Meinungsfreiheit unter Druck – Israelkritik und Antisemitismusvorwurf*

von Johannes Feest

Die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) ist in Deutschland normativ gut geschützt. Der Nahostkonflikt und die seit 50 Jahren andauernde Okkupation des Westjordanlandes beginnen jedoch die Meinungsfreiheit ernsthaft zu gefährden. Kritiker der Politik der israelischen Regierung sehen sich mit Veranstaltungsverboten, dem Entzug von Lehraufträgen, Publikationsbehinderungen u.ä. konfrontiert. Eine Liste derartiger Vorfälle umfasst bisher 77 Positionen, davon allein 44 seit 1.1.2016 (erhältlich bei christoph.rinneberg@t-online.de)..

Zur Begründung der Behinderungen wird dabei vielfach ein Antisemitismusbegriff ins Feld geführt, der auch Kritik am Zionismus oder an der Politik der israelischen Regierung als antisemitisch klassifiziert (vgl. KRIMPEDIA http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/index.php/Antisemitismusbegriff). Als ein Hauptbeispiel für diesen „neuen Antisemitismus“ gilt die transnationale BDS-Kampagne, welche versucht, Israel durch „Boycott, Divestment and Sanctions“ (vgl. Wikipedia) zur Beendigung der Okkupation zu veranlassen. 

Herausragende Beispiele

* 07.04.2016: Vortrag des Lehrers Christoph Glanz über „BDS- die palästinensische Menschenrechtskampagne gegen Apartheid, Besatzung und Rassismus“ in der Evangelischen Studentengemeinde Oldenburg muss wegen Protesten abgesagt werden. Ein gegen den Lehrer angestrengtes Disziplinarverfahren wird erst Anfang 2017 eingestellt.

* 23.09.2016: Verhinderung des Vortrags des deutsch-jüdischen Verlegers Abi Melzer in München zum Thema „Antisemitismus – heute“. Auf Intervention der Münchner Stadtverwaltung zieht das „Eine-Welt-Haus“ die gemachte Zusage zurück. Es sei zu befürchten, „dass die Grenze von Israel-Kritik zu Antisemitismus überschritten werde“ (für Details vgl. LG München, 30.11.2016 – Az.25 O 177754/16).

* November 2016: Ausstellung „NAKBA – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“, von zwei Hochschullehrern in Räumen der Universität Göttingen geplant, muss kurzfristig in private Räume verlegt werden. Das American Jewish Committee und der Fachschaftsrat Sozialwissenschaften der Uni Göttingen hatten eine Absage gefordert. Die Rektorin hatte Verschiebung bis zu einer externen Begutachtung verlangt.

* Januar 2017: Eleonora Roldan Mendevil, Lehrbeauftragte an der FU Berlin (Lehrveranstaltung „Rassismus im Kapitalismus“) wird Anfang Januar 2017 suspendiert. Sie hatte in einem Blog Israel als „Kolonialstaat“ bezeichnet. Es kommt „zur Untersuchung der Vorwürfe einer israelfeindlichen oder gar antisemitischen Publikationspraxis“. Nach einem Gutachten von Wolfgang Benz müssen die Vorwürfe im Juli 2017 zurückgenommen werden.

* Mai 2017: Thementag „50 Jahre israelische Besatzung – Wir dürfen nicht schweigen“, veranstaltet von KPS Kairos, kann nicht wie vorgesehen im Tagungszentrum der Katholischen Akademie e.V. in Berlin stattfinden. Die Kündigung des Mietvertrages wird vom LG Berlin (10.05.2017 -29 O 218/17) bestätigt. Der Titel sei „geeignet, in der Öffentlichkeit eine antiisraelische Ausrichtung der Veranstaltung zur Wahrnehmung zu bringen, da er als Aufruf gegen die israelische Besatzung aufgefasst werden kann“.

* 09./10.Juni 2017: Tagung des Koordinationskreises Palästina Israel (KoPI) in Frankfurt/M. zum Thema „50 Jahre israelische Besatzung“. Unter dem Druck öffentlicher Proteste und einer persönlichen Aufforderung durch den zuständigen Bürgermeister, kündigt der private Vermieter den Mietvertrag mit den Veranstaltern, weil er um weitere Aufträge der Stadt Frankfurt fürchtet. Das AG Frankfurt erklärt diese Kündigung für rechtswidrig und verpflichtet den Vermieter, den Veranstaltern die Räume zu überlassen (4.5.2017-Az. 33 C 1169/17 (67).

