdischer Abstammung, die größte Katastrophe, so groß, grausam und barbarisch sie war. Das Judentum hat die deutsche Barbarei überlebt und ist heute stärker als je zuvor. m Judentum hat sich nichts verändert. Die 613 Gebote und Verbote gelten nach wie vor.

Ist aber der Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 tatsächlich „die größte Katastrophe seit dem Holocaust für alle Juden auf der ganzen Welt“, wie es Rafael Seligmann in seinem Aufsatz in Spiegel 24 vom 8.6.2024 bejammerte? Mitnichten. Er ist ein brutaler Überfall gewesen, der nicht nur die Juden, sondern auch Nichtjuden überall auf der Welt entsetzt hat. Nicht mehr entsetzt als andere Katastrophen in Asien, Afrika oder sonst wo auch. Die Juden aber neigen ihre Katastrophen immer als Superlative in den Mittelpunkt des Weltgeschehens stellen zu müssen, als ob die Katastrophen anderer Völker zweit und dritt rangig wären. Der Slogan „Juden first“ ist bei den Juden schon länger in Gebrauch als Trumps „Amerika first“. Und viele Juden glauben wirklich, es sei so.

Der 7.Oktober 2023 war  mehr für den Staat Israel eine Katastrophe, eine solche für seine Sicherheit und für den trügerischen Glauben, man könnte den Konflikt mit den Palästinensern irgendwie erfolgreich managen.  Netanjahu hat diesen Glauben propagiert und alle habe es ihm glauben wollen. Und nun sind sie im Schrecken aufgewacht, dass es nicht absolut zutrifft, dass man den Konflikt „verwalten“ könne, sondern dass man ihn schleunigst lösen muss. Die Politik der israelischen Regierung lässt aber  nach diesem Überfall keine Hoffnung durchscheinen, dass die Verantwortlichen in Jerusalem das verstanden haben.

Es war und bleibt also eine tragische Situation für den Staat Israel und seine Armee, die seit 8 Monaten mit kollateralen Erfolgen gegen die Hamas vorgeht. Abgesehen davon, dass die Armee Gaza fast total ausradiert hat, und dass sie fast 2 Millionen Menschen obdachlos gebombt hat, schweigt sie von den tausenden von Toten, auch von den eigenen Verlusten. Aber der Staat Israel und seine Armee, selbstdefiniert als die humanste Armee der Welt, sind nicht das Judentum. Manche ultraorthodoxen jüdischen Sekten zweifeln sogar daran, dass der Staat Israel jüdisch sei. (vgl. Tuvia Tenenbom in: Gott spricht Jiddisch).

Rafael Seligman nennt sich selbst schon seit mehr als einem halben Jahrhundert „Hebräer“, obwohl dieser Begriff in Israel schon genauso lange aus der Mode gekommen ist. Als Hebräer wurden die biblischen Juden bezeichnet. Der Zionismus hat sich aber nicht mit den biblischen Juden identifiziert, sondern wollte einen neuen, modernen Juden schaffen, der sich sogar von den alten Riten und Gebräuchen befreit hat. Das ist freilich nicht gelungen.

Trotzdem war der 7.10.23 für die Existenz des Staates Israel keine Katastrophe. Es war eine militärische Schlappe, die die Überheblichkeit des israelischen Militärs offenbart hat und zeigte, wie schwer es für reguläre Armeen ist, gegen eine Widerstandsbewegung zu obsiegen, wenn diese kein Land erobern will, sondern um spirituelle Begriffe wie Freiheit und Würde ficht. Der Staat hat die militärische Niederlage selbst nach 8 Monaten nicht wett gemacht. Die Kampfjets und Panzer schlagen zwar zielgenau zu und erreichen die totale Zerstörung der Stadt Gaza, aber nicht den Freiheitswillen und nicht die Würde der Bekämpften.

Selbst eine der moralisch motoviertesten Armeen der Welt ist offensichtlich nicht in der Lage einer Widerstands-organisation  das Rückgrat zu brechen. War es in Vietnam nicht ähnlich? Und wie war es in Afghanistan?  Moralisch hat Israel in der ganzen Welt  verloren. Die Stimmung im Land ist niedergeschlagen, von den wirtschaftlichen Problemen, die der Krieg verursacht, schweigt man besser. Trotzdem glauben noch viele Israelis, sie seien allen anderen Nationen überlegen. Sie weigern sich über die Ursachen der präsenten Katastrophe nachzudenken und einzuräumen, dass der Überfall auch seine Gründe hatte, die in der seit Jahren und Jahrzehnten  falschen Politik gegenüber den Palästinensern liegen.

