Zur Relation des Antisemitismus

Henry Ford (in: Der internationale Jude) hatte seinerzeit gemeint, dass es sehr reiche wie auch bitterarme Juden gäbe, was ihm als Rätsel dieses Volkes erschien. Nun gibt es aber auch sehr reiche Amerikaner wie bitterarme. Üer Frankreichs Arme wurden Romane (z. B. les miserables) geschrieben, während der Stil von Frankreichs Reichen in ganz Europa nachgeahmt wurde. Auch zu Russlands Magnaten und Oligarchen, wo die Armut und das Elend der Massen zur Revolution führte, ersceint nichts ungewöhnlich. Warum soll es also nicht arme Juden neben reichen geben? Was kann daran rätselhaft sein?

Nahum Sokolow (in Geschichte des Zionismus) druckt einen offenen Brief der reichen Juden Claude Montefiori und David Alexander ab, die sich kritisch über die Bildung eines jüdischen Gemeinwesens in Palästina äußerten; Sokolow findet genug Antworten in der gesamten britischen Presse, die die Bedenken Montefioris und Alexanders verwerfen, wenn nicht gar zerreißen: die Autoren hätten es sich in England „behaglich“ eingerichtet, aber den Blick auf die russischen und rumänischen Rassegenossen verloren. So vernünftig das Schreiben Montefioris und Alexanders auch klingt, es stieß auf keinerlei Verständnis, je ist gilt als Dokument der Verständnislosigkeit für die Judenfrage.

Wenn man dieses liest, übersieht man leicht, dass es in sehr vielen Ländern viele Juden gibt, denen es „behaglich“ (Sokolow) geht. Schon nach der Vertreibung (1492) fanden die „reicheren“ Juden Spaniens in den Generalstaaten ihren Platz; die ärmeren kamen nur bis Marokko. Andere, offenbar mit Vermögen, etablierten sich schon in Bordeaux, obwohl Juden sich im vorrevolutionären Frankreich nicht hätten niederlassen dürfen (Ausnahme waren die „deutschen“ Provinzen). Auch Hamburg bemühte sich, dass Juden besserer (portugiesischer) Kreise sich in der Hansestadt niederließen. Als die Hamburger die Juden wieder vertreiben wollten, meinten die hanseatischen Handelsherren, dann könne man auch sie gleich mitvertreiben. Ohne die jüdischen Kollegen liefe kein Handel über Hamburg.

Friedrich II. von Preußen erließ 1750 eine Judenverordnung (vgl. Hans Moshe Graupe in: Die Entstehung des modernen Judentums), die die Juden in Klassen einteilte: Die Vermögeden waren den adligen Untertanen gleichgestellt, konnten Grund und Boden erwerben und sich frei niederlassen. So „behaglich“ wird es für die Juden in England auch gewesen sein. Hermann Messerschmidt (in: Das Reich im Nationalsozialistischen Weltbild, 1943) meint, in der englischen Gesellschaft werde „der Jude“ einfach als Mitglied der Schicht wahrgenommen, zu der sein Vermögen ihn addiere.

Zurück zu Henry Fords Frage: Wo liegt nun das Rätsel?

Die „reichen Juden“ erwarben ihren Reichtum nicht durch Ausbeutung (nach der Diktion von Karl Marx) der armen Juden, sondern der christlichen Mehrheitsbevölkerung. Bekannt ist das schon für damalige Verhältnisse das skandalöse System des Herzogs Karl Alexander von Württemberg, der einerseits seine Untertanen zwang, Salz über den Bedarf hinaus zu kaufen, der dieses Salz aber auch noch „streckte“ und ihm eine mindere Qualität gab (Vgl. Karl Biedermann in: Deutschland im 18. Jahrhundert). Sein Finanzminister, der berühmte „Jud Süß“  wurde nach dem unerwarteten Tod des Herzogs gehenkt, was den Kaiser zu der Bemerkung veranlasste, ausnahmsweise büße ein Jude für einen christlichen Schurken. In Bayern wurden die Hofjuden reich, weil Bayerns König im Rahmen seines Ländererwerbs die napoleonischen Kriegsrüstungen massiv unterstützen musste. Gleichzeitig wurden die armen Juden unterdrückt und ausgebeutet, aber nicht von Juden, sondern von einer christlichen Obrigkeit. Der berühmte Anselm Rothschild machte seine Geschäfte mit dem Herzog von Kur-Hessen, der sein Geld für die Vermietung seiner Untertanen als Soldaten für England verdient hatte. „Reich“ wurden Juden nicht auf Kosten ärmerer jüdischer Volksschichten. Zumindest ist solches weder Heinrich Graetz noch Simon Dubnov bekannt geworden.

