Die Juden schaffen sich ihr eigenes Unglück

06.11.2023 von Eurich Lobenstein

Von 250.000 so genannten Juden, die um die jüngste Jahrhundertwende aus dem Ostblock zu den 30.000 deutschen Alt-Juden stießen, sind 60.000 bei den jüdischen Gemeinden immatrikuliert. Die Synagogen sind leere Prachtbauten (Deborah Feldman).Die meisten Nachkommen des Stammes Juda glauben auch nicht mehr an Jehova, der christlich als Gott Vater von Jesus gilt. Es läuft darauf hinaus, wie es Felix Theilhaber in den 1920ern beschrieb: auf den Untergang des deutschen Judentums. Natürlich wird immer ein unaufklärbarer ultra-orthodoxer Kern bleiben. Denn Esoteriker gibt es immer: Piusbrüder, evangelikale Sekten aller Art, Satansanbeter und Chassidim. In den USA ist es nicht anders. Von 7 Millionen Juden werden 1/3 nicht als „jüdisch“ anerkannt. ihnen wird die Zugehörigkeit zum Judentum bestritten. Die Voraussagen Theilhabers gelten auch dort. Das US-Judentum wird untergehen. Binnen zweier Generationen werden sich die 5 Millionen auf 13% ihres Bestandes reduzieren (Carlo Strenger). Das Judentum wird dann so etwas sei wie der historische Adel ohne Monarchie: adelige Namensträger ohne Feudalbesitz, von denen die meisten nicht einmal mehr 4 adelige Großeltern aufweisen können.

Die Alternative zum Untergang durch Abfall vom Glauben, und eine Alternative zur Ultra-Orthodoxie ist der Zionismus; in Palästina könnten sich die Juden als normale Nation entwickeln. 7 Millionen Juden sind diesen Weg gegangen. Es gibt nur zwei Probleme: Das Land ist zu klein, um eine Nation von 15 Millionen Juden zu beherbergen. Weitere Kriege gegen die Araber, wie sie Itamar Ben Gvir und Bezalel Schmotrich predigen, werden nötig sein. Aber wird dann dieses Israel stark genug sein im Falle, dass im Westen für dessen nationalistische Politik die Unterstützung versiegt? Die jüdische Fraktion im Westen dünnt sich nach Theilhaber und Strenger aus. 87% der heutigen US-Juden gelten dann als Abtrünnige und als Marranen. Warum sollten sie zu Israel stehen, wenn man dort „marrano“ mit „Schwein“ übersetzt?

Israel stand immer schon am Abgrund (Saul Friedländer). Aber die Sicherungsseile reißen noch nicht. Das Seil „made in Germany“ taugt allerdings nichts. Es besteht aus billigem Kunststoff.

Während sich die westlichen Gesellschaften durch starke Immigrationsströme rassisch neu bilden, herrscht in Israel das halachische Religionsgesetz. Die Juden sind über die Jahrhunderte hinweg immer ähnlich geblieben. Arthur Ruppin spricht von einem jüdischen Typus. Das verlangt deren Religion, denn sonst würde der Messias sein zerstreutes Volk nicht erkennen können. Deswegen wird das gläubige Volk (auch nicht das zionistisch-nationalistische) keine wirklich demokratische Gesellschaft mit der Urbevölkerung bilden können, sondern ein jüdischer Staat bleiben müssen, der selbst seinen russischen Juden gegenüber reserviert bleibt: Die „Russen“ leiten ihre Jüdischkeit vom Vater her ab. Heiraten können sie in Israel keine halachische Jüdin.

Das Wesen des jüdischen Staats ähnelt dem Wesen des spartanischen von Lykurg. Google schreibt:

Lykurg gilt als Gesetzgeber von Sparta. …Der Mythos Lykurg wurde vermutlich geschaffen, um die Einzigartigkeit der spartanischen Verfassung zu erklären. Sie unterschied sich in klassischer Zeit, also im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., deutlich von denen anderer griechischer Stadtstaaten. … Vor dem Hintergrund der Messenischen Kriege, des Gesetzes der Erbteilung oder der drohenden Vormachtstellung Athens wandelte sich Sparta …. in einen Staat, in dem das Kriegswesen eine dominierende Rolle spielte. …“

Israel bedarf der militärischen Überlegenheit über alle seine Nachbarn. Was das verlangt, hat Jeshajahu Leibowitz vorgezeichnet. Wie lange ein solches System die Sympathie und die Unterstützung des in „athenischer“ Tradition stehenden Westens behalten wird, ist angesichts des gesellschaftlichen Wandels im Westen offen. Der „jüdische Staat“ verletzt zu häufig völkerrechtliche Grundsätze und internationale Abkommen. In der Dritten Welt wird der Staat als Kolonialstaat mit Apartheitsregime wahrgenommen.

Wer für ein Fallen-Lassen Israels plädiert, gilt heute noch als Antisemit. Antisemit zu sein ist verpönt. Aber ist dies berechtigt? Die meisten Länder, fast die ganze UNO, sind gegen Israel eingestellt. Irgendwann werden Indien und Indonesien wichtiger als der Judenstaat mit seinem amerikanischen Patron, auch für Deutschland.

Alex Bein ist ohnehin der Meinung, dass der Begriff „Antisemitismus“ weder auf den religiösen „Antijudaismus“ noch auf den modernen Antizionismus erstreckt werden kann. Mögen im Westen die Linken Antikolonialisten, und davon abgeleitet Antizionisten sein, Antisemiten im klassischen Sinne sind die nicht. Die Antisemiten der Nazizeit förderten sogar die Einwanderung von Juden nach Palästina (Haawara-Abkommen). Sie sprachen sich zwar nicht unbedingt für einen jüdischen Staat, aber für ein jüdisches Reservat in Palästina aus (Siegfried Francke in Bezug aus Ghisbert Wirsing). Die Nazis waren im Prinzip keine Antizionisten. Insofern ist die heutige Beschimpfung von demonstrierenden Palästinensern als „Antisemiten“ ein Denkfehler.

Antisemitismus ist ganz etwas anderes als eine propalästinensische Haltung:

Bernd Witte hat den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen den Verehrern von „Moses“ und den Bildungsklassikern nach Homer beschrieben. Sigmund Freud hat die Wurzel des Antisemitismus in genau diesem Gegensatz analysiert. Die instinktive Ablehnung der monotheistischen Religion ist die Wurzel einer Feindschaft, die auf die Juden „sublimiert“ wird. Sublimiert, also übertragen auf die Juden, weil sich das Volk gegen die christliche Obrigkeit nicht erheben konnte, und seinen Frust über die Unterdrückung an den Juden ausließ. Das Dogma des christlichen Monotheismus wurde 325 in Nikäa formuliert und 395 zur Staatsreligion erklärt. Dadurch wurde der orientalische Despotismus westlich. Das galt zwar für das damalige Römische Reich, jedoch basiert die westliche Staatenwelt kulturell auf dessen geistigen Trümmern. 1792 definierte die Französische Republik die christlichen Lehren als „alten Aberglauben“. Um diese Zeit begann „der Westen“ die Schicht des monotheistischen Despotismus abzutragen.

Was unterscheidet den jüdischen Aberglauben vom Christlichen? Grundsätzlich glaubt der Jude, dass der Messias noch kommen werde; der Christ meint, in der Person des Jesus sei es bereits da gewesen. Jesus konstruieren die Christen als ein Wesen menschlicher wie göttlicher Natur. Die zwei Naturen blieben unvermischt. Nachdem Jesus körperlich (!) in den Himmel aufgefahren war, blieb seine Anhängerschaft als sein mystischer Leib zurück, in den zu Pfingsten der Hl. Geist, eine weitere Person der göttlichen Trinität einfuhr. Diese Gemeinschaft, nun Kirche genannt, die mit dem Reich (und dem christlich-monarchischem Staat) identisch wurde, verkörpert also genau dieselbe Göttlichkeit auf Erden wie Jesus zu seinen Erdentagen.  Die Kaiser Konstantin und Theodosius etablierten die Despotie in West-Europa nach der Formel: „Ein Gott, ein Reich, ein Kaiser“.

„Der Jude“ glaubt an die Existenz des letztlich gleichen Gottes. Dieser Gott hat sich nicht in Sohn und Hl. Geist verklont. Er hat mit Israel einen besonderen Bund mit abstrusen Speisegesetzen, Alltagsregeln und Kleidungsvorschriften geschlossen. Diesen Bund wollen die abergläubischen Leute pingelich einhalten, egal, was der Gott ihnen zumutet. Kaiser Julian meinte, der Gott der Juden müsse ein böser Kobold sein, der dieses Volk von einer Bredouille in die nächste führe. Jeder zweite Jude hat diesem Kobold die Gefolgschaft versagt. Machten die Juden im Römischen Reich noch 8% der Bevölkerung aus, repräsentieren sie auf demselben Territorium nicht einmal mehr ein einziges Promille. Die Lehre der Juden (und abgeleitet davon die der Christen) ist in sich unlogisch. Tertullian meinte: „ich muss glauben, weil es absurd wäre, so zu denken“. Wenn der Glaube vernünftig wäre, hätte der Gott nur in einem Anfall von Unvernunft den Menschen schaffen können, der seine Schöpfung zerstört. Einen solchen verrückten Gott verehren zu müssen hat in Israel zu einer nie endenden Herrschaft einer Priesterkaste geführt, die sich nach Zerstörung des Tempels als Herrschaft der Rabbiner fortsetzte (Gilead Atzmon). In Israel stellt diese Priesterkaste heute die Justiz, die in allen Dingen der Staatsführung das letzte Wort hat.

Gegen diesen verrückten Gott wehren sich nach Sigmund Freud die germanischen und slawischen Völker. Die Romanen kommen dank einer breiten Heiligenverehrung und der Mutter Gottes mit diesem Glauben besser zurecht. Schleiermacher meinte: Der Katholizismus sei die profilierteste polytheistische Religion. Der Katholizismus ist also weniger christlich als der Protestantismus.

Das klassische („athenische“) Denken, ausfabuliert vom alten Hesiod, kennt die Existenz von Göttergeschlechtern. Der alte Uranos zeugte die Titanen, und wurde von seinem Sohn Chronos entmannt und entmachtet. Chronos herrschte; sein Neffe Prometheus schuf den Menschen. Jedoch wurde das Titanengeschlecht durch die olympischen Götter abgelöst. Prometheus wurde an den Kaukasus geschmiedet, sein Bruder Atlas musste das Himmelsgewölbe tragen. Die anderen Titanen wurden in den Tartarus gestürzt. Die Menschen blieben ohne den göttlichen Schutz des Titanensohns Prometheus, und waren als dessen Geschöpfe den neuen Göttern ein Gräuel. Sie, die Götter, wollten sie, die Menschen, auch vertilgen und schickten ihnen die Büchse der Pandora. „Die Menschen“ überlebten dank ihrer Intelligenz und Schläue (was Homer in der Odyssee besingt). Solange sie die Logik der Naturgewalten nicht durchschauten, bauten die Griechen den Unsterblichen prachtvolle Tempel, die jene davon abhalten sollten, ihre Gemeinschaften samt den Tempeln zu zerstören. Die Intelligenteren erkannten das Fehlen von Göttern hinter den Naturgewalten, und entwickelten die Demokratie und die Republiken, schufen vernünftige Rechtssysteme und begründeten unsere Zivilisation: das Römische Reich. Römerstraßen, römische Brücken, sogar römische Theater sind noch heute in Funktion.

Durch endlose Bürgerkriege erschöpft übernahm Kaiser Konstantin 325 die Idee des Monotheismus: Ein Gott – ein Reich – ein Kaiser. 1.300 Jahre hat es bedurft, um das davon abgeleitete Gottesgnadentum zu überwinden.

KURZUM.

