* 4. August 1888 † 1. März 1949
Blutrache – auf Hebräisch „die Rache der Väter – ist die lange meis terhafte Novelle von Ytzchak Shami, die einen der höchsten Gipfel der neuen Hebräischen Litertatur aus dem 20. Jahrhundert darstellt. Shami schrieb ein blumiges fast arabisches Hebräisch. Er veröffentlichte wenig im Vergleich zu zeitgenössischen Autoren wie S. Agnon (Nobelpreis träger), der ebenfalls auf Hebräisch schrieb. Aber was Shami schrieb, war nicht weniger gut. Trotzdem fehlte sein Name viele Jahre in der Liste der großen bedeutenden hebräischen Autoren im Pantheon der modernen hebräischen Literatur. Das lag daran, dass er kein europäischer, sondern orientalischer Jude war. Die moderne hebräische Literatur wurde damals von den europäischen Juden und europäischen Themen beherrscht.
Schon von dem Augenblick als seine erste Kurzgeschichte veröffentlicht wurde, nannte man ihn „orientalischer Autor“, „Vertreter der alten Bewohner“, „ein eingeborener Schriftsteller“, „ein jüdisch-arabischer Autor“ und sogar ein Schriftsteller, „der arabische Literatur auf Hebräisch“ schreibt.
Es herrschte damals im innerhalb der neu eingewanderten jüdischen Ge meinde im Lande eine rassistische Abneigung gegen die arabischen Urbewohner, aber auch gegen orientalische Juden. Sie wurden nicht geschätzt und ignoriert. So wurde auch Ytzchak Shami übersehen und vergessen und erst heute, 70 Jahre nach seinem Tod, erinnert man sich seiner und er wurde von der neuen jungen Generation von Lesern entdeckt. Dabei wurde eine Welt sichtbar, von der man nicht wusste und ahnte, dass es sie gegeben hat.
Ytzchak Shami wurde am 4. August 1888 geboren und wuchs auf in der alten sefardischen jüdischen Gemeinde in der mehrheitlich moslemischen Stadt Hebron, in Palästina, die an den gemeinsamen Stammvater der Juden und Araber, Abraham, erinnert, den Gründer der drei monoteistischen Religionen, die eng miteinander verbunden sind.
Die Ereignisse in der Novelle basieren auf realen Tatsachen, wie Shami selbst in einer Randnotiz zugibt. Seine Beschreibung der Prozession zum Grab von Nabi Mosssa stammt aus seiner Erinnerung, als er an einer solchen Prozession selbst teilnahm, zusammen mit seinem Bruder David, als Gäste eines arabischen Freundes, obwohl es damals nicht üblich war, dass Nicht-Muslime teilnahmen.
Ytzchak Shami, der sefardische Jude, erhob die arabische Erzählung mit seiner Novelle zur meisterhaften Vollkommenheit und zur inhaltlichen Wahrhaftigkeit mehr als alle vor ihm, obwohl er eigentlich in Hebräisch geschrieben hat, und er erreichte auch eine Tiefe, dass der Leser zu weilen den Eindruck gewinnt, dass ein von Geburt arabischer Autor es nicht hätte besser machen können. Arnold Band (einer der bekanntesten
hebräischen Literaturkritiker des 20. Jahrhunderts) schrieb, dass Ytzchak Shami „offensichtlich einer der wichtigsten palästinensischen Autoren des Jahrhunderts war.“ Und Gershom Shaked (ein israelischer Literaturwis senschaftler, Literaturkritiker, Schriftsteller und Publizist) schrieb, dass es „bis zum heutigen Tag in Israel keinen Schriftsteller gelungen ist in die Tiefen der Seele der arabischen Nachbarn zu dringen, wie Shami.“
Arabische Kritiker und Künstler haben den Namen von Shami ebenfalls als einen „palästinensischen Autor“ bezeichnet, obwohl er Hebräisch geschrieben hat. Anton Shamas (ein palästinensischer Schriftsteller, Dichter und Übersetzer) stellt fest, dass Ytzchak Shami die hebräische Literatur bereichert hat mit „lokaler palästinensischer Folklore“ und Salim Tamari (ein palästinensischer Soziologe) behauptet, dass Shami sich selbst sowohl als Araber wie auch als Jude identifiziert hatte.
Ytzchak Shami war verbunden mit und beeinflusst vom französischen Künstler und Schriftsteller Guy de Maunpassant, einer der ersten französischen Naturalisten, dessen Erzählungen er gut kannte. „Die Rache der Väter“ (Blutrache) ist zweifelslos die vollkommendste Novelle und wohl auch die Wichtigste im Werk von Shami, und eine eindrucksvolle Erzählung aus der modernen hebräischen Literatur zu Anfang des 20.
Jahrhunderts. Die Quelle dieser liegt in Hebron, die Stadt, die Zentrum des Auseinandersetzungen war zwischen Juden und Araber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, unmittelbar nach Gründung der zionistischen Bewegung. Und als der Sturm los brach, an dessen Ende die Zerstörung Palästinas und die Geburt des Staates Israel stand, wurden kleine Inseln des Zusammenlebens, wie Shami selbst, mit dem Strom der Gewalt mit gerissen und verschwanden.
Aber Shamis Werk, der für viele Jahrzehnte verschollen war, ist aus der Tiefe wieder aufgetaucht. Shami, der von den Ereignissen des israelisch-arabischen Konflikts besonders schwer getroffen wurde – physisch und seelisch – warnte wie die zornigen judäischen Propheten der Bibel und wie die früheren arabischen Dichter, dass Abraham, der gemeinsame Stammvater, keine Quelle des Segens sei, sondern ein Grund für einen schrecklichen Fluch.
Ytzchak Shami starb vereinasamt und verarmt am 1. März 1949 in Haifa.