Sehr geehrter Herr Markus Lanz,
sehr geehrter Herr Dr. Norbert Himmler
ich bin immer ein Fan von Markus Lanz´ Talkshows gewesen. Ich fand auch Genugtuung, dass Sie für die Sendung vom 15.11.2023 eine Person wie Frau Khala Maryam Hübsch eingeladen haben, die ich seit Jahren kenne. Ich war mit ihrem Vater befreundet., und ich schätze sie für ihre Klugheit und Besonnenheit. Auch die Teilnahme von Yazan Abo Rhamie war ein Gewinn, auch wenn er zu wichtigen politischen Fragen keine gleichgewichtigen Argumente zu Frau Hübsch vortragen konnte.
In Ihrer ersten Sendung nach dem 7.10. saß Melony Sucharewicz an Ihrem Table. Sie versuchte, ohne auf irgendeinen Widerspruch zu stoßen, die deutsche Öffentlichkeit auf erwartete Kriegsverbrechen im entstehenden Gaza-Krieg einzuschwören. Sie forderte zur Einschränkung der Meinungsfreiheit auf. Demonstrationen gegen „Zionismus“ sollen nicht mehr gestattet werden. Wahrheitswidrig behauptete sie, die Hamas habe angedroht, auf Bombardierung von Häusern mit der Tötung von entführten israelischen Zivilisten zu antworten. Die Hamas hatte solches für den Fall angekündigte, wenn Häuser ohne Vorwarnung bombardiert werden würden.
In der Folge gab es eine Sendung mit Michael Wolffsohn, der unwidersprochen sagen konnte, die Palästinenser hätten „auf dem Silbertablett präsentierte Friedenslösungen immer wieder abgelehnt“ usw. Sie, Herr Lanz und Herr Himmler, saßen da wie ein Schuljunge im Frontalunterricht. In Wirklichkeit hat Israel jede Chance vorrübergehen lassen, die zu einem Frieden hätte führen können.
Verglichen mit den beiden Sendungen war die gestrige ein Fortschritt, obwohl Frau Hübsch leider nicht hart genug gegen Ihre feindselige Art der Moderation opponierte. Ich greife als Beispiel die Diskussion zum Begriff „Apartheid“ auf: Natürlich besteht im traditionellen Staatsgebiet Israels keine Apartheid. Trotzdem lässt es sich nicht verschleiern, dass die palästinensischen Staatsangehörigen auf allen Gebieten benachteiligt sind. Frau Hübsch sprach aber von den sog. „Besetzten Gebieten“, in denen für die indigene Bevölkerung Militärrecht gilt, aber israelisches Recht für die Juden der Siedlungen wie im israelischen Kernland. Sie meinte auch, dass es in diesen besetzten Gebieten getrennte Straßen für Juden und Palästinenser gäbe und vieles mehr. Diesen Zustand bezeichnen viele Organisationen und Experten als Apartheid. Ihre Aufregung, Herr Lanz, war nutzlos und unnötig.
In letzter Zeit empfinde ich die Art und Weise, wie Sie ihre Gäste befragen, wie Sie sie regelrecht attackieren, beleidigen und diskreditieren, als sehr befremdet und zuweilen als unerträglich.
Gerade die Sendung vom 15.11.2023 fand ich als ausgesprochen skandalös. Wir als Zuhörer wollen schließlich die Meinungen der Gäste erfahren, auch wenn diese zwischen langweilig und empörend oszillieren. Wir möchten aber nicht lange und aggressive Einschübe von Herrn Lanz anhören und zusehen müssen, wie er seine Gäste kränkt und herabsetzt. Die Art und Weise, wie er gestern z. B. Frau Khala Maryam Hübsch angegriffen hat, war kaum auszuhalten. Dabei war sie die Einzige, die zur Sache vernünftige Ansichten hatte, zusammen mit dem jungen Palästinenser Yazan Abo Rahmie.