Seligmann schreibt von der „Schamlosigkeit und Härte der Demokratien in Nordamerika und Europa“, weil dort Israels Krieg verurteilt wird. Er phantasiert über das Gespenst des Antisemitismus, der angeblich nach dem 7. Oktober in neuem Gewand erscheine. Er hat wie oft keine Erklärung und füllt die Lücke mit dem Begriff „Antisemitismus“. Er könnte es auch mal mit dem Begriff „Gottlosigkeit“ versuchen. Ist es nicht gottlos, die Juden hängen zu lassen? Schamlos und dumm ist Seligmanns  Argumentation, wenn er nicht müde wird den Freiheitsdrang unterdrückter Völker und den damit verbundenen oft verzweifelten und brutalen Kampf verächtlich zu machen und als Antisemitismus hinzustellen, als Terror, Aufsässigkeit, Ungehorsam, Rebellion und Frechheit gegenüber den vermeintlich moralisch überlegenen Juden zu diskreditieren. Es gibt so viel Hass auf der Welt und Judenhass ist nicht frei davon. Viele palästinensische Politiker und Intellektuelle haben wiederholt widersprochen, darunter auch die Führer der Hamas, und betont, dass die Palästinenser um ihre politische und persönliche Freiheit kämpfen und dass sie diesen Kampf auch führen würden, wenn die Besatzer keine Juden wären, sondern Hottentoten.

Es wird in Europa und ganz besonders bei uns in Deutschland vergessen, dass sie schon gegen die türkische Herrschaft und gegen die Briten rebelliert haben, als diese Mächte Palästina besetzt hielten.  Besatzung ist Besatzung und der Stiefel der Besatzer ist immer der gleiche Stiefel, ob braun, schwarz, rot oder blau.

Seligmann schreibt „der Judenhass ist Teil der christlichen und islamischen Gesellschaft“ und fügt hinzu, dass der Judenhass vor 1945 ein „ehrlicher“ Judenhass gewesen sei. Was für eine erstaunliche und doch dümmliche These. Haben die Nazis die Juden in ehrlicher Haltung und nach Ansage ermordet? Nein, sie haben den Juden Duschräume vorgetäuscht. Auch ihr Judenhass war nie ehrlich. Er war immer von Kräften gelenkt, die zynisch ihr hinterhältiges Geschäft damit gemacht haben. Die Kirche, die die Juden hasste, weil sie sich nicht bekehren ließen, und trotzdem die Christenheit immer daran erinnerte, dass Jesus König der Juden vom Stamm Davids war, den die Pharisäer verleugneten. Die Fürsten und Könige waren gerne bei jüdischen Geldverleihern verschuldet, weil sie „ganz ehrlich“ (Raffael Seligmann) durch Pogrome und Vertreibung ihre Schulden loswerden konnten. Später “erfreuten“ (Raffael Seligmann)  sich die Juden   des ehrlichen Antisemitismus von fanatischen Rassehygienikern und zuletzt von eiskalten Nationalsozialisten des 3. Reiches.

Ehrlichen Judenhass gibt es nicht und kann es nicht geben. Seligmann wollte vielleicht sagen „offenen“ Antisemitismus, der bis in die 50er Jahre hinein (Philipp  Auerbach)  in Deutschland und Europa herrschte und in bürgerlichen Haushalten sogar zum guten Ton gehörte. Hier schließt sich der Kreis zu Seligmann, weil es auch erschreckend viele ehrliche Menschen gab, die Juden hassten, weil es von der Gesellschaft nicht verpönt war.

Die Debatte um den Antisemitismus wird leider seit Jahren unehrlich und falsch geführt. Rafael Seligmann ist ein Beispiel für einen Geisterfahrer gegen antisemitische Gespenster. Der sogenannte Israel bezogene Antisemitismus beherrscht die Debatten und Schlagzeilen. Das ist aber – und das muss deutlich und klar gesagt werden – kein Antisemitismus, den man mit dem Judenhass ehrlicher Antisemiten übersetzen kann und darf, sondern ein Antizionismus, der genauso legitim und erlaubt ist, wie Antikommunismus oder Antikapitalismus. Im Rahmen der Meinungsfreiheit ist es doch Nichtjuden und Juden erlaubt den Zionismus, der eine politische Ideologie ist, als eine kolonialistische oder gar rassistische Lehre zu verurteilen, die nichts mit Judentum zu tun hat. Der jüdische Religionsphilosoph Yakov Rabkin erklärt das in seinem in 14 Sprachen übersetztes Buch „Im Namen der Thora“, sehr klar und überzeugend.