* 25.08.2017: Beschluss des Magistrats der Stadt, wonach in Frankfurt am Main keinerlei Räumlichkeiten oder Flächen für BDS-Aktivitäten zur Verfügung gestellt werden und auch Zuschüsse an Vereine oder Organisationen verwehrt werden sollen, welche die „antisemitischen Aktivitäten von BDS“ unterstützen. Dies soll für städtische Räumlichkeiten und Räume von städtischen Gesellschaften gelten. Gleichzeitig appelliert der Magistrat auch an private Vermieter in der Stadt, ebenso zu verfahren.

* 03.10.2017: Vortrag von Judith Bernstein über „Jerusalem- Herzstück des israelisch-palästinensischen Konflikts“. Die Tagungsstätte „Gasteig“ München kündigt den Mietvertrag, da einige Mitveranstalter der BDS-Kampagne nahe stehen. LG München hebt die Kündigung per einstweiliger Verfügung auf (30.09.2017).

* 13.10.2017: Buchvorstellung „Die Antisemitenmacher“ soll anlässlich der Buchmesse in Frankfurt stattfinden. Die Saalbau Betriebsgesellschaft (Tochter des AGB Holding, Besitz der Stadt Frankfurt) kündigt den Mietvertrag. Das LG Frankfurt hebt die Kündigung auf (LG Frankfurt 9.10.2017- 33 C 30061/17 (67).

* Januar 2018: der Preis „Aufrechter Gang“ soll von der Humanistische Union München-Südbayern an Judith und Reiner Bernstein verliehen werden, für deren bürgerschaftliches Engagement, insbesondere bei der Aktion „Stolpersteine für München“ und ihr Eintreten für eine friedliche Lösung des Israel-Palästina- Konflikts. Das von der HU angefragte „Gasteig“ weigert sich erneut, diesmal unter Berufung auf eine geplante Verfügung des Stadtrates.

Wie sind diese Beispiele zu bewerten?

Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gilt gemeinhin als klassisches Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen. Bei staatlichen Eingriffen in die Meinungskundgabe können sich die Bürger auf dieses Grundrecht berufen, es sei denn, dass die staatliche Maßnahme durch die in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken gerechtfertigt ist (allgemeine Gesetze, Jugendschutz, Recht der persönlichen Ehre). Eine solche Schranke stellt in erster Linie der § 130 StGB dar (Volksverhetzung durch Beschimpfung, Verächtlichmachung, Verleumdung einer Bevölkerungsgruppe; Auschwitzleugnung). Keine im Grundgesetz vorgesehene Schranke des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist die vom Deutschen Bundestag am 04.11.2008 (Drs. 16/10775) beschworene Solidarität mit Israel als „unaufgebbarem Teil der deutschen Staatsräson“. Kritik an der Besatzungspolitik der israelischen Regierung, auch die Befürwortung der BDS-Kampagne ist daher von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Allenfalls in den genannten Fällen des Art. 5 Abs. 2 GG darf der Staat intervenieren. Darüber hinausgehende Forderungen nach staatlichem Einschreiten sind illegitim und müssten von den zuständigen Organen deutlich zurückgewiesen werden. Mir ist aber nur ein einziger Fall bekannt, wo ein Verwaltungsgericht dies getan hat (VG Freiburg 05.03.2013 gegen die Universität, welche eine Veranstaltung des „Café Palestine“ in der Universität nicht gestattet hatte).

Der Staat ist allerdings, nach juristisch herrschender Meinung, nicht verpflichtet, jegliche Meinungen positiv, durch finanzielle Zuschüsse, Zurverfügungstellen von Räumen etc. zu fördern; er muss sein Ermessen aber „pflichtgemäß“ ausüben. Zu beachten ist dabei die Rechtsprechung des EGMR, wonach aus Art. 10 EMRK „positive staatliche Verpflichtungen“ im Zusammenhang mit der Meinungsäußerungsfreiheit folgen. Der Staat ist verpflichtet, ein „günstiges Umfeld für die furchtfreie Teilnahme am politischen Diskurs zu schaffen“ (Dink v.Turkey, 14.09.2010).

