Verschwörungspraktiken

Im Schweizer Tageranzeiger konnte man am Morgen nach der Freilassung von 90 Sicherungshäftlingen aus Israel lesen, dass

„Netanyahu jetzt ums politische Überleben kämpft. Die Waffenruhe könnte ein allgemeiner Grund zur Erleichterung sein. Doch in Israel sehen das längst nicht alle so……

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu, bei einem Gerichtstermin im Dezember 2024. Foto: AFP

….. In Gaza haben am Sonntagvormittag (19.1.) die Kämpfe ihr Ende gefunden. Drei junge Frauen kamen zurück nach Israel, 30 weitere Geiseln sollen ihnen in den kommenden Wochen folgen. Es rollen Lastwagen mit Hilfslieferungen aus Ägypten in Richtung Gaza. Für Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bedeutet dieser Sonntag nicht nur den Beginn weiterer Gespräche mit den Palästinensern, vielmehr haben für ihn auch komplizierte Verhandlungen in eigener Sache begonnen. Er steckt mitten in der Auseinandersetzung mit seinen Koalitionspartnern, die sein politisches Überleben sichern. Der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, und dessen Partei traten schon Sonntagfrüh aus dem Kabinett aus. Sie und ihre Anhänger wollen den Kampf in Gaza bis zum Sieg über die Hamas durchfechten. Viele von ihnen träumen davon, den Küstenstreifen jüdisch zu besiedeln. … Smotrich, der bisher in der Regierung geblieben ist und Netanyahu auf diese Weise eine dünne Mehrheit sichert, sieht sich nun mehr denn je in der Position, Forderungen zu stellen: Er will, dass die Kämpfe im Gazastreifen wieder aufgenommen werden und teilte mit, dass er eine Übernahme des Gebiets durch Israel wünscht. Die kommenden sechs Wochen, in denen mit der Hamas eigentlich über eine dauerhafte Waffenruhe verhandelt werden soll, sind für Smotrich genauso entscheidend: für die Umsetzung seiner Interessen. Donald Trump, der seit 20. Jänner wieder US-Präsident ist, hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er im Nahen Osten Ruhe wünscht. Trump liegt eine Annäherung an Saudi-Arabien am Herzen, die Verbesserungen für die Palästinenser verlangt. Zu groß sind die Erschütterungen, die der Gazakrieg in der arabischen Welt hinterlassen hat. Für Netanyahu hat also ein politischer Seiltanz begonnen….  Sich als Bewahrer der nationalen Sicherheit Israels zu inszenieren,  könnte durchaus schiefgehen..“

Rückblickend betrachtet, ist der Gaza-Krieg in Bezug auf die Geiseln vollkommen überflüssig geführt worden. Die Geiseln hätten schon zu „Weihnachten 23“ frei sein können, wenn man sie gegen palästinensische Häftlinge ausgetauscht hätte. Kriegs- und Interventionsgründe gab es auch ohne die Geiselnahme zur Genüge: Kein Land braucht sich permanentem Raketenbeschuss bieten zu lassen. Aber hier schwingt eine Theorie von Raffael Nisand mit, dass nur die Massaker und die Geiselnahme den Krieg „erlaubt“ haben: Israel kann ohne amerikanische Unterstützung mit Material keinen  Krieg führen: Die Tribüne Jüive bringt einen Artikel:

„Der bittersüße Waffenstillstand.

Die Gefühle der Freunde Israels sind widersprüchlich. Die Würde, der Tsiniut, die Freude der Familien und die unerschütterliche Erwartung der Befreiung der Geiseln zeigen den Humanismus der Bürger Israels. Wir wollen fast sagen, dass der Waffenstillstand allein aus diesem Grund vertretbar ist. Umgekehrt werfen die Bilder aus Gaza unzählige Fragen auf. Wenn man diese Tausenden von Bewohnern des Gazastreifens, mit oder ohne Waffen, offensichtlich gut ernährt, um die Geiseln herumspazieren sieht, scheint eine katastrophale humanitäre Lage in Gaza nie existiert zu haben. Die Straßen von Gaza waren am 19. Januar für einen Triumphzug geschmückt und zeigten die totale Anhänglichkeit der berühmten „Zivilisten aus Gaza“ an ihre Hamas-Herren. Seit dem 7. Oktober hat die Biden-Administration unzählige Zugeständnisse von der israelischen Regierung verlangt. Es ist sicher, dass Donald Trump, der ein Abkommen noch vor dem 20. Januar wollte, dem israelischen Verbündeten den Arm verdreht hat, um es zu erzwingen. Dieser Waffenstillstand ist nicht das Ende des Krieges. Die Hamas hat es geschafft, den Westen trunken zu machen und Israel zu dämonisieren…..“ © Raphaël Nisand 

