Wir müssen über Israels „Recht zu existieren“ reden

von Ben White

Die Stornierung einer Konferenz  der Universität von Southampton  wirft ein Schlaglicht auf Fragen, die Israels Apologeten verzweifelt in Grenzen halten wollen.

Letzte Woche empörte man sich darüber, dass die Universität von Southampton eine bevorstehende  Konferenz über Israel und das Völkerrecht  abgesagt hat, angeblich auf Grund von „Arbeitsschutz“.

Die Universität war von Pro-Israel -Verfechter-Gruppen unter Druck geraten, und die Organisatoren bemühten sich, mit rechtlichen Mitteln gegen das einzuschreiten, was sie  als Konzession einer Einmischung und Mobbing von außen hielten. Die Geschichte der Kampagne, die Konferenz abzusagen, sollte jedoch nicht davon abhalten, zu fragen, warum Israels Unterstützer das vorgesehene Thema zur Diskussion  als anstößig und unangenehm fanden. 

Ein Thema beherrschte die Kritik der Konferenz, die in der Schlagzeile in Daily Express zusammengefasst war: „ Empörung darüber, dass „die BRITISCHE Universität Israels Recht zu existieren hinterfragt“. Dies ist deshalb eine wertvolle Gelegenheit, das zu prüfen, was in der Diskussion über den Nahen Osten von Politikern und Kritikern ein Cliché geworden ist.

Also hat „Israel ein Recht zu existieren“? Die Antwort oder wenigstens ein bedeutender Teil der Antwort  ist, dass  ohne Ausnahme kein Staat „das Recht, zu existieren“ hat. Staaten kommen und gehen, werden gebildet und hören auf. Der Süd-Sudan wurde 2011 gegründet. Die UdSSR hörte 1991 auf zu existieren. Die Tschechoslowakei wurde 1993 zur Slowakei und zur Tschechischen Republik.

Es gibt  eine öffentliche Diskussion und wissenschaftliche Arbeit über die Legitimität von zahlreichen Staaten. Diese Debatte wird von Faktoren generiert, wie dem Vermächtnis der Entkolonisation  oder den dutzenden von aktiven Unabhängigkeits- und Trennungsbewegungen  in aller Welt.

Aber  wie ist es nun mit Israel? Hat es ein Recht zu existieren, speziell als „jüdischer Staat“? Der UN-Teilungsplan und die Resolution 181 der Vollversammlung von 1947 rufen tatsächlich zur Errichtung  eines „arabischen Staates“ und eines „jüdischen Staates“ innerhalb der Grenzen des britischen Mandats Palästina auf.

Doch gründete sie sich auf eine Bevölkerungsverteilung jener Zeit – sie definierte nicht einen „jüdischen“ (oder arabischen) Staat, der auch die Juden einschloss, die noch nicht dort lebten. Mit anderen Worten vermied sie, „ein abstraktes Recht der Selbstbestimmung der Juden als einer extra-territorialen Gruppe“ aufzurufen.

Der Teilungsplan enthielt auch Garantien für „gleiche und nicht-diskriminierende Rechte“ für alle Bürger, Juden und Araber, die in beiden Staaten leben. Mit den Worten des Textes: Juden und Araber würden „Bürger eines Staates werden, die in beiden Staaten leben. Mit den Worten des Textes würden Juden und Araber „Bürger des  Staates werden, in dem sie Bewohner sind und sich aller ziviler und politischen Rechte erfreuen“.

Aber da gibt es noch ein Problem. Die von der zionistischen Föderation betriebene Petition gegen die Konferenz behauptet, dass „Israel der Ausdruck für das unveräußerliche Recht  der Selbstbestimmung des jüdischen Volkes sei“. Ein Verfasser von Telegraph erklärte, dass „der (jüdische) Kampf  um Selbstbestimmung nichts anderes wäre als Martin Luther Kings jr. Kampf gegen die Rassentrennung oder der Kampf von Nkruhmah gegen den Imperialismus.

Entscheidend jedoch entspricht die Selbstbestimmung nicht der Eigenstaatlichkeit und  ist gewiss nicht  einer exklusiven, ethnokratischen Eigenstaatlichkeit gleichzusetzen. Tatsächlich bestätigt der Artikel in Telegraph (unabsichtlich) den Hinweis  auf die Bürgerrechtsbewegung in den USA.

