Ein paar Worte zum Krieg in Gaza

Während die israelische Regierung der Meinung ist, kriegsrechtskonform zu kämpfen, beantragt die südafrikanische Regierung den Erlass eines Haftbefehls gegen Ministerpräsident Netanjahu beim Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen. Erlassen wurde ein entsprechender Haftbefehl gegen Präsident Putin, was aber nichts daran ändert, dass dieser seinen Aggressionskrieg gegen die Ukraine fortsetzen kann. Das zeigt, dass das Recht in den Bereich der Propaganda eingegangen ist. Zwar gibt es genug Vorschriften, die ein Kombattant verletzen kann, aber die meisten sind Theorie. Cäsar ließ Vercingetorix köpfen, andere Besiegte wurden grausam verstümmelt wie Crassus, Rabbi Akiba oder Kaiser Mauritius, heute werden sie „abgeurteilt“. So geschah es schon nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, der dem Vater aller Volkskriege. Die französischen Revolutionäre brachten nur die eigenen Verlierer auf die Guillotine.
Als Legitimation hat man die Haager und die Genfer Konventionen und ein Völkerstrafrecht; präzedentiell hat man, wenn man von den amerikanischen Urteilen nach dem „civil war“ absieht, die noch den Charakter hatten, „Rebellen“ zu strafen, ein paar Urteile des Reichsgerichts in Leipzig, das ein einige Kriegsverbrecher des Ersten Weltkriegs verurteilte. Bekannter sind die Urteile des Strafgerichtshof in Nürnberg, der neben den so genannten Hauptkriegsverbrechern auch noch eine Reihe von Nachfolgeprozessen durchführte. Neuere Urteile verkündete der internationale Strafgerichtshof in Den Haag zu Verbrechen in Bosnien und Ruanda. Kriegsverbrecher sind in erster Linie Militärs. Das Leipziger Gericht verurteilte in seinem ersten Verfahren ein paar deutsche Soldaten, die während des Vormarsches durch Belgien 1914 ganz banal als Räuber auf eigene Rechnung gehandelt hatten. Schwieriger wäre eine Urteilsfindung gewesen, wenn die Soldaten ihre Räubereien auf Weisung eines Kommandeurs begangen hätten.
Dies liegt, vereinfacht gesagt, darin begründet, dass, wie Kurt Tucholsky es formulierte, Soldaten schlechthin Mörder seien. Seit der Regierung von Helmut Kohl gilt schon dieser Satz als Straftat, denn er beleidige jeden Soldaten, dessen Aufgabe es ist, nicht zu morden, sondern Feinde zu töten. Damit sind wir bereits im Propagandawesen. Man redet daher auch nicht mehr vom Töten, das zur untersten Ebene des Kriegswesens gehört (Carl v. Clausewitz), sondern wählt ein Vokabular der höheren Ebenen operativer und strategischer Schicht und sprich davon, Feinde auszuschalten, zu neutralisieren, unschädlich zu machen usw.; für das praktische Abmurksen, kalt machen und abwürgen ist der einfache Soldat zuständig, der die Drecksarbeit macht. Aber wie dreckig darf diese sein? Und wie dreckig muss diese werden, dass das Blut bis auf die Befehlshaber der höheren Ebenen hinaufspritzt?
Sahra Wagenknecht kritisierte (26.11.23) die israelische Kriegsführung als „rücksichtslos“; wie immer eine rücksichtsvolle Kriegsführung ausschauen müsste, lässt sie offen; es fragt sich, auf wen eine Kriegsführung überhaupt Rücksicht nehmen könnte. Theoretisch ist auf Zivilisten Rücksicht zu nehmen, aber diese dürfen den Operationen des Militärs nicht im Weg stehen. Jörg Friedrich (in: Das Gesetz des Krieges) weist an vielen Beispielen nach, dass Zivilisten den Militärs immer im Weg stehen. So z. B. auch den eigenen Truppen, die in einer Festung eingeschlossen sind. Der Feind muss diese nicht abziehen lassen, weil solchenfalls sich das Aushungern für die Belagerer in die Länge ziehen könnte. Krieg geht also an einer Zivilbevölkerung prinzipiell nicht vorbei.

Die Haager Landkriegsordnung von 1909 war schon überholt, als sie formuliert wurde. Gedanklich ging sie von den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts aus. Ein Fürst dieses Jahrhunderts stritt sich mit einem anderen Souverän, wem das Erbe eines ausgestorbenen Fürstengeschlechts aufgrund welcher dynastischen Verbindungen zustehe. Beide wollten die zu erobernde Provinz gleichermaßen unzerstört übernehmen. Das war im 19. Jahrhundert bereits anders geworden; William Tecumseh Sherman, der im amerikanischen Bürgerkrieg das Shenandoah-Tal verwüstet hatte, kritisierte die preußischen Truppen 1870 in dem Sinn, dass sie nicht begriffen hätten, gegen ein feindliches Volk Krieg zu führen. Er meinte, sie hätten mit ihren Kanonen wesentlich rücksichtsloser auf die Dörfer und Städte feuern sollen. Und tatsächlich dürfte es auch so sein. Wenn man von expeditionellen Feldzügen absieht, wie etwa dem Krimkrieg, dann kämpfen ganze Völker gegeneinander; so hat Casimir Hermann Baer seine Enzyklopädie mit „Der Völkerkrieg“ schon 1914 betitelt. Die Völker kämpfen bis zur Erschöpfung gegeneinander; dies hat der Zweite Weltkrieg „gegen Hitler“ besonders deutlich demonstriert. Es wird so lange gekämpft, bis entweder ein Volk aufsteht (wegen Hungers 1918) oder eben nichts mehr zu verteidigen hat (wie 1945).