Die Menschheit schuldet dem Judentum nichts. Auch aus dem Holocaust resultiert keine Verpflichtung gegenüber den Juden. Schon das Luxemburger Abkommen war umstritten. Deutschland zahlte, weil man unter amerikanischer Fuchtel weiterwirtschaften musste (und wollte).

Im Gegenteil: der jüdische Monotheismus ist ein Danaergeschenk gewesen. Trotzdem verdankt die Welt einzelnen Juden viel.  Arthur Ruppin listet seitenweise Personen jüdischer Herkunft auf, denen die Menschheit viel verdankt: Sigmund Freud, Heinrich Hertz und Albert Einstein sind darunter: aber sie haben dem Judentum den Rücken gekehrt. Sogar die Nachkommen von Moses Mendelsohn haben sich vom Judentum abgewandt.  Das Judentum als solches ist ein alberner Aberglaube, bei genauer Prüfung ein unglaublicher Unsinn. Den müssen wir abschütteln. Nicht „der Jude“, sondern die monotheistische Lehre gehört ausgerottet. Dazu fängt man aber nicht bei den Juden und Moslems an, sondern bei den Christen. Der ganze kirchliche Grundbesitz könnte zur Staatsschuldentilgung versteigert werden. Die Curaille mag betteln gehen.

Und Israel?

Es wird selbst sehen, was es von seiner para-spartanischen Militärpolitik haben wird. Jeder ist seines eigenen Unglücks Schmied.

 

EINE VERPASSTE CHANCE – Meine Gedanken Zum Krieg Zwischen Israel Und Hamas

October 17, 2023

von Judith Bernstein

„Dem Brith Schalom schwebt ein binationales Palästina vor, in welchem beide Völker in völliger Gleichberechtigung leben, beide als gleich starke Faktoren das Schicksal des Landes bestimmend, ohne Rücksicht darauf, welches der beiden Völker an Zahl überragt. Ebenso wie die wohlerworbenen Rechte der Araber nicht um Haaresbreite verkürzt werden dürfen, ebenso muss das Recht der Juden anerkannt werden, sich in ihrem alten Heimatlande ungestört nach ihrer nationalen Eigenart zu entwickeln und eine möglichst große Zahl ihrer Brüder an dieser Entwicklung teilnehmen zu lassen.“, 1929.*

(*Das Zitat ist dem Buch meines verstorbenen Mannes Reiner Bernstein „Wie alle Völker…? Israel und Palästina als Problem der internationalen Diplomatie“ entnommen.)

Dieses Manifest, das bereits 1929 verfasst wurde, wäre die Chance für die Juden, im Nahen Osten anzukommen. Leider haben die Juden aber es vorgezogen, statt einen gemeinsamen Staat mit der dort ansässigen Bevölkerung zu gründen, ihren Staat mit Gewalt zu erobern. War es wirklich notwendig, die palästinensischen Orte zu zerstören und die Bevölkerung zu vertreiben?  So begann für die Palästinenser die bis heute anhaltende Nakba; damit haben Ben-Gurion und seine Regierung es in Kauf genommen, dass Israel immer ein Fremdkörper in der Region bleiben würde. Das Schicksal der vertriebenen Palästinenser hat niemanden nach 1948 interessiert.

Auch Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Hannah Arendt waren skeptisch. Albert Einstein: „Frieden kann nicht mit Gewalt aufrechterhalten werden; er kann nur durch Verständnis erreicht werden. Nicht Herkunft oder Religion sollte unser Sein und unser Leben bestimmen, sondern allein die Vernunft, die Toleranz und die Verantwortung füreinander!“
Hannah Arendt plädierte für einen jüdischen Staat im Rahmen eines föderativen, multiethnischen Konstrukts. Nur so, glaubte sie, konnte die jüdische Nation Teil der Nationen der Welt werden.

Die Zustimmung der Weltgemeinschaft zur Gründung des neuen Staates ging auf das Versagen der Länder zurück, die Juden aus der Barbarei der Nazis zu befreien. Auch sah der Westen Israel als sein Bollwerk in der Region.

Eine weitere Chance für Israel wäre die Niederlage der arabischen Staaten nach 1967 gewesen. Es war diesmal Golda Meir, die nicht bereit war, mit den besiegten Staaten Jordanien und Ägypten über einen eigenständigen palästinensischen Staat zu verhandeln.
Der Erste, der verstanden hat, dass der Konflikt nicht mit Gewalt zu lösen war, war Yitzhak Rabin (der bestimmt kein Linker war). Dafür musste er mit seinem Leben bezahlen; ihm wurde vorgeworfen, „er kümmere sich nicht um sein Land“.

Zu Hamas: Israel hat Hamas als Konkurrenz zur PLO aufgebaut, um die palästinensische Bevölkerung zu spalten. Für Netanyahu war immer klar, dass er nie mit der Hamas über einen Frieden verhandeln würde. Er befürchtete jedoch, dass der Westen ihn evtl. zu einem Frieden mit der PLO zwingen würde. Da er die Hamas gebraucht hat und auch heute noch braucht, hat er sie nach keinem Gazakrieg vernichtet.
Im Gegensatz zu vielen Palästina-Anhängern in Deutschland wollen die Palästinenser vor Ort weder die Hamas noch die PLO – sie wollen in Frieden und Freiheit leben. Vor allem die jungen Menschen, die keine Zukunft für sich sehen und aus den sozialen Medien entnehmen, wie andere junge Menschen leben, wünschen sich nichts anderes als wie alle Jugendliche in der Welt zu leben.

Die Hamas hat in ihrer letzten gewaltätigen und brutalen Aktion vom 07.10.23 genau die Orte zerstört und deren Einwohner ermordet bzw. verschleppt, die gegen die Politik ihrer Regierung demonstriert haben und zum großen Teil zum Friedenslager gehörten. Bis zur Abriegelung des Gazastreifens gab es von ihnen sogar Unterstützung für die Bewohner Gazas. Viele der Verwandten der Ermordeten und Verschleppten beschuldigen die eigene Regierung für den Tod und die Geiselhaft ihrer Angehörigen verantwortlich zu sein.
Hamas hält die palästinenesiche Bevölkerung als Geisel genau wie die israelische Regierung es mit ihrer Bevölkerung tut. Der Westen hat es versäumt, die Bevölkerungen auf beiden Seiten und nicht ihre korrupten Regierungen zu unterstützen.

Warum hat der Westen nicht gegen die Gewalt der Siedler protestiert, die jede Form von zusammenleben verhindert? Ist das die Staatsräson, von der immer wieder die Rede ist? Ich höre zwar, dass die deutsche und europäische Politik versagt hat, aber die deutschen Politiker stellen sich wieder auf die Seite Israels, auf die Seite des Mannes, gegen den wöchentlich demonstriert wird. Warum eigentlich? Somit verhindert der Westen eine Lösung für alle dort lebenden Völker.
Auch das Abraham-Abkommen, auf das die Amerikaner so stolz sind, war kein Abkommen zwischen den Bevölkerungen, sondern zwischen Despoten und der korrupten israelischen Regierung. Wieder einmal hat der Westen die falschen Kräfte unterstützt. So hat er verhindert, dass Israel im Nahen Osten ankommt. Eine Tragödie für Israel!
Israel befand sich zwar im Nahen Osten, hat aber in seinem „way of life“ immer den USA und Europa nachgeahmt. Wenn Israel im Nahen Osten ankommen will,  muss es sich mit seinen Nachbarn und nicht mit Amerika oder Europa verständigen.

Und nun zu Deutschland:
Was heißt Solidarität mit Israel – mit welchem Israel? Das Israel von Netanyahu, das mit den Siedlern in der Westbank das vollendet, was 1948 begann – die Säuberung der palästinensischen Gebiete, oder mit den Friedensgruppen?
Wieso wird gegen Antisemitismus gekämpft, nicht aber gegen Antiislamismus – ein Phänomen, das in Deutschland viel weiterverbreitet ist.

Warum wurden wir, die wir uns für die Gleichstellung der Palästinenser einsetzen – wir, die sehen, dass nur so auch Israel existieren kann – bekämpft? Warum haben die Juden in Deutschland, denen es so gut geht wie nie zuvor, jede Regierung Israels und nicht die Kräfte in Israel, die um die Zukunft dieses Landes kämpfen, unterstützt?
Warum durfte ich seit Jahren nicht über meine Geburtsstadt Jerusalem sprechen? Warum sollte mein Mann wegen seiner vorsichtigen Kritik an der Politik Israels mundtot gemacht werden? (siehe sein letztes Buch „Allen Anfeindungen zum Trotz“).

Mit genau dieser Politik haben Deutschland und der Westen dafür gesorgt, dass die Zukunft Israels im Nahen Osten immer unsicher bleiben wird und wir Juden wieder einmal als der  „Ewige Jude“ abgestempelt werden.

 

 

Rede am 25. 10. 2023 auf dem Rotkreuzplatz in München

Von Jürgen Jung

Gründungsmitglied von Salam Shalom, Arbeitskreis  Palästina-Israel e.V.                               und derzeit Mitglied im kollektiven  Vorstand des Vereins

„Freiheit“, schrieb Rosa Luxemburg einst, „ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“. Leider ist es in der momentan aufgeheizten Situation notwendig geworden, auf diese schlichte Wahrheit hinzuweisen, denn angesichts der verfahrenen Situation im Nahen Osten wird derjenige ja bereits verurteilt, der es sich erlaubt, auf mögliche Entstehungs-bedingungen und Ursachen des terroristischen Angriffs der Hamas vom 7. Oktober aufmerksam zu machen. Das gilt dann bereits als dessen Relativierung, ja vielfach sogar als Ausdruck des Antisemitismus, und es wird von Medien wie Politik die unverbrüchliche Solidarität mit Israel beschworen, dessen Sicherheit deutsche „Staatsraison“ sei. Und es wird in der Regel betont, dass wir mit der – wie es heißt – „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ die gleichen Rechte teilen.

Verwundert reibt man sich die Augen und fragt sich, ob im Mainstream immer noch nicht angekommen ist, was in den letzten Jahren von israelischen und jüdischen Intellektuellen und Organisationen immer wieder  betont und nachgewiesen wurde, nämlich, dass Israel ein „siedlerkolonialistischer Apartheidstaat“ sei.

Dabei haben bereits die frühen Zionisten ganz unbefangen klargestellt, worum es ihnen ging. In einer Broschüre der zionistischen Weltorganisation von 1921, in der die Koloni-sierung Palästinas – unter Berufung auf das Vorgehen der Europäer gegen die Indianer Amerikas und die Schwarzen Südafrika –  verteidigt wird, heißt es:

„Kolonisation ist ein nicht unbedeutenderes Prinzip als Selbstbestimmung, und es gibt Fälle, wo die Selbstbestimmung nur angewandt werden darf, insofern sie mit der freien Entwicklung der Kolonisation vereinbar ist.“

Oder zwei Jahre später Ze’ev Jabotinski, der Ahnherr der heutigen rechten Parteien in Israel – Netanjahus Vater war jahrzehntelang sein Privatsekretär – , Jabotinski in seinem berühmten Essay „Die eiserne Mauer“: „Wir versuchen, ein Land gegen den Willen seiner Bevölkerung zu kolonisieren, mit anderen Worten, mit Gewalt…… Jede Urbevölkerung in der Welt würde sich, solange es noch einen Funken Hoffnung gibt, der Kolonisierung zu entgehen, gegen die Kolonisten wehren….Die zionistische Kolonisierung muß entweder sofort enden, oder andernfalls – ohne Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung – fort-gesetzt werden“. Und diese Kolonisierung müsse dann hinter einer „eisernen Mauer“, d. h. einer unüberwindlichen Armee realisiert werden.

Und im Jahr 1947 – ein Jahr vor der Staatsgründung – äußerte sich Ben-Gurion auf dem Zionistenkongress unmissverständlich: „Unser Ziel ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat.“ Seine Lösung für das Problem, dass dieses Land schon besiedelt war, hatte er 10 Jahre zuvor – also 1937 – bereits seinem Sohn brieflich mitgeteilt: „Ich bin für Zwangsumsiedlung. Daran kann ich nichts Unmoralisches erkennen.“ Und diese Zwangsumsiedlung begann dann – erforscht v. a. von den  „revisio-nistischen“ Historikern Israels – unmittelbar nach dem UNO-Beschluss vom 29. November 1947 als „ethnische Säuberung Palästinas“, die dazu führte, dass etwa zwei Drittel der Palästinenser, ca. 750 000, vertrieben wurden. Und diese „Nakba“, arabisch für „Katastrophe“, dauert im Kern, ganz im Sinne der von Ben Gurion formulierten Ziel-vorstellung – ganz Palästina als jüdischer Staat –, bis heute an. Die gegenwärtige rechts-reaktionäre Regierung Israels verhehlt ihre entsprechenden, krass völkerrechtswidrigen Absichten nicht einmal.

Insofern ist die Kennzeichnung Israels als „siedler-kolonialistischer Apartheidstaat“ mit-nichten eine „extreme Dämonisierung des Staates der einstigen jüdischen Geflüchteten“, wie uns nicht nur die SZ kürzlich glauben machen wollte.

Nach diesem kurzen historischen Exkurs zurück in die Gegenwart:

Wenn man den Medien, unseren Politikern, auch manchen Wissenschaftlern Glauben schenken darf, dann nimmt der Antisemitismus ständig zu, der herkömmliche Antisemi-tismus von rechts, der von links, der aus der Mitte der Gesellschaft und in den letzten Jahren insbesondere der „zugewanderte“ Antisemitismus der muslimisch-arabischen Migranten. Letzterer ist allerdings – aufgrund der leidvollen historischen Erfahrungen der Araber, insbesondere der Palästinenser mit dem Zionismus und Israel – zunächst einmal Antizionismus, den die falschen Israelfreunde aber kurzerhand mit Antisemitismus gleichsetzen.

Bereits im vergangenen Jahr haben die wichtigsten Menschenrechtsorganisationen der Welt, Human Rights Watch und Amnesty International in teils umfangreichen Studien nachgewiesen, dass Israel ein Apartheidstaat ist. Bereits 2021 waren sogar die israelischen Menschenrechtsorganisationen B’Tselem und Yesh Din zu dem gleichen Ergebnis gekommen; und in der israelischen Tageszeitung Haaretz konnte man am 13. 7. 2021 nachlesen, dass ein Viertel der ca. 6 Millionen Juden in den USA, also 1,5 Millionen, – so das Ergebnis einer Umfrage – Israel gleichfalls für einen Apartheidstaat halten, unter den jüngeren bis 40 sind es sogar 38 Prozent! Alles Antisemiten?!

In einem offenen Brief vom August diesen Jahres unter der Überschrift „Der Elefant im Raum“ rechnen israelische Akademiker mit der Politik ihres Staates vorbehaltlos ab. Dieser „Elefant im Raum“, der in Israel geflissentlich ignoriert wird, ist nach Ansicht der Autoren die völkerrechtswidrige israelische Besatzung. Der Kernsatz des Textes lautet: „Es kann keine Demokratie für Juden in Israel geben, solange die Palästinenser unter einem Apart-heidregime leben.“ Diese selbstkritische Radikalität renommierter israelischer Experten auf dem Gebiet der Judaistik, der Antisemitismus- und der Holocaustforschung ist in der Tat so erstaunlich wie die annähernd 3000 Unterschriften von vorwiegend jüdischen Zeitgenossen, die der Brief innerhalb kurzer Zeit bekam.

Und in einer Reaktion auf den 7. Oktober von den gleichen israelischen Autoren heißt es unmissverständlich:

„Wir, die Unterzeichnenden, verurteilen die Hamas für ihre abscheulichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Terroristen, die Hunderte von Zivilisten, Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge und Senioren auf grausamste Weise abgeschlachtet und zahlreiche weitere entführt haben, müssen vor Gericht gestellt werden. Israel hat jedes Recht, sich zu verteidigen und diese Mörder zu verfolgen, wo immer sie zu finden sind.

In dieser Zeit des Schmerzes und der Verwüstung rufen wir Israel dazu auf,

  1. alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Geiseln zu befreien. Israel hält eine große Anzahl von Palästinensern in Gefängnissen gefangen….. Israel muss sich um einen Aus-tausch von Gefangenen bemühen, um seine eigenen und die gefangenen Bürger anderer Länder vor dem sicheren Tod zu bewahren.
  2. darauf zu verzichten, die Zivilbevölkerung des Gazastreifens kollektiv für die Verbrechen der Hamas zu bestrafen. Ein Massaker rechtfertigt nicht das nächste. Dies wird nur zu weiteren Verwüstungen führen und den Kreislauf der Gewalt weiter anheizen. Wir rufen zu einem sofortigen Waffenstillstand und zur Deeskalation auf.
  3. die gewaltsame Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu beenden. Die Apart-heid, die jahrzehntelange Besatzung des Westjordanlandes, die 16-jährige Belagerung des

Gazastreifens mit zwei Millionen Palästinensern und die Auslöschung der Erinnerung an die Nakba tragen alle zur Verrohung und zur Gewalt bei. Ihnen muss dringend ein Ende gesetzt werden. Es gibt keinen anderen Ausweg.

Wir dürfen unsere Trauer und unseren Schock nicht dazu benutzen, Rache zu üben und weiteres Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung zu verursachen.“

Und vor ein paar Tagen sprach die renommierte israelische Publizistin Amira Hass wiederum in Haaretz Olaf Scholz direkt an, der am 12. 10. gesagt hatte:

„Das Leid und die Not der Zivilbevölkerung im Gazastreifen werden nur noch zunehmen. Auch dafür ist die Hamas verantwortlich.“ Und Amira Hass fragt den Bundeskanzler: „Aber gibt es eine Grenze für dieses zunehmende Leid, wenn man bedenkt, dass Sie und Ihre Kollegen im Westen Israel uneingeschränkt unterstützt haben? Werden Sie es hin-nehmen, dass 2.000 palästinensische Kinder getötet werden? …..

Sie sagten auch: „Unsere eigene Geschichte, unsere Verantwortung, die sich aus dem Holo-caust ergibt, macht es für uns zu einer ewigen Aufgabe, für die Existenz und Sicherheit des Staates Israel einzutreten.“

Aber Herr Scholz, es gibt einen Widerspruch zwischen diesem Satz und dem oben zitierten.
„Das Leid und die Not werden zunehmen“ ist ein Blankoscheck für ein verwundetes, ver-letztes Israel, das hemmungslos vernichten, zerstören und töten darf mit dem Risiko, uns alle in einen regionalen Krieg zu verwickeln, wenn nicht sogar in einen dritten Weltkrieg, der auch Israels Leben gefährden würde, seine Sicherheit und Existenz. Wohingegen „Verantwortung, die sich aus dem Holocaust ergibt“, bedeutet, alles zu tun, um einen Krieg zu verhindern, der in einem endlosen Kreislauf zu Katastrophen führt, die wiederum zu Kriegen führen, die das Leid nur noch vergrößern.

Das habe ich von meinem Vater gelernt, einem Überlebenden der deutschen Viehwaggons. Bereits 1992 sagte er mir jedes Mal, wenn ich aus Gaza mit Berichten über die Unter-drückung seiner Bewohner durch Israel zurückkam: „Es stimmt, das ist kein Völkermord, wie wir ihn erlebt haben, aber für uns endete er nach fünf oder sechs Jahren. Für die Palästinenser dauert das Leid seit Jahrzehnten an.“ Es ist eine andauernde Nakba.

Ihr Deutschen habt Eure Verantwortung, die sich „aus dem Holocaust“ ergibt – also aus der Ermordung unter anderem der Familien meiner Eltern und dem Leid der Überlebenden – längst verraten. Sie haben sie verraten, indem Sie ein Israel vorbehaltlos unterstützt haben, das besetzt, kolonisiert, den Menschen Wasser entzieht, Land stiehlt, zwei Millionen Menschen in Gaza in einem überfüllten Käfig einsperrt, Häuser zerstört, ganze Gemeinden aus ihren Häusern vertreibt und Siedlergewalt fördert.

……Es gibt genügend Diplomaten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die darüber berichtet haben, wie Hunderttausende junge Palästinenser unter der arroganten Unter-drückung durch Israel und der willkürlichen Tötung von Zivilisten jede Hoffnung und jeden Sinn ihres Lebens verloren haben. Palästinensische Menschenrechtsaktivisten haben immer wieder gewarnt, dass Israels Politik nur zu einem Gewaltausbruch unvorstellbaren Ausmaßes führen könne. Auch israelische und jüdische Friedensaktivisten haben Sie ge-warnt.

Aber Sie sind Ihrem Weg treu geblieben und haben Israel die Botschaft übermittelt, dass alles in Ordnung sei – dass niemand es bestrafen oder den Israelis durch energische diplo-matische und politische Schritte beibringen wird, dass es mit der Besatzung keine Norma-lität geben kann. Und dann bezichtigten Sie Israels Kritiker des Antisemitismus!

NEIN, diese Kolumne ist keine Rechtfertigung für die Mord- und Sadismusorgie, die die bewaffneten Hamas-Männer begangen haben. …..Vielmehr ist es ein Aufruf an Sie, die aktuelle Kampagne des Todes und der Zerstörung zu stoppen, bevor sie eine weitere Katastrophe über Millionen von Israelis, Palästinensern, Libanesen und vielleicht sogar Bewohner anderer Länder in der Region bringt.“ Soweit Amira Hass.

Am 19. Oktober, also letzte Woche organisierte die jüdisch-amerikanische Organisation Jewish Voice for Peace eine Protestveranstaltung vor dem Kapitol in Washington zugunsten der Palästinenser, und es fanden sich   – ich wollte es kaum glauben – 5000 Teilnehmer ein. Der Tenor der Versammlung war: Die Wurzel der Gewalt ist Unter-drückung!

Und zum Schluss noch zu einem gestern erst in der taz erschienenen offenen Brief, den  über 100 in Deutschland lebende jüdische Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler unterschrieben haben. Darin heißt es:

„Wir verurteilen vorbehaltlos die terroristischen Angriffe auf Zivilisten in Israel.….. Mit gleicher Schärfe verurteilen wir die Tötung von Zivilisten in Gaza….. In den letzten Wochen haben Landes- und Stadtregierungen in ganz Deutschland öffentliche Versamm-lungen mit mutmaßlichen Sympathien für Palästinenser verboten……

Praktisch alle Absagen, einschließlich derjenigen, die von jüdischen Gruppen organisierte Versammlungen verbieten, wurden von der Polizei zum Teil mit der „unmittelbaren Gefahr“ von „volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen“ begründet. Diese Behauptungen dienen unserer Meinung nach dazu, legitime und gewaltfreie politische Äußerungen, die auch Kritik an Israel beinhalten dürfen, zu unterdrücken……

Klar ist jedoch: Es macht Juden nicht sicherer, wenn Deutschland das Recht auf öffentliche Trauerbekundungen um verlorene Menschenleben in Gaza verweigert……

Wir prangern an, dass die gefühlte Bedrohung durch solche Versammlungen die tatsächliche Bedrohung des jüdischen Lebens in Deutschland grob ins Gegenteil verkehrt, wo nach Angaben der Bundespolizei die „überwiegende Mehrheit“ der antisemitischen Straftaten – etwa 84 Prozent – von deutschen extremen Rechten begangen wird. Die Versammlungs-verbote sollen ein Versuch sein, die deutsche Geschichte aufzuarbeiten, doch besteht viel-mehr die Gefahr, dass man sie genau dadurch wiederholt.

Wir befürchten, dass mit der derzeitigen Unterdrückung der freien Meinungsäußerung die Atmosphäre in Deutschland gefährlicher geworden ist – für Juden und Muslime gleicher-maßen – als jemals zuvor in der jüngeren Geschichte des Landes. Wir verurteilen diese in unserem Namen begangenen Verbote.

Wir fordern Deutschland auf, sich an seine eigenen Verpflichtungen zur freien Meinungs-äußerung und zum Versammlungsrecht zu halten, wie sie im Grundgesetz verankert sind…..“

 

 

Und Finsternis war auf dem Antlitz Israels Von Gideon Levy, in: Haaretz, 26. Oktober 2023

Und Finsternis lag über dem Antlitz der Tiefe. Im Angesicht des Abgrunds des Massakers im Süden wird Israel von Finsternis heimgesucht. Noch ist es ein Wolkengebilde, aber es könnte sich in Dunkelheit verwandeln: Israel wird verrückt. Die Linken werden „wach“, die Rechten werden immer extremer, McCarthyismus und Faschismus regieren.

Kriegszeiten sind immer eine Zeit des Schweigens, der Meinungsgleichheit, des Rassismus, der Hetze und des Hasses, der absoluten Rekrutierung im Dienste der Propaganda, des Endes der Toleranz und der Verfolgung aller, die es wagen, aus der Reihe zu tanzen. Die von der Hamas im Süden verübten Gräueltaten haben all diese Erscheinungen auf die Spitze getrieben, so als ob die Gräueltaten den Verlust jeglicher Zurückhaltung rechtfertigen würden.

Der emotionale Aufruhr ist natürlich verständlich, nicht aber der Totalitarismus, der in seinem Gefolge entstanden ist. Wenn dem nicht Einhalt geboten wird, wird die Gefahr für die Demokratie tausendmal größer sein als die des Staatsstreichs, der das ganze System hier zum Einsturz gebracht hat.

Die ersten, die den Verstand verloren, waren wie üblich die Linken. Sie sind „klüger geworden“. Diejenigen, die sich vor dem Krieg entschlossen hatten, für die Demokratie zu kämpfen, sabotieren sie nun mit ihren eigenen Händen. Diejenigen, die sich vor dem Krieg als Liberale, als Menschen des Friedens und der Menschenrechte betrachteten, nehmen nun eine aktualisierte Weltanschauung an: Sie stehen den Gräueltaten im Gazastreifen gleichgültig gegenüber; eine Mehrheit will sogar, dass sie noch verstärkt werden.

Und warum? Weil sie Gräueltaten an uns verübt haben. Für wie lange? Bis zum Ende. Zu welchem Preis? Um jeden Preis. Diese Linke denkt jetzt über Gaza genauso wie die Rechte: Zuschlagen und zuschlagen, das ist die einzige Option.

Diejenigen, die vor dem Krieg unterschätzt haben, wie wichtig es ist, sich mit der Apartheid und dem Schicksal des palästinensischen Volkes zu befassen, denken jetzt, zum Teufel mit allen. Sie können hängen. Sollen sie doch ersticken. Lasst sie sterben. Sollen sie doch vertrieben werden. Diejenigen, die sich vor dem Krieg für aufgeklärt hielten, unterstützen jetzt den Konsens.

Die Hamas hat auch die israelische Linke auf den Kopf gestellt. Von nun an ist es Israel erlaubt, dem Gazastreifen alles anzutun; die Linke wird sogar ihren Segen dazu geben. Von nun an ist es verboten, auch nur mit den Bewohnern des Gazastreifens mitzufühlen.

Der Menschenrechtsaktivist und ehemalige Peace-Now-Direktor Yariv Oppenheimer beobachtete, wie Amira Hass über das Schicksal der Bewohner des Gazastreifens Tränen vergoss und beeilte sich zu schreiben: „Ich gebe zu, dass ich gefühllos geworden bin.“

Selbst angesichts der Leichen von 2.360 Kindern, die nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums am Dienstag gefunden wurden, ist das Herz der Linken versiegelt. Wie zu Beginn eines jeden Krieges ist die Linke dafür. Die Linke „wird klug“ und kehrt danach irgendwie zu sich selbst zurück. Das scheint dieses Mal unwahrscheinlich.

Außerhalb der Linken ist die Situation noch schlimmer. Der Faschismus ist die einzig richtige Position geworden. Die lokalen Fernsehsender haben sich dem Kanal 14 angeschlossen; wenn es um Gaza geht, gibt es keinen Unterschied. Reporter und Moderatoren bezeichnen die Hamas in einer abstoßenden Zurschaustellung von Holocaust-Verharmlosung und -Leugnung als Nazis, und die Menge jubelt. Die Hamas hat abscheuliche Dinge getan, aber sie sind keine Nazis.

Jede andere Meinung ist nun zur Verfolgung verurteilt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, sprach wahrheitsgetreu und mutig über den Kontext der Gräueltaten vom 7. Oktober und beeilte sich zu betonen, dass nichts die schrecklichen Angriffe der Hamas rechtfertigen kann; Israel reagierte mit einem frenetischen Angriff auf Guterres, der von den Medien aufgepeitscht wurde. Jeder diplomatische Korrespondent, der sich noch nie zu etwas geäußert hat, weiß, dass die Äußerungen des Generalsekretärs „empörend“ waren.

Ich für meinen Teil war nicht entrüstet. Sie waren wahr. Die Schauspielerin Maisa Abd Elhadi wurde wegen eines Social-Media-Posts, der gegen kein Gesetz verstieß, von der Polizei festgenommen und über Nacht festgehalten, und israelische Fernsehsender entfernen ihre Filme aus ihren Streaming-Archiven. McCarthyismus würde sich schämen.

Die freigekaufte Gefangene Yocheved Lifshitz gab eine bewegende Vorstellung, und die Mainstream-Journalisten beschweren sich, weil sie die Wahrheit gesagt hat. PR-Beraterin und Internet-Persönlichkeit Rani Rahav sieht ein Video von der Zerstörung in Gaza und schreibt: „So gefällt mir das!!!“ (Alle sabbernden Ausrufezeichen sind im Originaltext enthalten).

Der Journalist Zvi Yehezkeli drängt auf die nächtliche Zerstörung des Gazastreifens. Den gesamten Gaza-Streifen. Und sein Kollege Netali Shem Tov von Channel 13 News sieht „zu viele Gebäude in Gaza stehen“. Das ist das destillierte Böse im Angesicht der Gaza-Katastrophe, deren Schrecken den Israelis fast nie gezeigt wird.

Dies ist die dunkle Zeit. Die Zeit des barbarischen Angriffs der Hamas und die Zeit des verlorenen Gewissens und der Vernunft in Israel.

 

Kein Recht auf Rache in Gaza

Dienstag, 24. Oktober 2023, Berliner Zeitung

Unser Autor verurteilt den Terror der Hamas gegen Israel, aber auch das, was er als kollektive Bestrafung der Palästinenser ansieht

FABIAN SCHEIDLER

Etwa 1400 Israelis, die meisten davon Zivilisten, tötete die Hamas bei ihrem Angriff auf Israel und nahm 200 Geiseln. Mehr als 4200 Bewohner des Gazastreifens sind laut UN bisher durch die israelischen Vergeltungsschläge gestorben, viele davon ebenfalls Zivilisten. Ein Ende der Bombardements ist nicht in Sicht, eine Bodenoffensive droht. Etwa eine Million Menschen in Gaza sind auf der Flucht, doch können sie den winzigen Küstenstreifen nicht verlassen, weil er überall von Zäunen und Mauern umgeben ist. Sichere Zonen gibt es nicht. Israel hat jüngst auch den Süden Gazas bombardiert, nachdem es zuvor die Bewohner des Nordens aufgefordert hatte, dort Zuflucht zu suchen. Den überlebenden Bewohnern droht durch die von Israel verhängte Totalblockade eine humanitäre Katastrophe, weil es an Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung und Elektrizität fehlt. Da Klärwasseranlagen und Müllentsorgung aufgrund fehlender Energie nicht arbeiten, ist außerdem ein hygienischer Notstand zu befürchten. Israel hat jüngst auch den Übergang zwischen Gaza und Ägypten in Rafah bombardiert, die einzige Straße, über die in nächster Zeit Hilfsgüter nach Gaza kommen könnten – wenn Ägypten und Israel sie durchlassen.

USA stoppen Resolution

Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete in dieser Lage, er stehe „fest an der Seite Israels“. Er hätte auch sagen können, dass er fest an der Seite des Völkerrechts und der Opfer jeglicher Gewalt steht, unabhängig von ihrer Nationalität, ihrem Glauben und ihrer Hautfarbe. Er hätte in diesem Geiste auch ein Ende der Eskalationsspirale fordern können, wie die von Brasilien eingebrachte Resolution des UN-Sicherheitsrates, die allerdings per Veto von den USA gestoppt wurde. All das aber hat er nicht getan, sondern rückhaltlos Partei für eine israelische Regierung ergriffen, die allgemein als die rechteste in der Geschichte Israels bezeichnet wird und die, wie bereits ihre Vorgänger, keinen Hehl daraus macht, dass sie an der Einhaltung völkerrechtlicher Normen kein Interesse hat.

Die seit 16 Jahren andauernde Blockade von Gaza ist eindeutig völkerrechtswidrig. Im Jahr 2017, zehn Jahre nach Beginn der Abriegelung durch Israel, kamen die UN in einer Bewertung der Lage zu folgendem Ergebnis: „Viele dieser Maßnahmen verstoßen gegen das Völkerrecht, da sie die gesamte Bevölkerung von Gaza ohne Rücksicht auf die individuelle Verantwortung treffen und somit einer kollektiven Bestrafung gleichkommen. Darüber hinaus hat die Blockade schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte der Bevölkerung in Gaza, insbesondere auf ihr Recht auf Bewegungsfreiheit sowie auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.“ Im Völkerrecht gibt es auch kein Recht auf Rache. Wie brutal und niederträchtig die Angriffe der Hamas auf Zivilisten auch waren, sie bilden keine Legitimationsgrundlage für ein Bombardement von Zivilisten und die Zerstörung der Infrastruktur einer der am dichtesten besiedelten und ärmsten Regionen der Welt.

Wenn sich nun der Kanzler ohne jede kritische Distanz hinter Israels Regierung stellt, dann lässt er das Völkerrecht hinter sich und macht sich zum Komplizen einer illegalen Vergeltungsaktion, die schon jetzt verheerendere Auswirkungen hat als die Verbrechen der Hamas. Zwar hat Außenministerin Annalena Baerbock inzwischen eingeräumt, dass Israels Recht auf Selbstverteidigung nur „in dem Rahmen, den das Völkerrecht für solche Ausnahmesituationen vorgibt“ gelte. Doch forderte sie weder eine Beendigung der Bombardierungen Gazas noch eine Aufhebung der völkerrechtswidrigen Blockade.

Es stellt sich auch die Frage, welche Lehren die hiesige Politik denn aus der deutschen Vergangenheit gezogen hat. Wenn es eine Lektion aus der Geschichte zu beherzigen gilt, dann doch wohl diese: dass Menschen ungeachtet ihrer Nationalität, Herkunft, Hautfarbe und Glaubensrichtung vor Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu schützen sind. Das gilt für israelische Bürger ebenso wie für die Bewohner des Gazastreifens oder der Westbank. Doch von einem Recht auf Schutz, Verteidigung und Solidarität, das den Bürgern Israels vollkommen zu Recht zugestanden wird, ist in Bezug auf die Palästinenser keine Rede. Nationalität und Hautfarbe entscheiden einmal mehr in Deutschland darüber, wem welche Rechte zuerkannt werden.