Seligmann schreibt: „Man gibt vor, prinzipiell nichts gegen Juden zu haben, und stützt sich auf jüdische Antizionisten als Alibi, um den israelischen Zionismus zu geißeln .“ Wer ist „man“ und welche „jüdische Antizionisten“ können alibihalber benutzt werden? Was für eine üble, zynische und unehrliche Behauptung ins Blaue hinein! Um die falsche, atavistische und arrogante israelische Politik zu kritisieren, benötigt man keine „jüdische Antizionisten“. Da reicht es die zionistische israelische Politik zu beobachten und den gesunden Menschenverstand zu benutzen. Natürlich muss man jeder Form von Judenhass opponieren; dazu gehört aber auch, Kritik an Israels Politik von purem Antisemitismus zu unterscheiden. Es ist nicht alles im Interesse der Juden der Welt, was Israel veranstaltet. Die politischen Ansprüche der Palästinenser wollen die Juden der Diaspora nicht delegitimieren. Die Interessen der jüdischen Israelis in allen Ehren, aber sie sind zum großen Teil unmoralisch, unberechtigt und entsprechen nicht den internationalen Gepflogenheiten menschlichen Zusammenlebens, wenn sie die Interessen eines anderen Volkes ignorieren. Das Judentum ist eine universale Religion, der Zionismus dagegen eine separatistische Ideologie, die zum Religionsersatz großer Teile der Judenheit geworden ist, speziell derjenigen, die in Israel leben, denen der Universalismus des Judentums völlig fremd geworden ist. Den Universalismus, der im Judentum steckt, haben das Christentum und offensichtlich auch der Islam übernommen. Deshalb ist der Zionismus dem Judentum fremd. So denken zumindest Millionen orthodoxe und ultraorthodoxe Juden, denen der Zionismus wie ein Feind erscheint.

Seligmann empört sich, dass der Internationale Gerichtshof in Den Haag Israel verurteilt, und dass er das Land auf eine Stufe mit sogenannten islamischen Terrororganisationen gestellt hat. Seligmann schäumt geradezu vor Wut, weil Brasiliens Präsident Lula behauptet hat, die Israelis hätten „Zwölf Millionen Palästinenser ermordet“. Das eine solche Behauptung nur Unsinn sein kann, ergibt sich von selbst. Seligmann aber stellt sichtlich erleichtert fest, „dass selbst die Behörden der Hamas von rund 35000 Toten schreiben“. Als ob die Ermordung von lediglich 35000 Zivilisten, die Hälfte davon Minderjährige und Kinder, moralisch vertretbar und gerechtfertigt sei. Wie weit entfernt ist das vom jüdischen Gebot der Thora: Auge um Auge, Zahn um Zahn, wo es um die Verhältnismäßigkeit von Strafen und Rache geht.

Die Ermordung von 1000 Israelis war ohne jeden Zweifel ein Verbrechen, eine barbarische Tat, die geahndet werden muss. Aber muss man 35000 Palästinenser als Racheaktion niedermetzeln? Und noch ist die israelische Aktion nicht zu Ende. Es könnten am Ende doppelt und dreifach so viele Opfer werden.

Israel wird deswegen nicht völlig zu Unrecht des Völkermordes beschuldigt. Das Internationale Gericht in Den Haag hat Israel wohl zurecht Auflagen für die Kriegführung erteilt. Aber Zionisten wie Rafael Seligmann und fast die gesamte israelische Elite meinen, dass Israel wegen Völkermord beschuldigt wird, „um weltweit antisemitische Proteste zu rechtfertigen“. Das interpretieren sie kollektiv als Zeichen von „Geschichtsvergessenheit“. Sie messen alles, was Juden und gegen Juden passiert mit dem Maßstab von Auschwitz; sie sehen alles durch eine Brille des vor 100 Jahren verfolgten „ewigen Juden“. Bist Du Antisemit oder bist Du kein Antisemit, danach wird man beurteilt und verurteilt. Dass die Israelis mit der gleichen Intensität und Verachtung die Palästinenser bzw. alle Araber missachten. und dass sie die übrigen Nationen geringschätzen, wird nicht erwähnt. Sie alle jammern ständig, dass Israel seit dem Bestehen des jüdischen Staates mit Anschlägen und Terror leben muss und vergessen dabei, dass das palästinensische Volk seit Gründung des Staates Israel und davor mit noch mehr Anschlägen und Terror leben musste und mit dem schlimmsten von allem: mit dem Verlust ihrer Heimat.

Seligmann offenbart, dass er wenig Wissen von jüdischer Geschichte hat. Hat er die Bände Simon Dubnovs und die von Heinrich Graetz wirklich gelesen? Oder die von Alex Bein? Er bleibt bei seiner Marotte, die europäischen Juden „Hebräer“ zu nennen und erstreckt diese Bezeichnung auch auf die mehr als fünf Millionen russischen Juden. Dabei haben seriöse Historiker inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen, dass sie und auch große Teile der Juden in Westeuropa nicht Nachkommen der Hebräer sein können, sondern der Chasaren. Arthur Ruppin (in Soziologie der Juden) definiert die Juden als „ostisches“ Mischvolk, Friedrich Rosen hält die sephardischen Juden für Nachkommen der Phönizier. Aber für Seligmann sind auch die Juden in Deutschland Hebräer, und er behauptet „hier dienten die Hebräer in der jüngsten Vergangenheit vor allem als Musterjuden mit Alibi-Figuren“. Das versteht kein Mensch, was er sagen will. Meint er, „Musterjuden“ seien die Funktionäre der jüdischen Gemeinden und des Zentralrats der Juden, die sich mehr als Gesandte des Staates Israel geben, als als Vertreter ihrer Wähler. Peinlich wird es, wenn sie ohne Wenn und Aber hinter der israelischen Politik stehen und sie empört protestieren und „haltet den Dieb“ (den Antisemiten) rufen, wenn man sie mit Israel identifiziert. Es wäre besser und gesünder für Rafael Seligmann und Josef Schuster, wenn sie nicht so blind und einäugig hinter Israels nationalistisch-chauvinistische Politik stehen würden nach der Devise:  „wrong or right – my country“. Israel kann  – realistisch gesehen –   nicht ihr „country“ sein. Es ist an der Zeit, dass in jüdischen Gemeinden und im Büro des Zentralrats der Juden in Deutschland Bilder deutscher Präsidenten   – oder wenigstens deutscher Staatsbeamter jüdischer Herkunft –   hängen. Sie  (die Zentralrätler) und Seligmann müssen langsam wissen, ob sie nur Juden in der deutschen Diaspora bleiben oder jüdische Deutsche werden wollen.

Unlogisch und verworren kommt mir Seligmanns These im Zusammenhang mit der von Politiker  immer neu gestellten Frage an Ignaz Bubis vor, ob Israel seine Heimat und dessen damaliger Präsident Chajim Herzog  sein Staatsoberhaupt sei. Bubis Antwort wirkte gekünstelt und unaufrichtig, wenn er mit Empörung reagierte. Jeder wusste, dass in seinem Büro beim Zentralrat der Juden in Deutschland und in jeder jüdischen Gemeinde israelische Fahnen und die Portraits des jeweiligen israelischen Präsidenten sichtbar aufgehängt waren, aber kein Konterfei eines  deutschen Staatspräsidenten. Was sollten deutsche Politiker und andere, die das gesehen haben, denken und fragen dürfen? Sind jüdische Gemeinden ein Staat im Staat? Sie sind es jedenfalls mehr als christliche Kirchen, denn die jüdischen Gemeinden sind nicht nur religiöse Einheiten.

„Seit dem 7. Oktober 2023 ist das deutsche Judentum so gefährdet wie lange nicht“, schreibt Seligmann. Er sagt sogar „heute quaken die Hebräer speziell der Diaspora, ihre Angst und ihren Schmerz heraus.“ Was für ein Unsinn. Antisemiten hätten es nicht besser ausdrücken können. Die Juden in Deutschland sind nicht gefährdet und außer Rafael Seligmann und andere zionistische Juden, wenn sich die Vertreter der „Juden in Deutschland“ nicht so blind und einseitig hinter Israels Politik stellen würden und nicht den Eindruck erwecken würden „right or wrong – my country“. Sie müssen endlich entscheiden, ob Deutschland oder Israel ihr „country“ ist.  Sie müssen endlich entscheiden, ob sie ewig fremd in diesem Land sein wollen oder jüdische Deutsche.

