Jedes Denken verlangt eine logische Gliederung der Denkebenen und eine Ordnung der Gedankengänge. Beides braucht saubere sprachliche Begriffe. Platons Dialoge sind die Grundlage humanistischer Bildung, deren Träger sachlich diskutieren.
Die moderne Erziehung verzichtet darauf. Denken wird zu einer vagen Angelegenheit. Es werden immer neue Schlagworte für diffuse Begriffsmengen in die Sprache eingeführt. Im Niedergang unserer Zivilisation wird alles aufgemischt und vermatscht, etwa so: Antisemitismus ist gegen Juden gerichtet. Die Palästinenser sind gegen Juden eingestellt, und folglich sind sie Antisemiten.
Wertung wird zur Grundlage von Tatsachenfeststellungen. Nach der aristotelischen Logik müsste es umgekehrt sein. Aber mit dieser Logik käme man nicht zum Schluss, dass Palästinenser Antisemiten seien.
Die Rabbiner verbieten, an den Talmud die Prinzipien aristotelischer Logik, speziell die Technik des Dreisatzes anzulegen. Der Talmud bietet einen Viersatz als Ersatz. Das klassische Bespiel sind die Begriffspaare schnell/langsam und lernen/vergessen. Man kann das erste Gegensatzpaar auch mit kaufen/verkaufen kombinieren. Schnell lernen und schnell vergessen wird noch überboten durch langsames lernen und schnelles Vergessen, so dass schnelles Lernen und langsames Vergessen ideal wären. Funktioniert es mit dem zweiten Begriffspaar? Da kommt es ganz auf die Ware an: verderbliche Waren müssen schnell gekauft und schnell wieder verkauft werden; ein schnell gekauftes Kunstwerk verlangt ein langsames Verkaufen. Mit der Denktechnik des Talmud kommt man nicht weit: nähme man die Begriffspaare Jude/Palästinenser und gut/böse, dann stieße man auch auf die Kombination „böser Jude und böser Palästinenser“. Das wäre bereits politisch anrüchig, weil „der Jude“ automatisch auf das Begriffspaar gute Jude/böser Palästinenser fixiert wird. Damit fällt das politische Denken mit der Absage an die Logik und mit der Wahl der Begriffspaare im Zeitgespräch bereits aus.
Das wäre nicht so schlimm, wenn die Tragik regional auf die Kriegsparteien in Gaza und Umgebung beschränkt bliebe. Sie greift aber auf Europa über:
Im Schweizer Tagesanzeiger wurde die Behauptung von Peter Cywinski in den Raum gestellt, dass
«Auschwitz viel näher sei, als es scheine. Die Erfolge populistischer Parteien und der zunehmende Antisemitismus beunruhigen, denn das Grauen könne sich wiederholen…..“
So etwas zu schreiben ist eigentlich aus zwei Gründen unzulässig. Einmal wird mit „den Populisten“ und dem zunehmenden Antisemitismus ein Begriffspaar hergestellt, für das die Zusammenstellung schon unsachlich sein dürfte. Während der Corona-Zeit wurde dem „populistischen“ Corona-„Leugner“ auch eine Affinität zum Holocaustleugnen unterstellt und der „Impfmuffel“ (!) als Antisemit in Misskredit gebracht. Israel war damals ein Land, wo die Impferei zum Exzess betrieben wurde.
Zweitens ist „Auschwitz“ ein Synonym für „Holocaust“, und der sei einmalig. Er lässt sich mit anderen „genozidalen“ [neue Wortschöpfung der Gaza-Völkermordleugner] wiederholen. Ein evangelischer Pastor, der schwere Verbrechen gegen Menschen (z.B. Kongo und Armenien) in einer Liste mit dem Holocaust aufzählte, wurde umgehend seines Amtes enthoben. Es entspricht einer ähnlichen Verharmlosung des Holocaust, wenn man behauptet, es brauche nur eine Mischung von Populismus und Antisemitismus, damit sich das Grauen von Damals wiederholen könne. Konrad Heiden meinte 1936, dass die Hitlerpartei ohne Hitler nicht lange überdauern könne. Gibt es denn irgendwo einen Mann von Hitlers Energie, dessen Fanatismus und mit dessen Massenberedsamkeit? Gibt es irgendwo ein Land mit der autoritären Struktur des ehemaligen Preußens? Gibt es irgendwo ein Land, das sich in einem vergleichbaren Existenzkampf befindet wie Deutschland nach 1918? Ja, „Palästina“ vielleicht. Aber das sind einschließlich der 2 Millionen israelischen Staatsbürger vielleicht 10 Millionen Araber insgesamt, die den Israelis total unterlegen sind. Es ist kein neuer Holocaust in Sicht.
Cywinski ist aber nicht der Einzige, der die Geschichte in unser harmloses Gegenwartsleben projiziert. Das Problem an solchen Narreteien ist, dass die Begriffe verschlissen werden.
Korenzechers Jüdische Rundschau wiederholt eine Ansicht der Juristin Yifa Segal, die er zu einer „Top-Juristin“ erklärt, nachdem sie seiner Zeitung ein Interview gab:
„Israel muss den Gazastreifen unter Kontrolle bringen und entnazifizieren“
Korenzecher befürwortet, dass Israel Gaza unter Kontrolle bringe. Soll er dürfen. Die israelischen Streitkräfte murksen seit mehr als 15 Monaten in Gaza herum, um das zu schaffen. Man erfährt täglich von Luftangriffen auf einzelne Gebäude, in denen Hamas-„Terroristen“ vermutet werden. Sogar Hilfskonvoys werden bombardiert, wenn man einen Fahrer vermutet, der mal bei der Hamas war.
