Rolf Verleger im Gespräch mit Peter Kapern
„Ein rechtes Kuddelmuddel“ sei es gewesen, als Deutschland und Israel 1965 diplomatische Beziehungen aufgenommen hätten, sagte Rolf Verleger, Ex-Direktoriumsmitglied Zentralrat der Juden, im DLF. Damit hätten die Deutschen begonnen, ihrer Vergangenheit ins Gesicht zu sehen. Heute wünsche er sich, dass man gemeinsam mit der EU Israel viel stärker zur Einhaltung westlicher Werte bringe.
Dirk-Oliver Heckmann: 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen, das ist in diesen Tagen das große Thema in Berlin. Israels Staatspräsident Rivlin hält sich dazu in der deutschen Hauptstadt auf. Als junger Mann hatte er noch heftig gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen protestiert. Am Abend fand in der Berliner Philharmonie ein Festakt statt. Bundespräsident Joachim Gauck bezeichnete die Beziehungen zu Israel ein weiteres Mal als Wunder. – Mein Kollege Peter Kapern hat gestern mit Rolf Verleger gesprochen, dem ehemaligen Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, und da ging es zunächst um die Frage, was er denn als 13-Jähriger in Jerusalem gemacht hat, als er vor 50 Jahren gegen die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland demonstriert hat.
Rolf Verleger: Mein Vater war ja gestorben in dem Jahr und mein Bruder und ich sind dann im Sommer zu einer Kusine meines Vaters nach Israel gefahren von Deutschland, wo ich ja geboren und aufgewachsen bin, was meine Heimat ist, um dort Kaddisch zu sagen, jeden Tag dreimal, das dem Vaterunser entsprechende Gebet in der Gemeinde, das von den Trauernden gesprochen wird, und das war ja im Schwabenland jetzt nicht möglich, weil es da keine zehn Juden an unserem Ort gab. Und dann standen wir natürlich da, das war ja interessant, und ich habe damals mit meiner Kodak Instamatic auch zwei Fotos von der Demo gemacht. Aber ich fand das ja ganz in Ordnung für mich damals, dass das passierte. Es war ja eine Verbindung dieser zwei Länder, mit denen ich beiden zu tun hatte.
Peter Kapern: Muss man heute, 50 Jahre später, rückblickend sagen, die Demonstranten, die dort ja vehement demonstriert haben gegen die Aufnahme der Beziehungen, die haben falsch gelegen?
Verleger: Nein, das finde ich nicht. Von hier aus betrachtet hatte ja Adenauer eine sehr pragmatische Beziehung zu Israel schon sehr früh aufgebaut und es war für ihn ja klar, dass Wohlverhalten gegenüber von Israel die Eintrittskarte für Deutschland ist, um wieder im westlichen Bündnis aufgenommen zu werden. Das ging aber einher schon mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit. Meine Eltern, denke ich, haben sich sehr allein gelassen gefühlt in diesem Deutschland. Da hat sich keiner dafür interessiert, was mit den Juden im Dritten Reich passiert war. Das Kapitel schien eher abgehakt. Und als dann Erhard 1965 beschloss, die Beziehungen aufzunehmen, das war ja ein rechtes Kuddelmuddel. Der Auslöser meiner Erinnerung nach war, dass Deutschland Waffen liefern wollte an einen arabischen Staat und dass dann Proteste hochkamen, dass man das doch nicht machen könne, und daraufhin beschloss ja Deutschland, zumindest stellt sich mir das so dar, seine Beziehungen da auf neue Füße zu stellen, und ich glaube, das hatte Rückwirkungen auf die deutsche Innenpolitik auch, dass da eine moralischere Note reinkam, dass man sich irgendwie dem stellte und nicht sein Unverhältnis hatte gegenüber dem Land der Juden. Als das in den 60er-Jahren begann, war ja auch der Auschwitz-Prozess in Frankfurt und begann ja, dass man dieser Vergangenheit wieder anfängt, ins Gesicht zu sehen. In dem Sinne, finde ich, hatten die Demonstranten Unrecht. Ich glaube, das war für Deutschland eine positive Entwicklung, die da auch an diesen diplomatischen Beziehungen seinen Anfang nahm nach innen.
„Deutsche und Israelis haben andere Schlussfolgerungen gezogen“
Kapern: Aber am Anfang stand, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auch eine Portion Opportunismus. Wo stehen diese Beziehungen heute zum 50. Geburtstag dieser diplomatischen Beziehungen?
Verleger: Die sind oberflächlich ja unverbrüchlich, aber die Deutschen haben eine andere Schlussfolgerung aus der Vergangenheit gezogen als die Israelis und das wird nicht mehr verstanden in Deutschland, was Israel macht. Die Schlussfolgerung von Deutschland ist ja, dass man aus dieser Vergangenheit gelernt hat, nie wieder Rassismus, nie wieder Krieg, dass Streitigkeiten friedlich beizulegen sind, und Israel hat ja die Schlussfolgerung daraus gezogen, das soll uns nie mehr passieren und wer nicht Opfer sein will, muss Täter sein. Das kommt in Deutschland zurecht nicht gut an. Deutschland sollte viel, viel stärker zusammen mit der EU Israel dazu bringen, die allgemein akzeptierten westlichen Werte einzuhalten.