Es stimmt, in Gaza droht ein Krieg ohne Ende, was nicht nur für die Juden gefährlich ist, sondern auch für uns in Deutschland. Es ist längst an der Zeit, politischen Quacksalbern wie Rafael Seligmann (und Joseph Schuster) den Stecker zu ziehen. Es ist Zeit für eine Kurskorrektur, nicht nur in der Politik in Israel, sondern auch die Haltung des Zentralrats der Juden zu der Israels. Wir dürfen nicht vergessen und viele ahnen es gar nicht, dass der Zionismus von Anfang als binationaler Staat für Juden und Palästinenser gedacht war. Das wollte Theodor  Herzl , bevor er die zionistische Organisation gegründet hatte. Die binationale Idee geht also bis auf den Gründer des Zionismus zurück. Die Idee eines Staates für zwei Nationen hatte ganz zu Beginn des Zionismus gestanden. Wenn man bedenkt, dass Herzl und die ersten Zionisten aus einem Viel- Völker-Staat kamen, dann braucht man sich darüber nicht zu wundern. Herzl träumte nicht von einem exklusiv jüdischen Staat.

Der Holocaust hat jedoch alles verändert, nicht nur unter den Juden. Nach dem Holocaust wollten viele einen separaten Staat nur für Juden, und konnten auch bei den Nationen der Welt, die aus schlechtem Gewissen nach 1945 der Meinung waren, dass die ganze Welt den Juden „Wiedergutmachung“ schulde, eine solche Forderung durchsetzen. Deswegen beschlossen die Mitglieder der UN mit einfacher Mehrheit am 27. November 1947 die jüdischen Siedlungen in Palästina  zur ideellen  Wiedergutmachung als Staat anzuerkennen.

Die Idee hatte nur einen gravierenden Schönheitsfehler. Das Land, auf dem die Juden ihren Staat errichten wollten, gehörte einem anderen Volk. Und so beschloss man den Juden Teile Palästina zu schenken, weil die Palästinenser sich gegen einen solch perfiden Beschluss nicht wehren konnten. Das war ein Fehler, der durch das arrogante und selbstgerechte Verhalten der Juden bis heute nicht korrigiert werden konnte. Und so spitzte sich die Lage bis zum heutigen Tag mehr und mehr zu.

Zum Schluss seines Pamphlets fordert Seligmann die Allgemeinheit auf, ihre „Menschlichkeit auch auf die Juden auszudehnen.“ Schade, dass er die Palästinenser wieder ausgelassen hat. Auf die Idee, dass auch sie Menschlichkeit verdienen, ist er nicht gekommen. Deren Katastrophe, die Nakba, zählt wohl nicht. Für Seligmann und Gesinnungsgenossen gilt wohl heute noch was David Ben-Gurion, der Gründer des zionistischen Staates Israel einst erklärt hat: „Wir müssen die Araber vertreiben und ihren Platz einnehmen.“ Und selbst Itzhak Rabin, der pragmatischste aller israelischen Ministerpräsidenten, sagte noch wenige Monate bevor er die Oslo-Verträge unterschrieb: „Brecht den Palästinensern die Knochen.“

Seit zwei Jahren beherrscht aber in Israel eine rechtsradikale Regierung den Lauf der Dinge, die an Frieden nicht denkt. Zwei wegen Terrorismus vorbestraften Minister bestimmen den Kurs des Staatsschiffs mit. Die Führer der Welt und die Juden sollten langsam erkennen, dass der israelische Terrorismus durchaus gefährlicher und bedrohlicher werden kann als der der Hamas. Von der BDS und von einem zahnlosen Alt-Antisemitismus droht niemanden Gefahr, dagegen von einem ungezügelten jüdischen Nationalismus sehr wohl.  Das gilt erst recht, wenn  ein  politischer Hasardeur ohne Gewissen wie Benjamin Netanjahu die Konfliktstoffe anhäuft. Die größte Katastrophe für die Juden und für Israel ist also in voller Vorbereitung. Sie ist in Arbeit beim israelischen Parlament und in der israelischen Regierung.

 

 

 

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