Friedman kritisiert Netanjahu. Aber wo?

Von Abraham Melzer

Danke Michel Friedman, dass du uns wieder gezeigt hast, wes Geistes Kind Du bist. Du behauptest in der Überschrift Deines naiv-primitiven Artikels, voller Banalitäten und Widersprüche, dass „nun das Schweigen das letzte Wort“ hat. Wieso eigentlich? Von welchem Schweigen sprichst Du? Ich stelle erfreut fest, dass nach dieser politischen Berlinale nirgends geschwiegen wird. Es wird heftig diskutiert und gestritten und es geht überhaupt nicht um Antisemitismus, sondern immer nur um Meinungsfreiheit. Antisemitismus interessiert niemanden mehr. Es reicht. Es hat sich ausantisemitiert. Du selbst hast ja Dein neues Pamphlet JUDENHASS genannt, weil Du geahnt hast oder schon wusstest, dass sich niemand mehr für Antisemitismus interessiert und niemand Dein Buch mit einem solchen Titel kaufen wird.

Dass Du gefangen bist im Ghetto des Antisemitismus ist uns allen schon lange klar. Es ist deshalb kein Skandal und kein Wunder, dass Du so schreibst, wie Du schreibst, geschwollen bis zum Erbrechen und dummdreist. Skandalös und für mich verwunderlich ist allein die Tatsache, dass sich immer noch Zeitungen und Verlage finden, die deinen Mist drucken. Aber, schon die alten Römer wussten: Pecunia non olet – Geld stinkt nicht.

„Nie wieder ist jetzt“, ist Dein Slogan und wohl auch Dein Wunsch. Das wünschen sich aber auch viele andere Menschen. Nicht zuletzt auch für Palästina. Es stimmt, dass der Angriff der Hamas bestialisch war und es ist absolut richtig das immer wieder zu sagen, aber wenn Du beklagst, dass den Menschen der Mut fehlte „zum Widerstand gegen den Antisemitismus“, wobei ich korrigieren würde in „den vermeintlichen Antisemitismus“, dann frage ich mich wo Deine Kritik und Widerstand geblieben ist gegen den bestialischen Überfall israelischer Soldaten auf eine Versammlung von Menschen in Gaza, die hungrig nach Brot waren. Das geschah vor laufenden Kameras und wurde in der ganzen Welt ausgestrahlt.

Du schreibst, dass durch unser Land „eine weitere, dramatische, antisemitische Welle rollt.“ Das erinnert mich an das Kommunistische Manifest von Karl Marx, das damit beginnt: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europas haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet.“ Und es war schon damals übertrieben, wenn nicht gar eine propagandistische Lüge, wie das, was Du heute schreibst, übertrieben und eine propagandistische Lüge ist. Du schreibst von einem exzessiven Judenhass und behauptest, dass sich auf deutschen Straßen „Gewalt breit macht“ und dass „Tod den Juden“ skandiert wird. Ich frage mich in welchem Land du lebst oder in welchem Jahrhundert. In dem Deutschland, in dem ich lebe, hört man jedenfalls sowas nicht und schon gar nicht, so wie bei Dir scheint, täglich. Menschen im Ausland, und vor allem Juden, müssen Angst haben nach Deutschland zu kommen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Viele israelische Juden kommen gerne nach Deutschland und auf Berliner Straßen hörten man oft Hebräisch plappern.

Du behauptest auch: „Jüdische Menschen sind meist nicht israelische Staatsbürger, sondern Deutsche.“ Auch das ist nicht ganz richtig. Sehr viele Juden sind tatsächlich auch israelische Staatsbürger, wobei es darauf gar nicht ankommt, solange die politischen Vertreter der Juden, der Zentralrat der Juden in Deutschland, stramm, fest und ohne Widerstand hinter der rechts-radikalen israelischen Regierung stehen, solange alle jüdischen Gemeinden sich mit Israel solidarisieren, solange sie die Portraits der israelischen Präsidenten in ihrem Büro hängen und die israelische Fahne zeigen. Solange es so bleibt, wird man eben dem Vorsitzenden des Zentralrats immer wieder zum Geburtstag des israelischen Präsidenten gratulieren und nicht zu vergessen, solange eine Charlotte Knobloch in aller Öffentlichkeit behaupten wird, dass ihr Herz „in Israel begraben ist“. Leider ist auch ihr Verstand in Israel begraben, sonst hätte sie und die anderen Vorsitzenden längst dafür gesorgt, dass „Jüdische Menschen“ Deutsche sind und nicht nur Juden in Deutschland. Als Juden in Deutschland sind die Juden keine Deutsche, sondern eben nur Juden in Deutschland, wie Türken, Italiener oder Palästinenser in Deutschland. Es liegt an den Juden dies zu ändern und nicht an den Deutschen, denen sie Antisemitismus vorwerfen, wenn sie von Juden in Deutschland sprechen, die man leicht mit Israelis  verwechseln kann, da sie selbst sich von eine Identifizierung mit Israel und seiner Politik nicht Abstand nehmen. Es gibt aber nochmal genauso viele Juden, die nicht Mitglieder von jüdischen Gemeinden sind und nicht dem von Israel dirigierten Zentralrat angeschlossen sind. Das sind die jüdischen Deutschen oder Deutschen, von denen Du geschrieben hast. Du hast aber die falschen gemeint.

Du beklagst Dich, dass Demonstrationen gegen Judenhass „mickrig“ ausfallen. Dass der Funke der Empathie gegenüber Juden nicht übergesprungen ist. Und Du fragst warum. Frag doch Dich selbst. Du und Deine Mitstreiter hast doch mit dem Vorwurf des Judenhasses, den ihr bis zuletzt Antisemitismus genannt habt, völlig übertrieben. So sehr übertrieben, dass die Leute es satthatten und nicht mehr hören konnten. Und überhaupt, gab es nicht in Deutschland Jahrzehnte lang eine Empathie für die armen Juden? Und gibt es sie nicht heute noch, wenn Politiker immer noch Merkels unverantwortlichen und dümmlichen Satz wiederholen: „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson.“? Und ist es nicht an der Zeit auch Empathie für die Palästinenser zu zeigen, deren Schicksal auch mit der deutschen Schuld zusammenhängt? Es reicht eben nicht nur von einer „Zweistaaten-Lösung“ zu sprechen. Man muss den zweiten Staat, nämlich Palästina auch anerkennen, und zwar sofort. Jede weitere Bemühung um Frieden zwischen Israel und den Palästinensern ist sinnlos und zum Scheitern verurteilt, solange man Palästina nicht als souveränen Staat anerkannt hat und damit den Palästinensern einen Teil ihrer Würde zurückgegeben hat.

Du interpretierst die Kritik der Kulturszene an Israels Politik als „Aggressivität gegen den Staat Israel.“ Das ist aber falsch, wo Du doch selbst schreibst: „Kultur ist ein geschützter Ort. Dort müssen alle Emotionen…möglich sein. Auch der Hass“. Das sind Deine Worte. Aber Du bist nicht in der Lage die Emotionen anderer Menschen, die Dir nicht passen, zu ertragen. Du meinst, wie schon seit langer Zeit, oder schon immer, dass man alles sagen darf und alle kritisieren darf – nur Israel nicht, denn das ist Antisemitismus.“ Und was Hass betrifft, so kann ich Dir versichern, dass in den Israel kritischen Kreisen, in denen ich verkehre, kein Hass auf Israel herrscht; allerdings Hass auf Israels rassistische Apartheid-Politik.

