von Eurich Lobenstein
Eines muß immer wieder gesagt werden: Das faschistische, von der Wehrmacht besetzte hatte Italien hat an Deutschland weniger Juden ausgeliefert als die neutrale Schweiz; und es waren Faschisten, die mit Juden die Wohnungen getauscht hatten, als die deutsche Polizei ihre Razzia auf die Juden in Rom veranstaltete (16.10.1943). Margherita Sarfatti förderte Benito Mussolini; bevor sie das Buch schrieb „ich habe mich geirrt, was soll´s“? Sie hatte nicht voraussehen können, daß Mussolini, der noch 1934 den Anschluß Österreichs verhindert hatte, Italien wegen seines Abessinienkriegs dem deutschen System anbiedern würde. Sarfatti verließ als Jüdin das mit Deutschland verbündete Italien, das 1938 den Anschluß Österreichs hinnahm. Die Schande des Faschismus liegt nicht in seinen Grundideen, sondern im Bündnis mit Deutschland. Hier hat Benito Mussolini versagt. Seine Politik war nicht nur unnötig, sondern widersprach der eigenen Überzeugung über die Person des deutschen Führers, über den er sich gegenüber Nahum Goldmann (in: Mein Leben als deutscher Jude) höchst negativ geäußert hatte. Wird Ayelet Shaked es verstehen, Israel aus der Mesalliance mit Deutschland zu lösen? Was weiß die Juristin von Geschichte? Mehr als die Abgeordnete Alessandra Mussolini weiß?
Israel ist ein Kolonialstaat wie es Italien 1930 auch war. Als explizit jüdischer Staat könnte das Land heute so wenig in die USA aufgenommen werden wie seinerzeit Utah, das als Mormonenstaat 50 Jahre lang auf seine Aufnahme in die Union hatte warten müssen. EU-aufnahmefähig wäre Israel auch nicht, aber auch die Türkei bemüht sich seit Jahrzehnten vergeblich um Aufnahme. Israel braucht sich also nicht zu genieren. Spanien, bis 1975 ein faschistischer Staat, erfreute sich dennoch guter Relationen zu seinen europäischen Nachbarn, die seit den 60er Jahren auf der iberischen Halbinsel investieren. Israel stünde also nicht unbedingt in schlechter Gesellschaft und Tradition. Ein faschistisches Israel paßt in die mediterrane Welt an sich. „Faschismus“ bedeutet den Willen zu einem starken Staat, anders als (National-)Sozialismus, der den Staat zu einem reinen Werkzeug einer Gesellschaft macht, die sich nach ungesetzlichen Regeln (Rasse oder Klasse) organisiert. Die Gleichsetzung von Faschismus mit Nationalsozialismus ist eine krumme kommunistische Definition.
Israel ist von Moslems umgeben; sind „rechte“ Moslems Faschisten oder eher Nationalsozialisten? Wenn man die Idee der Umma berücksichtigt, müßte man in den Arabern faschistische Neigungen abstreiten. Die Türkei Kemal Atatürks war ein expressiv laizistischer Staat, sie verdient daher das Prädikat „faschistisch“; heute schaut es eher danach aus, daß das Land sich der Umma unterwerfen will. Und daß eine moslemische Gesellschaft sich den Staat unterwerfen möchte: also sozialistisch.
Hat der Judaismus eine innere Entwicklung erlebt? In gewisser Hinsicht ja. Die jüdische Diaspora besteht aus sehr frommen Juden, die die Religionsgesetze bis hin zur Wahl eines Ehepartners einhalten und solchen, die mit Baruch Spinoza die Religion für Aberglauben halten (vgl. Wolfgang Benz in: Die Juden in Deutschland 1933–1945 Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft). Angesichts dieses breiten Spektrums werden „die Juden“ durch die Pflicht zur jüdischen Mutter für ihre Kinder vergattert, was deutsche Antisemiten als „Rassismus“ werteten. Für die Sicht eines jüdischen Rassismus wären jedoch die jüdischen Landsmannschaften zu verschieden. Ayelet Shaked stammt aus dem Irak (vgl.: Julie Wiener: Who is Ayelet Shaked, Israel’s new justice minister? In: The Times of Israel, 9. 5. 2015), die sephardischen Juden dürften die historischen Karthager sein (vgl. Georg und Friedrich Rosen in: Juden und Phönizier) und die Juden aus Osteuropa tragen ein „ostjüdisches Antlitz“ (Arnold Zweig) eigener Art. Die Pflicht zur jüdischen Mutter ist für den Erhalt einer Rasse untauglich:
Die Kinder von Marc Zuckerberg sind rein religiös gesehen keine Juden mehr. Origineller Weise haben sie sogar eine chinesische Mutter. Der Zwang zur jüdischen Mutter läßt die jüdische Gemeinde in den USA über kurz oder lang verschwinden (Carlo Strenger in NZZ). Der religiöse Maßstab, der traditionell an die jüngeren Generationen angelegt wird, und in der Diaspora lange Zeit nützlich war, wird für einen richtigen Staat zur Belastung. Schon Max Nordau, einer der führenden Köpfe der frühen zionistischen Bewegung bekam massiv Probleme, als er eine Dänin zur Frau nahm; nur die ebenso massive Intervention Theodor Herzls rettete seine Mitgliedschaft in der Bewegung. Schon zu Beginn der staatlichen Entwicklung wäre eine strikte religiöse Sicht der jüdischen Sache ungünstig gewesen. Zwar gab es damals noch keinen israelischen Staat und die Beachtung der mosaischen Gesetze war die Basis des landsmannschaftlichen Zusammenhalts der Juden. Marc Zuckerbergs Kinder sind solche unseres Jahrtausends. Wären sie nicht Amerikaner, sondern Israelis, und lebten diese in Israel, wäre es absurd, ihnen die Staatsangehörigkeit zu bestreiten. Ein faschistischer Staat akzeptiert seine Staatbürger unabhängig von Rasse und Religion. Der Faschismus ist also ein Schritt in die Modernität des jüdischen Staats.
