An die Beauftragte für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth

1. März 2024

Guten Tag Frau Staatsministerin Claudia Roth,

ich bin entsetzt über Ihre Antisemitismusvorwürfe nach der Berlinale.

Ist es antisemitisch, wenn man einen Waffenstillstand fordert, ist es antisemitisch, wenn man dieses Gemetzel in Gaza als Völkermord bezeichnet? Nein, der israelische Experte für Völkermord und
Holocaust, Raz Segal, bezeichnete den israelischen Angriff auf den Gazastreifen als Genozid, und wies auf die Kriterien der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen von 1948 hin. Gaza ist für Segal ein „Lehrbuchfall“ von Genozid, denn es ist ein Völkermord mit Ansage, wie einige Aussagen israelischer Politiker eindeutig zeigen:

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend. Der Gazastreifen wird nicht mehr so sein wie vorher. Wir werden alles liquidieren.“

Premierminister Netanjahu: „Ich sage den Bewohnern des Gazastreifens: Verschwindet jetzt von dort, denn wir werden überall und mit aller Kraft handeln […] Gaza ist die Stadt des Bösen, wir werden alle Orte, an denen sich die Hamas aufhält und versteckt, in Trümmer verwandeln.“

Energie- und Wasserminister Yisrael Katz: ”Sie werden nicht einen Tropfen Wasser oder eine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen.”

Tsachi Hanegbi, Vorsitzender des Rates für nationale Sicherheit: „Mit einem Feind, den wir auslöschen wollen, wird es keine Verhandlungen geben.“

Das israelische Militär befolgt diese Anweisungen und lässt kaum Lebensmittel, Wasser, noch Medikamente in den Gazastreifen, die die hungernde Bevölkerung so dringend braucht.

Das Aushungern von Zivilisten als Mittel der Kriegführung ist laut dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ein Kriegsverbrechen und sollte auch von der deutschen Regierung immer wieder angeprangert werden. Aber schöne Worte oder Appelle scheinen schon lange ohne irgendwelche Konsequenzen zu verhallen. Also müssen den Worten Taten folgen, was etliche Regierungen angesichts des anhaltenden Mordens und Zerstörung schon lange fordern. Das heißt, keine Waffenlieferungen, keine finanzielle Unterstützung und sofortiges Aussetzen des EU-Israel-Assoziierungsabkommens!

Es ist absolut unverständlich und in meinen Augen auch absolut skandalös, dass die Bundesregierung weiterhin Waffen an die israelische Regierung liefert. Will die Bundesregierung wirklich die israelische Regierung unterstützen, der zwei rechtsextreme Minister angehören? Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit und Polizei, wird von der israelischen Zeitung Haaretz als „jüdischer Terrorist“ bezeichnet und ist wegen Rechtsterrorismus rechtskräftig verurteilt. Er verteilte unlängst Waffen an die Siedler im Westjordanland, die Palästinenser aus ihren Häusern und von ihrem Land vertreiben.
Die Bedrohungen und Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland sind allerdings kaum in den deutschen Medien. Die fokussieren sich wie die Politik auf den Antisemitismus, der mit Israelkritik gleichgesetzt wird.

Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich nennt sich selbst öffentlich Faschist und leugnet die Palästinenser als Volk, „weil es so etwas wie das palästinensische Volk nicht gibt“. Und solche Leute
unterstützt die Bundesregierung?

Sie werden wohl gehört haben, dass der israelische Filmemacher Yuval Abraham, dem Sie auf der Berlinale applaudiert haben, nach den Antisemitismusvorwürfen nach seinem Berlinale-Auftritt Morddrohungen erhalten hat und dass seine Familie von einem rechtsgerichteten israelischen Mob in ihrem Haus bedroht wurde, so dass sie noch in der Nacht flohen.

Ist Ihnen und den anderen Politikern eigentlich bewusst, dass sie mit den Antisemitismusvorwürfen gegen Juden und Jüdinnen diese Menschen gefährden? Warum wird nicht zwischen Kritik an der
israelischen Politik und Antisemitismus unterschieden, wird diese Differenzierung bewusst nicht gemacht?

Darf ich Sie erinnern, dass der Bundestag 2010 einmütig einen Antrag angenommen hat, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, alles zu tun, um die Blockade Gazas aufzuheben? Leider haben die Bundesregierungen der letzten 14 Jahre nicht ansatzweise versucht, dieser Forderung stattzugeben. Jetzt ist die Aufhebung der Blockade lebensnotweniger denn je.

Mit dem drohenden Hungertod Tausender Menschen im Gazastreifen und der Fristverstreichung, die der Internationale Gerichtshof der israelischen Regierung auferlegt hat, muss die internationale Gemeinschaft, und insbesondere die USA und die Bundesregierung als die größten Unterstützer der israelischen Regierung, sich jetzt eindeutig positionieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören die sofortige Einstellung aller Waffen- und Geldlieferungen an Israel, Suspendierung aller Handelsverträge und die sofortige Wiedereinstellung der Zahlungen an UNRWA! Die Ermöglichung von Hilfslieferungen auf dem Land-, Wasserweg und von Flugzeugen und ein sofortiger
Waffenstillstand.

Wie Sie wissen, hat der IGH Ende Januar Israel auf Antrag Südafrikas in einer Eilentscheidung aufgefordert, in Gaza keinen Völkermord zu begehen und die Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verbessern. Bis Ende Februar sollte Israel dem IGH berichten, wie es die Vorgaben umgesetzt hat. Das ist nicht geschehen. Welche Konsequenzen hat diese Unterlassung?

Ich möchte Sie bitten, die ungerechtfertigten Antisemitismusvorwürfen gegen Kulturschaffende zu unterlassen, die sie gefährden, und die eher dem Antisemitismus dienlich sind und ihn befördern.

Wenn die Diffamierungen gegen israelkritische Menschen weitergehen, werden immer wenige Kulturschaffende bereit sein, nach Deutschland zu kommen, weil sie Gefahr laufen, beschimpft und möglicherweise bestraft zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie eine solche drohende kulturelle Armut bei uns fördern möchten.

Ich hoffe sehr, dass die beiden Regisseure des Films „No other Land“ Yuval Abraham und Basel Adra die Anschuldigungen und Antisemitismusvorwürfen ohne weitere große Probleme überstehen! Falls ihnen etwas passiert, tragen Sie, Claudia Roth, eine Mitschuld.

Am besten wäre eine publikumswirksame Entschuldigung Ihrerseits und die „Reinwaschung“ der beiden Regisseure vom Stigma des Antisemitismus! Viele Menschen würden Ihnen dafür viel Beifall zollen!

Mit der Bitte um Bestätigung des Erhalts meines Briefes verbleibe ich

Annette Groth

ehemalige Menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag

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