Du schreibst: „Harte, durchaus berechtigte Kritik an der israelischen Regierung ist eine Selbstverständlichkeit und kein Judenhass.“ Allerdings erlebe ich schon immer und ganz besonders in den letzten Tagen, dass Kritik an der Politik der israelischen Regierung überhaupt nicht selbstverständlich ist und von Dir und allen anderen Philosemiten und Israel-Freunde immer als Antisemitismus und Judenhass diskreditiert wird. Ich warte schon seit Jahren, dass Du oder Josef Schuster, oder vielleicht sogar Charlotte Knobloch, endlich uns Kritiker der israelischen Politik sagen, wann eine Kritik erlaubt sei und wann sie antisemitisch ist. Und ich warte auch schon Jahre darauf, dass Charlotte Knobloch sich bei mir entschuldigt dafür, dass sie mich einen „berüchtigten Antisemiten“ genannt hat. Ihr verhaltet euch wie der ehemalige israelische Botschafter in Washington, der nach seinen Erfolgen als Botschafter gefragt wurde und geantwortet hat: „Es ist mir gelungen die amerikanische Administration zu überzeugen, dass Kritik an Israels Politik Antisemitismus ist.“

Du behauptest, dass Terroristen und Autokraten keine Demokraten sind. Sie beschützen ihr Volk nicht, sie nutzen es aus und die eigenen Opfer spielen keine Rolle. Wie recht Du hast. Wir brauchen nur auf den Ukraine-Krieg zu schauen und auf den brutalen und rücksichtslosen Putin. Aber Netanjahu ist nicht weniger brutal, zynisch und rücksichtslos. Die israelischen Geiseln sind ihm egal und die inzwischen in die hunderten gefallenen oder besser gesagt getöteten israelischen Soldaten ebenfalls. Und nicht alle Terroristen sind Terroristen. Auch Menachem Begin und Moshe Shamir, die Führer der Etzel und Lechi, wurden von den Briten als Terroristen mit Steckbrief gesucht. Und Kenjata, der gefürchtete Führer der kenianischen Freiheitskämpfer wurde, nachdem er gesiegt hatte und Staatsoberhaupt wurde, sogar von der englischen Königin mit allen Ehren empfangen. Terrorist ist man, solange man der schwächere ist. So nannten die Nazis auch die russischen Partisanen und die französische Resistance Terroristen und die Israelis setzen diese Tradition fort. Ihre Gegner, die sie brutal bestialisch foltern und brutal unterdrücken bezeichnen sie Terroristen, wenn diese sich wehren. Und dass ein sich Wehren mit Worten nichts bringt, wehren sich die Unterdrückten am Ende mit „bestialischen Taten“. Natürlich ist das schrecklich. Aber eine mehr als fünfzigjährige Besatzung, Demütigung und Unterdrückung sind eben auch schrecklich.

Und wenn Du Dich darüber beklagst, dass man auf der Bühne der Berlinale nur Israel kritisiert hat und nicht die bestialische Tat der Hamas erwähnte, dann solltest Du so ehrlich sein und hinzufügen, dass Du auch nicht von der bestialischen Besatzung ein Wort geschrieben hast. Die sinnlose Siedlungspolitik der Netanjahu Regierung zu kritisieren, reicht nicht. Die Besatzung ist das Problem und sie muss aufhören und ich vermisse hier Deine Kritik.

Nie wieder ist jetzt, heißt Deine Forderung. Warum gilt sie nicht für den israelischen und palästinensischen Filmemacher, die es gewagt haben, eben jetzt, in Berlin und vor einem vollen Saal zu verlangen: „Peace for Palestine and Israel“. Und wo blieb Deine Stimme, als bekannt wurde, dass der israelische Filmemacher nicht nach Israel zurückkehren kann und sich in Griechenland versteckt, aus Angst vor einem jüdisch-israelischen Mob, der sich für seine vernünftigen Worte rächen will. Und ist das schon Antisemitismus, wenn der amerikanische Kollege mit einem Arabertuch, einer Kefia, auftritt? Sind denn alle bescheuert?

Und Du manipulierst wieder Deine Leserschaft, wenn Du fragst: Warum eigentlich immer Israel? Es geht um BDS und um Boykott. Wieso also „immer nur Israel“. Wird denn Russland nicht boykottiert, und der Iran und Nord-Korea?

