von Arn Strohmeyer
Die „Affäre“ um die beiden jüdischen Intellektuellen Sheen und Blumenthal belegt nur die Unfähigkeit dieser Partei, die nahöstlichen Realitäten wahrzunehmen.
Eine linke Partei sollte sich eigentlich dadurch auszeichnen, dass sie eine klare Analyse realer gesellschaftlicher Verhältnisse vornehmen kann und sich dabei nicht durch ideologische Vorwände und Interessen blenden lässt. Was ja heißt: die politische Realität so wahrzunehmen, wie sie ist. Wozu natürlich die Fähigkeit gehört, gerechte und ungerechte, soziale und unsoziale sowie humane und inhumane Zustände unterscheiden zu können. Aus einer solchen Analyse muss dann ganz automatisch eine Politik hervorgehen, die allerhöchsten humanitären Kriterien entspricht – das utopische Ideal von sozialer Gerechtigkeit und Frieden immer vor Augen. So steht es eigentlich auch in der Präambel des Parteiprogramms der deutschen Linkspartei. Da heißt es, die Linke stehe für internationale Solidarität und Kooperation zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen.
Misst man die Linkspartei an diesen Maßstäben in Bezug auf ihre Nahostpolitik , muss man ein vernichtendes Urteil fällen, wobei hier nicht verschwiegen werden soll, dass es in der Linkspartei auch Minderheiten gibt, die das ganz anders sehen. Letztes Beispiel für die offizielle Richtung der Partei: Da kommen zwei kritische jüdische Intellektuelle – der eine aus den USA, der andere aus Israel – nach Berlin und reden Tacheles über die Zustände in Israel/ Palästina, sprechen aus, was sich dort wirklich abspielt: eine brutale, in jeder Hinsicht völkerrechts- und menschenrechtswidrige Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten bzw. eingeschlossenen Gebieten durch den siedlerkolonialistischen Besatzerstaat Israel.
Der eine hat dabei den äußerst renommierten und prominenten israelischen Philosophen Jeshajahu Leibowitz (eine allerhöchste moralische Instanz in Israel) zitiert, der schon vor fast zwei Jahrzehnten aus tiefster Sorge um Israels Existenz und Zukunft vor der Okkupationspolitik in den palästinensischen Gebieten gewarnt und an seine Landsleute appelliert hatte, nicht den Nazis in ihren Unterdrückungsmethoden nachzueifern. Da steht das Urteil der Linkspartei fest, ohne sich mit Leibowitz‘ Argumenten in irgendeiner Weise auseinanderzusetzen: Das sind üble „Antisemiten“. (Nachzulesen sind die Ausführungen von Leibowitz übrigens in seinem auch in Deutschland erschienen Buch: Gespräche über Gott und die Welt. Mit Michael Shashar, Dvorah-Verlag, Frankfurt/ Main 1990. An diesem in einem jüdischen Verlag herausgegeben Buch hat bisher übrigens niemand Anstoß genommen.)
Die beiden jüdischen Intellektuellen vertreten eine universalistisch zu verstehende Position, d.h. sie setzen sich für die Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Religion oder Ethnizität ein, was ja eigentlich genau dem Programm der Linkspartei entspricht. Da heißt es: „Wir solidarisieren uns mit allen, die für Frieden, soziale und politische Gerechtigkeit und die Verwirklichung der Menschenrechte streiten.“ Aber Gleichbehandlung, also soziale und politische Gerechtigkeit und Frieden scheinen für die Mehrheit in dieser Partei, die sich „links“ nennt, nicht für die Palästinenser zu gelten. Entgegen den hundertfachen Feststellungen von hohen internationalen Gremien wie UNO und Internationalem Gerichtshof, dass die Politik Israels seit Jahrzehnten gegen das Völkerrecht, die Menschenrechte und viele andere Konventionen verstößt, halten es die deutschen Linken mit einer rechtsextremen israelischen Regierung, die jeden Versuch, zu einem gerechten Ausgleich mit den Palästinensern zu kommen, abwehrt und ihr Werk des Landraubs und der Vertreibung der Palästinenser permanent fortsetzt – zur Zeit gerade in und um Jerusalem und im Jordantal.
Die beiden jüdischen Intellektuellen David Sheen und Max Blumenthal, die kein Blatt vor den Mund nehmen und das Ende einer solchen Politik fordern, werden von deutschen Linken als „Antisemiten“ denunziert. Die Abgeordnete Petra Pau sorgt im Bündnis mit Reinhold Robbe (SPD) und Volker Beck (Grüne) dafür, dass sie in Berlin nicht in dem schon angemieteten Saal der Urania sprechen dürfen. Es ist immer das alte und gleiche Spiel: Kritiker der israelischen Politik sollen in Deutschland gar nicht erst zu Wort kommen, was ja heißt: Die Menschen in diesem Land sollen die ungeschönten Fakten über Israels Vorgehen gar nicht erfahren können. Auf diese Weise will man jede Diskussion über die Unmenschlichkeiten der israelischen Politik von vornherein abwürgen. Das sind totalitäre Methoden, die im übrigen nicht gerade auf ein Überzeugtsein von der eigenen Sache schließen lassen, denn sonst hätte man nichts gegen eine offene Diskussion, wie sie in Demokratien üblich ist, haben können.
