Maybritt Illner: „Man muss Netanjahu kritisieren“

Wie weit darf Israelkritik gehen? fragt sich Jannis Koltermann in der FAZ vom 17.5.24. Nicht weit. Auch

Bei Maybrit Illner verurteilt man einhellig den Antisemitismus bei propalästinensischen Protesten. Das ist löblich, aber wenig aufschlussreich.

ohne von diesen handverlesenen Herrschaften und Dämlichkeiten eine Antwort zu erhalten, weiß man Bescheid. Die FAZ sinniert weiter:

„ „Protest gegen Israel – was unterscheidet Kritik von Hass?“ Die Titelfrage Maybrit Illners stellen sich momentan vermutlich viele Deutsche. Laut Umfragen sieht eine Mehrheit von ihnen Israels Vorgehen im Gazastreifen mit zunehmender Sorge (eine sehr vorsichtige Formulierung), während eine Minderheit antisemitische Vorstellungen vertritt und beispielsweise Israels Existenzrecht leugnet („leugnen“, also wider bessre<es Wissen verneint oder neutraler „in Abrede stellt“? Illner geht selbst gleich in volle Deckung, Koltermann ebenso). …….Schon bei einem Blick auf die Gesprächspartner konnte einen freilich die Ahnung beschleichen, dass die Sendung dieser komplexen Frage kaum gerecht werden würde. ….. In Zeiten, in denen Auftritte von AfD-Vertretern in Talkshows gang und gäbe sind, darf man schon fragen, warum nicht zumindest ein Gast dabei war, der mit Sympathien für die propalästinensischen Proteste hervorgetreten war. Weshalb nicht einen der Berliner Dozenten einladen und in der Auseinandersetzung mit ihm die Grenzen der Israelkritik ausloten? Die Suche nach akzeptablem Protest beschränkte sich denn auch auf Phrasen wie „natürlich darf und muss man Netanjahu kritisieren“ (Warum Netanjahu und nicht Gantz oder Gallant, erfährt kein Mensch). Ansonsten konzentrierte man sich lieber auf Ausfälle während der jüngsten Aktionen, die man in großer Einigkeit kritisieren konnte. Maybrit Illner wollte diese Harmonie offenbar nicht stören: Anstatt aus ihren Gesprächspartnern herauszukitzeln, warum Genozid- und Apartheid-Vorwürfe unangemessen seien, obwohl sie vielen Menschen auf der Welt offenbar gerechtfertigt scheinen, bezeichnete sie diese schon in ihren Fragen als „verrückt“ und „absurd“, sodass ihre Gäste nur noch zuzustimmen brauchten……So diskutierte man nicht, welcher Protest legitim sei und welcher nicht, sondern sprach lieber darüber, woher der offensichtlich illegitime Protest komme und was man gegen ihn tun könne. Auch hier hörte man wenig, was man nicht schon Dutzende Male gehört hatte….“

Walter Frank (in: Vorwort zu Wilhelm Grau in : „Die Judenfrage als Aufgabe der neueren Geschichtsforschung) schrieb schon 1935, dass

       die deutsche Gelehrtenwelt von dem gefahrvollen Forschungsfeld der Judenfrage sich ferngehalten haben…“

In der Tat: ein falsches Wort, und schon wird man in die Ecke des Antisemitismus gestellt. Die ungelehrte Journaille fürchtet eine solche Etikettierung erst recht. Selbst bei objektiven Zahlen wagt es niemand, diese zu werten: bedeuten 36.000 tote Zivilisten bereits Völkermord? Natürlich nicht, wenn man die Gazaner als Teil der arabischen Nation (100.000.000 Menschen) versteht. Innerhalb dieser Nation bringen sich die Leute in ähnlichen Größenordnungen seit Jahrhunderten um. Aber warum hinterfragt man nicht, dass die moralischste Armee der Welt auf arabisches Niveau abgesunken ist und in entsprechendem Maßstab Zivilisten zu Schaden kommen lässt? Selbst Haaretz notierte indigniert, dass sich die israelische Gesellschaft wegen der in die Tausende gehenden Kinderleichen unbeeindruckt verhalte.

Unabhängig von den Zuständen in Gaza veranstaltete der NDR eine Dokumentation über Namibia (wo die Deutschen die Hottentotten massakriert hatten, aber die Wertung als Völkermord bestreiten), die der NDR inzwischen canceln und aus der Mediathek nehmen musste. Die FAZ schreibt dazu (20.5.24)   

Die umstrittene Namibia-Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ wurde nun aufgearbeitet. Ergebnis: Gegen den Staatsvertrag wurde verstoßen. In vielerlei Hinsicht missglückt, die Macher überfordert, das Ergebnis nicht mehr korrigierbar. …. Die Dokumentation wird nie wieder gezeigt. Das Forum deutschsprachiger Namibier (FDN) äußerte sich ebenso: „Dieser Film ist voller Fehler, schlecht recherchiert und in vieler Hinsicht missverständlich, obwohl das Filmteam die Fakten problemlos hätte korrekt in Erfahrung bringen können. Es sind gerade diese Nachlässigkeiten – gewollt oder ungewollt –, die Namibia als Land, seine Geschichte und seine Einwohner in ein völlig falsches Licht rücken.“ Protagonistin Naita Hishoono wird in dem Film als hererostämmig dargestellt. In Wirklichkeit stammt Hi­shoono aus dem Volk der Ovambo und spricht als in der DDR aufgewachsenes Kind fließend Deutsch. Gegenüber der „Bild“-Zeitung sagte sie: „Ich habe den Eindruck, ich sollte als wütende schwarze Frau dargestellt werden. Ich hatte schon beim Dreh das Gefühl, es ginge in eine falsche Richtung.

