Lieber Götz,
ich habe Deine Empfehlung das Buch „Feuer“ von Ron Leschem zu lesen ernst genommen und das Buch bestellt. Vorab, noch bevor ich das Buch gelesen habe, möchte ich aber zu Deinen Zeilen und zur Rezension von Matthias Kolb in der SZ folgendes schreiben:
Du zitierst aus der Vorbemerkung des Autors folgenden Satz: „Es ist nicht möglich, den Teufelskreis des Blutvergießens zu stoppen und zu einer Lösung des Konflikts zu gelangen, ohne die Geschichte in ihrer ganzen Komplexität zu kennen.“ Und Du vergleichst diese Worte mit den Worten von Antonio Guterras, der daran erinnert hat, dass die grausame tat der Hamas vom 7. Oktober 2023 eine Vorgeschichte hat.
Das ist alles richtig und jeder weiß doch, dass die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht am 7. Oktober 2023 begonnen hat. Wer es nicht weiß ist nicht ignorant, sondern er will es bewusst und mit Absicht nicht wissen. Wenn aber bei uns in Deutschland nicht alle Menschen die Geschichte des Konflikts in seiner ganzen Komplexität kennen, dann ist es für die Lösung des Konflikts vollkommen belanglos, denn den Konflikt sollen nicht die Deutschen, Franzosen oder Engländer, sondern Israelis und Palästinenser beenden. Und sie, die Israelis und die Palästinenser wissen alles über die Komplexität des Problems, weil sie es seit zwei, drei Generation tagtäglich erleben. Während aber die Palästinenser immer wieder darüber reden, sich beklagen und ihre Tote zählen, schweigen die Israelis und suchen die Schuld bei der Hamas. Der Elephant im Raum ist aber die Besetzung Palästinas durch eine brutale israelische Armee. Inzwischen kann man auch nicht mehr von Besetzung reden. Man muss die Dinge beim Namen nennen: Es ist eine Kolonialisierung Palästinas durch israelische Siedler und Siedlungen. Solange es diese Kolonisierung geben wird, wird es keinen Frieden geben und alle Verhandlungen, auch wenn sie vermeintliche Ergebnisse ergeben, sind vergebens. Israel und seine jüdischen Bewohner müssen endlich kapieren, dass das Zeitalter der Kolonisation längst beendet ist. Solange die Israelis und die übrigen westlichen europäischen Staaten, und besonders Deutschland, die palästinensischen Kämpfer „Terroristen“ nennen, wird es eine faire Lösung des Problems nicht geben. Solange man in der Politik und in den Medien die palästinensischen Widerstandkämpfer Terroristen nennen wird, solange wird eine gleichberechtigte Verhandlung zwischen Kontrahenten nicht möglich sein. Solange die Israelis arrogant und selbstgerecht ihre Gegner, die Hamas, als Terroristen und ihre israelische Armee als die humanste Armee der Welt bezeichnen, wird es keinen Frieden geben. Und wenn Israel seine Politik nicht ändern wird, dann ist Israels Untergang nur eine Frage der Zeit. Eigentlich ist Israel schon heute mit seiner faschistischen und zum Teil kriminellen Regierung auf dem besten Wege dazu.
Das ist auch das Problem der Rezension von Matthias Kolb, dass sie unkritisch und naiv von der Hamas als eine Terrororganisation spricht. Überall auf der Welt waren Freiheitskämpfer, bevor sie ihr Ziel erreicht haben, Terroristen. In Indien unter der britischen Herrschaft, in Algerien unter französischer Herrschaft und in Kenja auch unter britischer Herrschaft, um nur drei Beispiele zu nennen. Jomo Kenjata, der Führer der sogenannten Terroristen bzw. Rebellen, wurde von der britischen Kolonialmacht als Terrorist gesucht. Nachdem Kenja frei wurde von der britischen Besatzung wurde er 1963 Ministerpräsident, und ist von der britischen Königin mit allen diplomatischen Ehren empfangen worden. Und auch jüdische Widerstandskämpfer wie Menachem Begin und Moshe Shamir, wurden von den Briten, die damals Palästina besetzt hielten, per Steckbrief als Terroristen gesucht und Shamir wurde sogar gefasst und in ein britisches Konzentrationslager in Afrika gesteck. Später wurden Begin und Shamir als Ministerpräsidenten ihres Landes überall auf der Welt mit allen Ehren empfangen. So wird es eines Tages auch mit den Führern der Hamas passieren, sofern sie nicht von der brutalen israelischen Regierung ermordet werden.
