Haben deutsche Politiker nicht aus der Geschichte gelernt?

von Albert Ettinger

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Roters,

Stimmt es wirklich, dass Sie die Ausstellung „Breaking the Silence“ abgesagt haben? Falls ja: Sind Sie sich der Tatsache bewusst, dass Sie damit, zumindest indirekt, couragierten Menschen einen Maulkorb erteilen? Menschen, die ihr Gewissen dazu treibt, Kriegsverbrechen und gröbste Menschen- und Völkerrechtsverstöße anzuprangern – auch und gerade dann, wenn sie von ihrem eigenen Staat begangen werden. Von einem Staat, der vorgibt, der Staat aller Juden zu sein und sich anmaßt, ausgerechnet in ihrem Namen, im Namen der Opfer von Auschwitz und ihrer Nachkommen zu handeln, wenn er Hunderte palästinensischer Kinder tötet.

Ich kenne sehr wohl, als Germanist und Deutschlehrer, die besondere Rücksicht oder besser Nachsicht, die man in Deutschland glaub,t walten lassen zu müssen, wenn es um die Politik Israels und die Kritik an ihr geht. Auch ich denke, dass aus der jüngeren deutschen Geschichte eine besondere Verantwortung und Verpflichtung deutscher Politik erwächst: Die Nazi-Verbrechen sollten in der Tat dazu führen, dass die wichtigste moralische Maxime deutscher Politik lauten müsste: „Nie wieder!“ Nie wieder Krieg, nie wieder Gewalt und Terror, nie wieder das unbeschränkte, rücksichtslose, brutale Recht des Stärkeren, nie wieder Herrenmenschentum, nie wieder Landraub und Eroberung, nie wieder Entrechtung, Enteignung, Entmenschlichung und Knechtung ganzer Völker! Folgt aber die deutsche Politik dieser Maxime, wenn sie über alle Völker- und Menschenrechtsverstöße Israels hinwegsieht und sich international zum Komplizen seiner Siedlungs-, Annexions- und Aggressionsstrategie macht? Kommt Deutschland seiner aus der Nazi-Vergangenheit resultierenden moralischen Verpflichtung nach, wenn es in Nibelungentreue zu Figuren wie Lieberman und Netanjahu steht und diese sogar gegen jüdische und israelische Kritiker in Schutz nimmt? Schließt die besondere deutsche Verantwortung und Verpflichtung die Liebermans, Sharons, Begins, Jigal Amirs (so heißt der Mörder Jitzchak Rabins) ein, nicht aber die jüdischen Kritiker Israels? (Und auch nicht andere „Opfervölker“ wie Roma, Russen, Serben)?

Als Oberbürgermeister der Stadt Köln und als Sozialdemokrat sollten Sie, sehr geehrter Herr Roters, darauf achten, dass der internationale Ruf Ihrer Stadt keinen Schaden erleidet. Sie werden mir verzeihen, wenn mir Angesichts der Kölner Absage (des Verbots, der Zensur?) einer Ausstellung, die in den Nachbarländern (in Luxemburg, in der Schweiz) großen Zuspruch erfuhr, die Verse eines großen deutschen Dichters in den Sinn kommen, der einst, lange noch vor dem Nazi-Spuk, über Ihre Stadt schrieb:

„Die Flamme der Scheiterhaufen hat hier/ Bücher und Menschen verschlungen; / Die Glocken wurden geläutet dabei / Und Kyrie eleison gesungen. / Dummheit und Bosheit buhlten hier /Gleich Hunden auf freier Gasse …“

Ich bin fest davon überzeugt, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Roters, dass Sie alles vermeiden werden, was auch nur den geringsten Anschein erwecken könnte, die höchsten Vertreter der Stadt Köln übten sich diesbezüglich in irgendeiner Art Traditionspflege.

Mit vorzüglicher Hochachtung,
Dr. Albert Ettinger
professeur honoraire des Lycée Classique de Diekirch, ehemaliger Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier
132, route de Mersch
L-7432 Gosseldange / Luxemburg

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