Du schreibst geschwollen und selbstgerecht von Artikel 1 des Grundgesetzes, von der „Würde des Menschen“, die unantastbar ist. Du vergisst aber zu erwähnen, dass dies für alle Menschen gilt, nicht nur für Juden, auch für Moslems und auch für Palästinenser, deren Menschenwürde in Israel nichts gilt. Wir haben es gerade in Gaza gesehen. Und es begann nicht erst jetzt. Als vor mehr als 30 Jahren in der Wüstenstadt Beer-Sheva ein durchgeknallter Richter entschieden hat, das jüdisches Blut wertvoller als arabisches Blut sei, hat keine israelische Zeitung aufgeschrien und die Bevölkerung schwieg. Als voriges Jahr Netanjahu zwei vorbestrafte rassistische Minister in sein Kabinett aufgenommen hatte, schwiegen die Israelis und die ganze Welt. Es sind Minister, die seit Jahren Genozid für die Palästinenser fordern, und wenn nicht das, dann zumindest die totale Vertreibung der Palästinenser. Als ob das menschlicher und humaner wäre. Und Du beklagst Dich, dass der harmlose Slogan „From the River to the Sea“ an das Verhalten der Nazis erinnert. Daran erinnert mich eher die Gewalt der Siedler und der Siedlerjugend gegen palästinensische Bauern und dass Yeshajahu Leibowitz diese Juden als „Judeo-Nazis“ bezeichnet hat. Und was den Slogan betrifft, so weißt Du sicherlich, dass das auch der Slogan der Rechts-Nationalisten in Israel ist. Sie haben es allerdings umgedreht und skandieren: „Vom Meer bis zum Joran „ und sogar darüber hinaus. Ich habe lange genug in Israel gelebt um das nicht zu vergessen.

Die Bühne in Berlin wurde mitnichten missbraucht, als Israel, als Apartheid-Staat bezeichnet wurde. Viele Juden und Israelis machen es auch. Und das Israels Handeln in Gaza ein Genozid genannt werden kann, hat auch das IGH in Den Haag schon festgestellt. Engstirnigkeit, Hetze und Hass sehe ich auf beide Seiten und leider gießen die Politiker beider Seiten, aber auch Du und Deine Freunde, immer mehr Öl ins Feuer. Es wird keinen  Frieden geben, wenn es so weiter geht. Netanjahus Politik, dass man den Konflikt „managen“ kann, ist gescheitert. Es kann nur noch eine radikale Umkehr der israelischen Politik etwas ändern. Aber eine solcher ist nicht in Sicht..

Du schreibst: „Kultur ist ein geschützter Ort. Dort müssen alle Emotionen in Texten, in Musik, in bildenden Künsten und in vielen anderen kulturellen Übersetzungen möglich sein. Auch der Hass.“ Dann solltest Du dich entscheiden, ob das auch für Kritik an Israels Politik gilt.  Wenn ja, dann solltest Du endlich aufhören Kritik an Israel als antisemitisch diskreditieren. Wenn nein, wenn Du der Meinung bist, dass es so ist, dann solltest Du nicht mehr von der Freiheit der Kunst bzw. von jeglicher Meinungsfreiheit schwafeln, denn es hört sich dann heuchlerisch, zynisch und falsch an. Ich bin schon seit langem überzeugt, dass Du ein Heuchler und Lügner bist. Du redest und predigst von Wahrhaftigkeit und betrügst uns alle, sogar Deine Frau. Du bist ein falscher Prophet und ein schlechter Schriftsteller. Deine Sprache ist gefällig und schwer lesbar. Aber Du bist wie Du bist und ich kann Dir deswegen keine Vorwürfe machen, denn wie Du selbst sagst: Die Gedanken sind frei. Auch wenn sie voller Hass, Verachtung und Geringschätzung sind. Wahrhaftigkeit, Dein Lieblingswort, sieht anders aus.

 

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