Die gesamte Zahl der ethnischen Gruppen weltweit wird auf etwas zwischen 600 und  mehreren Tausend geschätzt. Eine Studie identifiziert 820 ethnische Gruppen in 160 Ländern. Uganda allein ist die Heimat von etwa 40 verschiedenen ethnischen Gruppen. Haben sie alle das Recht auf Selbstbestimmung in ihrem eigenen Staat?

Es ist diese Verschmelzung der „jüdischen Selbstbestimmung“ mit einem „jüdischen Staat“ und  dem Zionismus, die uns auf das  hinweist, was die pro-israelischen Gruppen verzweifelt zu verbergen suchen, ein paralleler Prozess von  Ablehnung/Leugnung  und Auslöschen, das hinter der Beschwörung von Israels „Recht zu existieren“ liegt (und die bedroht, die dies hinterfragen).

Zunächst war es die Nakba, die ethnische Säuberung von Palästina, die es ermöglichte, dass  ein  jüdischer Mehrheitsstaat auf den Ruinen leerer Häuser und Dörfer entstand. Dynamit und Bulldozer nicht die UN-Resolution 181 sind die wahren Grundlagen des „Jüdischen Staates“.

Als zweites  ist die Realität von Israels Ethnokratie heute ein institutionell rassistisches legales System, das die palästinensischen Flüchtlinge ausschließt und die palästinensischen Bürger  marginalisiert. Unterdessen hat dieselbe Logik, die die Kolonisierung von Galiläa schuf, seit einem halben Jahrhundert auf den Hügelkuppen der Westbank  gewirkt.

Die historische Nakba, die zeitgenössische Ethnokratie und das Verhältnis zwischen den beiden sind  die Tabu-Themen, die Israels eingefleischte Verteidiger (einschließlich der selbst definierten „Liberalen“) zu verschleiern versuchen –  und die die  Southampton-Konferenz überprüfen wollte.

Wie die Organisatoren es ausdrückten, ihr Ziel wäre ein Forum für „historische Wissenschaft und rechtliche Analyse der Art zu liefern, durch die der Staat Israel zustande kam und auch, welche Art von Staat er ist. Man ersetze „den Staat Israel“ durch Nigeria oder Indonesien und man wird sehen, wie eine akademische Übung dies in einem anderen Kontext nicht weiter bemerkenswert sein würde.

Die Tatsache, dass die Hauptgruppen, die sich in Großbritannien für Israel einsetzen, entschlossen waren, nicht  nur die Ideen der Konferenz infrage zu stellen, sondern sie erst gar nicht stattfinden zu lassen, ist ein Beispiel für die reizbare Ängstlichkeit und das Mobbing, die auftauchen, wenn Israels koloniale Gegenwart und Vergangenheit bloß gelegt werden und von seiner Mythologie, seinen Argumenten und Andeutungen über Antisemitismus befreit wird.

Es gibt kein „Recht“ auf ethnische Säuberung, kein „Recht“  auf Siedler-koloniale Ersetzung, kein „Recht“ auf diskriminierende Gesetzgebung und kein „Recht“ auf einen ethnokratischen Mehrheitsstaat, der weiter das Recht auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes  verweigert.

Es ist kein Nullsummenspiel. Wie es der Professor für Philosophie und orthodox-jüdische Studien Charles H. Manekin  es ausdrückt, die Kontroverse besteht „zwischen jenen, die das kollektive Recht eines Siedlervolks  auf Selbstbestimmung festhalten, aber die Menschen- und Bürgerrechte der indigenen Bewohner übertrumpfen, und denen, die das nicht tun.“

Diese jüngsten Angriffe auf die Redefreiheit durch Störungen, weist auf die Unsicherheit der erstgenannten Gruppe zu einer Zeit, als es ein wachsendes Verständnis und eine Opposition zu dem gibt, was ein „jüdischer Staat“ beabsichtigt hat  und für die Palästinenser weiter beabsichtigt.

 Ben White ist der >Autor von „Israelische Apartheid: A Beginners Guide“ und „Palestinians in Israel: Segregation, Discrimination, and Democracy“.  Er ist ein Autor für  Middle East Monitor und seine Artikel werden von Al Jazeera, al-Araby, Huffington Post, the Electronic Intifada u.a. veröffentlicht.

Übersetzung ins Deutsche: Ellen Rohlfs.

Erstveröffentlichung.

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