Das Problem des Antisemitismus hat meinen Vater sein Leben lang beschäftigt. In Gesprächen mit mir sagte er oft, dass der sogenannte Nachkriegs-Antisemitismus in Wirklichkeit gar kein echter Antisemitismus sei. Dass es Menschen gibt, die Juden nicht mögen oder gar hassen, ist schon immer so gewesen; die Juden konnten es ertragen. Problematisch ist der Staats-Antisemitismus, wenn Judenhass zur Staatsräson wird und vom Staat inszeniert und gelenkt wird. Vor 1933 gab es in Deutschland nicht weniger „Antisemiten“ als nach 1933 und umgekehrt. Das Volk hat sich nicht verändert, allerdings die Regierung. An die Macht kam eine judenhassende „Mafia“. Natürlich gab es auch im Volk Judenhasser, so wie es nach dem Krieg auch Judenhasser gegeben hat, aber die Politik war nach dem Krieg nicht mehr darauf gerichtet, Juden zu hassen und zu vernichten. Im Gegenteil, die deutsche Politik zeigte Reue und war bereit, die Verantwortung für das Gewesene zu übernehmen und „Wiedergutmachung“ und Reparationen zu zahlen. Eine Schmiererei auf einer Synagogenwand war auch für meinen Vater entsetzlich, aber er sah darin nicht einen wieder aufkeimenden Antisemitismus. Heute ist schon ein Hakenkreuz auf einer öffentlichen Klotür für die BILDzeitung ein Beweis für einen neuen Judenhass in Deutschland.
Mein Vater war sein Leben lang gegen eine politische Paranoia, wenn Juden von Antisemitismus sprachen. Als in Köln jemand die Worte „alles jut“ aussprach, (womit er nur auf Kölsch sagen wollte, dass alles gut ist) und eine polnische Jüdin, die Auschwitz überlebt hatte, „Alle Juden“ verstand, hat sie die Worte sofort auf sich bezogen und den Schluss gezogen, dass sie Antisemiten begegnet war.
Ein Paradebeispiel dafür ist die terroristische Tat eines psychopatischen 27-jährigen am Jom Kippur Tag in Halle, der die weiße Rasse vor den Juden retten wollte. Es erinnert an das Massaker in Oslo, wo ebenso ein psychisch kranker Rassist die weiße Rasse retten wollte. Weitere solche Ereignisse lassen sich aufzählen: der Terrorist in Neuseeland, der Moslems hasste. Viel zu viele ähnliche Taten wurden in Belgien, Frankreich und den USA verübt. Vor allem erinnert es mich an den jüdischen Mörder Baruch Goldstein, der 1994 zwei Dutzend betende Moslems an Abrahams Grab in Hebron niedermetzelte und dem die ultra-orthodoxen Juden in Hebron ein Grabmal errichteten, das täglich von jüdischen Touristen, von Schülergruppen und von gewöhnlichen israelischen Bürger besucht wird.
Baruch Goldstein, von dem unsere braven russischen und ukrainischen Juden in Halle und Rottweil vielleicht gar nichts wissen, war ein jüdischer Arzt und Siedler. Die Tat hat zwar vor 25 Jahren stattgefunden, aber der Mörder wird bis heute verehrt.
Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeiner der erlauchten Honoratioren, der diese Tage am Anschlagsort in Halle protestiert und die üblichen Litaneien aufgesagt hat, damals, als ein Jude Moslems ermordet hatte, protestiert oder an die ermordeten Palästinenser gedacht hatte. Nach Halle reiste sogar ein Gesandter des Jüdischen Weltkongress an. Zusammen mit Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland und mit unterwürfigen, eingeschüchterten und vor lauter Liebe zu den Juden zitternden deutschen Kommunal-, Lokal und weniger wichtigeren deutschen Politikern, suchten sie nach einer Formel für Trauer und Empörung. Sie waren blass vor Entsetzen und brachten ihre Empörung über die Tat eines einzelnen kranken und fanatisierten deutschen Neo-Nazis zum Ausdruck.
Selbstverständlich war es eine entsetzliche und widerliche Tat, die jeder halbwegs normale Mensch verurteilen muss; es bleibt jedoch die Tat eines einzelnen durch geknallten Deutschen, auch wenn man vermuten darf, dass in seinem Umfeld ihn Sympathisanten unterstützt haben. Sie ist weder ein Indiz für ein Aufkeimen des Nazismus in Deutschland noch ein Beweis, dass es in Deutschland wieder Antisemitismus gibt. Auch steht Auschwitz nicht vor der Tür. In Halle ist nicht einmal ein Jude verletzt, geschweige denn getötet worden. Dass es bodenlose Dummheit und Hass auf Fremde in unserem Land gibt, ist doch bekannt. Wie viele Afrikaner, Asiaten und Menschen anderer Religionen und Nationen sind in Deutschland bereits aus rassistischen Motiven getötet worden? Allein die NSU-Mordserien belief sich auf zehn Morde.
Die Behörden, die Stadtkämmerer und die Antisemitismusbeauftragten kümmern sich aber mehr um Kritiker der israelischen Politik, die sie als „Antisemiten“ bloßstellen, als um echte Nazis und gewaltbereite Rassisten. Dass es nicht nur um Juden geht, wurde doch in Halle beispielhaft demonstriert. Als er keine Juden töten konnte, hat er eben Nichtjuden getötet. Es ging ihm offensichtlich in erster Linie um die Tat und nicht um die Juden. Die Juden waren nur Mittel zum Zweck und der Zweck war Auffallen um jeden Preis, um die eigenen Minderwertigkeitskomplexe zu überwinden.
Die Leute haben vielleicht einen unterbewussten Hass gegen die Bundesrepublik oder Merkels Flüchtlingspolitik, den sie auf die Juden sublimieren (wie es Sigmund Freud einst in Bezug auf die Religion analysierte). Und ein Einzelkämpfer mit selbstgebastelten Waffen kann sein Hassobjekt, den deutschen Staat gar nicht besser treffen, als wenn er harmlose Juden angreift. Es ging ihm um den Staat und weniger um die Juden selbst. Was die so genannte NSU der beiden Uwes veranstaltete, hatte nicht diesen Effekt, denn die Tötung von Moslems ist für den Staat nicht so bedrohend und für die Öffentlichkeit nicht interessant.
Es widerspricht allerdings der Eitelkeit eines Michel Friedman, eines Josef Schuster, und einer Frau Charlotte Knobloch eingestehen zu müssen, dass „die Juden“ nur sublimierte Hassobjekte wären, und, dass sich objektiv wenige Mitbürger für ihre Religion, ihren Kult und ihr separates Leben interessieren. Einer Mehrheit wird es vollkommen egal sein, was 0,01Prozent hinter verschlossenen Synagogentüren treibt.
Problematisch ist die Aufarbeitung solcher Vorfälle. Sind jüdische Tote wertvoller als nichtjüdische? In Israel hat sich kein Mensch empört, als ein „weißer“ aschkenasischer Richter in sein Urteil schrieb, dass jüdisches Blut wertvoller sei als arabisches Blut. Niemand protestierte, als die damalige Justizministerin Ajelet Shaked Wahlwerbung mit einem Parfüm machte, den sie „Faschismus“ nannte. Als man sie fragte, was sie damit zum Ausdruck bringen wollte, meinte sie: „Für mich duftet Faschismus wie Demokratie.“ Allerdings kann man es auch umgekehrt verstehen: Die israelische Demokratie riecht nach Faschismus.
Es gab jedenfalls in Halle keine jüdischen Toten. Der Irre versuchte, in die Haller Synagoge einzudringen, was für sich genommen schon schlimm genug ist. Der Versuch misslang, aber die Aufregung ist zurecht groß. Die Tat hätte genauso gut auch vollendet werden können. Broder würde vermutlich schreiben, wenn wir Juden das in die Hand genommen hätten, dann hätte es funktioniert.