„Operation gegossenes Blei“

Deutsche Politiker betonen gerne, dass die Sicherheit Israels „deutsche Staatsräson“ sei. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn diese Sicherheit nicht auf Kosten anderer hergestellt werden soll. Die Politik von Besatzung, Blockade und Bombardierungen, die Israel seit Jahrzehnten praktiziert, hat die Sicherheit der palästinensischen Bürger erheblich untergraben. Sie hat außerdem Israel selbst unsicherer gemacht. Wenn man wie in Gaza mehr als zwei Millionen Menschen auf unabsehbare Zeit einsperrt, ihnen elementare Rechte verwehrt und sie immer wieder durch Bombenangriffe traumatisiert, wie etwa in der „Operation gegossenes Blei“ im Winter 2008/09 mit 1400 palästinensischen Toten (Israel hatte 13 Opfer zu beklagen), dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass irgendwann einige Tausend von ihnen zu massiver Gewalt greifen werden. Wem Israels Sicherheit und die der Palästinenser am Herzen liegt, sollte daran mitwirken, die Spirale der Gewalt zu stoppen und ihre Wurzeln zu beseitigen. Und das bedeutet, die Politik von Besatzung und Blockade zu beenden und den Palästinensern die volle Selbstbestimmung über ihre gesamten Territorien zurückzugeben, so wie es das Völkerrecht vorsieht. Auch wenn dies im Moment schwieriger denn je erscheint, so ist es doch der einzige Weg zum Frieden für Israel und Palästina.

Fabian Scheidler studierte Geschichte und Philosophie und arbeitet als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen und Theater. 2015 erschien sein Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Zuletzt erschien im Piper Verlag „Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“. Fabian Scheidler erhielt 2009 den Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus.

 

Kein Recht auf Rache in Gaza

Dienstag, 24. Oktober 2023, Berliner Zeitung

Unser Autor verurteilt den Terror der Hamas gegen Israel, aber auch das, was er als kollektive Bestrafung der Palästinenser ansieht

FABIAN SCHEIDLER

Etwa 1400 Israelis, die meisten davon Zivilisten, tötete die Hamas bei ihrem Angriff auf Israel und nahm 200 Geiseln. Mehr als 4200 Bewohner des Gazastreifens sind laut UN bisher durch die israelischen Vergeltungsschläge gestorben, viele davon ebenfalls Zivilisten. Ein Ende der Bombardements ist nicht in Sicht, eine Bodenoffensive droht. Etwa eine Million Menschen in Gaza sind auf der Flucht, doch können sie den winzigen Küstenstreifen nicht verlassen, weil er überall von Zäunen und Mauern umgeben ist. Sichere Zonen gibt es nicht. Israel hat jüngst auch den Süden Gazas bombardiert, nachdem es zuvor die Bewohner des Nordens aufgefordert hatte, dort Zuflucht zu suchen. Den überlebenden Bewohnern droht durch die von Israel verhängte Totalblockade eine humanitäre Katastrophe, weil es an Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung und Elektrizität fehlt. Da Klärwasseranlagen und Müllentsorgung aufgrund fehlender Energie nicht arbeiten, ist außerdem ein hygienischer Notstand zu befürchten. Israel hat jüngst auch den Übergang zwischen Gaza und Ägypten in Rafah bombardiert, die einzige Straße, über die in nächster Zeit Hilfsgüter nach Gaza kommen könnten – wenn Ägypten und Israel sie durchlassen.

USA stoppen Resolution

Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete in dieser Lage, er stehe „fest an der Seite Israels“. Er hätte auch sagen können, dass er fest an der Seite des Völkerrechts und der Opfer jeglicher Gewalt steht, unabhängig von ihrer Nationalität, ihrem Glauben und ihrer Hautfarbe. Er hätte in diesem Geiste auch ein Ende der Eskalationsspirale fordern können, wie die von Brasilien eingebrachte Resolution des UN-Sicherheitsrates, die allerdings per Veto von den USA gestoppt wurde. All das aber hat er nicht getan, sondern rückhaltlos Partei für eine israelische Regierung ergriffen, die allgemein als die rechteste in der Geschichte Israels bezeichnet wird und die, wie bereits ihre Vorgänger, keinen Hehl daraus macht, dass sie an der Einhaltung völkerrechtlicher Normen kein Interesse hat.

Die seit 16 Jahren andauernde Blockade von Gaza ist eindeutig völkerrechtswidrig. Im Jahr 2017, zehn Jahre nach Beginn der Abriegelung durch Israel, kamen die UN in einer Bewertung der Lage zu folgendem Ergebnis: „Viele dieser Maßnahmen verstoßen gegen das Völkerrecht, da sie die gesamte Bevölkerung von Gaza ohne Rücksicht auf die individuelle Verantwortung treffen und somit einer kollektiven Bestrafung gleichkommen. Darüber hinaus hat die Blockade schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte der Bevölkerung in Gaza, insbesondere auf ihr Recht auf Bewegungsfreiheit sowie auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.“ Im Völkerrecht gibt es auch kein Recht auf Rache. Wie brutal und niederträchtig die Angriffe der Hamas auf Zivilisten auch waren, sie bilden keine Legitimationsgrundlage für ein Bombardement von Zivilisten und die Zerstörung der Infrastruktur einer der am dichtesten besiedelten und ärmsten Regionen der Welt.

Wenn sich nun der Kanzler ohne jede kritische Distanz hinter Israels Regierung stellt, dann lässt er das Völkerrecht hinter sich und macht sich zum Komplizen einer illegalen Vergeltungsaktion, die schon jetzt verheerendere Auswirkungen hat als die Verbrechen der Hamas. Zwar hat Außenministerin Annalena Baerbock inzwischen eingeräumt, dass Israels Recht auf Selbstverteidigung nur „in dem Rahmen, den das Völkerrecht für solche Ausnahmesituationen vorgibt“ gelte. Doch forderte sie weder eine Beendigung der Bombardierungen Gazas noch eine Aufhebung der völkerrechtswidrigen Blockade.

Es stellt sich auch die Frage, welche Lehren die hiesige Politik denn aus der deutschen Vergangenheit gezogen hat. Wenn es eine Lektion aus der Geschichte zu beherzigen gilt, dann doch wohl diese: dass Menschen ungeachtet ihrer Nationalität, Herkunft, Hautfarbe und Glaubensrichtung vor Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu schützen sind. Das gilt für israelische Bürger ebenso wie für die Bewohner des Gazastreifens oder der Westbank. Doch von einem Recht auf Schutz, Verteidigung und Solidarität, das den Bürgern Israels vollkommen zu Recht zugestanden wird, ist in Bezug auf die Palästinenser keine Rede. Nationalität und Hautfarbe entscheiden einmal mehr in Deutschland darüber, wem welche Rechte zuerkannt werden.

„Operation gegossenes Blei“

Deutsche Politiker betonen gerne, dass die Sicherheit Israels „deutsche Staatsräson“ sei. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn diese Sicherheit nicht auf Kosten anderer hergestellt werden soll. Die Politik von Besatzung, Blockade und Bombardierungen, die Israel seit Jahrzehnten praktiziert, hat die Sicherheit der palästinensischen Bürger erheblich untergraben. Sie hat außerdem Israel selbst unsicherer gemacht. Wenn man wie in Gaza mehr als zwei Millionen Menschen auf unabsehbare Zeit einsperrt, ihnen elementare Rechte verwehrt und sie immer wieder durch Bombenangriffe traumatisiert, wie etwa in der „Operation gegossenes Blei“ im Winter 2008/09 mit 1400 palästinensischen Toten (Israel hatte 13 Opfer zu beklagen), dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass irgendwann einige Tausend von ihnen zu massiver Gewalt greifen werden. Wem Israels Sicherheit und die der Palästinenser am Herzen liegt, sollte daran mitwirken, die Spirale der Gewalt zu stoppen und ihre Wurzeln zu beseitigen. Und das bedeutet, die Politik von Besatzung und Blockade zu beenden und den Palästinensern die volle Selbstbestimmung über ihre gesamten Territorien zurückzugeben, so wie es das Völkerrecht vorsieht. Auch wenn dies im Moment schwieriger denn je erscheint, so ist es doch der einzige Weg zum Frieden für Israel und Palästina.

Fabian Scheidler studierte Geschichte und Philosophie und arbeitet als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen und Theater. 2015 erschien sein Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Zuletzt erschien im Piper Verlag „Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“. Fabian Scheidler erhielt 2009 den Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus.

 

Antisemitismus

Kurzmitteilung

Niemand weiß genau, was das ist. Die offiziell in Deutschland etablierten Juden verstehen ihn synonym für „Judenhass“; aber wer hasst schon „die Juden“. Aus jüdischen Häusern sind viel zu viele bedeutende Persönlichkeiten hervorgegangen, als dass man Juden pauschal hassen könnte: angefangen bei Baruch Spinoza bis hin zu Otto Kernberg, der dieses Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, könnte man ein neues „jüdisches Lexikon“ kompilieren. Problem? Viele dieser Persönlichkeiten werden von den maßgeblichen „Amtsjuden“ nicht nur abgelehnt, sondern gar gehasst: Bruno Bettelheim, Alfred Kantorowicz, die nicht auf der Linie der jüdischen Innung liegen. Das ergibt einen gänzlich neuen „Antisemitismus“: die Verehrung des  heterodoxen Juden und seine Jünger. Wir sind wieder beim Modell „Jesus“ angekommen. Wer Juden schätzt, die dem Amtsjudentum der politischen Neo-Rabbiner entfremdet sind, muss das „Kreuzige-ihn-Gebrüll“ aus den Reihen des Amtsjudentums ertragen können.

Das wäre alles nicht so schlimm, wenn Deutschland nicht von einem US-frommen Regierungssystem beherrscht und von einer Art Landpflegern regiert werden würde. Die „kreuzigen“, wenn sie das Gebrüll hören. Und unter die Brüllopfer fallen auch die bei uns lebenden Menschen orientalischer Eltern, die Sympathien für orientalische Organisationen zeigen, die israelfeindlich sind. Aktuell ist es solchen gelungen, (angeblich ganz) Israel in Schockzustand zu versetzen, indem sie Raketen in so großer Zahl auf (das immer friedlich menschenfreundliche) Israel abzuschießen, dass dessen „Eiserner Dom“ überfordert war. Leider wird verkannt, dass israelische Gegenschläge immer nur Antworten auf (z.B.) arabische Aggressionen sind, aber, so muss man leider einräumen, schlägt „Israel“ stets massiver zurück als es getroffen wurde, und so ist die nächste bewaffnete Provokation programmiert. Bedauerlicherweise zeigt man im Westen nur die Bilder geköpfter israelischer Babys, aber nie deren durch israelische Bomben zerrissenen arabischen Kinderkörper , auch wenn deren Eltern ebenso schockiert sind. Denn die Verbreitung solcher Bilder wäre wieder „antisemitisch“. Das tut man also nicht, aber wir versuchen es mal:.

Quelle: Reuters.com: https://www.reuters.com/pictures/israeli-air-strikes-hit-gaza-palestinians-flee-2023-10-14/

Auch das beengt unsere Informationsfreiheit nicht wirklich. Denn die Welt ist voll solcher Gräuel. In Myanmar, in Bergkarabach, in Grosny, in vielen Gebieten der Ukraine, in Afrika überhaupt, wahrscheinlich auch in Süd- und Mittelamerika geht es grausam zu. Warum empören uns daher die Bilder aus Israel? Vielleicht, weil dort die Hälfte aller Juden existiert, während die andere Hälfte in den USA lebt. Und dort haben diese viel Einfluss, auch wenn sie zum großen Teil von den Israelis gar nicht mehr als richtige Juden akzeptiert werden (Carlo Strenger sah das US-Judentum halachisch auf 13% seines heutigen Bestandes dahinschmelzen). Diese „Eisschmelze“ führt aber dazu, dass das Judentum in den USA als Schmelzwasser ansteigt mit der Folge, dass sich viele teiljüdische Amerikaner nur durch strikte Parteinahme für Israel als „Auch-Juden“ beweisen können. Das ist natürlich höchstparadox, aber bleibt im Rahmen irrationaler Logik. Vielleicht kann man den Begriff „Wasserjuden“ verwenden in Ableitung zum Begriff „Wasserpolacken“, der vor dem Krieg in Schlesien aus „Volkspolen“ loyale deutsche Staatsbürger machte. Die unhalachischen (Doch-)Juden können folglich zuz Amerikas Nah-Ost-Politik viel beitragen, letztlich auch, weil den nicht-jüdischen Amerikaner das gelobte Land in Nah-Ost weniger interessiert. Der Amerikaner lebt ja im wirklich gelobten Land.