Also, der Krieg wird irgendwann fortgesetzt. Israel kann sich jedoch auf keine Strategie einigen. In Bezug auf eine Eroberung des Landes mit Vertreibung der Araber ist der Krieg falsch aufgezogen worden; hier wäre eine „hannibalische“ Opferung der Geiseln in Kauf zu nehmen gewesen, eine Einschließung der arabischen Siedlungen und deren Aushungerung bei einer mörderischen Bombardierung. Solches erlaubt nämlich das Kriegsrecht. Den Tralala mit Sicherheitszonen, die dann doch bombardiert werden, verbietet es. Was hat Israel unter dem Strich erreicht: die endgültige Ächtung der Dritten Welt, die Verachtung als Kolonialstaat, die Schuld für überwiegend zivile Opfer in unvorstellbarer Höhe von 45000 Menschen, Verlust von fast 1.000 Soldaten und so etwas wie einen Staatsbankrott. 5 Kommentare  im Tagesanzeiger lassen erkennen, wie der Krieg im „neutralen“ Europa gesehen wird. Leser der CH-Tagesanzeigers kommentieren 

Teuscher Urs

‚Aus den militärischen Erfolgen des vergangenen Jahres politisches Kapital zu schlagen?‘ Welche Erfolge? Die Regierung Israels, der Geheimdienst und das Militär haben beim Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 total versagt. Meldungen von militärischen Beobachtern wurden ignoriert, das Militär wurde zu Gunsten der Siedler in den besetzten Gebieten eingesetzt. Die Bevölkerung vor Ort wurde alleine gelassen. Und die Reaktion war zu spät und zu verheerend. Jetzt zu hoffen, dass die palästinensische Bevölkerung voller Freuden mit Israel kooperiert ist verfehlt. Dafür hat wurden zu viele Zivilisten getötet und vertrieben. Die Kinder im Gazastreifen sind eine verlorene Generation.

Mettauer Annemarie

Beide ultranationalistischen Minister, Itamar Ben-Gvir (für Nationale Sicherheit) und Bezalel Smotrich (Finanzminister), die übrigens beide mit ihren Familien in einer völkerrechtswidrigen Siedlung im Westjordanland leben, wollen den Krieg in Gaza weiterführen, weil sie den Küstenstreifen besiedeln bzw. schrittweise das gesamte Palästinensergebiet übernehmen wollen.

Noch weitere Fragen?!?

Also mich würde nach wie vor interessieren, was am 7. Oktober 2023 tatsächlich geschehen ist. Für viele ist nämlich immer noch schleierhaft, dass die Hamas am 7. Oktober 2023 das militärisch bis an die Zähne bewaffnete und elektronisch hoch gerüstete Land Israel aus dem winzigen, seit Jahrzehnten minutiös überwachten Gazastreifen heraus angeblich überraschend attackieren konnte!?! Außerdem ist der berühmt-berüchtigte Geheimdienst Mossad bekanntlich omnipräsent und die USA figurieren seit Jahrzehnten als Schutzmacht.

Also angesichts der glasklaren Gebietsansprüche der beiden israelischen Minister ist für mich alles glasklar…

Oeschger Reto

@Mettauer Annemarie

Der israelische Geheimdienst, die Regierung, der IDF wussten sehr wohl Bescheid. Vielleicht nicht alles im Detail. Die rechtsgerichteten Parteien provozierten diesen Überfall (DE überfiel auch Polen oder war es anders rum?) der Hamas um Gaza und das Westjordanland von den Palästinensern zu befreien, in Syrien (Golanhöhen), Libanon aufzuräumen und abschließend das Atomprogramm in Iran zu zerstören. Der (Alb-)Traum von Groß Israel geht in die nächste Runde.