Es ist an der Zeit nicht mehr zurückzublicken, sondern nach vorn schauen. Die Israelis haben nur über eine Frage zu entscheiden, die für ihre Zukunft wichtig ist: Wollen sie in Frieden leben, wie zum Beispiel andere Nationen überall auf der Welt, oder wollen sie ewig Krieg führen? Wollen sie wie einst Yael Dayan, die Tochter des legendären Moshe Dayan, geschrieben hat: Ewig mit dem Gewehr schlafen?
Leider gibt es in Israel Politiker und viel zu viele Wähler, die das wollen. Bis zum letzten Palästinenser oder Palästinenserin, Kinder und Greise, alle vernichten. Und wenn Benjamin Netanjahu es vielleicht selbst nicht will, weil er kein blinder Fanatiker ist, sondern ein rationaler Faschist, wie sein Vater, so wird er aber von seinen Koalitionspartner Itamar ben Gvir und Bezalel Smotrich bedrängt und getrieben. Und schließlich geht es ihm auch um seine persönliche Zukunft. Er weiß, dass wenn er nachgibt, er selbst am Ende im Gefängnis landen wird. Und das will er vermeiden. Das Hemd ist ihm näher als der Rock und seine eigene Freiheit näher als die Freiheit der entführten Geiseln.
Ich wiederhole mich: Das Problem ist nicht die Hamas, auch wenn es so aussieht, als ob die israelische Armee die Hamas nicht besiegen Kann. Das Problem ist die israelische Besatzung und Unterdrückung eines anderen Volkes, brutal und herzlos, das Problem sind die unzähligen Siedlungen auf palästinensischen Boden, den die Israelis Judäa und Samaria bezeichnen und sich dabei auf die Bibel berufen, als ob die Bibel ein Grundbuchverzeichnis sei. Das Problem ist die totale Ignorierung des palästinensischen Volkes, das Problem war und ist, dass sämtliche israelische Regierungen fest davon überzeugt waren, dass sie die Besatzung beherrschen können und es nur eine Frage der idealen Organisation sei. Das Problem ist, dass so viele Israelis das wissen, aber nicht wissen wollen. Dabei geschieht es vor ihren Augen und den Augen der Weltöffentlichkeit. Es erinnert mich an die Zustände in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1939, als man die Juden entrechtet hat, sie aus ihren Wohnungen vertrieben und schließlich in vollen Viehwagons nach Auschwitz gebracht hat. Die Bevölkerung hat das gesehen und geschwiegen.
Und wenn die Israelis so dumm, so stur und so selbstgerecht sind, dass sie die Realität nicht sehen wollen und diejenigen, die sie sehen schweigen oder das Land verlassen, so bleibt nur noch die Hoffnung, dass die Weltöffentlichkeit das sieht und aufschreit. Jüdische Menschen überall auf der Welt, die Jahrzehnte Israel moralisch und finanziell unterstützt haben, wenden sich ab von Israel. „Nicht in unserem Namen“ sagen sie in New York, London, Paris und Berlin.
Und mit dem Missbrauch der Benutzung des Holocaust als Entschuldigung für Israels völkerrechtlich falsches Verhalten und der Diffamierung von jedem, auch Juden, der Israels Politik kritisiert, als „Antisemit“ ist jetzt auch Schluss. Die Zeit der elenden und überflüssigen Antisemitismusbeauftragten ist vorbei. Schaffen wir sie ab und schicken wir sie nach Gaza, wo sie beim Wiederaufbau helfen können.
von Abraham Melzer