Da gibt es ein altes deutsches Soldatenlied, in dem es heißt:
„…. Panzer und Flieger, schaffen´ s nie allein, können nie die Sieger, auf dem Schlachtfeld sein…..“
So ist es in Gaza: es ist kein Infanterist da, der heute sein Leben in Gefahr bringen will: Israel wird nie Sieger sein können. Wegen wechselnder strategischer Pläne sind zuerst Benny Gantz und dann Yoav Gallant aus dem Kriegskabinett (eigentlich Kriegstriumvirat) ausgeschieden. Anfänglich sollten sogar die Palästinenser in den Kongo expediert und Gaza jüdisch besiedelt werden. Nun wurstelt Netanjahu alleine weiter und wird durch weitere militärische Unternehmen in Syrien abgelenkt. Die Ungenauigkeit mit der „Kontrolle über Gaza“ erklärt Korenzecher:
„Yifa Segal , ehemalige Stabschefin des israelischen Botschafters in den USA hat mit einem Team israelischer Juristen einen Plan für den Gazastreifen entwickelt.“
Es geht also um die Frage, was mit dem Fell des Bären geschehen soll, wenn man ihn erlegt haben wird. Da sind die IDF gerad erst dabei. Die andere Aussage, Gaza solle „entnazifiziert“ werden, ist dagegen schwieriger zu erfassen. Korenzecher:
„….. Israels Sicherheit soll gewährleistet werden. indem der von Hamas und PLO geschürte Hass auf Israel, unrealistische Erwartungen der internationalen Gemeinschaft und die israelfeindliche Agenda der UN nicht mehr wiederholt werden. Seit 2007 scheint Israel in einer Endlosschleife gefangen zu sein: Nach jeder Schlacht rüstet die Terrororganisation wieder auf und erklärt Israel erneut den Krieg. Es gibt heute eine entscheidende Veränderung: Israel hat trotz internationalen Drucks beschlossen, die Kontrolle über die Sicherheitszone zwischen der ägyptischen Grenze und dem Gazastreifen zu übernehmen. Die Medien und die internationale Gemeinschaft verschweigen (sic! ), dass der Gazastreifen auch an Ägypten grenzt, von wo seit Jahren Raketen und hochentwickelte Waffen importiert werden, mit denen die Hamas israelische Zivilisten und Soldaten angreift.“
Was hat das mit „Entnazifizierung“ zu tun? Muss die internationale Gemeinschaft entnazifiziert werden, weil sie „unrealistischen Erwartungen hegt, die nazistisch wären? Wie kann man die Agenda der UN entnazifizieren? Also müsste doch nicht Gaza entnazifiziert werden. Versuchen wir, mit dem ursprünglichen Begriff weiterzukommen:
Die Anglo-Amerikaner stellten nach der Kapitulation Deutschlands die Deutschen gewisser Kategorien teils unter Arrest, teils internierten sie diese, und ließen sie durch „Spruchkammern“ nach ihrer Rolle während der vergangenen 12 Jahre befragen und einstufen; nach der Befragung erging ein Spruch, der die Befragten mit Haft, Berufsverboten, Geldstrafe und anderen Belastungen belegte oder sie entlastete oder als Mitläufer laufen ließ. Parallel dazu gab es Strafverfahren gegen die echten Kriegsverbrecher, die zum Teil gehenkt wurden (in Gaza sind diese bereits getötet). Die Anglo-Amerikaner schufen auch eine Gesetzgebung für Wiedergutmachungsverfahren auf Erstattung ehemals jüdischen Eigentums (was es in Gaza nicht gab). Wesentlich war für die Entnazifizierung Deutschlands, dass die Amerikaner auch die Beseitigung der von ihnen angerichteten Kriegsschäden finanzierten. Die Deutschen konnten in den USA Waren bestellen, wobei ein Marschallplan dem amerikanischen Lieferanten die Bezahlung durch die Deutschen verbürgte. Das amerikanisierte die westlichen Besatzungszonen und veränderte den politischen Boden, dessen Magerkeit nach dem Ersten Weltkrieg den Nationalsozialismus wie Brennnesseln hatte sprießen lassen.
Israel, ein Land nahe dem Staatsbankrott, wird keinen Marschallplan für Gaza auflegen können. Man würde sich auch wundern, wenn es die Palästinenser kreditieren würde. Ein Wiederaufbau durch arabische Kapitalisten würde eher eine neue Endlosschleife anlegen. Also müssen die Amis einspringen. Und folglich ist klar, warum Juristen gefragt sind: Sie müssen sich etwas ausdenken, was das US-Recht mittragen kann
Werden die „internationale Gemeinschaft“ den Wiederaufbau Gazas mit einem zweiten Marschallplan fördern? Natürlich, aber nicht zu Bedingungen, die sich ein Ben Gvir vorstellt. Die „Entnazifizierung“ Gazas nach Ben Gvir würde auf eine Annexion als Protektorat oder auf eine israelische Beherrschung als Generalgouvernement hinauslaufen, eine „echte Entnazifizierung“ könnte aus Gaza ein zweites Beirut machen. Das dürfe den Israelis allerdings missfallen.
Ein wenig darf man vielleicht träumen: Dass ganz Israel samt Gaza amerikanisch zivilisiert werden würde, und dass die Idee
„from the River to the Sea, Palestine will American be/
be Americanlike free”
trotz der kriminellen Meinungsunterdrückungspolitik und der Verfolgung von Pseudo-Antisemiten (z.B.) durch die Berliner Justiz eine Chance hätte, dass sie zumindest propagiert werden dürfte.
von Lobenstein