In einem Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Fritz Stern fragt letzterer: „Was können die Israelis tun?“ Und Schmidt antwortet: „Sie haben sich so verrannt, dass das eines von den möglicherweise unlösbaren Probleme der Welt ist.“ Und Stern sagt dazu: „Eine ganz große Tragödie. Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft Israels, wenn ich an seine eigene Politik denke.“ Zu dieser Einsicht kommen immer mehr Israelis und kritische Juden wie ich.
Am 11. Juni 2016 konnte man in der Frankfurter Rundschau lesen: Israel zerbricht an seinem Hass. Nach dem Mordanschlag in Tel Aviv vom Vortag sagte Tel Avivs Bürgermeister, Ron Huldai: „Es ist doch unmöglich Menschen unter Besatzung zu halten und zu glauben, dass sie sich damit abfinden, so weiter zu leben. Wir sind wahrscheinlich das einzige Land auf der Welt, in dem ein anderes Volk unter Besatzung lebt.“
Solchen Klartext sind die Israelis nicht gewohnt. Ultranationalistische Kreise indessen bekundeten unverhohlen Schadenfreude über den Terror im Herzen von Tel Aviv. Ausgerechnet der Anschlag, bei dem vier Israelis getötet wurden, verdeutlicht den Riss, der durch die israelische Gesellschaft geht. So warf der Vater eines der Todesopfer der Regierung Benjamin Netanjahus vor, mit ihren Kollektivstrafen wie die Abriegelung des Westjordanlandes und die Verhängung von Ausgangssperren nur zur weiteren Eskalation beizutragen. Die Leichen von Tätern einzubehalten und Häuser zu zerstören, „schaffen neues Leid, Hass und Verzweiflung. Wir haben euch gewählt, um den Kreislauf der Gewalt zu stoppen.“
Aber offensichtlich lässt sich dieser Kreislauf nicht stoppen. Jedem Attentat folgt Vergeltung und der Vergeltung folgt ein Vergeltungsattentat und so dreht sich der Konflikt im Kreis, anstatt dass er auf einer Peaceroad vorwärts in Richtung Lösung marschiert. Die israelischen Regierungen, nicht nur die gegenwärtige, sondern alle, wollen keinen Frieden, sondern ganz Eretz-Israel, koste es, was es wolle. Es trifft ja sowieso nicht die Kinder der Elite und solange diese gut daran verdient, wird sie es weiter geschehen lassen. Es ist ja schon seit langem bekannt, dass Netanjahu sich vor nichts mehr fürchtet, als vor seiner Frau, die aus einem streng nationalistischen Elternhaus kommt und den fanatischen Siedler. Früher war es noch sein Vater, der Zeev Jabotinkys Sekretär war, vor dem er sich fürchtete, aber dieser ist inzwischen gestorben.
Uri Avnery schöpft seine Hoffnung, seinen Optimismus daraus, dass auch nach mehr als hundert Jahren Feindschaft es zu einem Frieden zwischen Deutschen und Franzosen gekommen ist. Der Vergleich hinkt aber gewaltig. Trotz der Feindschaft, trotz des abgrundtiefen Hasses, gab es zwischen beiden Völker eine gewisse gegenseitige Achtung – wenn nicht vor den Menschen, so doch vor der Kultur. Wenn die Israelis die Palästinenser nur hassen könnten, dann wären wir ein Dutzend Schritte weiter. Die Israelis aber hassen die Palästinenser nicht, sie achten sie nicht, sie verachten sie und betrachten sie als „Untermenschen“, so wie die Deutschen die Juden als Untermenschen betrachtet haben. Und „Untermenschen“, die man mit Ratten vergleicht, kann man verhaften, enteignen, ermorden und vergasen – es sind ja Untermenschen, also Ratten.
Die Deutschen sind von den Nazis Schritt für Schritt darauf vorbereitet worden. Den Israelis wird auch schon seit bald 100 Jahren das Gehirn gewaschen und inzwischen glauben sie es, das man den Palästinensern nicht trauen kann, dass sie keine Zivilisation haben und keine Kultur. Ein bekannter israelischer Autor hat es einmal so ausgedrückt: Die Araber haben keine Kultur, keine Zivilisation – nur Öl.
Dass die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen für Israel kein Vorbild sein kann, sehe ich auch so, ebenso das brauchbare Miteinander zwischen Deutschen und ihren anderen Nachbarn. Auch der Ruf nach einem Nelson Mandela würde nicht tragen, denn auf beiden Seiten gab es einen starken Wunsch, diese Art der staatlich institutionalisierten Aus- und Abgrenzung zu beenden. Solche Hoffnungen tragen nicht.
Die wichtigste Grundhaltung in der deutschen Politik nach 1945 war und ist, sich von dem Nationalsozialismus in allen Aspekten zu distanzieren, alle Schuld auf sich zu nehmen und alle Schuld der anderen an Deutschen als Selbstverursacht darzustellen.
Die Radikalisierung zwischen Juden und Palästinensern – die bereits wenige Jahre nach der ersten Aliya eintrat – ist singulär, wie es das – mitunter etwas überhöhte – Selbstverständnis von Juden ist – wenigstens jenes Teils der Juden, deren religiöse und weltanschauliche Narrative im Zionismus als tragende Säulen gepflegt werden und Grundlage der Rechtfertigung und Legitimierung der Politik der israelischen Eliten ist, über die das ehemalige Diasporajudentum erschüttert der Kopf schütteln würde.
