Die Palästinenser in Geschichte und Gegenwart

von Ludwig Watzal

LebrechtHans Lebrecht schrieb zeitlebens gegen Unrecht und Unterdrückung an. In dem vorliegenden Buch, das erstmals 1982 in Westdeutschland und 1984 in Ostdeutschland erschienen ist, erzählt er die Geschichte der Entstehung und Entwicklung des Nationalbewusstseins des palästinensischen Volkes sowie die wechselvolle Geschichte des Palästinaproblems. Beginnend in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als das Osmanische Reich Palästina beherrschte, über die 30-jährige Kolonialherrschaft der Briten, bis zum Beginn der zionistischen Besiedlung Ende des 19, Jahrhunderts und der heutigen zionistischen Kolonisierung.

Herausragende Merkmale dieser Kolonialisierung sind Massenvertreibungen wie 1948 und 1967, die Errichtung von Siedlerkolonien, Enteignungen in großem Stil und offener Landraub, Dehumanisierung des palästinensischen Volkes und die Verweigerung der Rückkehr der Flüchtlinge. Neben den Kriegen Israels zeigt Lebrecht den Rassismus, die Arroganz und die Selbstgerechtigkeit des Zionismus und beschreibt aus eigener Erfahrung den Kampf der Palästinenser um Selbstbestimmung und Freiheit.

1915 in Ulm als Sohn eines Lederfabrikanten geboren, schloss er sich 1936 dem deutschen Untergrund an und kam mit Kommunisten in Kontakt, die gegen das diktatorische Naziregime kämpften. 1938 wurde er gewarnt, dass sein Name auf einer Liste der Gestapo stünde, worauf Lebrecht nach Palästina geflohen ist. Dort wurde er mit der zionistischen Diskriminierung der Palästinenser konfrontiert und trat 1945 in die Kommunistische Partei Palästinas (später Israels) ein. Seit 1955 arbeitete er als Journalist und Korrespondent für die kommunistische Presse in zahlreichen Ländern. Von 1957 bis 2004 schrieb Hans Lebrecht auch für die Tageszeitung „Neues Deutschland“. Er starb am 26. September 2014 im Alter von 98 Jahren in der Nähe von Haifa.

Widerstand gegen die Nazi-Diktatur war für ihn als deutscher Patriot selbstverständlich, so wie er es als israelischer Patriot als seine Pflicht empfand, Widerstand gegen die israelische Besatzungsherrschaft zu leisten. Für Lebrecht war es selbstredend, dass Israel kein faschistischer Staat ist. Zeit seines Lebens setzte er sich für einen friedlichen Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelis ein. In ihrem Vorwort bezeichnet Felicia Langer den Autor als „meinen Freund und Kampfgefährten – in jeder Hinsicht“.

Nach Lektüre des Buches kommt man zu dem Schluss, dass das, was sich heute an Brutalität und Grausamkeit durch das zionistische Besatzungsregime in Palästina ereignet, im Zionismus grundgelegt ist. Nachdem die zionistischen Funktionäre wie Max Nordau, Elieser Ben-Jehuda oder Achad Ha’am von der Existenz der Palästinenser in ihrem Heimatland „überrascht“ worden sind, schrieb der Chefideologe und „Sozialdemokrat“ David Ben-Gurion 1908 im damaligen Organ der Po‘alej-Zion-Partei, »Achduth« (Einigkeit): »Die christlichen Priester und Lehrer in Nazareth – diesem internationalen Zentrum des Christentums und des Antisemitismus – wiegeln ihr Volk zu einer Revolte gegen die Juden auf, wie auch dazu, den Juden ihr Land wegzunehmen, ihren Besitz zu plündern und sie zu ermorden (…) Der Judenhass wird den christlichen Arabern mit der Muttermilch eingeflößt..“

Zu den Diffamierung der palästinensischen Nationalbewegung und ihrer Repräsentanten durch Ben-Gurion u. a. schrieb Lebrecht, dass sie sie als ‚Nachfolger und Fortsetzer der Nazis‘, die angeblich einen ’neuen Holocaust gegen die Juden Israels‘ im Schilde führen“, diffamierten. Hat vielleicht Benyamin Netanyahu seine tiefschürfenden historischen Erkenntnisse über die Rolle des Mufti von Jerusalem als Spiritus Rektor der „Endlösung“ aus dieser historischen Asservatenkammer erhalten?

