Israels Krieg

Aus der Haaretz kann man durchaus pessimistische Stimmungen in Israel erfahren; so schreibt ein Leser,

„…In naher Zukunft werden Säkulare in Israel keine Zukunft mehr haben. Die liberalen Juden sind schon jetzt eine Minderheit, die in großer Zahl auswandert. Die messianischen Siedler, die rechten Nationalisten und Anhänger der Religion, und die Haredim bringen schon heute die Hälfte der geborenen Kinder in Israel zur Welt. Israel ist auf dem Weg, ein Staat der Dritten Welt zu werden, der schwerlich in der Lage sein wird, die Mittel zur Verfügung zu bekommen, um gegen den feindlichen islamischen Ozean, der die Insel Israel umbraust, zu erhalten. Wer sich aus Israel flüchten kann, aber bleibt – übt Verrat an seinen Kindern……“

Antisemitismus mitten im jüdischen Israel? Für Leute wie Michael Wolffsohn vielleicht. Denn er preist ja gerade, dass jährlich 10.000 Juden Frankreich Richtung Israel verlassen, und dass die Gebärfreudigkeit der religiösen Szene den Weg in ein rechtes Israel pflastert. Er ignoriert offenbar den Abgang einer wahrscheinlich ebenso großen Zahl liberaler Juden aus Israel. „Kein Verlust“, war so eine Antwort aus der Kampfzeit bei der SA, wenn sich Liberale abwandten.. Ist in Israel inzwischen eine „Kampfzeit“ ausgebrochen? Innenpolitische Kampfzeit mitten in einem Krieg? „Bibi“ will den Krieg bis zum Endsieg durchfechten. Wen will er besiegen?  In der NZZ wurde ein Kommentar von Andreas Ernst zu dieser Frage veröffentlicht, dass

„…. Israel in die Falle der Hamas tappe. Die Terrorismusforschung habe aufgezeigt, wie Gesellschaften gegen politische Gewalt vorgehen sollen. Doch Israel missachtet im Kampf mit der Hamas wichtige Regeln. … Denn Terror ist nicht blinde Gewalt. Terror ist Gewalt in politischer Absicht: Die Täter wollen Reaktionen im angegriffenen Staat und in seiner Gesellschaft provozieren, die sie ihrem Ziel näherbringen. Das hat auch das Massaker der Hamas Anfang Oktober gezeigt. Die Täter fielen in Südisrael ein, ermordeten 1200 Personen – Männer, Frauen, Kinder und Säuglinge. Nicht genug, sie dokumentierten ihre Brutalität auf Videos, die sie verbreiteten. Erst mit der öffentlichen Inszenierung der Gewalt entfaltet der Terror die volle Wirkung: Angst, Unsicherheit, Hass und den Wunsch nach Vergeltung.

Die Hamas will die Zerstörung Israels. Dafür ist sie militärisch viel zu schwach. Sie ist aber stark genug, um mit ihrem Terror Israel einen Krieg aufzuzwingen. Terror ist eine Methode, die immer die Eskalation im Sinn hat. Die Hamas-Führer hoffen, dass der Krieg sich ausweitet – vom Gazastreifen auf das Westjordanland und wenn möglich auf die ganze Region.

Die Terroristen setzen darauf, dass die Antwort der israelischen Armee zu einer doppelten Mobilisierung führt. Tod und Zerstörung, Hoffnungslosigkeit und Demütigung in Gaza sollen eine neue Generation von Kämpfern und Terroristen für die palästinensische Sache rekrutieren. Gleichzeitig mobilisieren die Nachrichten und Bilder von der humanitären Katastrophe die «Weltmeinung» gegen Israel. Im Informationskrieg ist die militärische Asymmetrie zwischen den Gegnern aufgehoben: Die Hamas und ihre Sympathisanten haben mindestens so lange Spieße wie die israelische Regierung. Seit Kriegsbeginn warnen Terrorismusexperten davor, dass das Kalkül der Hamas aufgehen könnte. Israel sollte die Mahnungen aus der Terrorismusforschung ernst nehmen. Die vielleicht wichtigste lautet: Israel ist auf dem Weg, in die Falle zu gehen, welche die Hamas gestellt hat……..Israel ist nicht in seiner Existenz bedroht …….. Doch die israelische Regierung stellt die Bedrohung durch die Hamas als existenziell dar. Manche Medien vergleichen den Angriff mit dem Holocaust, und Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zieht in Interviews eine Parallele zwischen dem Krieg gegen die Hamas und dem Niederringen Nazi-Deutschlands. Auch ausländische Politiker wie der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen von einem «Kampf um die Existenz Israels». Das ist falsch und der erste Schritt in die Falle.

Denn die Existenz des Landes war nie wirklich infrage gestellt, weder an dem schwarzen 7. Oktober noch seither. Dieses Narrativ ist vielmehr ein Erfolg für die Hamas, weil es ihr Bedrohungspotenzial überhöht. Damit wächst ihr symbolisches Kapital – und davon profitieren Terrororganisationen mehr noch als von Sprengstoff und Raketen. Dieses Narrativ hat auch die Reaktion der israelischen Regierung auf den Angriff bestimmt. Wenn das Land existenziell bedroht ist, das leuchtet ein, muss es den Gegner vernichten. Doch das wird nicht möglich sein. Denn die Hamas ist nicht nur eine Terrororganisation. Sie hat auch einen politischen Arm und kontrolliert den Gazastreifen. Wer sie ausschaltet, muss sie als Ordnungsmacht ersetzen. Das läuft auf einen «regime change» hinaus – und ist der zweite Schritt in die Falle.