Wem aber geht es jetzt darum, den psychologischen Schaden so groß wie möglich erscheinen zu lassen? Wer ist verdächtig, einen Vorteil aus dem Ereignis zu schlagen? Sollen so viel Juden wie möglich verunsichert und nach Israel „gespült werden“? Es werden sich schon einige finden, die nun doch ihre Koffer packen, und nach Israel auswandern werden, wie einst Micha Brumlik, Henryk Broder oder Cilly Kugelmann, die in den 1980er Jahren nach Israel ausgewandert waren, weil sie sich einer zionistischen Gehirnwäsche unterzogen hatten. Sie waren aber schneller zurück als sie selbst gedacht haben und so fiel es niemandem auf, dass sie ausgewandert waren. Wenn sie nicht selbst darüber gesprochen hätten, hätte es auch niemand wahrgenommen. So schreiben die zionistischen Hetzblätter wieder, dass Juden ihre Koffer packen in der Hoffnung, dass es viele nachmachen werden.
Juden sollen in Deutschland in Ruhe und in Sicherheit leben können. Das ist ihr ganz banales Grundrecht. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass es interessierte Stellen gibt, die die Unruhe begrüßen und aus Antisemitismus eine Antisemitismushysterie machen. Der latent vorhandene Antisemitismus findet hauptsächlich in den Medien statt. Ihnen helfen nützliche, antisemitische Idioten, die man nicht ausrotten kann. Aber es schadet langfristig den jüdischen Mitbürgern, wenn ein Antisemitismus an die Wand gemalt wird, der in Wirklichkeit nur eine riesengroße Blase ist, die sich zu einem Bumerang auswachsen könnte, bevor sie mal platzt.
Und selbstverständlich muss man solche gewaltbereiten Rassisten einsperren, aber davor muss man die Höckes, Gaulands und Weidels einsperren, diese Schreibtischtäter, die das Gift verspritzen, an dem sich andere vergiften. Wenn man eine Alice Weidel im Bundestag gegen Nicht-Deutsche hetzen lässt und einem AfD-Alexander Gauland erlaubt zu behaupten, dass die 12 Jahre der Nazi-Diktatur nur ein „Vogelschieß“ waren, dann sind wir alle schuld, weil wir das gehört und nichts getan haben. Und ganz besonders sind durch geknallte Juden schuldig, die sich öffentlich mit der AfD einlassen und mit Alice Weidel küssend fotografieren lassen. Der Kreis „Juden in der AfD“ zeigt aber, dass auch Juden nicht besser und natürlich auch nicht schlechter sind als die übrigen Deutschen, auch wenn diese Juden bei der AfD Israel ganz besonders mögen.
Das schreckliche Attentat auf die Synagoge in Halle war – wie zu erwarten – die Sternstunde der Heuchler und Philosemiten.
Da wurde vom Bundespräsidenten und Antisemitismusbeauftragten, vom Zentalratsvorsitzenden der Juden bis zu Kirchenoberen die Wachsamkeit und der Kampf der Bürger gegenüber Rassismus und Antisemitismus beschworen. Die gleichen Personen schweigen aber, wenn es um die Verurteilung israelischer Verbrechen gegen Menschen- und Völkerrecht geht, die fast tagtäglich in ungleich höherer Zahl in den besetzten Gebieten stattfinden. Sie schweigen auch zum Rassismus innerhalb Israels gegenüber der arabischen Minderheit.
In den Leitmedien wird nun im Zusammenhang mit dem Attentat darauf hingewiesen, dass man die Juden in Deutschland nicht für die Politik Israels verantwortlich machen darf. Was diese Politik anrichtet, wird natürlich nicht erwähnt. Dazu wird dem Text oft das Foto eines mit einer Israelfahne umhüllten Beileid bekundenden Demonstranten beigefügt, ohne dass dem Artikelschreiber auffällt, dass er damit gerade seiner vorhergehenden Aussage widerspricht.