Ein emanzipatorisches und friedliches wenn schon nicht Miteinander dann wenigstens Nebeneinander zwischen Juden und Arabern in Israel bedarf offensichtlich der Kraft eines Herkules.
Eine Ergänzung muss ich zur Ehrenrettung meines Volkes anmerken: Nicht „die Deutschen“ haben im staatlichen und/oder auch religiösen Auftrag „die Juden als Untermenschen betrachtet“ sondern nur eine Minderheit – darunter nicht einmal alle eingetragenen Partei-Mitglieder, auch wenn „der Stürmer“ et al. alles erdenklich Negative über Juden verbreitete. In der Geschichte sollte genauer unterschieden werden zwischen dem, was zwischen 1933 bis 1941 geschah und dem was nach 1942 in dem furchtbaren Krieg und den weiteren Monaten sich an monströsen Gräueln ereignete. Demokratisch legitimiert waren all diese Vorgänge ganz sicher nicht, so das es auch nicht gerechtfertigt ist, von „den“ Deutschen zu sprechen.
Aus der grossartigen Rede von Rabbi Michael Lerner (=Tikkun) an Muhammed Ali’s Beerdigungsfeier:
„Tell the politicians who use violence worldwide and then preach nonviolence to the oppressed that it’s time for them to end …”
( d= Sagt den Politikern, die weltweit Gewalt anwenden und den Unterdrückten Gewaltfreiheit predigen, dass es an der Zeit für sie ist, ……ein Ende zu machen )
links: :
Die Rede von M Lerner auf YouTube :
https://www.youtube.com/watch?v=GtvuIztjQPo
Die Rede im Wortlaut
http://mondoweiss.net/2016/06/standing-palestinians-netanyahu/
Habe gerade vom Streit mit Broder gelesen und ich bin überrascht über die hier vertretene Meinung.
Generell. Die Haltung und das Geschichtswissen das hier vertreten wird, ist identisch zu den Juden in Deutschland, die noch 1945 glaubten, ein KZ ist nur eine Siedlung im Osten.
Melzer irrt sich gewaltig. Die Juden müssen nicht mächtig sein, um gehasst zu werden, sie müssen auch nicht besonders arm sein, um gehasst zu werden. Sie müssen nur als Juden identifizierbar sein. Wir, die Nichtjuden, werden uns noch lange an alle Vorurteile erinnern, die zu den Genoziden und Pogromen führten. Selbst dann, wenn die einzigen Quellen dafür die Berichte über Genozide und Pogrome sind. Nach dem Motto, da muss doch was dran sein. Wo Rauch ist ist auch Feuer.
Ich denke, wenn Melzer in 100 Jahren die Geschichte der Juden in Deutschland schreiben würde, dann wäre der Holocaust nur ein Randnotiz von 5-6 Jahren, denen er 2000 Jahre Hochkultur und jüdisches Gleichberechtigung entgegenstellen würde. als Beleg würde er vielleicht Stimmen von Nazis anführen, die schon immer der Meinung waren, dass die Juden viel zu gut in Deutschland behandelt wurden. So wie Melzer und Andere, der islamischen Geschichtsschreibung glaubt, die das friedliche zusammenleben mit den Juden lobt.
Nein. Zu jeder Zeit und in jedem Teil der Welt, waren die Juden nur geduldet. Egal ob integriert oder nicht. Denn für den normalen fremdenfeindlichen Rassisten, der in allen Völkern schlummert, ist es schlicht egal ob jemand integriert oder nicht integriert ist. Er ist im Zweifel dafür verantwortlich, das man weniger hat als man haben müßte. Wenn er arm ist, kriegt er zuviele Almosen, wenn er reicher ist, hat er etwas was man uns weggenommen hat. Es mag hundert Jahre gut gehen, doch warten alle Vorurteile und Ressentiments nur darauf als Alibi für den nächsten Überfall zu dienen. Je weniger Zeugen, desto besser. So lassen sich auch besser Geschichtsbücher schönen.
Bei alle Israelkritik. Was ist an Israel schlechter als an der Türkei, England oder Spanien? Israel hat in einigen Kriegen, die mit etwas „Glück“ auch mit einer Niederlage hätten enden können, mehr Land erobert, als Israel durch die UN zugestanden wurde. Aufgrund der ständigen Bedrohung ist Israel nun nicht bereit großmütig auf das Land zu verzichten. So wie die Türkei den Kurden und Armeniern, so wie England den Iren und Schotten, so wie Spanien den Basken und Katalanen, keine Eigenstaatlichkeit zugesteht. Aber in Israel leben Juden. Die müssen eben moralischer seine als „wir“. Normale Gefühle, wie Angst, Gier, Nationalismus, Triumph usw. sind den Juden nicht erlaubt.
Aber hört auf Melzer. Vertraut Israel dem guten Willen der Palästinenser an, so wie Stalin einst Hitler vertraut hat, sich die Beute im guten einvernehmen zu teilen.
Die Juden können uns vertrauen. Die Welt wird mit jedem Tag besser und friedlicher. Und wir brauchen die Juden noch. Wen sollen wir denn sonst für Klimakatastrophe und die nächsten SuperGaus verantwortlich machen?