von Arn Strohmeyer
Amerikaner glauben seit jeher, mit Dollars, Gewalt und salbungsvollen Reden alle Probleme der Welt lösen zu können. Auf die Interessen, Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen braucht man dabei keine Rücksicht zu nehmen. Das gilt auch für den amerikanischen Plan zur „Lösung“ des schon über hundert Jahre währenden Konflikts der Zionisten mit den Palästinensern. Das Konzept von US-Präsident Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner (eines frommen Juden und gläubigen Zionisten), über das zur Zeit in Bahrain verhandelt wird, war und ist eine Totgeburt von Anfang an. Allein schon deshalb, weil Vertreter des Volkes, um das es geht, an der Konferenz gar nicht teilnehmen. Sie sagen zu Recht: „Wir lassen uns unsere im Völkerrecht verbürgten Ansprüche, unsere Ehre und Würde nicht mit Dollars abhandeln. Wir sind nicht käuflich.“
Aber so gehen die USA mit anderen Völkern und Ländern schon immer um. Deren Wille zählt nicht viel oder gar nichts, sie haben sich schlicht zu fügen. Und wenn sie das nicht tun, wird eben mit Gewalt nachgeholfen. Letztes sehr anschauliches Beispiel ist der Iran. Ein Kritiker der US-Politik schrieb schon vor Jahren: „Die USA, die, seit es sie gibt, allen anderen Moral predigen, um ihre eigenen Gräuel zu kaschieren, entstanden selbst auf dem Boden nackter Gewalt: durch Ermordung der Roten und Versklavung der Schwarzen – die Basis ihrer ganzen Freiheit und Demokratie: blutige ‚Realpolitik‘ und bigottes Geschwätz.“ (Karl-Heinz Deschner 1992)
Nun sind die Palästinenser dran im „Deal“ der USA, Israels und „williger“ arabischer Staaten. Milliarden von Dollars sollen den Palästinensern in ihren von Mauer und Zäunen umgebenen Reservaten oder Bantustans das Leben ein wenig erleichtern, Investitionen das Niveau ihrer Wirtschaft heben (das von der Besatzungsmacht Israel ganz bewusst auf einen niedrigen Level gedrückt wird), und eine Brücke zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland soll die Verbindung zwischen beiden von Israel beherrschten Gebieten verbessern – sozusagen von Gefängnis zu Gefängnis. Von Völkerrecht, Menschenrechten, Ende der Besatzung und Unterdrückung ist in dem Konzept mit keinem Wort die Rede. Und schon gar nicht von Land, genau gesagt von der Rückgabe von geraubtem Land oder dem Ende des täglichen Landraubs durch Israel für den Bau neuer Siedlungen.
Die Auseinandersetzung zwischen den Zionisten und den Palästinensern war von Anfang an ein territorialer, siedlerkolonialistischer Konflikt und ist es auch heute noch. Hier müsste man ansetzen, um eine wirkliche gerechte Lösung zu finden. Aber das Land wollen die „Herren des Landes“ (so ein Buchtitel der beiden Israelis Idith Zertal und Alkive Eldar über die jüdischen Siedler und ihrer Förderer) natürlich behalten. Die Palästinenser sollen zusammengedrängt und ohne Bewegungsfreiheit in ihren Reservaten weiter existieren können, man will sie mit ein paar Dollar-Brocken vom Tisch der Reichen abfinden, aber rechtlos bis in alle Ewigkeit. Israel wäre bei dieser „Lösung“ der einzige große Gewinner und behielte in allen Punkten die weitere Kontrolle.
Selbst wenn die Palästinenser von allen guten Geistern verlassen wären und auf Trumps „Jahrhundert-Deal“ eingingen, Beispiele aus der Vergangenheit dienen als Warnung und können aufzeigen, wie der „Deal“ vermutlich ausgehen wird: Nach dem ersten Gaza-Krieg 2008/09 gab es in Kairo eine international hochrangig besetzte Konferenz, die Finanzmittel zum Wiederaufbau des Gazastreifens bereitstellen sollte. Von Milliarden von Dollars war auch damals die Rede, von deutscher Seite machte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier finanzielle Zusicherungen. Angekommen ist von den Hilfszusagen im Gazastreifen nichts. Israel hat erfolgreich jeden Wiederaufbau dort verhindert, mit der Begründung: es könnten ja „Terrorstrukturen“ mit den Geldern errichtet werden. Ganz im Gegenteil also: Israel setzt sein Zerstörungswerk bis heute fort.