Hier beginnt nun das Problem in Deutschland. Israel ist nahe, so dass bei uns Türken und Araber leben, die oft eine offene Familienrechnung mit Israel haben. Deutschland ist von den USA 1945 gänzlich unterworfen worden; seine Regierung braucht das stete Wohlwollen dieses Siegers. Es kann sich nicht leisten, irgendetwas „antijüdisches“ vorzubringen. Derzeit verlangt Israel die Räumung des nördlichen Teils von Gaza, was die Flucht von 1,2 Millionen Menschen, darunter rein statistisch 600.000 Frauen verlangt.  Objektiv nach den statischen Regeln von Felix Theilhaber und Emile Durckheim werden es nur 300.000 Frauen sein, weil wegen des Kinderreichtums der Araber die Hälfte der zu vertreibenden Menschen unmündige Kinder sein dürften. 24 Stunden gab man ihnen Zeit, verlängerte aber in jüdischer Menschlichkeit diese Frist. Im Vergleich zur praktizierten Vertreibung der Deutschen aus Pommern und Schlesien bleibt diese Frist allerdings unmenschlich kurz. Die Israelis haben aber keine Zeit: Sie haben 300.000 Reservisten einberufen zu ihren 160.000 Soldaten „der Linie“, was sich das kleine Land nicht lange leisten kann. Durch die Mobilisierung sollen andere Länder abgehalten werden, in den Konflikt einzugreifen. Israel kann sich aber auch nicht leisten, den Norden Gazas samt seiner Zivilbevölkerung platt zu machen. Israel ist mühsam daran, mit den arabischen Königreichen und Emiraten freundliche Beziehungen anzuknüpfen, was es unopportun werden lässt, krasse Kriegsverbrechen an Arabern zu begehen.  Nach einem alten Wehrmachtslied, dass es „Panzer und Flieger nie allein schaffen… ohne deinen Einsatz nie.. Deutsche Infanterie“, müssen auch die Israelis die Infanterie einsetzen, wenn sie in Gaza Ordnung schaffen wollen. Sie können sie aber auch nicht wirklich einsetzen, weil diese im Häuserkampf größere Verluste erleiden dürfte, die so viel jüdische Opfer kosten könnten wie die, die man rächen will.  Eine Million Menschen kann man praktisch auch nicht vertreiben, ohne unter ihnen Opfer zu provozieren. Wie viele Deutsche kamen 1945 auf der „Flucht“ um? Wie viele Frauen verloren auf der Flucht ihre kleinen Kinder? Jedenfalls gibt es für die verlangte Umsiedlung keine logistische Assistenz von Seiten Israels. Das ganze Vorhaben ähnelt insoweit eher der „Umsiedlung“ der Armenier von 1915, die damals die Türken nicht im Grenzgebiet zu Russland hatten belassen wollen. Es gibt nicht wenige Historiker, die diese „Umsiedlung“ der Armenier in Wüstengebiete als Völkermord werten. Steht Israel an der Schwelle zum Völkermord? Schaut fast so aus.

Es wäre wohl das Vernünftigste, die Racheaktion abzublasen. Aber ist das möglich, nachdem EU und bis auf einen Mitgliedsstaat alle europäischen Länder für eine israelische Gewaltpolitik „Grünes Licht“ gegeben haben? Das macht die Sache zu einem inländischen Problem. Die Araber bei uns würden gut daran tun, gegen die kriminelle Unterstützung der deutschen Regierung zu protestieren statt Exzesse der Hamas zu bejubenln; bislang ist der potentielle Völkermord der Israelis noch Theorie, aber die kriminelle Anstiftung und Beihilfe dazu seitens der deutschen Regierung ist bereits vollendet. Jeder „Evakuierungsflug“ der Bundeswehr signalisiert das Einverständnis, in Gaza tabula rasa zu machen. Während man den Israelis teils Notwehr, teils Verlust der Einsichtsfähigkeit wegen Hysterie, sowie andere schuldmindernde Umstände zubilligen kann, fehlen solche bei der deutschen Regierung. Die müssen wissen, was sie tun, wenn sie sich bedingungslos an die Seite einer verrückt gewordenen israelischen Regierung stellen, die vielleicht gar nicht die Opfer der Hamas-Aggression, sondern die Bloßstellung ihres politischen Unvermögens rächen will.

15.10.2023 von Lobenstein

 

 

 

Der Monotheismus

Die meisten, die Juden sowieso, auch die agnostischen,  glauben, dass „die Juden“ mit ihrem monotheistischen Glauben an Jehova der Welt einen ewigen Gefallen getan hätten. Die westliche Welt habe quasi unaufgeklärt im Götzendienst und im Götterglauben gelebt. Dass der Monotheismus ein geistiger Fortschritt sei, weil man sich der Vielzahl olympischer und germanischer Gottheiten entledigte, glauben die meisten Völker noch heute. Diese Einschätzung ist absurd. Die gebildete Welt glaubte an keine Götter, auch nicht an einen Einzigen. Die griechische Intelligenz des klassischen Altertums war zum großen Teil religiös indifferent (Karl Beloch). Baruch Spinoza (um 1650) und andere glitten zu Beginn der Neuzeit in eine Art pantheistischen „Deismus“ ab. Ohne den Unglauben hätten die Alten Griechen nie die Naturgewalten hinterfragen können.

Auch der Monotheismus kann in unserer Zeit nur als Mythos verstanden werden. Wenn sich ein Alexander der Große als Sohn des Ammon verstand und mit den Zoroastriern des von ihm besiegten Persiens liebäugelte, um eine Reichsreligion zu schmieden, kann er selbst überhaupt keine esoterische Ader gehabt haben. Die Ptolemäer in Ägypten konstruierten den Glauben an Serapis. Religion ist nicht nur Opium für das Volk, sondern zugleich die Grundlage einer autoritären Staatsverfassung. In Israel kann man das ganz aktuell beobachten. Manche sprechen von „Faschismus“, aber Faschismus ist ganz etwas anderes. Die national-religiösen Kräfte streben die Errichtung einer Theokratie an, die konkrte Heilige Schriften zur Staatsgrundlage machen. So wenig wie das Genf Calvins oder das Zürich von Zwingli „faschistisch“ war, wird dieses theokratische Israel faschistisch sein. Es wird viel schlimmer: man wird eher richtig finster mittelalterlich.

Was macht den jüdischen Monotheismus zum Danaergeschenk für die Welt?

Nach dem klassischen (griechischen) Mythos wussten die Menschen, dass man die Unsterblichen wegen deren Macht über die Naturgewalten nicht provozieren dürfe, aber auch, dass und wie man diesen Gewalten aus dem Weg gehen könne. Der klassische Mensch überlebte die Revolution der olympischen Götter gegen die Titanen des Götterhimmels dank eigener Intelligenz und Schläue; der klassische Mensch verstand sich als eine Kreatur des Titanensohns Prometheus. Er wusste, dass die Titanen von den Olympiern in den Tartarus gestürzt worden waren, sein Beschützer Prometheus an den Kaukasus geschmiedet und dessen Bruder das Himmelsgewölbe am Atlas abstützen musste. Ihnen, den Meschen,  hatten die neuen Götter das gleiche Schicksal bestimmt. Die Sage von Odysseus beschreibt, wie der Held dem Zorn des Poseidon entging, und dass dessen Mut zuletzt die Götter bewog, ihn heimkehren zu lassen. Auf Gnade oder Erlösung rechnete der klassische Mensch nicht. Manche Gemeinschaften errichteten prachtvolle Tempel zu Ehren bestimmter Götter, die diese davon abhalten sollten, ihre Gewalten gegen sie und simultan gegen den ihnen geweihten Tempel toben zu lassen. In dieser Logik liegt auch der Keim an einen Erlösungsglauben, der die Zeit Europas 1.500 Jahre verfinsterte (395-1792).

Vielleicht war der semitische Mythos ursprünglich einmal ähnlich: in der objektiven Logik der Genesiserzählung erscheint es unwahrscheinlich, dass ein allwissender Gott in einem närrischen Anfall den Homo Sapiens geschaffen habe, der seine Schöpfung im Laufe der Jahrhunderte zerstört. Nicht Jehova, sondern der Engel Chamael hätte eher ein kleines Ebenbild Gottes geschaffen und diesem ein Leben eingehaucht. Das wäre ein Grund gewesen, weswegen er als „Luzifer“ in den semitischen Tartarus gestürzt worden wäre. Später erbarmte sich Jehova des einsamen Adams und schuf aus dessen Rippe ein Weibchen. Hätte dieser Gott selbst den Menschen geschaffen, hätte er wahrscheinlich das weibliche Wesen wie bei allen anderen Lebewesen zur gleichen Zeit gemacht. Wie es auch immer in der Vor- Urzeit gelaufen sein mag: Für uns Epigonen kommt es darauf an, welches Verhältnis zu Göttern und höheren Wesen der Mythos tradiert.

Die Freiheit von einer Gnade des höchsten Sultans (Gottes) einerseits und die Opposition zur Despotie solcher All- und Übermächtiger andererseits hat der antiken westlichen Welt die Demokratie in Athen, die Wehrhaftigkeit Spartas und das römische Recht entstehen lassen. Die Bibel weiß nichts von Demokratie. Das kleine Athen siegte bei Salamis, das Heer der Griechen bei Plataiai über die monotheistischen Perser (479 vor), als die Juden längst Untertanen der Perser waren. Als die Makedonier 333 „vor“ bei Issos siegten und auf dem Weg nach Ägypten en passant die jüdische Tempeltheokratie unter ihre Herrschaft nahmen, waren die Juden dort gar nicht reif für den Hellenismus (Heinrich Graetz). Sie lebten geistig noch in der grauen Vorzeit ihres Sagenkönigs Saul. Alle ihre späteren Versuche, die Zeit anzuhalten und unter den Makkabäern, Bar Kochba und anderen Verirrten einen jüdischen Staat zu errichten, kosteten entsetzlichen Tribut. Als Jude kann man nicht einmal auf Bar Kochba stolz sein, auch wenn ihm Rabbi Akiba den Segen erteilte. Er war ein Schwindler. Luther nennt Akiba einen „alten Gauch“ Aber um sich Eliser Ben Abuja anzuschließen, waren die Juden nicht reif..

Erst die Zerrüttung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Römischen Reichs war die Voraussetzung, dass sich die Kaiser vom Prinzeps zum Dominus haben aufschwingen können. In der Ausgestaltung seines Christentums in der Fassung des „Symbolon“ von Nikäa (325 nach) übernahm Kaiser Konstantin den Monotheismus nach der Formel

„ein Gott, ein Reich, ein Kaiser“.