So ist es mit der Behandlung „der Judenfrage“ bzw., den Juden- und Israelfragen ähnlich. Warum muss Netanjahu kritisiert werden, aber anderer Akteure sind vor jeder Kritik geschützt?. Das hat mit Namibia, mit Israel und den Juden gar nichts zu tun, sondern ausschließlich mit Deutschland. Die Medien, speziell die Rundfunkanstalten sind in der Hand einer morbiden Schicht gescheiterter Pfarrer, Lehrer, Juristen und Politikwissenschaftlern, die noch nicht einmal die Regeln der Logik beherrschen. Man verlangt von diesen Leuten nur, flüchtige Artikel für kurze „Lesedauer“ zusammenzuschreiben, die sich kein Mensch eine Woche später noch einmal vornehmen wollte. Die wissenschaftliche Leistung liegt schon mangels Ansprüche an deren Arbeit unter jeder Sau. Die zeitungswissenschaftliche Aufgabe, das Zeitgespräch zu vermitteln, wird nicht einmal gesehen, was die Auswahl der Teilnehmer an der Maybritt Illner-Runde krass belegt. Die Herrschaften vermitteln nicht die öffentliche Meinung, sondern versuchen sie zu „machen“ und zu manipulieren. Wie man diesem Übelstand Herr wird, mag jeder sich selbst ausdenken. Mit der Liquidierung der öffentlichen Rundfunkanstalten ist es wahrscheinlich nicht getan.

Das deutsche Denken ist ein beschränktes; der Deutsche denkt entsprechend seinem Auftrag; den erhält er vom Vater, Erbonkel, Lehrherrn oder Tutor: Der deutsche Mechaniker entwickelt großartige Maschinen und denkt nur so weit politisch, als die Politik ihn in seiner Arbeit geniert. Politisch braucht er deswegen klare Vorgaben: wer ist gut und wer ist böse. Dass in Gaza die Dinge derzeit bös laufen, bedarf eines künftigen Sündenbocks und für diesen wird „Bibi“ herhalten müssen.  Für deutsche Verhältnisse ist es Adolf Hitler, während die anderen alle irgendwie unschuldig waren. Vom Buch „Furchtbare Juristen“ (von Ingo Müller, 1986) will niemand mehr etwas wissen, weil die Richter gut sein sollen. Trotzdem: Mitte Mai 24 strahlte N-tv-info eine Dokumentation über den 2. Weltkrieg aus, die trotz der üblichen Ausrichtung zum Denken anregte: Schlacht von Kursk: Die Deutschen hatten 50.000 Mann verloren, die Russen noch mehr, so dass Feldmarschall Erich v. Manstein (in: „Verlorene Siege“) Ersatz anforderte, um die Schlacht noch zum siegreichen Abschluss zu führen (bzw. gewinnen zu können). Der Führer ließ sie aber abbrechen. Der Sender meinte, Kursk sei die eigentliche Wende des Weltkriegs gewesen. Zur gleichen Zeit kapitulierte das deutsche Afrika-Korps. Offenbar glaubte der Führer nicht mehr an einen Sieg, und wollte nur noch den Besitzstand verteidigen.

Hier könnte das selbständige Denken einsetzen: Unterstellt, der Führer hätte vor Kursk den Krieg amtlich für verloren gegeben und hätte kapitulieren wollen? Schon Churchill lästert in seinen Büchern, dass die Deutschen 1918 mitten im Feindesland kapituliert hätten, 1943 wäre die Situation noch krasser gewesen; die Deutschen hielten Europa besetzt und hätten vor den Amerikanern in Afrika kapitulieren sollen? Was wäre wahrscheinlich gewesen, wenn der Führer diese Konsequenz hätte ziehen wollen? Adolf Hitler hätte das Schicksal König Ludwigs II von Bayern oder das König Wilhelms IV von Preußen geteilt: Ab ins Irrenhaus: aus Pietätsgründen vielleicht unter Bewachung durch Ärzte wie Ernst Kretschmer auf dem Berghof. Das OKW hätte bekannt gegeben, dass der Führer angesichts der Niederlagen in Afrika und Stalingrad und nun die Gefahren vor Kursk vor Augen nervlich zusammengebrochen wäre, und das man ihn in ein Sanatorium eingeliefert hätte. Eine „Junta“ der Generalität aller Teilstreitkräfte hätte die Führung des Reichs übernommen, bla bla….. Herausgekommen wäre auch nichts anderes als die Kapitulation in Berlin Karlshorst. Der Führer hätte allerdings kaum mehr überzeugt als Sündenbock. Es wäre wirklich schwierig geworden für das simple deutsche Gegenwartsbild.

Heute haben wir für den Weltkrieg einen Sündenbock und Aussicht, einen Kapparotgockel für den kleineren Gazakrieg zu bekommen. Aber helfen uns die Sündenböcke wirklich, unsere Sünden loszuwerden? Natürlich nicht. Denn diese schleppen wir wie eine alte Krankheit fort. Facit: Man darf Netanjahu nicht kritisieren. Er macht letztlich nichts, was andere nicht auch machen würden. Er agiert, wie man von ihm erwartet, was Gallant ihm vorschlägt, was die Mehrheit im Kabinett gutheißt und letztlich das Volk wünscht. Auch für „Bibi“, den Tigerreiter, ist es schwierig, von dem Raubtier abzusteigen. Hütet euch als vor jedem Personenkult, auch vor dem negativen. Wer wagt es, Knappersmann oder Ritter, den Tiger zu kritisieren?

von Lobenstein

 

 

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