Zudem: Israels Soldaten zerstören auch im Westjordanland permanent weiter: landwirtschaftliche Flächen (vor allem Olivenhaine), Schulen, technische Einrichtungen wie Solaranlagen und Wasserprojekte – auch wenn sie von der EU oder Weltbank gefördert und bezahlt worden sind. Wer gäbe den Palästinensern die Garantie, dass diese Praxis nicht anhielte und zum Schluss die Zustände noch viel schlimmer wären als vorher?
Viel lieber wäre vielen Israelis im politischen Establishment eine ganz andere Lösung als der „Jahrhundert-Deal“: der „Transfer“ der Palästinenser aus dem Land, eine euphemistische Umschreibung für die endgültige Vertreibung dieses Volkes. Der Knesset-Abgeordnete Bezalel Smotrich hat gerade die „Judaisierung“ Galileas gefordert, was ja heißt, dass man die dort lebenden Palästinenser (ihr Hauptwohngebiet in Israel) loswerden will. Der frühere Minister Avigdor Liebermann bekennt sich seit langem zur „Transfer-Lösung“.
So war es von Anfang an, denn der Verrat an den Palästinensern hat eine lange Geschichte. Der israelische Psychologe Benjamin Beit-Hallahmi schreibt in seinem Buch „Die Sünden des Zionismus. Reflexionen über die Geschichte des Zionismus und Israels“, dass die ersten zionistischen Siedler in Palästina [seit 1880] schlicht und einfach einen Krieg gegen die Eingeborenen [die Palästinenser] geführt hätten. Und dieser Krieg sei ein Teil der Umwandlung der Natur des Landes gewesen. Sie [die Palästinenser] seien ein anderes Element der Natur gewesen, man habe sie bekämpfen müssen wie die Hitze, die Sümpfe und die Malaria.
Dann kam 1917 die Balfour-Deklaration, in der Großbritannien den Juden in Palästina die Gründung einer „Heimstätte“ versprach, obwohl über 90 Prozent der Bewohner des Landes damals Araber bzw. Palästinenser waren. Diese wurden in der Deklaration nicht mal mit ihrem richtigen Namen bezeichnet, sondern abfällig als „nicht-jüdische Gemeinschaft“. Als Großbritannien 1920 vom Völkerbund (der Vorgängerin der UNO) das Mandat über Palästina verliehen bekam (es wurde im September 1923 ratifiziert und in Kraft gesetzt), wurde erneut deutlich, wie sehr die Zionisten bevorteilt und die Palästinenser benachteiligt wurden. Im Mandatstext heißt es bereits in der Präambel, dass das jüdische Volk ein „historisches Anrecht auf Palästina und damit einen Rechtsanspruch auf die Wiederherstellung seiner natürlichen Heimstätte in diesem Land“ besitze. Großbritannien erhielt als Mandatsmacht den Auftrag, dieses Projekt durchzuführen.
Im Mandatstext des Völkerbundes, den alle Großmächte der Welt unterzeichneten, ist von den Palästinensern nirgends die Rede: Die 28 Artikel des Mandatstextes nennen dieses Volk, das seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden in Palästina lebt, nicht ein einziges Mal beim Namen. Mit anderen Worten: Der Mandatstext nimmt die damalige Realität in Palästina (Bevölkerungsmehrheit und weitaus größten Bodenbesitz) überhaupt nicht zur Kenntnis. Ganz im Gegenteil: Er entstellt diese Realität so, dass die jüdische Minderheit als Mehrheit erscheint und die Palästinenser eben nur als „nicht-jüdische Gemeinschaft in Palästina“ auftauchen. Diese Diskriminierung im Völkerrecht ist fast beispiellos.