Die ärmeren Juden erhielten für ihre Wohlfahrt Spenden ihrer vermögenderen Glaubensgenossen. Reiche Juden sind folglich den ärmeren nur als Wohltäter geläufig. Das führte dazu, dass innerhalb des jüdischen Volks kein Klassenkampf entstehen, ja nicht einmal der theoretische Klassengegensatz sich hatte entwickeln können. Der Klassenfeind war für die ärmeren der sie unterdrückende Nicht-Jude, der reiche Jude war das Hassobjekt der unterdrückten nicht-jüdischen Massen. Adolf Hitler dürfte des Rätsels Lösung erkannt haben und den Klassenhass der deutschen Arbeitermassen zum Zweck der Herstellung der nationalen Einheit speziell auf die reichen Juden gelenkt haben. Von armen Juden findet sich im NS-Liederschatz keine Spur.

Das bedeutet, dass man in der Diaspora bzw. in der nicht-jüdischen Gesellschaft äußerst vorsichtig mit dem Begriff „Antisemitismus“ umgehen sollte: der Antisemitismus der deutschen Arbeiter trägt Elemente der Klassengegensätze Arbeitnehmer-Arbeitgeber in sich: es geht nicht um Neid speziell gegen Juden, sondern um das generelle Gefühl, dass jemand mehr Geld habe als ihm sozial zustehe; speziell dem Juden stünde des zwei Mal nicht zu. Die Hälfte des Neides ist also Klassen-Neid. Unterdrückte Juden müssten sich analog fragen, ob sie wirklich mehr unterdrückt werden als die Bauern und Arbeiter des Landes, in dem sie wirtschaften. Die speziellen Unterdrückungsmethoden gegen sie können Analogien der allgemeinen Unterdrückungsmaßnahmen sein. Eine kritische Geschichtsbetrachtung müsste dies erkennen; die Historiker verschließen hierzu offenbar die Augen.

Wenn man weiß, wie schwer es für einen christlichen Gesellen war, in vor napoleonischer Zeit in eine Zunft als Meister aufgenommen zu werden, so relativiert sich die generelle Nichtaufnahme von Juden. Dass es ihnen trotzdem nicht wirklich elend erging, belegen schon Martin Luthers Schriften. Den Juden verblieben ganz offensichtliche Freiräume, um ihr soziales Leben zu entwickeln. An den Rabbinern, die in allen Gemeinden des deutschen Reichs und im Osten deren Führer werden konnten, lässt sich die Freiheit abschätzen, die zu nutzen gelehrten Juden möglich war.

Was bedeutet also das Fehlen eines innerjüdischen Klassenkampfes?

Entscheiden für das Verständnis von Juden und für den Blick auf die israelische Politik ist, dass in der jüdischen Volksgemeinschaft kein Klassenkampf stattfand. Der Feind, sei er objektiv nach Marxscher Lehre ein Klassenfeind oder, nach klassischer Betrachtung, ein nationaler: er ist immer der außergesellschaftliche Fremde; dieser ist, auch als Araber, ein Antisemit. Der Begriff stellt als Bindeglied die Kampfgemeinschaft von Israel und Diaspora her.

Dagegen predigt jede Opposition tauben Ohren. Sie müsste erst herauskristallisieren, was „Antisemitismus“ wirklich ist. Der eigentliche Antisemitismus ist ein zahnloser Tiger, dem der Nazis wuchsen erst durch Verbindung mit dem Rassismus Zähne. Der arabische Nationalismus wird erst Unrecht, wenn man ihn mit Antisemitismus kreuzen kann.

von Lobenstein

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert