Die Kleider des nackten Königs

Am Sonntag fand vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine „Massenversammlung“ gegen Antisemitismus statt, zu der keine Massen kamen, sondern, nach Angaben der Polizei, höchstens viertausend Teilnehmer; und das war auch gut so.  Vor allem aber fiel auf, dass kaum ein Prominenter fehlte: Joschka Fischer neben Gregor Gysi, Friede Springer neben Charlotte Knobloch, Oppermann neben Kauder, Moderator Cherno Jobatey neben Außenminister Steinmeier und Familienministerin Schwesig, Kardinal Reinhard Marx neben EKD Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, DFB-Chef Wolfgang Niersbach neben Innenminister Thomas de Maizière  und Ronald S. Lauder vom jüdischen Weltkongress neben Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime, um nur einige zu nennen. Waren die DGB-Funktionäre  nicht vertreten? Viele der „unbedeutenden/bedeutenden“ MdBs bleiben hier unerwähnt, da sie nur die weitere Staffage bilden mussten. Alle eilten herbei, weniger um zu demonstrieren, als vielmehr um gesehen zu werden. Damit sie auch gar nicht in den Verdacht geraten, Gott behüte, „Antisemiten“ zu sein. Es war eine Schau der Eitelkeiten und der Ängstlichkeit, die „Einladung“ des Zentralrates der Juden in Deutschland zu diesem Propaganda-Spektakel auszuschlagen.

Das Problem dieser Kundgebung war aber, dass sie vom Zentralrat der Juden in Deutschland organisiert und durchgeführt wurde und nicht von der Bundesregierung. Angela Merkel war nur als Gastrednerin akzeptiert, und ihre Rede war eine Aneinanderreihung von Banalitäten und Absurditäten wie üblich. Am Beifall der Anwesenden konnte man erkennen, dass sie nicht begeistert davon waren, und bei den Parolen hörte man, worum es geht: um gehorsame Pflichterfüllung und die Absicht, sich dieser lästigen Aufgabe schnell zu entledigen. Merkel, Gauck und viele andere Politiker hatten schließlich noch andere, wichtigere Termine an diesem Sonntag, aber sie verhielten sich, wie gehorsame Deutsche sich halt verhalten, wenn der Zentralrat ruft.

Selbst solche Zionisten und Fans des Guru HMB, wie Nathan Gelbart, der treue und gefügige Anwalt des streitbaren „Antisemitismusexperten“, folgerte in seinem Beitrag auf der Achse des Guten, das „diese Kundgebung an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten war“. Dem kann ich mich nur anschließen. 

Merkel sagte, „dass das jüdische Leben zu uns gehört“, und als ob das nicht genug Anbiederung an den Zentralrat war, fügte sie hinzu, „Es ist Teil unserer Identität.“ Der Beifall war verhalten. Sie verlängerte ihre absurde Rede, als sie noch hinzufügte, dass der Kampf gegen Antisemitismus eine deutsche Pflicht sei. Das war sowas wie „die Verteidigung Israels“ sei deutsche Staatsräson. Aber man fragt sich, wieso nicht sie zum Kampf gegen Antisemitismus eingeladen hat, sondern der Zentralrat der Juden. Sollten die Juden wieder die schmutzige Arbeit machen und sich die Pfoten verbrennen. Selbst Nathan Gelbart fand, dass dies ein „Armutszeugnis“ für die Regierung war. Hat die Bundesregierung nichts getan, weil es da nichts zu tun gab? Der Zentralrat hat ein „antisemitisches“ Kaninchen aus dem Hut gezaubert, das in Deutschland zur aussterbenden Spezies gehört, wenn es nicht vom Zentral unter Artenschutz gestellt werden würde. Dr. Dieter Graumann, der augenblickliche Boss des Zentralrates der Juden in Deutschland, präsidierte also über den Popanz, den er „Antisemitismus“ nannte. Dieser „Kaiser“ war aber nackt, und das Publikum hat es auch gemerkt, aber wie im Märchen, fürchtete es zuzugeben, was es wirklich sieht. Sie klatschten aber schwach und zurückhaltend, weil sie offensichtlich dem, was die Redner sagten, nicht glauben.

Es war wie ein Pfeifen im Duett. Einmal pfiff der Seelenfänger vom Zentralrat, um die Menge hinter sich zu bringen und dann pfiff er wieder, um sich selbst Mut zu machen. Wenn man laut genug und oft genug „Antisemitismus“ ruft, so wie „haltet den Dieb“, werden am Ende einige wenige daran glauben. Es ist aber offensichtlich, dass nicht viele daran glaubten. Graumann pfiff, aber wenige folgten. Das bemängelt auch Nathan Gelbart in seiner weinerlichen Kritik. Er merkte wohl, dass es für viele eine reine Pflichtübung war. Er interpretiert es aber so, dass ich nichts verstanden habe. Er meint, dass es sich „mit dem Kampf gegen Antisemitismus so verhält, wie mit der Ehrung toter Juden oder dem Kampf gegen tote Nazis“. Ich habe diesen Satz vorwärts und rückwärts gelesen und wurde nicht schlau daraus. Wo werden bei uns tote Juden geehrt?  Da verwechselt Gelbart wohl Gedenken  mit Ehren.

