Das Judentum und die Kultur des Islam

ProMosaik-Interview mit Dr. Jean Joseph Lévy

Dr. phil. Milena Rampoldi: ProMosaik e.V. sieht sich als ein interkulturelles und interreligiöses Portal für den Dialog. Wir finden, dass die Geschichte dazu dienen kann, den Dialog zwischen Juden und Muslimen zu fördern. Wie sehen Sie das?

Dr. Jean Joseph Lévy: In der Tat kann man aus der Betrachtung der Geschichte des Judaismus in der islamischen Welt einiges lernen. Der Islam erkennt ja den Status der „Dhimma“ für Juden Christen und einige andere monotheistische Religionen wie die Mandäer an. Ein Status der sicherlich die Asymmetrie festschreibt aber immerhin ein Kodex, das in Gesellschaften wie die des osmanischen Reiches oder des präkolonialen Marokkos einen gewissen Rahmen für die Interaktion zwischen den einzelnen sozioreligiösen Gruppen sicherte.

Die christlichen Staaten Europas kannten zu dieser Zeit kein besonderes Regelwerk für das Zusammenleben der Angehörigen unterschiedlicher Religionen. Erst mit den Gedanken der Aufklärung im 18. Jahrhundert wurde darüber nachgedacht den Juden überhaupt den Status eines Bürgers zu verleihen. In Laufe  der vergangenen fünfhundert Jahre flohen Juden zweimal aus dem christlichen Abendland und fanden Asyl in der islamischen Welt. Die spanische Reconquista des fünfzehnten Jahrhunderts und der europäische Faschismus des zwanzigsten Jahrhunderts hatten beide das erklärte Ziel das Judentum zu vernichten. In beiden Situationen flohen Juden vor dieser Verfolgung und fanden Asyl in der Islamischen Welt. Im fünfzehnten Jahrhundert haben der osmanische Herrscher und der marokkanische König eine für die damalige Zeit bedeutende Anzahl von Menschen aufgenommen und Ihnen erlaubt ihre Religion weiterhin auszuüben. Während der Hitlerdiktatur fanden etwa 1000 deutsche und österreichische Juden Asyl in der neutralen Türkei. Der marokkanische König Mohammed V, der 1940 keine reale Macht ausübte, zeigte trotzdem den französischen Vichy-Faschisten seine Ablehnung der jüdischen Gesetze, die Frankreich damals gerade in Marokko einführte. Es sind Beispiele aus der Geschichte,  die Juden und Muslime besonders heute zum Nachdenken anregen sollten. 

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig sind Initiativen wie das von Seiten Ihres Vaters gegründeten Museums für Jüdische Geschichte in Casablanca?

Dr. Jean Joseph Lévy: Die jüdische Gemeinde in Marokko zählt gerade noch 2500 Mitglieder. Eine massive menschliche Interaktion zwischen Juden und Muslime findet im tagtäglichen Leben nicht mehr statt. Die Menschen, die diese Interaktion erlebt haben, sind in Marokko jetzt mindestens fünfzig Jahre alt. Marokko droht also das Vergessen. Die heutige Jugend Marokko muss die Geschichte ihres Landes und seine Vielfalt kennen. Dies ist von zentraler Bedeutung um die Toleranz in der Gesellschaft zu fördern. Das Museum ist aber nicht nur für marokkanische Moslems gedacht. Viele Juden marokkanischer Herkunft die im Ausland leben haben keine klare Idee mehr, was ihre Vorfahren 2000 Jahre lang auf diesem Fleck Erde getan haben, welche Sprachen sie sprachen, wo sie überhaupt herkamen, wie sie lebten.

Hier finden Sie einen sehr aufschlussreichen Artikel über das jüdische Museum von Casablanca. Anbei ein Film zu diesem einzigen Museum jüdischer Geschichte in Casablanca:

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie würden Sie unseren Leserinnen und Lesern diese so wichtige Aussage Ihres Vaters erklären: Meine Religion ist das Judentum und meine Kultur der Islam?

Dr. Jean Joseph Lévy: Die Kultur der marokkanischen Juden ist eine Variante der arabisch-amazighischen Kultur Nordafrikas. Von der Sprache bis zur Musik über die Heiligenverehrung ist das jüdische eingebettet in diesen arabisch-amazighischen Kontext.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie kann die Erfahrung der Juden in Marokko dazu beitragen, den Dialog zwischen Juden und Muslimen zu verbessern? 

Dr. Jean Joseph Lévy: Marokko lebt eine Normalität in Bezug auf Judaismus. Die Juden haben zwar eine alternde aber funktionierende Gemeinde mit allen Dienstleistungen, die zur Religionsausübung notwendig sind. Am Instanz Gericht in Casablanca ist noch eine hebräische Kammer mit fünf Rabbinern in Ihrer Funktion als Richter zu finden!

Hierzu ein interessanter Artikel in französischer Sprache zum Thema:

Jedes Jahr kommen tausende Juden um am Grab besonders berühmte Rabbiner wie Rbi Amran ben Diwan bei Wezzan oder Rbi Haim Pinto in Essawira das Heiligenfest die „Hilloula“ zu zelebrieren. Diese Ereignisse finden mit der vollen Unterstützung des marokkanischen Staates statt.

Die neue marokkanische Verfassung, die in gewisser Weise unter dem „Druck“ des arabischen Frühlings entstanden ist, nennt das Judentum als eine der Quelle der marokkanischen Kultur neben des amazighischen, des arabisch-andalusischen und des saharawischen Einflusses. Diese Anerkennung der Pluralität sucht heute von der Muluya bis zu Euphrat nach einem vergleichbaren Text.

Dr. phil. Milena Rampoldi:  Welche Möglichkeiten sehen Sie heute für einen Frieden in Nahost?

Dr. Jean Joseph Lévy: Ich glaube es ist langsam  Zeit offen die anzuprangern, die den Frieden blockieren: die israelische Regierung. Der Friedensprozess ist am Nullpunkt angelangt und Resignation hat sich breit gemacht. Die „Mainstream- Gesellschaft“ in Israel lebt hinter einer Mauer, in gewisser Weise in „Exterritorialität“ zum nahen Osten. Wenn man eine Mauer baut hat man kein besonderes Vertrauen zu seinen Nachbarn entwickeln können. Ich bezweifele dass man diese Exterritorialität noch über Jahrzehnte ausleben kann. Auf der anderen Seite der Mauer sind viele Entwicklungen im Gange, die vielleicht etwas mehr Kreativität und Weitsicht erfordern als ein Netanyahu anbieten kann. Wir erleben eine Quasinormalisierung des Horrors, der wievielte Gaza Krieg ist es eigentlich?  

Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche sind die größten Hindernisse, die im Moment den Frieden zwischen Juden und Palästinensern unmöglich machen?

Dr. Jean Joseph Lévy: Wie ich es sagte das Haupthindernis für mich ist die israelische Regierung, die sich weigert mit der palästinensischen weltlich-orientierten Autonomiebehörde einen echten Frieden zu schließen und somit verhindert dass eine Friedensdynamik, ja ein Pol der friedensliebenden Menschen entsteht. Im 21 .Jahrhundert müssen  wir erleben wie die Kolonisierung ganzer Landstriche vor unseren Augen vollzogen wird, wie aufrechte Menschen die nichts als in Frieden leben wollen  in die Verzweiflung getrieben werden. Dies geschieht außerdem unweit von zwei extrem gefährliche Tragödien: der syrischen und der irakischen. Man muss kein Prophet sein um zu sehen dass hier ein großes Potenzial an Zerstörung sich zusammenbraut.

Erstveröffentlichung.

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