Ihr inhumanes und undemokratisches Politikverständnis beweisen diese Leute auch dadurch, dass sie ihren Boykott gegen die beiden jüdischen Intellektuellen mit deren Stellungnahme zum Holocaust begründen. Sheen und Blumenthal ziehen aus diesem deutschen Megaverbrechen nicht den ethnozentrischen Schluss, dass allein Juden so etwas nie wieder geschehen dürfe, sondern sie sagen, es dürfe nie wieder rassistische Gewalt gegen irgendjemanden auf der Welt geben. Das „Nie wieder!“ beziehen sie also auf alle Menschen – Juden natürlich eingeschlossen. Was ist an dieser universalistischen Position anstößig, die im Übrigen auch von sehr vielen Israelis vertreten wird? Mit Relativierung des Holocaust hat das gar nichts zu tun, ganz im Gegenteil.
Sogar diese Selbstverständlichkeit ist Pau, Beck, Robbe und Co. schon zu viel. Interessant ist auch, dass in den meisten deutschen Medienberichten die jüdische Identität der beiden Israel-Kritiker verschwiegen wird. Eine solche Angabe passt wohl nicht ins Bild. Was ihren Gegnern und allen Israel-Freunden die Argumentation erleichtert, denn Juden als „Antisemiten“ zu denunzieren, ist nicht so einfach, es sei denn man greift zu dem absurden Trick und macht sie zu jüdischen „Selbsthassern“.
Aber die Frage, ob Israel überhaupt für das ganze Judentum sprechen kann, haben Pau, Beck und Robbe sich wohl noch nie gestellt. Sie können oder wollen eben nicht zwischen Judentum, Zionismus und Israel (und entsprechend zwischen Antisemitismus. Antizionismus und Kritik an Israels Politik) unterscheiden und kommen deswegen zu so falschen Schlussfolgerungen. Und weil Kritik an Israels unmenschlicher und völkerrechtswidriger Politik nicht sein darf, der Philosemitismus deutsche „Staatsräson“ ist, muss ein „Antisemitismus“ erfunden werden und bei jeder Gelegenheit gebetsmühlenartig wiederholt werden, auch wenn es gegen kritische Juden geht. Der Nahost-Konflikt ist in seinem Kern ein kolonialistischer Konflikt, auf den man nicht einfach die Kategorien des europäischen Antisemitismus mit seinen furchtbaren Folgen anwenden kann. Dass diese Israelfreunde letzten Endes diesem Staat nur schaden, weil sie eine Politik unterstützen, die die keine Zukunft hat und die Existenz des Staates gefährdet, so weit reicht das politische Einsichtsvermögen eben nicht.
Zumindest was die offizielle Nahost-Politik der Linkspartei angeht, hat sie ihre SED-Vergangenheit noch nicht verarbeitet. Die DDR-Staatspartei lehnte – mit enger Anlehnung an die Außenpolitik des großen Bruders in Moskau – den zionistischen Staat Israel ab, weil er ein Kind des „Imperialismus“ sei, unterhielt auch keine offiziellen Beziehungen zu ihm, sondern nur zu der palästinensischen Befreiungsbewegung PLO. Die Palästinenser erhielten jede Hilfe aus Ost-Berlin. Nach dem Zusammenbruch der DDR tat die erste frei gewählte Regierung unter ihrem Ministerpräsidenten Lothar de Maiziére dann Buße für die DDR-Politik, entschuldigte sich bei Israel ganz offiziell und versprach auch die Aufnahme von Wiedergutmachungsverhandlungen. Dazu kam es dann aber nicht mehr. Die heutige Linkspartei klebt immer noch mehrheitlich an dieser einseitigen Haltung, ohne nun auch der anderen Seite Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Da befindet sich die Linkspartei in guter Gesellschaft zu Angela Merkel. Zu der Rede der aus dem Osten stammende Kanzlerin im israelischen Parlament (Knesset), in der sie die deutsche Unterstützung Israels zur deutschen „Staatsräson“ erklärte, sagte der israelische Historiker Tom Segew, das sei eine Rede aus den 50er Jahren gewesen, die wenig Kenntnis über die Zustände in Israel und die politische Diskussion dort verraten habe. Die Rede hätte teilweise wie von den Webseiten der israelischen Regierung abgeschrieben gewirkt.
Eine linke Partei. die diesen Namen wirklich verdient, darf nicht auf der Seite der Völkerrechtsverletzer, Besatzer und Unterdrücker stehen, sie muss entsprechend ihrem Humanitätsideal die Partei der Besetzten, Unterdrückten und täglich Gedemütigten ergreifen. Sie darf nicht die Politik der rechtsextremen israelischen Regierung verteidigen, sondern muss die Einzelpersonen und Gruppen in Israel unterstützen, die sich für Frieden, Ausgleich und Versöhnung mit den Palästinensern einsetzen. Das wäre auch die richtige Schlussfolgerung aus dem Holocaust. Würde die Mehrheit der Linkspartei und auch ihre Bundestagsfraktion so denken, wäre es in Berlin zu dem peinlichen Eklat, der zur Affäre aufgebauscht wurde, gar nicht erst gekommen.