Es gibt keinen Grund die toten Juden zu ehren aber viele Gründe, sich ihrer zu erinnern. Wenn Albert Einstein geehrt wird, dann doch nicht wegen seines Judeseins. Schließlich hatte er andere Verdienste vorzuweisen. Und wenn Max Tau, Martin Buber, Victor Gollancz, Nelly Sachs, Ernst Bloch, Alfred Grosser, Yehudi Menuhin, Manes Sperber, Teddy Kollek, Hans Jonas, Amos Oz, Fritz Stern, Susan Sonntag und David Grossman mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt werden, dann sind es keine tote Juden, sondern sehr lebendige und bedeutende Menschen, die zufällig auch Juden sind. Lediglich Janusz Korczak wurde posthum, also als toter Jude, geehrt, aber auch er hatte Verdienste vorzuweisen. Keiner dieser Personen wurde deshalb geehrt, weil sie Juden waren.

Und was „der Kampf gegen tote Nazis“ zu bedeuten hat, entzieht sich auch meiner Kenntnis und sogar meinen Vermutungen. Will Gelbart gegen Leichen kämpfen und Leichenschändung begehen? Er vergleicht auch den Kampf gegen Antisemitismus mit dem Kampf gegen Aids, Brustkrebs und Kinderarmut. Ein  unpassenderer Vergleich ist ihm nicht eingefallen. Wenn er solche Vergleiche auch vor Gericht vorträgt, dann finde ich es gut, dass er Broders Anwalt ist.

„Anders sieht die Sache aus, wenn es um lebende Juden, sprich Israel, geht“. Die Juden in Deutschland sind für ihn also keine lebenden Juden, sondern offensichtlich tote Juden. Interessant. Wenn ich ihn und seinen Guru lese, dann muss ich ihm sogar Recht geben. Aber was für eine Arroganz und Dummheit spricht aus einem solchen Satz, was für eine zionistische Überheblichkeit, Blindheit und Selbstgerechtigkeit. Er versäumt es hinzuzufügen, dass, wenn Israel so weiter macht, es bald auch in Israel viele tote Juden geben wird. Wenn man die Israelis überhaupt als Juden bezeichnen darf.

Der inzwischen tote israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk hat immerhin bei Gericht in Israel erreicht, dass man in seinen Papieren gelöscht, dass er Jude ist und es mit „Israeli“ ersetzt hat. Viele folgten ihm, weil viele Israelis keine Juden sein wollen, sondern Israelis. Die zionistische Regierung versucht aber, diesen Trend zu stoppen, weil sie aus Israel einen jüdischen Staat machen will.

Er bedauert und kritisiert, dass die Masse sich nicht mit dem „Recht Israels auf Selbstverteidigung“  und nicht mit den „Opfer des Terrors in Israel“ identifiziert. Ich kann da nur sagen: Dies ist auch gut so. Denn es gab tausendfach mehr Opfer in Gaza, mit denen man Empathie fühlen sollte und ich bin froh, dass viele Deutsche das auch gezeigt haben. Professor Rolf Verleger von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost hat vor dem Sitz des Bundespräsidenten in Berlin für alle Opfer, Palästinenser und Israelis, das jüdische Totengebet „Kadisch“ vorgetragen. Etwas so Bewegendes habe ich selten erlebt. Gelbart wäre aber nie auf die Idee gekommen so etwas zu tun. Er kennt nur israelische Opfer. Die palästinensischen Opfer scheinen ihm und seinem Guru gleichgültig zu sein.

Und schließlich kritisiert Gelbart, dass die Medien in Deutschland Israels Verteidigungsmaßnahmen  als Kriegsverbrechen bezeichnen. Aber auch hier verdreht Gelbart wieder die Fakten und die Wahrheit. Deutsche Medien, von der BILDzeitung bis zur FAZ, haben es nicht gewagt, Israel zu verurteilen, was notwendig gewesen wäre. Israels Verteidigungsmaßnahmen als Kriegsverbrechen zu verurteilen, hat der Jude Richard Goldstone gewagt, in seinem UN-Bericht über den brutalen und völkerrechtswidrigen Einfall der israelischen Armee in Gaza 2008/2009. Er wurde deshalb von der gesamten israelischen und der jüdischen Elite weltweit mit Unrat beworfen und als „jüdischer Selbsthasser“ verurteilt, woraufhin er Abbitte in der „Washington Post“ leistete.