Der Monotheismus war für die westliche Zivilisation kein Gewinn. Er führte direkt in das Mittelalter hinein. In seiner Paradoxie wird der monotheistische Glaube von der Curaille als Grundlage der Moral verkauft, obwohl einerseits die Heilige Schrift von Unmoral nur so trieft und, wie es sich heute zeigt, selbst Bischöfe dem sexuellen Missbrauch ihrer Schützlinge frönten. Bei den Juden ist es im Prinzip nicht anders. Ultraorthodoxe glauben sogar, dass Moses die Israeliten trockenen Fußes durch das echte Rote Meer geführt habe, während modernere Bibelexegeten denken, das „Rote Meer“ der Bibel sei nur einer der Bitterseen. Es gibt folglich eine immense Bandbreite der Verblödung, die der Bibelglaube bewirkt. So wenig, wie man Ilias und Odyssee wörtlich nehmen darf, auch wenn es Troja tatsächlich gegeben hatte, so muss man auch die Bücher Mosis als Sagensammlung sehen. Wenn man glaubt,  Abraham und seine Leute hätte das Alter von 900 Jahren erreicht, der möge die Zahl durch 12 teilen. Er kommt auf die Dauer eines gewöhnlichen Menschenlebens zurück. Den Jungsteinzeitmenschen waren offenbar die Zeitabschnitte für das ganze nicht fassbar, sondern nur die erkennbaren „Monde“. Wenn jedoch ihre Epigonen alles noch so unbeholfen real sehen wollen, wie in der Stein- und Bronzezeit gesehen hat, dann gibt das schon zu denken.

Jedenfalls begünstigte das Mittelalter der westlichen Welt auch das Judentum, das in seinem traditionellen Monotheismus von den Rabbinern in der Diaspora zusammengehalten werden konnte. Der Glaube an „ihren“ Gott ließ sie als Nation überleben, wenngleich nicht ohne hohe Einbußen: Nach den Pogromen in Spanien (1391) bekehrten sich 200.000 Juden zum Christentum (Haim Beinart); das Judentum, das im Römischen Reich 8% der Bevölkerung ausmachte, ging auf einen Anteil von 0,3% zurück. Die meisten Juden schlossen sich wie in Spanien  – nolens volens –   dem intellektuellen Fortschritt des Westens an. Arthur Ruppin zählt noch 1930 eine Liste von damals aktuell bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten auf (in: Soziologie der Juden). Nach Felix Theilhaber haben diese und ihre Familien meist das Schicksal des „Untergangs des deutschen Judentums“ geteilt, nichts wegen des Holocausts, sondern durch „Assimilation. Im Gegensatz zu diesen großen Persönlichkeiten existieren am anderen Ende der Bandbreite jüdischen Lebens mittelalterliche Verhältnisse. Abergläubischsten Ultra-Orthodoxen beachten nicht nur einen koscheren Speisezettel, sondern dürfen sich aus koscheren Lebensmitteln auch nur auf einen koscheren Herd ein koscheres Süppchen kochen. Derzeit schwelt ein Streit um jüdische Feriengäste in Davos, zu dem Simon Bollag in der Neuen Zürcher Zeitung Stellung nimmt; die Zeitung:

„Bollag ist ein Zürcher Großhändler für koschere Schokolade und Käse und kennt den Ferienort Davos – und weiß, wie das orthodoxe Milieu funktioniert. Er selbst gehört ihm an. Bollag sagt: «Stellen Sie alle Fragen, auch die ganz heißen! Wenn man das nicht macht, bleiben Vorurteile bestehen.»

Der Unterschied zwischen Bollag und den gewöhnlichen Orthodoxen ist ein schlechter Judenwitz; der gewöhnliche Orthodoxe macht den Herd des gemieteten Appartements koscher, indem er ihn, ohne Verständnis für fremdes Eigentum und für Technik, voll aufdreht und damit kaputt machen kann. Bollag, mit ein wenig Sinn für fremdes Eigentum und Technik,  dreht die einzelnen Platten sukzessive voll auf, und der Herd wird dadurch auch koscher. Die Pointe des Witzes  liegt darin, dass Bollag  – halbvernünftig –  weiß, wie man Aberglaubens unter modernen Bedingungen praktizieren kann. Entscheidend aber bleibt, Bollag wie seine orthodoxe Schokoladenkundschaft glauben an die unsinnige Notwendigkeit eines koscheren Herdes als Grundlage koscherer Speisen.

Das orthodoxe Judentum steckt also noch im konstantinisch eingeleiteten Mittelalter. Seine Rabbiner hatten sogar die Corona-Pandemie negiert und einige waren tapfer an Corona gestorben. „Bei uns“ verteufelte man die gleichen Negierer und Nicht-Impfer als Staatsfeinde und als Gestrige. Der Staat Israel ließ exzessiv impfen. In der Diaspora entschied sich die Vertretung der Juden, sich der Kampagne der Regierungen (Israels und der BRD) anzuschließen und die Impfkampagne gnadenlos zu unterstützen. Die Sängerin Nena wurde in der Jüdischen Allgemeinen als „Geistesfunzel“ verunglimpft. Inzwischen kommt die NZZ darauf, dass diese Hetzkampagne doch überzogen war; sie führt aus:

«Staatsfeinde», «Schweinehunde», «Bekloppte»– vor zwei Jahren überboten sich Qualitätsmedien mit Tiraden gegen Maßnahmenkritiker und Impfskeptiker. Journalisten   – und speziell solche der Jüdischen Allgemeinen –   sind schnell mit Rufen nach «Aufarbeitung» zur Stelle, wenn es um die Verfehlungen von anderen geht. Mit den eigenen Entgleisungen während der Corona-Krise wollen sie sich kaum beschäftigen. Karl Lauterbach, begleitet von Kameras, hat wieder sein Adidas-T-Shirt hochgekrempelt und sich eine Spritze in den Oberarm führen lassen. …. Diese Szene dürfte bei manchen Zuschauern unangenehme Erinnerungen geweckt haben. Etwa an Polizisten, die Rentner von Parkbänken verjagten, an Angehörige, die im Spital nicht besucht werden durften, oder an vergangene Impfkampagnen – als sich Politiker und Journalisten mit verbalen Ausfällen gegen Ungeimpfte und Forderungen nach Einschränkungen und Bestrafungen überboten. Hier die Bildungswilligen, dort die Bekloppten. Die Schlagzeilen, die auf Krisen-Höhepunkten produziert worden sind, wirken heute wie Relikte aus einer anderen Zeit. Man fragt sich, wie sich ein Teil der Medienbranche derart verrennen konnte. Nachzulesen sind sie im Buch «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen» von Marcus Klöckner und Jens Wernicke. Karl Lauterbach, damals noch nicht Gesundheitsminister, schrieb im August 2021 auf Twitter: «Eine Minderheit der Gesellschaft [will] eine nebenwirkungsfreie Impfung nicht, obwohl sie gratis ist und ihr Leben und das vieler anderer retten kann.» Das war, wie heute bekannt ist, eine gewagte Behauptung. Denn die Corona-Impfung ist weder frei von Nebenwirkungen, noch kann sie Geimpfte sicher davon abhalten, andere anzustecken. Sie bietet allenfalls Schutz vor schweren Krankheitsverläufen. Auf der Basis dieser Irrtümer wurde eine Kampagne lanciert, die in der jüngeren Geschichte wohl beispiellos ist. Politiker wie der deutsche alt Bundespräsident Joachim Gauck teilten die Bevölkerung in «Bildungswillige» und «Bekloppte» ein, Komiker wie Peach Weber forderten Ungeimpfte auf, sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. «Sie sind Schweinehunde», titelte die linke «TAZ Tageszeitung» am 15. November 2021 und meinte damit alle Impfgegner. Im Text ist von «Staatsfeinden», die Rede, «die in voller Absicht an unseliges deutsches demokratiefeindliches Denken und Handeln anknüpfen». Die ehemals liberale «Zeit» identifizierte Maßnahmenskeptiker einige Tage später als «zweite Seuche», sie könnten mit Virusvarianten verglichen werden, die mutierten und gefährlicher würden. «Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown». «Das Virus heißt Staatsfeindlichkeit», schloss der «Zeit»-Autor, nun brauche es «Ansagen» und entschiedenes Handeln der Politik. In der Schweiz glaubte der «Sonntags-Blick» zu wissen, dass Impfgegner «mit dem Virus gemeinsame Sache» machen, und das Portal «Watson» forderte den damaligen [Schweizer] Bundespräsidenten, den «lieben Herrn Parmelin», dazu auf, die «Impf-Kasper» endlich zu isolieren. «Spaltet die Gesellschaft!», forderte auch der österreichische «Standard», während sich der Wiener «Falter» in eine Schimpfkaskade über «Corona-Leugner, Schwurbler, Impffeiglinge, Spritzenscheue, Wissenschaftshasser und medizinische Besserwisser» hineinsteigerte. Diese Spritzenscheuen, so lautete der aggressiv-larmoyante Tenor über alle Landesgrenzen hinweg, seien allein verantwortlich dafür, falls es neue Einschränkungen gebe. «Wenn ein Lockdown kommt, dann seid ihr daran schuld», schrieb eine Autorin von T-Online Ende November, «und meine Kinder hocken drin.» Die ARD-«Tagesschau» eröffnete ihren Kommentar am 19. November mit einer Grußbotschaft: «Na, herzlichen Dank an alle Ungeimpften. Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown. »Eigentlich, so sinnierte die ZDF-Satirikerin Sarah Bosetti wenig später, seien Ungeimpfte wie ein Blinddarm – «weit rechts unten» angesiedelt, für das «Überleben des Gesamtkomplexes» nicht essenziell. ….. Wenige haben es bisher gewagt, die Rolle der Medien kritisch zu beleuchten. Die dänische Boulevardzeitung «Ekstra Bladet» räumte schon Anfang 2022 ein, gescheitert zu sein. Man habe Experten, Politikern und Behörden vertraut, die «uns ständig vor dem schlafenden Corona-Monster unter unseren Betten warnten». Auch der «Spiegel» zeigt sich in jüngster Zeit selbstkritisch, nachdem sein Kolumnist Nikolaus Blome 2020 noch «ausdrücklich» gesellschaftliche Nachteile für alle Nichtgeimpften gefordert hatte – mit dem Satz «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen». Im März 2023 dagegen schrieb das Magazin, inzwischen wisse man ja, «dass viele Pandemiemaßnahmen unsinnig, überzogen, rechtswidrig waren». Das sei kein Ruhmesblatt, auch nicht «für uns Medien»: «Ich fürchte, der Diktator in uns war ziemlich stark.» Diese autoritäre Neigung offenbarten Journalisten schon zu Beginn der Pandemie. Am 6. Mai 2020 etwa trat der damalige ARD-Chefredaktor Rainald Becker mit Anzug, Krawatte und strengem Blick vor die «Tagesthemen»-Kamera, um Angela Merkel zu loben und vor einem «Lockerungswettlauf» zu warnen. Alles, so erklärte er den Zuschauern, werde sich in Zukunft grundlegend ändern müssen, der Lebensstil, die Wirtschaft, das Konsumverhalten. Das hätten auch Madonna, Robert De Niro und zweihundert andere Künstler und Wissenschaftler in einem Aufruf festgehalten. «All diesen Spinnern und Corona-Kritikern sei gesagt: Es wird keine Normalität mehr geben wie vorher.»

Hierzu muss man aber wissen, dass die deutsche Justiz ungeniert ihre Terrorurteile aus der Coranazeit genauso im Raum stehen lässt. Wie es Bertold Brecht geweissagt hatte, war der Schoß, aus dem die NS-Diktatur gekrochen war, fruchtbar noch geblieben. Und die Pandemie gebar unter scheinbar unpolitischen Notwendigkeiten die Lust zur diktatorischen Macht, zur Hetze auf Andersdenkende und für Predigten zu Strafmaßnahmen. So völlig daneben lagen die Leute mit dem gelben Judenstern nicht, die „ungeimpft“ dazusetzen. Vielleicht nicht in voller Absicht, aber doch instinktiv „knüpften deutsche Richter und Dienststellen an unseliges deutsches demokratiefeindliches Denken und Handeln an“ (NZZ). Und diesen instinktiven „Nazis“, ihren Befürchtungen und Meinungen Geltung zu verschaffen, schloss sich die Jüdische Allgemeine instinktlos an.

Was ich sagen will: „(je)der Jude“ denkt besser selbständig, als sich auf Hirten zu verlassen und Herdentrieben zu folgen. Die meisten Menschen jüdischen Glaubens hatten sich wieder brav an den Impfstellen eingefunden. Denken ist und bleibt Glücksache.