Seit Kriegsbeginn haben angesehene Terrorismusforscher wie Daniel Byman oder Audrey Kurth Cronin genau davor gewarnt. Auch in Israel wird die Strategie der Regierung Netanyahu vom ehemaligen Mossad-Chef Tamir Pardo als «Panikreaktion» kritisiert. Israel, so argumentieren die Experten, hätte mit kühlem Kopf ein realistisches Kriegsziel bestimmen sollen. Stattdessen setzte die unpopuläre Regierung auf Vergeltung und Vernichtung. Damit stellt sie Weichen, die das Schicksal des Landes auf Jahre hinaus bestimmen werden.

Die Amerikaner haben in den letzten zwanzig Jahren Erfahrungen mit Versuchen von «regime change» gemacht, zuerst in Afghanistan, dann im Irak. Der militärisch herbeigeführte Sturz der Taliban und später derjenige von Saddam Hussein zogen die USA in Abnützungskriege, die «forever wars», die sie nicht gewinnen konnten.

Wer ein Regime von außen stürzt, muss entweder als Besatzer vor Ort bleiben oder einen zuverlässigen Stellvertreter installieren. Israel wird also auf die eine oder andere Art wieder zuständig sein für Sicherheit und Ordnung in Gaza. Damit schnappt die Falle zu. Die Amerikaner nennen es «mission creep», das Feststecken im Sumpf eines Konflikts.

Es scheint, dass Israels Kriegsplan tatsächlich in diese Richtung geht. Verteidigungsminister Gallant spricht von einem Dreiphasenplan: 1. Vernichtung der Hamas durch eine Invasion. 2. Liquidierung von verbleibenden Widerstandsnestern. 3. Aufbau eines neuen Sicherheitsdispositivs und der direkten israelischen Verantwortung für Gaza. Es ist die Kopie des Konzepts, mit dem die Amerikaner in ihren Anti-Terror-Kriegen gescheitert sind. Auch dass arabische Staaten oder dass die Uno in Gaza ein Protektorat betreiben werden, erscheint illusorisch.

Selbst wenn es gelingt, den militärischen Arm der Hamas zu vernichten, wird eine Nachfolgeorganisation entstehen. Ohne großen logistischen Aufwand wird sie den Kampf mit Anschlägen und Geiselnahmen führen. Damit wird sie die Besatzer auf Dauer zermürben. Doch anders als die Amerikaner in Afghanistan oder im Irak werden die Israeli keine einheimischen Verbündeten in Gaza finden. In Afghanistan gab es Teile der Bevölkerung, die den Amerikanern dankbar waren, als 2001 das Taliban-Regime fiel. Ähnlich ging es vielen Kurden und Schiiten zwei Jahre später beim Sturz von Saddam Hussein.

Israels Kriegsführung schwächt die Hamas militärisch, stärkt sie aber politisch. In Gaza sind in 7 Wochen mehr Zivilisten ums Leben gekommen als in der Ukraine in 21 Kriegsmonaten. Die Ablehnung der Hamas, die es bei der Bevölkerung durchaus gab, ist im Bombenhagel pulverisiert worden. Israel treibt mit seiner massiven Gewalt die Palästinenser in die Arme der Hamas.

Nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen, auch im Westjordanland und in der Diaspora gewinnt die Behauptung der Terroristen an Plausibilität: Die Hamas ist die Widerstandsbewegung Palästinas. Auch das ist eine Lehre der Kriegsgeschichte: Wenn es Bomben hagelt, klammern sich die Wehrlosen an jene, die Waffen tragen. Die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg hat die Bevölkerung nicht gegen das Nazi-Regime aufgebracht. Im Gegenteil…..“

Das ist „Israel“, es sind aber nicht „die Juden“ schlechthin; es sind die Juden, die sich am markantesten als Juden profilieren. Seit diese ihren eigenen Staat haben und nun wirklich beherrschen, setzen sich diese über alle Regeln hinweg. Es wurde schon angekündigt, dass Israel die Hamas-Leute wie die Attentäter von „München 1972“ jagen werde. Soso. Werden auch wieder unschuldige marokkanische Kellner in Norwegen abgeknallt? Man kann sich schon vorstellen, welche Menge an Schlagzeilen diese Herrschaften veranlassen werden. Pech für die deutsche Diaspora; die deutsche Presse ist nicht mehr in jüdischer Hand. Somit nützt diese Aktivität der Diaspora nicht, aber gleichzeitig läuft auch Israel die Gefahr so dargestellt zu werden, dass die letzten Sympathien verloren gehen.

Welche Abhilfe ist denkbar? Vielleicht ein UN- oder US-Protektorat über Gaza, oder nicht gleich eines über Gesamtpalästina „from the River to the Sea“?

von Lobenstein

 

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