Und wie das „Amen in der Kirche“ wiederholt Nathan Gelbart seine Herabwürdigung und Diffamierung deutscher Politiker und Journalisten als „Judenhasser“, weil sie es gewagt haben, Israel zu kritisieren. Dabei verhält er sich wie der durchgedrehte Mann, der einem anderen vorwirft, seine Schwester sei eine Nutte. Der andere widerspricht und sagt, dass er gar keine Schwester habe. Es hilft aber nicht: Die Schwester ist eine Nutte, auch wenn es sie gar nicht gibt. Auf diesem Niveau diffamiert Gelbart und sein Guru jeden, der es wagt, Israels Politik oder Politiker zu kritisieren.

Was für ein Glück hat demzufolge Henryk M. Broder, dass er Nathan Gelbart erst in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts kennengelernt hat. Hätte Gelbart schon früher, sagen wir in den siebziger Jahren Broder kennengelernt und gelesen, was er geschrieben hat, dann wäre Broder wohl für ihn einer seiner größten „Antisemiten“ oder „jüdische Selbsthasser“ gewesen.

 Im September 1979 schrieb Broder in einem offenen Brief an Menachem Begin: „…möchte ich Ihnen sagen, dass ich die Politik, die sie als Ministerpräsident des Staates Israel führen und verantworten, für falsch und gefährlich halte“. Oder: „Israel hat offenbar die große Chance vertan, der Welt und vor allem den arabischen Staaten (…zu demonstrieren, dass es einen jüdischen Staat geben kann, der jene Fehler vermeidet, unter denen die Juden in der Diaspora selbst zu leiden hatten“. Als ich dasselbe einige Jahre später schrieb, wurde ich von Broder als „jüdischer Selbsthasser“ und „Antisemit“ bezeichnet und sogar mit Adolf Hitler verglichen. Was für eine schauderhafte und widerliche Ehre.

Broder hat in den Jahren 1979 und 1980 sehr viel geschrieben und fast alles findet meine vollste Zustimmung und auch die Zustimmung all jener, die er heute als „“Antisemiten oder, wie in meinem Fall, als „jüdische Selbsthasser“ bezeichnet. Und auch die vier deutschen Politiker und Journalisten, die Gelbart als „Judenhasser“ diffamiert hat, sagen nichts anderes, als was Broder früher geschrieben hat.

Gelbart beklagt sich bitterlich darüber, dass der Zentralrat der Juden sich zu wenig für Israel und seine Armee eingesetzt hat und nur zu einer Solidarität mit Juden aufrief. Dabei scheint er einiges nicht verstanden zu haben. Natürlich war es gewollt aber versteckt, eine Pro-Israel-Kundgebung abzuhalten, auch wenn Graumann laut und deutlich gesagt hat: „Mit Israel hat es nichts zu tun.“ Er meinte, dass, wer wegen Israel „Antisemit“ wird, es schon immer gewesen ist. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus: Man muss nicht „Antisemit“ sein, um Israel zu kritisieren. Und es hat wohl etwas mit Israel zu tun.

Graumann hat aber, im Gegensatz zu allen anderen Redner, die beim Thema Antisemitismus blieben und Israel nicht erwähnt haben, sehr wohl zu verstehen gegeben, dass er hinter Israel steht und es ihm um Israel und nur um Israel geht. Er wollte keine „Freiheit für die Juden“ gewinnen, durch Distanzierung von Israel. Er hat sich auch von keinem einzigen Kriegsverbrechen  der israelischen Armee distanziert, sondern fand eher, dass es so gut war. Er meinte, dass Israel ungerecht behandelt würde. Er meinte, dass man es Deutschland nicht entschuldigen dürfte, wenn auch nur ein einziger Befürworter der Hamas hier leben würde. Er meinte, die Muslime müssten mehr tun. Die Juden dürfen weiter hinter Israels absurder und völkerrechtswidriger Politik stehen, aber die Muslime sollen sich von der Hamas distanzieren. Was für eine Überheblichkeit, was für eine Selbstgerechtigkeit. Gut, dass das Publikum diese Heuchelei durchschaut  und nicht geklatscht hat, bis auf die vielen Juden, die von der Jüdischen Gemeinde zur Kundgebung geschickt oder hin gekarrt worden sind.

Gut, dass auch solche „Blut und Boden“-Zionisten wie Gelbart das traurige Schauspiel durchschaut  und es als „Armutszeugnis“ entlarvt haben. Nur was sein Freund und Vorbild Henryk M. Broder betrifft, so ist das, was Lea Fleischmann 1989 Broder geantwortet hat, wahr geworden. Sie meinte, dass zehn Jahre Aufenthalt in Israel genug gewesen seien, „um aus einer kritischen, jüdischen heimatlosen Intellektuellen eine engstirnige, verbohrte, israelische Nationalisten zu machen“. Auch Broder war zehn Jahre in Israel und auch aus ihm ist ein engstirniger, verbohrter, israelischer Nationalist geworden. Damals hat Broder es ihr noch vorgeworfen.

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