04.03.2023 von Lobenstein

Schuld und Scham, warum?

Krieg, meint sein Theoretiker Carl v. Clausewitz, sei über die erste Schlacht hinaus nicht mehr planbar. Die Kräfte entwickeln eine nicht abschätzbare Dynamik. Man kann ihn vielleicht im Laborformat mit einem Bankraub vergleichen: die Räuber wissen nicht im Voraus, wie das Personal und zufällig anwesende Kunden sich verhalten werden. In der Bank löst sich Alarm aus, die Angestellten leisten verhalten Widerstand; zuletzt endet der Bereicherungsversuch mit Geiselnahmen und Toten. Natürlich sind die Bankräuber „schuld“. Was kann das schon heißen, wenn es Tote gegeben hat. Ebenso fragt man sich, ob die Eskalation durch polizeitaktische Fehler verursacht wurde. Die Polizei trägt dann eine Verantwortung für die Toten mit, aber „Schuld“? Heiner Meulemann (in: Soziologie von Anfang an) beschreibt die relationalen Strukturen, die auch außerhalb gewollter Situationen entstehen, sobald Menschen miteinander in Beziehung treten. Schuld ist ein religiöser Begriff, einerseits diffus, andererseits linear, weil trotz eines Verhältnisses des Menschen zur Gottheit ein soziologisches Verhältnis negiert wird. Im Recht und in der Soziologie ist also der Schuldbegriff deplatziert ist. Religiös gesehen soll sich Schuld sogar vererben. Abgeleitet wird diese Vorstellung aus einem religiösen Mythos, der Mensch sei nach dem Ebenbild des ihn schöpfenden Gottes geschaffen worden, so dass er diesem ein gottgefälliges Leben schulde. Jede Abweichung von diesem Kanon wird zur „Schuld“. Anders als das jüdisch semitische Gottesbild ließen die Griechen den Menschen ein Geschöpf des Prometheus sein, dessen Göttergeschlecht von den olympischen Göttern gestürzt wurde. Der klassische Mensch schuldete den herrschenden Göttern nichts, außer den Respekt vor ihren Gewalten. Der ursprüngliche freie Mensch der klassischen Antike ließ sich also durch Übernahme des Monotheismus in eine Pflicht nehmen, aus deren Unterdrückung er sich langsam löst.

Guckt man in das vom klassischen römischen Recht her entwickelte BGB, entdeckt man den terminus technicus der „Schuldverhältnisse“. Diese werden durch Vertrag begründet oder durch einseitige Verletzung absoluter Rechte Dritter, etwa des Eigentums, erzeugt: Schadensersatzanspruch. In ähnlicher Logik kam im alten Germanien ein Mörder frei, wenn er der geschädigten Sippe ein Wergeld entrichtet hatte. Dennoch war mit dem Wergeld nicht alles abgegolten. Die Griechen studierten das Problem an Orestes. Er hatte den Mord an seinem Vater gerächt und dessen untreues Weib samt deren Liebhaber erschlagen. Das war insoweit in Ordnung, nur war das untreue Weib auch Orestes Mutter. . Die Erinnyen verfolgten ihn wegen des unlöslichen Widerspruchs der Pflichten. Die Erfüllung der Pflicht A bedeutet simultan die Verletzung der Pflicht B.

Diesen Widerspruch auf einen Krieg oder Bankraub übertragen, ergeben sich dieselben unlösbaren Widersprüchlichkeiten. Auf einseitiges Recht oder isoliertes Unrecht kommt es nicht mehr an. „Schuld“ tragen alle Beteiligten. Die Polizei könnte eine überfallene Bank belagern, bis die Räuber ausgehungert aufgeben. Problem sind die Geiseln, die man lebend befreien muss, weil man deren Rettung verpflichtet ist. Sieht man in der Totalszenerie eines Bankraubs nur die Befreiung der Geiseln als Polizeiaufgabe, dann gehen tote Geiseln auf das moralische Konto der Polizei. Sie hat etwas falsch gemacht. Sie will nämlich simultan die Räuber fassen; sonst könnte die Polizei alle Bedingungen erfüllen und die Räuber mit Beute und Fluchtauto ziehen lassen. Irgendwann wird sie die Räuber schon fassen. Diesem Widerspruch zwischen Geiselrettung und Rechtsbruchbekämpfung entwächst die orestische Schuld der Polizei.

So ist es auch mit dem Krieg; hat man ihn einmal aufgenommen, kommt es zu moralischen Komplikationen. Solange etwa die Ukraine auf dem eigenen Territorium gegen den russischen Aggressor kämpft, wird man ihr kaum „Schuld“ vorwerfen können. Aber unsere Gedanken kreisen nach wie vor um den Zweiten Weltkrieg. Polen wurde von Deutschland überfallen und verteidigte sich. England und Frankreich erklärten Deutschland den Krieg wegen des Angriffs auf Polen; im weiteren Kriegsverlauf verbündeten sich England und Russland, das mit Deutschland zusammen Polen angegriffen hatte. Und zuletzt nahmen sie hin, dass zur Gänze Polen dem russischen Joch unterworfen blieben. So gesehen hätte man auch auf die Kriegserklärungen verzichten können. Der Krieg endete auch ganz anders als er begonnen wurde. Angeblich sollen die Deutschen versucht haben, kurz nach Kriegsbeginn einen Kompromissfrieden auszuhandeln. Aber England wollte nicht mehr verhandeln. Endlich hatte es einen Kriegsgrund, der auch sein Commonwealth verpflichtete, Hilfe zu leisten. Wegen des Anschlusses Österreichs hätte England die Australier und Kanadier kaum überzeugen können, Truppen zu entsenden.

Man kann es daher auch so sehen, dass ein Krieg gegen Deutschland schon 1933von England gewollt war, nur hatte es bis zum Angriff auf Polen und bis zum Pakt mit der Sowjetunion keinen Grund gegeben, der unbeteiligten Völkern als akzeptabel erschienen wäre. „Rheinlandbesetzung“, Anschluss Österreichs und Angliederung des Sudentenlandes waren keine materiellen Rechtsverletzungen, sondern nur förmliche. Die Sieger von 1918 hätten die Grenzkorrekturen und die Aufnahme Österreichs in das Reich schon 1919 zulassen müssen. Der Zweite Weltkrieg hätte also nicht stattfinden müssen; die britische Regierung hat, um Deutschland niederzuschlagen, ihr Weltreich verspielt. Der Suezkanal ist weg, Pakistan, Indien und Ägypten sind frei, der Rest ist heute amerikanisch orientiert. Der deutsche Führer hatte sich vielleicht nicht vorstellen können, dass er Krieg gegen ein zum Selbstmord bereites Land führen werde.

Schon 1914 führte die britische Regierung den Krieg gegen Deutschland im Sinne eines totalen Krieges auch gegen die Zivilbevölkerung. 1915 litt Deutschland unter Hunger (Kohlrübenwinter); schon 1941 begannen die Briten deutsche Städte anzugreifen. Der erste große Angriff richtete sich auf das historische Lübeck, das keinerlei militärische Bedeutung hatte. Sie bombardierten die Möhnetalsperre in der Spekulation, dass die Wassermassen die Zivilbevölkerung des Ruhrgebietes ersäufe. 1.200 Zivilisten ertranken. Man muss sich nur die Bilder von deutschen Innenstädten anzusehen, um zu erkennen, wie verbrecherisch der Krieg gegen Deutschland geführt wurde. Dass der Krieg verloren gehen werde, war angeblich Hitler schon klar, als der Angriff auf die Sowjetunion nicht zügig genug voranschritt. Ende 1944 sagten sich viele Deutsche, dass der Krieg nicht verloren gehen dürfe. Das Kriegsende werde das Ende Deutschlands sein. Wäre das Regime nicht selbst „bankräuberisch“ auf Gewalt programmiert gewesen, hätte es diplomatisch geschickt nach dem Waffenstillstand mit Frankreich die Kapitulation anbieten sollen; oder im Oktober 1941. So aber kam es zum „finis Germaniae“, dessen Verhinderungsversuche obiter auch die Katastrophe des Judentums bedeutete. Angesichts eines „Aus für Deutschland“ kam es den Deutschen auch nicht mehr darauf an, anderen analoge Katastrophen zuzumuten. Und an der Katastrophe der „anderen“ hatten die Sieger ihren Anteil. Ihr starrer Blick auf den militärischen Sieg ignorierte das Unglück, das die den Deutschen unterworfenen und ausgelieferten Bevölkerungen erwartete.

Am deutlichsten zeigt dies die Endphase um den Kampf in den Niederlanden::

Den Briten war es 1944 nicht gelungen, die Niederlande zu befreien. Folglich stand deren Bevölkerung eine Hungerkatastrophe bevor. Dass die Deutschen erst an ihre eigenen Mägen denken würde, lag in der Logik des Krieges. Es war also abzusehen, dass gegen Ende des Winters die Reserven erschöpft und die holländische Bevölkerung nichts mehr zu essen haben werde. Der niederländischen Exilregierung gelang es, mit den Deutschen Versorgungsflüge für ihre Bevölkerung zu vereinbaren. „Rosinenbomber“ flogen auf einer vorgegebenen Route zum Rhein und folgten dem Strom abwärts, um dann nach Abwurf der Lebensmittel über die Nordsee den deutschen Machtbereich wieder zu verlassen. Die Hungerkatastrophe wurde für die Niederlande vermieden.

Für die anderen geknechteten Gruppen in Deutschland, allen voran für die in Lager inhaftierte Bevölkerung gab es keine Advokaten, die deren Pflichtverteidigung übernahmen. Die Leichen von verhungerten Gefangenen, die amerikanische Bulldozer 1945 propagandagerecht in Massengräber schoben, sind deren eigene Opfer. Sie SS hatte nämlich ihre Leichen immer fein säuberlich eingeäschert. Das war in der absoluten Endphase der „Todesmärsche“ nicht mehr möglich. Diese Toten kann man wie tote Geiseln beim Bankraub der Polizei den Siegermächten anlasten. Natürlich bleiben die Geiselnehmer verantwortlich, aber der Tod der Geiseln geht nicht mehr auf deren Konto allein.

Diese Überlegungen werden in Bezug auf den Holocaust unterdrückt. Sie sind quasi verboten und tabuisiert. Es hätte auch für die Juden vieles anders ausgehen können, wenn man von Siegerseite her die Einwanderung von Juden nach Palästina nicht auf Personen mit einem Kapital von 1.000 GBP beschränkt hätte. Ursprünglich dachte auch die SS nicht an Massenmorde (Hermann Greive). Wahrscheinlich wäre heute das ganze Jordantal jüdisch besiedelt, heute ist die Lebensader des Landes ein Grenzfluss. Vor der Reichskristallnacht 1938 lebten noch 50.000 Juden mit polnischen Pässen in Deutschland, die das Reichsgebiet ganz unkompliziert seit der Machtergreifung der Nazis während der vergangenen 5 Jahren hätten verlassen können. Willy Cohn (in: „..kein Recht, nirgends“) war sogar 1937 mit Familie in Palästina und musste mangels Entgegenkommens mit den dortigen Behörden nach Deutschland zurückkehren. Die westliche Politik scheint von kolonialen und imperialistischen Interessen geprägt gewesen zu sein, aber keinen Sinn für eine gerechte Ordnung in Europa gehabt zu haben. Leute wie Wladimir Ze´ev Jabotinsky haben diesen Widerspruch erkannt und die Katastrophe so kommen sehen, wie es kam, weil es letztlich so kommen musste.

Denn eines war klar: einen zweiten Versailler Vertrag werde es für Deutschland nicht mehr geben. Diesmal ging es ums Ganze, um Sein oder Nicht-Sein für alle Betroffenen. Die linkslastige Lösung des Widerspruchs kann heute nicht mehr überzeugen.

18.09.2023 von Lobenstein