In 16 Kapiteln demonstriert der Autor, dass das, was heutzutage in Israel geschieht, in der zionistischen Ideologie wurzelt. Die Araber (Palästinenser) befanden sich von Anbeginn an auf der Verliererstraße, allen „Friedensschallmaien“ der israelischen Regierungen zum Trotz. Lebrechts eigene Erfahrungen sind authentisch und überzeugend. In den 1920er Jahren haben die Zionisten die arabischen Bauern (Fellachen) vertrieben, und die Kommunisten haben sie verteidigt. Der Autor erzählt dies seinen Lesern/innen, weil das, was nach der Kolonisierung seit 1967 geschehen ist ,nur die Fortsetzung dessen ist, was seit der Inbesitznahme Palästinas seit Beginn des 20. Jahrhundert geschehen ist. Beiden Ereignissen liegt die gleiche Ideologie zu Grunde, so Lebrecht. „Da, wo wir unsere Zelte errichten, wird die Grenze des jüdischen Staates gezeichnet“, lautete ein Motto der Siedler.

Alles, was der Autor schreibt, ist bekannt, aber durch seine Authentizität wirkt es umso überzeugender, aber auch realistischer und schwerer durch Propaganda zu widerlegen. Erschütternd sind seine Berichte über den Libanonkrieg von 1982, der unter der zynischen Parole „Frieden für Galiläa“ geführt und das Leben von mehr als zehntausend Menschen gekostet hat. Zynisch deshalb, „weil niemand den Frieden in Galiläa bedrohte“. Letztendlich hat dieser Aggressions- und Terrorkrieg gegen die Bevölkerung des Libanon und die Palästinenser in den Flüchtlingslagern Ministerpräsident Menachem Begin und seinem Verteidigungsminister Ariel Sharon das Amt gekostet. Für die zionistischen Ideologen ging es bei diesem Krieg eigentlich um „die Zukunft Groß-Israels“, wie dies der damalige Generalstabschef Rafael Eytan in einem Interview in „Bamachaneh“ vom 7. Juli 1982 ausdrückte.

„Sie leben in einem kleinen Gefängnis, wir aber leben in dem großen Gefängnis der Besatzung“, zitiert Lebrecht Verwandte von Gefangenen, deren Zahlen sich in 1970er und 1980er Jahren zwischen 40 und 50 000 bewegten. Heute gilt der Gaza-Streifen als das größte Freiluftgefängnis der Welt, in dem 1, 8 Millionen Palästinenser unter menschunwürdigen Bedingungen leben müssen. Lebrecht zitiert den 6-Punkte-Plan von Leonid Breschnew aus dem Jahr 1982, der den Konflikt in beiderseitigem Interesse hätte lösen können, wenn er nicht durch US-Präsident Reagan im Verbund mit Israel torpediert worden wäre. Prophetisch schreib Lebrecht zum Schluss: „Solange die Rechte der Palästinenser mit Füßen getreten werden, wird es auch keinen Frieden für Israel, für den Nahen Osten und für die Welt geben.“

Das Buches von Hans Lebrecht ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend und fesselnd. Den zionistischen Politikern und ihren Lautsprechern im Westen würde es durchaus gut zu Gesicht stehen, wenn sie sich mit dem Inhalt beschäftigen würden. Ein bemerkenswertes und nachdenkliches Buch.

3 Gedanken zu „Die Palästinenser in Geschichte und Gegenwart

  1. Ich denke, dass Schweigen der meisten nichtjüdischen Intellektuellen hat damit zu tun, dass sich niemand gern mit dem Schmutz des Verdiktes Antisemitismus bewerfen lässt. Daher bleibt es Juden in aller Welt vorbehalten, – in Deutschland leben ja auch einige Prominente – darüber zu sprechen, oder wenn’s beliebt, die Vorgänge schweigend mitzutragen bis vielleicht die Gründung jenes „ethnozentrierten“ Staatswesens abgeschlossen ist, das sich Netanyahu, Adelson et. al. erträumen.

    Es mutet mich immer wieder sehr befremdlich an, wenn sich der Zentralrat der Juden in Deutschland, in dem sicher einige Mitglieder eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, die deutsche und die israelische, sich in Deutschland mit ihrer Stimme gegen all das erheben, was sie in Israel tolerieren.

    Das Mahnen von Juden war in Zeiten des Diaspora Judentums ein wesentlicher Bestandteil des Gewissens der europäischen Völker, heute ist das nicht einmal mehr Wetterleuchten, nur noch bigott, wenn nicht gleichzeitig die Politik Israels kritisiert wird.

    Wenn die wenigen Fackeln erloschen sein werden, wie die eines Uri Avnery u.v.a, wird es noch dunkler um diesen Geist der Freiheit werden, dessen Licht auch in Deutschland nicht mehr sonderlich hell leuchtet, angesichts der Denkkategorien, in denen sich der entgrenzte Mainstream in Politik und Medien bewegt, der fehlende Grenzen mit Freiheit verwechselt.

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