Auf der Website fehlte bis vor kurzem die nun folgende Frage und Antwort. Auf Intervention von Rolf Verleger wurde sie hinzugefügt. Dabei ging es natürlich nicht um Zensur, sondern nur um eine missverständliche Kürzung, wie man seitens des „Deutschlandfunks“ schrieb. Na, wenn das so ist, dann ist ja alles „super“ bei den Öffentlich-Rechtlichen!
Kapern: Also was jetzt in diesen Tagen, da Ruven Rivlin Deutschland besucht, anlässlich der Feiern zum 50. Geburtstag der diplomatischen Beziehungen, was da gesagt wurde, nämlich dass da klipp und klar gesagt wurde, dass die deutschen Gesprächspartner Rivlins die Zweistaatenlösung für den einzig gangbaren Weg im Nahen Osten halten und Rivlin dies eben ablehnt, das alleine reicht nicht?
Verleger: Ich finde, das bohrt noch nicht tief genug. Der Staat Israel ist 1948 entstanden aufgrund einer Vertreibung und Enteignung der arabischen Bevölkerung Palästinas. Und das macht er ja gegenwärtig weiter auf Kosten der arabischen Bevölkerung. Das ist jetzt das Problem mit der Zweistaatenlösung. Aber so stand es ja schon am Anfang. Und es ist deswegen ja selbstverständlich, dass er von den Arabern angefeindet wird. Da muss ein tief empfundener Ausgleich her. Israel müsste völlig umsteuern und zu dieser seiner Schuld stehen. Das hat natürlich etwas mit Europa und unserem Verhalten gegenüber der jüdischen Minderheit Anfang des 20. Jahrhunderts zu tun. Idealerweise müsste am Anfang einer Friedenslösung stehen, dass sich Israel für all das bei der arabischen Bevölkerung entschuldigt. Und davon sind die Nationalisten, die da das Sagen haben, weit, weit entfernt.
Kapern: Aber, Herr Verleger, wie soll denn ausgerechnet die deutsche Regierung zu diesem Umsteuern der israelischen Regierung, das Sie da fordern, beitragen?
Verleger: Einerseits durch unser relativ gutes Beispiel. Die Nazi-Zeit ist ja nun lang vorbei und wie sich Deutschland seiner Vergangenheit stellt und das mit der Zukunft verbindet, das hat ja auch Avraham Burg im Interview, im großen, mit Ihnen gesagt, das ist ja vorbildlich. Ich fühle mich ja auch deswegen wohl in Deutschland. Und andererseits nicht durch dieses massive Bremsen in der EU gegenüber allem, was irgendwie nach Druck gegenüber Israel aussehen könnte.
Kapern: Beispielsweise sollte Deutschland dem Vorbild anderer EU-Staaten folgen, die Palästina schon jetzt diplomatisch anerkennen, oder beispielsweise das Labeling von Waren aus den von Israel besetzten Gebieten fordern?
Verleger: Zwei Stühle, eine Meinung. Ich hätte genau das gleiche als Beispiel gebracht. Ja, finde ich schon. Ja!
Kapern: Und das würden die deutsch-israelischen Beziehungen überleben?
Verleger: Natürlich! Was ist denn daran? Ich meine, für Israel ist Deutschland ja ein verlässlicher Partner, was Finanzhilfen und Militärhilfen angeht. Da kann man doch mal auch in anderen Dingen was anderes sagen.
Heckmann: Rolf Verleger war das, ehemals Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mit ihm hat gesprochen mein Kollege Peter Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Israel-Projekt der Zionisten wurde von der weit überwiegenden Mehrheit der Juden in Westeuropa – vor allem auch der deutschen – strikt abgelehnt, da sie trotz verbreiteter Anfeindungen, – wie diese sie heute auch Moslems oder andere Gruppen erleben – in Deutschland „deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens“ sein und bleiben wollten. Erst Hitler (und später Mussolini) hat den Traum wahr gemacht, die beiden Gruppen, die der Deutschen und die der Juden, die von Zionisten wie von Nationalsozialisten als eigene Völker und Rassen angesehen wurden, zu trennen.
Es hat deshalb nicht nur „etwas mit Europa und unserem Verhalten gegenüber der jüdischen Minderheit Anfang des 20. Jahrhunderts zu tun“ (Rolf Verleger), sondern vor allem auch mit dem, was sich prominente und einflussreiche Zionisten selbst in jenen Jahren Anfang des 20. Jahrhunderts wünschten. Das fatale Spiel mit dem ethnozentrierten Feuer war beiderseits vorhanden – und es ist immer noch lebendig – nicht nur in Deutschland.
Dass wir heute einen „Zentralrat der Juden in Deutschland“ haben, ist die logische Fortsetzung der Sichtweise einer zwei Völker-Theorie.