Im vorigen Jahr galt die Empfehlung „Deutschland trägt Kippa“. Nun heisst es „Deutschland trägt den Davidstern“.
Vielleicht mag der oder die eine hier zur Aussage des
Frankfurter Antisemitismusbeauftragten Becker mit kommentieren:
https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-becker-fordert-absage-veranstaltung-13106588.html#idAnchComments
Ich halte es angesichts der Terrorgeschichte der vergangenen Jahrzehnte für töricht, hier einen staatlichen Hintergrund nicht in Betracht zu ziehen: http://blauerbote.com/2019/10/12/hintergruende-zum-anschlag-von-halle-und-landsberg/
Nee, niemand weiss, was den Rambo-Verschnitt von Halle zu seinen Verbrechen trieb. Schade, dass er nicht einfach erschossen wurde. Das mögen jetzt die Richter klären. Antisemiten sind in Deutschland eine sehr seltene Spezies geworden. Im Bundestag findet man die nicht mehr. Das bedeutet allerdings nicht, dass Semiten etwas anderes als normale Menschen wären. Ihnen stehen auch keinerlei Sonderrechte zu. Wir haben keine Staatsreligion bei uns ist jeder einfach Mensch, mit den gleichen Rechten und Pflichten, kann glauben was er will. Zumindest dann, wenn man das arg gebeutelte Grundgesetz noch ernst nehmen darf. Allerdings bricht die deutsche Politik JEDES Gesetz nach Gutdünken. Da ist es kein Wunder, wenn ein paar Typen mit massivem Dachschaden mal durchdrehen. Ich warte eigendlich auf Attentate auf die Bundesregierung(sparteien), das wäre schon verständlicherer Terror. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich den Massenmörder Breijwik aus Norwegen je verstehen würde, seit 2015 verstehe ich ihn. Wenn ein Bekloppter vor einer Synagoge um sich schießt, obwohl er wissen sollte, dass solche Einrichtungen oft besonders be-/geschützt sind, stellt sich eher die Frage, wer oder was ihn zu dieser Schwachsinnstat bewegte.
Historiker Benz äußert sich hier über den ‚alt-neuen Antisemitismus‘:
https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismusforscher-neue-hemmungslosigkeit-in-der.2849.de.html?drn:news_id=1059125
Es war ein Anschlag auf die zivilisierte Menschheit. Trotzdem hat Abi Melzer recht: Kein Jude wurde verletzt! Die Zufallsopfer waren deutsche Staatsbürger! Der
Aufschrei geht also definitiv in die falsche Richtung, so berechtigt er auch grundsätzlich ist.
Natürlich ist diese Tat Ausdruck des in weiten rechten und vor allem rechtsradikalen Kreisen verbreitete „Rassen“hass, der mal Juden, mal Muslime, mal Schwarze trifft und deren Arme weit in die staatlichen „Sicherheits“institutionen reichen.
Ich war bei der Veranstaltung auf dem Bebelplatz in Berlin und das erste, was ich bei meinem Ankommen in einer Rede hörte, war die Empörung über die Zustimmung des deutschen UN-Botschafters zu 16 Verurteilungen Israels, allerdings kein Wort über den Grund der Verurteilungen. Auch über deutsche Gespräche mit dem Iran, der natürlich Israel vernichten wolle, wurde sich beschwert.Und dann natürlich die Klage darüber, dass deutsche Juden für israelische Politik in Haft genommen würden. Eigentlich seltsam im Zusammenhang mit den vorherigen Beschwerden und Anschuldigungen. Auch ein anderer Redner konnte sich nicht verkneifen, BDS als antisemitisch zu bezeichnen.
Ich wollte meine Solidarität mit den hiesigen jüdischen Menschen und mit den Opfern dieses Anschlags zum Ausdruck bringen, aber nicht gleichzeitig an der Reinwaschung einer mindestens in Bezug auf die Palästinenser faschistischen Regierung teilnehmen.