Jahon Mattes

Netanyahus Zukunft ist nicht so wichtig. Verteidigungsminister Katz hat klar gesagt, die Landnahme in der Westbank werde weitergehen und ausgebaut. Das ist das Signal, dass Israel mit den Palästinensern einen Frieden gar nicht will. Es will deren Land. Drum wird der Krieg über kurz oder lang weitergehen. Mit oder ohne Netanyahu.

Martin von Allmen

@Jahon Mattes

Das ist wohl leider so. Israel müsste sich mal an Ihre eigene Geschichte erinnern, bevor es weiterhin so viel Leid und Elend produziert im Gaza und weiteren Gebieten.

Die Süddeutsche greift linkere Details heraus:

Palästinensische Häftlinge steigen nach ihrer Freilassung aus einem israelischen Gefängnis aus einem Bus aus.(Foto: Leo Correa/dpa)

Die ersten palästinensischen Gefangenen sind auf freiem Fuß. Zuvor hatte das Pressebüro der palästinensischen Autonomiebehörde mitgeteilt, dass die ersten palästinensischen Häftlinge in eine Polizeistation gebracht worden seien, vor der ihre Angehörigen warten. Die meisten seien Frauen und Minderjährige. Die weiteren 737 freizulassenden Palästinenser haben Delikte wie Steinwürfe im Westjordanland oder illegale Grenzübertritte sowie illegal Waffen besessen…..
Israel will jegliche Feiern nach der Entlassung der Häftlinge unterbinden. So sollen Familien Strafen angedroht worden sein, sollten sie Feiern abhalten. Demnach dürfen nur die Eltern und Geschwister die freigelassenen Palästinenser willkommen heißen.“

Phantastisch: Das erinnert an Corona-Zeiten: Wer feiert, wir gleich wieder eingesperrt und muss auf ein neues Massaker an Israelis warten, dass er wieder aus israelischer Haft freigepresst werden kann. Palästinenser dürfen sich nicht freuen, „unser“ Philipp Peyman Engel von der Jüdischen Allgemeinen kriegt schon die Kurve nicht, weil Palästinenser am Berliner Hermannplatz feierten.

Weiter so; man erinnere sich an Géoula Cohen (1925-2019), eine Kämpferin der Stern-Gruppe. Sie war 1946 von den Briten wegen des illegalen Besitzes von Waffen und eines geheimen Radiosenders zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Von 1972 bis 1979 war sie Mitglied der Knesset (Likud). Sie erklärte zum Thema Geiselnahme:

„Wir dürfen auf keinen Fall mit den Terroristen über die Freilassung von Geiseln verhandeln. Andernfalls wird die Geiselnahme zu einer Epidemie. Wenn eines meiner Kinder als Geisel genommen werden würde, werde ich alles tun: zu Verhandlungen aufrufen und absolut alles hergeben. Ich würde Himmel und Erde in Bewegung setzen, um das Kind freizubekommen. Wenn mir das passiert, bitte ich darum, dass mir niemand Gehör schenkt! »

Die Tribüne Jüive folgert in der „Behaglichkeit Frankreichs“ daraus:

„Es ist schrecklich, aber wahr. Jedes Verhandeln wird als Eingeständnis der Schwäche von diesen barbarischen Islamisten gewertet. Solange nur ein einziges Hamas-Mitglied am Leben ist, wird Frieden unmöglich sein. Es ist notwendig, die Mentalität eines großen Teils der arabisch-muslimischen Welt einschließlich derer, die die europäischen Führer in Kenntnis der Tatsachen nach Europa gebracht haben, zu verstehen: Die Begriffe Menschlichkeit und Mitgefühl sind Islamisten fremd. Es ist kein konventioneller, zivilisierter Feind, mit dem Vereinbarungen und Verhandlungen irgendeinen Wert haben können. Selbst unter Hitler war der Anteil der Deutschen, die dem Nationalsozialismus anhingen, viel niedriger als der der Muslime, die dem Islamonazismus anhängen.“

Soso; die AfD-Leute mit ihrer „Remigration“ sind offenbar Waisenkinder im Verhältnis zu den Aufrechten von Frankreichs Juden. Araber scheint man ganz anders bekämpfen zu müssen…. Also: weitermachen

Von Lobenstein

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