Sie dürfen doch nicht Frau Hübsch derart aggressiv und besserwisserisch fragen, ob sie schon mal in Gaza gewesen sei. Das hätte doch über ihre Qualität und zur Richtigkeit Ihrer Meinung nichts ausgesagt. Niemand braucht in Gaza gewesen zu sein, um zu wissen, was dort derzeit abläuft. Die Medien berichten hierzu überaus anschaulich. Unsere Massenmedien halten uns minütlich und beinahe jede Sekunde auf dem Laufenden. Es ist auch nicht von elementarer Bedeutung, ob „nur“ 9000, 10000 oder 11000 Menschen von der israelischen Armee getötet wurden. Warum bestanden Sie so hartnäckig darauf, dass man den Zahlen der Hamas nicht vertrauen könne, so dass man zuweilen den Eindruck bekam, Sie stünden im Sold der israelischen „Hasbara“. Dabei hatten uns die früheren Gaza-Kriege, die auch nur Kriege in Anführungszeichen, in Wirklichkeit jedoch brutale Strafaktionen Israels waren, schon gezeigt, dass die Zahlen der Hamas stets mehr oder weniger mit den Zahlen der UNO oder anderer Organisationen übereingestimmt haben. Sie haben den Eindruck erweckt, dass Frau Hübsch leichtgläubig die Zahlen der Hamas wiedergäbe. Hat es denn überhaupt eine Bedeutung ob 5000 Kinder getötet wurden oder „nur“ 3000? Und als Höhepunkt der Arroganz und Beleidigung haben Sie noch behauptet, dass Sie in Gaza waren. Damit wollten Sie den Eindruck erwecken, dass Sie es besser wüssten. Da möchte ich von Ihnen erfahren: Wie lange? Wie viele Tage oder besser wie viele Stunden? Und, weil Sie mal als Reporter durch Gaza gefahren sind, wollen Sie glauben, dass Sie besser wissen, was in Gaza los ist?
Ich war vor 40 Jahren auch in Gaza, als man noch unbefangen und furchtlos durch Gaza fahren konnte. Dennoch würde ich nicht behaupten, Gaza zu kennen. Sie sollten Ihre persönlichen Eindrücke bescheidener ausschlachten und nicht den Eindruck erwecken, dass man Gaza mit seiner Struktur und seinen Flüchtlingslagern nach einem Tagestrip kennen würde.
Frau Hübsch hat absolut zu Recht die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen verlangt. Das müsste jedem halbwegs vernünftigen Menschen einleuchten. Ganz besonders müssten sich die Freunde Israels dieser Forderung anschließen. Ich halte es deshalb für unaufrichtig und zynisch, wenn unsere Politiker behaupten, dass sie Freunde Israels seien und gleichzeitig die Israelis ermuntern, den Krieg mit der Tötung von Kindern fortzuführen. Fühlen sich die Deutschen dann weniger schuldig, wenn sie Juden verführt haben, in der Panik eines Krieges Frauen und Kinder getötet zu haben?
Die Freunde Israels stimmen einer gefährlichen militärischen Doktrin zu, die unverzeihliche Fakten schafft, die einem irgendwann gewollten Frieden im Wege stehen werden. Frieden schließen nicht Freunde. Frieden müssen Feinde machen. Aber das sinnlose Töten von Zivilisten kann doch nur immer neue Feinde und immer neue „Terroristen“ hervorbringen. Das zeigen uns die Kriege seit 1948 wieder und wieder sehr anschaulich. Die Kinder von heute, die zusehen müssen, wie ihre Familien „ermordet“ werden, müssen geradezu die „Freiheitskämpfer“ von morgen sein wollen. Sie werden von Generation zu Generation radikaler, brutaler und unversöhnlicher. Unverständlich? Wenn man Menschen keine Hoffnung lässt, wenn sie als Kinder schon wissen, wie ihr elendes Leben ablaufen wird, dann soll und darf man sich nicht wundern, wenn aus ihnen „Freiheitskämpfer“ werden. Mögen sie von Israel und von den meisten westlichen Staaten als Terroristen bezeichnet werden, es ändert nichts. Sie sind genauso wenig Terroristen wie es die Kämpfer des Vietcongs waren, die ebenfalls für ihre Freiheit kämpften.