In Gaza kämpft „Israel“ gegen ein feindliches Volk. Nach Jörg Friedrichs Gesetz des Krieges kann es keine Rücksicht auf Zivilisten geben, solange gekämpft wird. Deswegen kann die israelische Armee auch die Zivilbevölkerung Gazas in Mitleidenschaft ziehen. Sie hätten sich gegen ihre gewalttätigen Mitbürger früher empören müssen, sich über den Feind zu empören wäre verspätet. Wenn also einzelne israelische Soldaten nicht fremde Wohnungen plündern (wie es von 1948 erzählt wird) oder, wenn nicht gezielt auf Personal des Roten Halbmonds geschossen wird, oder wenn Verwundete nicht abgeschlachtet werden, weil man „keine Gefangenen machen“ will, ist so ziemlich alles legitim, was militärisch geeignet ist, den Gegner in die Knie zu zwingen. In Bezug auf die IDF muss man sogar anerkennen, dass sie sich komplizierte Mörser ausgedacht hat, verschanzte Feinde zielgenau zu treffen. Auch die israelischen Luftschläge sind von erstaunlicher Präzision. A priori kämpfen die israelischen Verbände also „korrekt“.

Man darf auch als unwahrscheinlich abhaken, dass sich einzelne IDF-Soldaten als Räuber betätigen. Dies ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil die arme Gaza-Bevölkerung kaum etwas besitzt, oder die Luftschläge übrig gelassen hätten, was für einen IDF-Soldaten mehr als Plunder wäre. Die sowjetischen Soldaten dagegen, die 1945 nach Deutschland eindrangen, stahlen wie die Raben „uri uri“ (an jeder Hand eine). Die ukrainische Führung will dagegen einzelne russische Soldaten drankriegen, die vor intakten Überwachungskameras unbewaffnete Zivilisten abseits von Kampfhandlungen erschossen haben. Von solchen Umständen ist in Gaza nichts bekannt. In der Logik kann daher ein Verbrechen des Krieges nur vom Höchstverantwortlichen begangen worden sein, den Krieg überhaupt zu führen.

Ministerpräsident Netanjahu ist kein Jurist; sein Fehler besteht allein in einer fehlerhaften Diktion. Er verkennt – wie viele im Westen – dass man in der Dritten Welt vieles anders versteht.; es wäre dann ein Propagandafehler, der natürlich kein Kriegsverbrechen ist. Wenn nämlich die Geiselnahme vom 7.10.23 ein Akt von Terroristen gewesen ist, dann hätte er die gewünschten Gefangenen aus israelischen Gefängnissen im Austausch freilassen müssen, und hätte seinen Krieg erst dann beginnen können, wenn „Gaza“, bzw. die Hamas die Täter des Massakers an echten Zivilisten nicht ausgeliefert hätten. Wenn er dies verkennt, dann beginnen einige die Terroropfer zu zählen und setzen sie in mathematische Relation zu den Opfern des Gegenschlags. Das Zahlenverhältnis wird dann zu einem Maßstab. Das ist der Fehler, den „Bibi“ entstehen lässt. Er hat also im Widerspruch zu einer kriegsvermeidenden Vorgehensweise sich gleich zum „Schlag gegen die Hamas“ entschieden, offensichtlich ganz im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung. Damit wird aber auch das Massaker vom 7.10.23 zu einer grausam legitimen Kriegshandlung in der Logik von Menschen, die noch ein Wissen um die kolonialen Methoden der europäischen Mächte haben.

Ein Irrsinn besonderer Art besteht darin, dass die Entscheidung zum Krieg nicht von höchster Hamas-Ebene (politische Ebene nach v. Clausewitz) aus getroffen wurde, sondern ganz unten auf taktischer Ebene: ein paar „Terroristen“ (türkisch: Freiheitskämpfer) hatten von dem Festival erfahren und sich entschlossen, dort auch noch Geiseln zu nehmen. Für die klassische Geiselnahme fehlte es bereits am Überraschungsmoment, und so kam es zu Massakern. Ein paar „Freiheitskämpfer“ der untersten Ebene haben also namens eines ganzen Volkes einem anderen den Krieg erklärt.

Hier offenbart sich der Irrsinn des Konflikts: er wird abseits aller staatlichen Ordnung fortgeführt wie ein Bürgerkrieg, nur zwischen zwei feindlichen Völkern. Von Recht oder Rücksicht zu sprechen, wäre also so oder so absurd. Hier gilt eher Martins Luthers Wort zum Bauernkrieg: Steche, haue drauf und würge hin, wer kann.
Vielleicht gelingt es außenstehenden Mächten, diesem humanitären Irrsinn Einhalt zu gebieten.

von Lobenstein

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