von Gideon Levy
Ich habe sie niemals getroffen. Nur zwei- oder drei Mal hat sie mich vom Ort ihrer Verbannung angerufen, aber ich erinnere mich sehr genau daran, was sie für mich und für die meisten meiner gehirngewaschenen Generation war: Sie war das Symbol für den Hass auf Israel, ein Feind des Volkes, eine widerliche Verräterin, eine abscheuliche Person, eine Ausgestoßene. So lehrte man uns, über sie zu denken, wie über einige andere der ersten Dissidenten, und wir haben nicht gefragt, warum und interessierten uns nicht.
Jetzt ist sie im hohen Alter in der Verbannung gestorben, und ihre Gestalt glänzt in meinen Augen als etwas Wertvolles aus der zeitlichen Distanz und des Ortes: Felicia Langer, die Ende letzter Woche in Deutschland gestorben ist, war eine Heldin, eine Pionierin und eine Frau mit Gewissen. Sie und ihre wenigen Kollegen haben bei uns niemals die Anerkennung gefunden, die sie verdient hätten. Ich bezweifle, ob sie sie jemals bekommen werden. An einem Ort, an dem Mitglieder einer jüdischen Terrororganisation gerne gesehen und sogar beliebt sind, einer ein Zeitungsherausgeber und der zweite eine Talmudgelehrte, wo bekennende Rassisten im öffentlich Diskurs legitimiert werden wie an keinem anderen Ort auf der Welt, gibt es keinen Platz für Freiheitskämpfer und mutige Verfechter von Gerechtigkeit, die persönlich einen hohen Preis bezahlt haben für ihren Versuch, vor der Masse zu marschieren, die ihnen niemals gefolgt ist.
Langer war eine Shoa-Überlebende aus Polen, die Jura an der Hebräischen Universität studiert hat und nach der Besetzung 1967 die erste war, die eine Anwaltskanzlei eröffnet hat, in der sie palästinensische Opfer verteidigt hatte. Damit hat sie eine ruhmreiche Tradition von Juden fortgesetzt, die sich für Opfer überall auf der Welt eingesetzt haben – in Südafrika, in Südamerika, in Europa und den USA.
Dabei hat sie ihr Gefühl für Gerechtigkeit in einem Konflikt mit ihrem Staat geführt. Manchmal hat sie sogar gewonnen: Infolge ihres Einspruchs hat das Oberste Gericht die Verbannung des Bürgermeisters von Nablus, Bassam Shakaa, im Jahre 1979 annulliert. Ein Jahr später hat der jüdische Untergrund eine Bombe unter seinem Dienstwagen platziert, seine Beine wurden amputiert und das israelische Recht kam zum Vorschein.
An ihrem Lebensabend sagte ihr Enkel zu ihr, dass die Palästinenser am Ende siegen und einen eigenen Staat bekommen werden. „Du wirst es nicht mehr sehen, aber ich werde es erleben.“ Das hat ihr Enkel versprochen. Aber auch ihr Enkel wird am Ende enttäuscht sein, so wie seine hervorragende Großmutter.
Übersetzung aus dem Hebräischen von Abi Melzer.
Folgende Bücher von Felicia Langer sind im Cosmics Verlag erschienen:
Lieber Abi Melzer,
herzlichen Dank für Ihre wunderbare Übersetzung.
Dr. Torsten Kemme
Danke Abi Melzer ! „…gibt es keinen Platz für Freiheitskämpfer und mutige Verfechter von Gerechtigkeit, die persönlich einen hohen Preis .bezahlt haben für ihren Versuch, vor der Masse zu marschieren, die ihnen niemals gefolgt ist“.
(Gideon Levy)
Doch die für Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit einstehen / kämpfen – das sind die „Fackelträger“ – Gideon Levy und zahlreiche Andere die für ihren Mut genau Hinzuschauen und nicht zu schweigen angegriffen werden gehören dazu.: „Wirf dein Wort und geh“ – ermutigte ein weiser Freund die palästinensische Theologin und Autorin Viola Raheb während der monatelangen Belagerung Bethlehems 2002. Die das SAGEN haben, geben den Rufern ihre Anerkennung nicht. Gleichzeitig gibt es die, die HÖREN. Abi Melzer – du brachtest auch die Stimmen von Erich Fried und Berchtold Brecht in deine eindrückliche Abschiedsrede am Grab von Felicia Langer. DANKE – TODA – SHUKRAN
Ich hatte das Glück Felicia Langer vor Jahren in Graz auf einer islamischen Konferenz -auf der wir beide als Referentinnen sprachen- kennen gelernt zu haben und war begeistert von ihrer Persönlichkeit.
Ihr Tod erinnert mich an ein Hadith des Propheten Muhammad, der beim Vorbeitragen der Bahre eines jüdischen Bürgers von Medina aus Respekt aufstand und einige Bürger, die darauf hinwiesen, dass es ein Jude gewesen sei, zurechtwies mit den Worten: Ist er nicht eine Seele!
Und so lasse ich meine muslimischen Schüler_innen in der nächsten Stunde vor der Seele Felicias aufstehen, nachdem ich ihnen von ihrem Lebenswerk erzählt habe.