Leider wird in unserer Gesellschaft zu ungenau, leichtsinnig und falsch mit den Begriffen „Terrorist“ oder „Antisemit“ umgegangen. Für mich war der Überfall vom 11. September 2001 ein Terrorakt. Es wurden Menschen ermordet, die mit dem, was die Terroristen bekämpfen wollten, nichts zu tun hatten. So war es auch mit vielen anderen Anschlägen, die unschuldige Zivilisten getroffen haben. Im Nahost-Konflikt handelt es sich immer eine Stufe weniger um Terror, weil die Gewalt zum Dauerzustand geworden ist. Von Antisemitismus lässt sich im Nah-Ost-Konflikt auch nicht sprechen. Es ist kein religiöser Konflikt, in dem fanatisierte Gläubige sich gegenseitig ermorden. Es ist zum einen ein Konflikt um Land, zum anderen ein Kampf um Recht und Gerechtigkeit. Wenn die Methoden der Hamas den Israelis und der ganzen Welt missfallen, was absolut gesehen verständlich und berechtigt ist, dann sollte man aber auch berücksichtigen, dass eine brutale Gewalt der israelischen Armee die Brutalität der anderen Seite mitsteigern lässt. Eine schutzlose Bevölkerung mit 1000 Kg Bomben zu attackieren und ungezielt zu töten muss immer neue Kampfmethoden provozieren. Und das geschieht nicht erst seit dem 7. Oktober, sondern schon seit ewigen Zeiten, mindestens aber seit dem Vertreibungskrieg von 1948. Es muss auch langsam Schluss sein mit dem manipulierenden Geschwätz über Antisemitismus. Die Palästinenser sind keine Antisemiten. Sie kämpfen nicht gegen „Juden“, sondern gegen eine Gesellschaft, die sie vertrieben, und die ihnen bitteres Unrecht zugefügt hat. Diese Menschen würden um ihr Recht und um ihre Menschwürde genauso kämpfen, wenn die Israelis keine Juden wären. Sie haben auch schon gegen die Türken gekämpft, gegen die Briten und in früheren Zeiten gegen die Kreuzritter. Wenn man noch tiefer in die Geschichte zurückbohren möchte, dann haben sie schon gegen die Griechen, Römer und andere Eroberer gekämpft. Sie kämpfen also nur in unserer Zeit gegen Juden, die für sie aber ihre israelischen Feinde sind. Der Konflikt kommt doch nicht aus dem Nichts. Der Konflikt findet nicht, wie es UN-Generalsekretär Guterres gesagt hat, in einem luftleeren Raum.
Langer Rede kurzer Sinn: Ich wünschte die Talkshows beim ZDF würden alle Seiten zu Wort kommen lassen. Statt einer türkisch-deutschen CDU-Politikerin, die Israel mit einer Leidenschaft verteidigt, dass es mir als Israeli und Jude schon peinlich wurde, könnte man vielleicht einen echten Israeli einladen, der sein Land verteidigt. Und man könnte vielleicht auch deutsche Juden einladen, die nicht „Juden in Deutschland“ sind, sondern eine kritische pro-israelische Meinung vertreten im Gegensatz zu den Wolffsohns, Broders, Knoblochs und Schusters. Ein solcher Jude hätte es nicht nötig, ein anti-antisemitisches Glaubensbekenntnis abzugeben. Oder haben Sie protestiert, als Charlotte Knobloch mich einen „berüchtigten Antisemiten“ nannte, nur weil ich eine andere Meinung zum Nahost-Konflikt habe.
Vielleicht werden Sie, wenn Sie beim ZDF genügend Mut aufbringen, einen Israeli einladen, der für das „andere“ Israel eintritt, welches seiner rechts-radikal orthodoxen Koalitionsregierung unter Benjamin Netanjahu weniger vertraut. Es wäre für die Zuschauer interessant zu erfahren, dass es auch un-orthodoxe Israelis gibt, und wie sie denken.
Eine Alternative wäre es aber diese Sendung abzuschaffen oder einen anderen Moderator einzusetzen, der seine Gäste auch zu Wort kommen lässt. Ein Mensch mit derart deutlichen narzisstischen Zügen wie Markus Lanz ist die falsche Besetzung.
Abraham Melzer
Jüdischer Verleger und Publizist