Auch Privatpersonen und Organisationen können die Meinungsfreiheit ausdehnen oder einschränken, indem sie sich bei der Vergabe von Räumen auf die Vertragsfreiheit berufen, wenn ihnen die Ausrichtung der Veranstaltung nicht zusagt. Häufig bestehen jedoch finanzielle Abhängigkeitsbeziehungen zwischen gemeinnützigen Vereinen und Verbänden einerseits und staatlichen Stellen andererseits, eine für Deutschland typische, wenn auch ungeplante Folge des Subsidiaritätsprinzips. Entsprechende Abhängigkeiten und Druckmöglichkeiten bestehen auch bei den formell „autonomen“ Hochschulen. Zu fordern ist aber, dass auch die Zivilgerichte bei der Auslegung der einfachrechtlichen Normen Art. 5 GG berücksichtigen.

Feest, Johannes, geb. 1939, Dr. Soz.-Wiss., Universitätsprofessor im Strafrecht (i.R.), Universität Bremen, Veröffentlichungen vor allem zu Polizei und Strafvollzug.

  • Dieser Text lag der Redaktion des GRUNDRECHTE-REPORT 2018 vor. Eine Publikation wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt. Der Gründer und Mitherausgeber des Grundrechte-Report, Till Müller-Heidelberg, hat mir folgende (von ihm ausdrücklich nicht geteilten) Gründe mitgeteilt: es „stände den Deutschen nicht zu, Israel zu kritisieren, Israelkritik sei praktisch gleichbedeutend mit Antisemitismus, der Grundrechte-Report dürfe sich nicht auf die Seite von BDS stellen und dessen Argumentation übernehmen“. Wenn schon in der Redaktion des Grundrechte-Report so argumentiert wird, dann unterstreicht dies, dass die Meinungsfreiheit bei dieser Thematik wirklich unter Druck ist..

3 Gedanken zu „Meinungsfreiheit unter Druck – Israelkritik und Antisemitismusvorwurf*

  1. Ein sehr wichtiger Beitrag! Es ist paradox, dass die Redaktion des Grundrechte-Reports diesen Beitrag zu veröffentlichen mehrheitlich abgelehnt hat. Welches Grundrechte-Verständnis hat man dort?

  2. Es ist eine schon seit langen zu beobachtende Tendenz vorhanden, abweichende Meinungen vom politischen Grundkonsens der Bundesrepublik als „verfassungsfeindlich“ einzuordnen. Mittlerweile sind es auch viele Linke, die, vollkommen vergangenheitsvergessen, auf diesen Zug aufspringen. Die Krönung des Ganzen ist die Ausdehnung der Antisemitismusverdächtigung auf jedweden Kritiker der Politik des Staates Israel. Als bittere Erkenntnis bleibt: es gibt derzeit keine nenneswerte politische Partei, die wirklich für Meinungsfreiheit eintritt. Ein Armutszeugnis für Deutschland!

  3. Israel-Flagge und Davidstern

    In der Diskussion um die Verbrennung von selbstgebastelten Israel-Flaggen überschlagen sich seit Tagen deutsche Politiker jeder Couleur, diverse Institutionen und Medien in undifferenzierten Antisemitismus-Vorwürfen, devoten Solidaritätsbekundungen gegenüber Israel und dem Ruf nach schärferen Demonstrationsgesetzen.

    Auffallend ist, dass jene am lautesten aufschreien, die sich noch nie oder selten mit Kritik hervorgetan haben an der das Leben der Palästinenser zur Hölle machenden israelischen Kolonialpolitik.

    Auffallend ist auch, dass in der Argumentation Israelkritik als „Israelhass“ stets vermischt wird mit Antizionismus und Antisemitismus. Dazu trägt auch bei die neue Studie des American Jewish Committees(AJC) in Zusammenarbeit mit der Universität Potsdam und Deidre Berger vom AJC-Berlin. Es sieht nicht danach aus, dass bei eindeutig antisemitischen Äusserungen arabischstämmiger Bürger auch einmal nach den eigentlichen Ursachen gefragt wird. So dürfte es bald darauf hinauslaufen, dass Israelkritik in Deutschland kriminalisiert wird.

    Das Verbrennen eines Davidsterns ist eindeutig eine Verunglimpfung des gesamten Judentums und ist als antisemitische Handlung zu ahnden. Dagegen ist das Verbrennen der Flagge Israels, die nun einmal den Davidstern enthält und die sich unzweifelhaft nur auf den Staat Israel auch mit seiner nichtjüdischen Minderheit bezieht, der Ausdruck eines zugespitzten, zornigen Protestes gegen die Politik dieses Staates. Die Verbrennung der den Bär enthaltenden Flagge Berlins, gibt den Tierschützern auch nicht das Recht, die Täter wegen Verletzung des Tierschutzgesetzes zu verklagen.

    15.12.17 W.Behr 88634 Herdwangen-Schönach

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