Die faschistischen Staaten Italien und Spanien kannten allerdings den Katholizismus als Staatsreligion. Dem stand nicht entgegen, daß Italien zuvor (1870) den Kirchenstaat als solchen aufgelöst hatte. Das Judentum als Staatsreligion bliebe also auch für ein faschistisches Israel akzeptabel, wenn es sich auf den spirituellen Bereich reduziert. Man kann sich vorstellen, welche Auseinandersetzung mit den Religiösen dem Staat Israel noch bevorsteht.
Deswegen sei die Frage erlaubt, wer die wirklich religiösen Juden seien, und mit wem in den westlichen Systemen man sie parallel stellen darf? Man könnte sagen, mit den Popen und Mönchen. In Byzanz bedeuteten die Mönche und Popen eine Keimzelle für den Untergang des Staats; sie opponierten der weltlichen Macht, wenn diese in ihren Prinzipien vom Glauben der Mönche abwich. In Israel toben sich religiöse Juden ähnlich aus und werfen mit Steinen, wo sie religiöse Gesetze mißachtet sehen. Und im Westen? Es ist die geniale Idee der katholischen Kirche gewesen, das Mönchtum in die Klöster zu verbannen: je frommer, desto strenger die Ordensregel. Trappisten kamen gar nicht aus den Klostermauern heraus. Die protestantischen Staaten, die die Klöster aufgelöst hatten, litten dann wieder unter frei herumlaufenden Moralisten, Umkehrpredigern und Pietisten. Ähnlich dürfte man es auch für Israel abschätzen: die Tage der Mayflower liegen dreihundert Jahre zurück. Das religiöse Judentum mag Deutschlands jüdisches Leben prägen: Dort stellt es nur marginale 0,035% der sozialen Verhältnisse dar. Aber für Israel ist es eine Krebszelle, die keine lebenswichtigen Staatsorgane überwuchern darf. Der Faschismus der „neuen Rechten“ von Ayelet Shaked ist vielleicht die große Chance Israels, das Judentum auf eine weltliche Basis zu stellen. Vielleicht gelingt es ihm auch, „seine“ Araber aus der Umma herauszulösen.
Für das Wort „Faschismus“ besteht – wie für so viele Wörter des Politischen – kein objektivierbarer resp. konsensfähig definierbarer Inhalt. Um eine negative Wertung zu suggerieren werden üblicherweise negative Zuschreibungen verwendet wie z.B.: „Die Schande des Faschismus liegt nicht in seinen Grundideen, sondern im Bündnis mit Deutschland „(Eurich Lobenstein, „Faschismus – Si!“, Der Semit, 8.8.2019)
Grundlage des politischen Faschismus war es immer, sich in besonderer Weise dem Volk, der Nation (bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, der Rasse verbunden zu fühlen, dem, der man entstammte.
Wer oder was nun „die Juden“ aus „völkischer“ Sicht sind, darüber bestanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehr Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialisten und Zionisten als mit Zionisten und jenen Juden, die sich 1893 im Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens organisiert hatten.
Dass Hitler „die Juden“ zu seinem Feindbild gemacht hat, der Ursache alles Bösen in der Welt – und dem der Deutschen im Besonderen, dass diese wieder ein einig Volk werden sollten, geeint im Kampf gegen das Böse, das sich seiner Einsicht nach allein im Juden manifestierte gehört zu den furchtbarsten Fehleinschätzungen eines Kanzlers der Deutschen in der Weltgeschichte
Eine „faschistische“, also eine dem eigenen Volk in besonderer Weise verpflichtete politische Grundhaltung steht insbesondere bei einer sich der „internationalen Solidarität“ verschreibenden Linken wie auch bei Neoliberalen, vereint im gemeinsamen Motto: „No-border no nations“ seit Längerem unter Rassismusverdacht.
Beide politischen Grundhaltungen, die des Antifaschismus und des Neoliberalismus haben viel Sympathisanten nicht nur in den Chefredaktionen deutscher Massenmedien, allerdings mit den allseits zu beobachtenden „Nebenwirkungen“ deren politischer Indoktrinationsversuche, nämlich einen „Rechtsruck“ im Wahlvolk zu bewirken, nicht nur in der Bevölkerung Süd- und Osteuropas.
Nicht die „Mesalliance mit Deutschland“ ist m.E. eines der Kernprobleme Israels sondern das Selbstverständnis des Zionismus über die Identität des Judentums, insbesondere ob seiner Herkünfte, die nun einmal narrativer Weise mit der Thora in engster religiöser Verbindung stehen – wie auch die Besitzansprüche an das Land. Ob denn die arabische „Umma“ diese Sichtweise in einem „jüdischen Israel“ zu leben akzeptieren wird, bleibt abzuwarten.
Harter Tobak!