In der folgenden Zeit setzte sich die Mandatsmacht Großbritannien im Bündnis mit den Zionisten souverän über die Rechte (vor allem das Selbstbestimmungsrecht) der Palästinenser hinweg. Großbritannien förderte völlig einseitig die zionistischen Interessen, der britische Außenminister Arthur James Balfour (der Verfasser der nach ihm benannten Deklaration) erklärte damals ganz offen: „Der Zionismus ist sehr viel wichtiger als die Wünsche und vorgefassten Meinungen von 700 000 Arabern.“ Die Zionisten nutzten die Hilfe der Briten, um mit immer neuen Einwanderungswellen, Landkauf, Siedlungsbau und der Aufstellung eigener Milizen (den Vorläufern der zionistischen Armee, der Hagana) „vollendete Tatsachen“ zu schaffen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg aber – vor allem mit Terror – gegen die Briten selbst richteten, sodass sie ihr Mandat kündigten und es der UNO übergaben.
Im November 1947 erfolgte der nächste Diskriminierungsschritt gegen die Palästinenser: Die UNO-Generalversammlung beschloss die Teilung Palästinas. Die Juden sollten, obwohl sie nur ein Drittel der Bevölkerung ausmachten und durch Kauf nur knapp sechs Prozent des Landes in ihren Besitz gebracht hatten, 56 Prozent des (obendrein noch besseren) Landes erhalten; die Palästinenser, die zwei Drittel der Bevölkerung des Landes stellten und über 90 Prozent des Bodens besaßen, sollten nur 42 Prozent des Territoriums bekommen, mit den übriggeblieben zwei Prozent sollte Jerusalem zu internationalen Zone werden. Die Araber lehnten dieses unzumutbare Angebot verständlicherweise ab. Noch im selben Jahr begannen die zionistischen Truppen, Palästina mit der Nakba „ethnisch zu säubern“, etwa 800 000 Palästinenser wurden vertrieben, die Hälfte des palästinensischen Volkes. Die Zionisten eroberten mit dieser Kampagne und im Krieg mit den Arabern 1948/49 78 Prozent Palästinas. Im Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet.
Im Juni-Krieg 1967 eroberte Israel den Rest Palästinas: das Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen, dazu noch den Sinai von Ägypten und die Golanhöhen von Syrien, und beherrscht seitdem die Palästinenser und ihre Gebiete mit einer brutalen Besatzung. Der „Deal“, der zur Zeit in Bahrein ausgehandelt wird, ist also nichts anderes als die Fortsetzung und ein neues Kapitel des unendlichen Verrats an den Palästinensern – ein Volk, das es eigentlich gar nicht geben soll, weil es nur die zionistische Existenz stört. Über dessen Schicksal soll nun in Bahrain – natürlich ohne die Palästinenser – entschieden werden. Aber die Chancen für die Realisierung von Trumps „Jahrhundert-Deal“ sind alles andere als gut, Der US-Präsident und Kushner haben den Widerstandswillen dieses Volkes nicht auf ihrer Rechnung. Der „Jahrhundert-Deal“ hat beste Aussichten zum Flop des Jahrhunderts zu werden.
Elie Barnavi beschrieb schon 1982 „Israel“ und meint, wenn es das Sykes/Picot Abkommen nicht gegeben und ein Großsyrien unter den Haschemiten hätte entstehen können (der Film Laurence von Arabien tangiert den danaligen Skandal), hätten Juden und Araber wahrscheinlich ihr neues Al-Andalus gehabt. Während die Araber damals noch in feudalen Gesellschaftszusammenhängen lebten und die Juden eine städtische Kultur mitbrachten, hätten sich die heute verfeindeten Gruppen ergänzt. Frage ist, wie ein „pansemitisches“ Großsyrien heute verfaßt werden müßte. Die Gesetze müssen für alle gleich sein, aber administrativ könnte man Kantone und Herrschaften nach Schweizer Art abgrenzen. Der menschlichen Phantasiie und dem Erfindungsgeist sind auch keine politischen Grenzen gesetzt. Denen steht meist nur ein religiöser Unwille im Wege