In einem Brief, der allen Bundestagsabgeordneten zuging, schlug Arno Lustiger eine jährliche Anhörung im Bundestag zum Thema Antisemitismus vor. In der ersten Anhörung am 17. Juni 2008 führte Henryk M. Broder aus, „dass man es beim Antisemitismus nicht mit einem Vorurteil, sondern mit einem Ressentiment zu tun habe. Ein Vorurteil zielt auf das Verhalten eines Menschen, ein Ressentiment auf dessen Existenz. Der Antisemit nimmt dem Juden nicht übel, wie er ist und was er tut, sondern dass er existiert“.
Leider gab es im Hohen Haus keinen, der widersprochen hat und keinen, der gemerkt hatte, dass Broder Unsinn redet. Immerhin Unsinn auf hohem Niveau, und da es um die Heilige Kuh der Juden und das Ungeheuer von Loch Ness der Deutschen ging, wagte keiner zu widersprechen.
Den toten Juden kann es doch vollkommen egal sein, ob der Täter aus Vorurteilen oder aus Ressentiments gehandelt hat, oder aus beiden. Es ist immer ein Geflecht aus Gründen, und es geht immer um Rassismus. Wo liegt die Notwendigkeit den Unterschied zwischen Ressentiment und Vorurteil zu betonen? Wem nützt das? Den Toten wird damit nicht geholfen und den noch Lebenden hilft es auch nicht, wenn sie in der Lage sind, ihre Feinde zu analysieren. Es geht Broder nur darum, sich wichtig zu machen und sich als der große Zampano in Sachen Antisemitismus zu profilieren.
Dabei weiß doch jeder Psychiater, dass man Ressentiments heilen und Vorurteile loswerden kann. Jeder von uns hat Vorurteile oder Ressentiments. Die meisten von uns merken es nicht einmal. Und bei den wenigsten führt es zu Aggressionen. Menschen mit Ressentiments und Vorurteilen sind in der Regel nicht gefährlich, es sei denn, sie geraten unter schlechten Einfluss. Anders verhält es sich mit Hass und Verachtung. Hass ist eine Leidenschaft – ähnlich wie Eiversucht – und deshalb sucht auch Hass mit Eifer alles, was Leiden schafft, um es auf die Person zu projizieren, die man hasst. Man kann aber von Hass therapiert werden. Bedenklicher ist es mit Verachtung. Antisemitismus ist aber mehr Verachtung von Menschen, als Hass auf Menschen. Verachtung ist eine Charaktereigenschaft. Seinen Charakter aber kann der Mensch nicht ändern. Es ist ein Defizit an Empathie. Ich glaube, dass gerade Verachtung am ehesten dazu führt, andere Menschen – Juden, Moslems, Sinti und Roma oder Schwarze – vernichten zu wollen und am Ende zu vernichten.
Haben denn die Israelis Vorurteile oder Ressentiments gegen Araber? Ja, natürlich haben sie Vorurteile, aber mehr noch als Vorurteile ist es die Verachtung der Araber, die sie dazu bringt, sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten. Sie hassen die Araber nicht einmal, sie verachten sie nur, aber diese Verachtung, die vollkommen apathisch ist, erlaubt ihnen, sie zu töten, ohne dabei Schuldgefühle zu empfinden.
Deutsche hatten Vorurteile gegen Juden, vielleicht auch Ressentiments, die Jahrhunderte lang gewachsen und gepflegt worden sind. Aber die Naziideologie und die Manipulation durch die Propaganda, die schon im Kindergarten begann, gelang es, die Deutschen dazu zu bringen, Juden zu verachten, wie man Ratten verachtet und ekelhaft findet, dann konnten sie sie in Massen töten, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Juden wurden in der Nazipropaganda auch als Ratten vorgeführt, wodurch man vorhandene Vorurteile und Ressentiments in Verachtung umgewandelt hat.
Man kann Massenmorde nur begehen, wenn keine Emotionen im Spiel sind. Mit Emotionen kann man gerade noch eine Geliebte, die einen verlassen will, umbringen. Ressentiments reichen aber nicht, um Millionen Menschen zu töten. Dazu werden Menschen wie Adolf Eichmann benötigt, die leidenschaftslos Befehle ausgeführt haben und sich nichts dabei gedacht haben.
So lag Broder mit seiner Interpretation des Antisemitismus knapp daneben. Aber knapp daneben ist auch daneben. Wenn man sich aber zum Guru des neuen Antisemitismus hocharbeiten will, dann sind natürlich solche Veranstaltungen vor ahnungslosen Bundestagsabgeordneten genau das Richtige. Für Broder sind die Abgeordneten „nützliche Idioten“, die man manipulieren muss, damit sie zustimmen, dass der Bundestag Israel bedingungslos unterstützt und berechtigte und oftmals notwendige Kritik an der Politik Israels, ohne nachzudenken, in Antisemitismus transformiert. Und Antisemitismus ist ein Tabu.
Die Philosophie jedoch, die sich mit diesem Begriff beschäftigt, Friedrich Nietsche u.a., meint, dass Ressentiments auf Vorurteile beruhen und ein Gefühl der Unterlegenheit vermitteln, des Neids und des heimlichen Grolls. Hat jemand Ressentiments gegenüber einer Sache oder einer Person beziehungsweise Personengruppe, so verspürt er eine unterschwellige, manchmal auch unbewusste Abneigung. Diese Abneigung hat ihren Ursprung meist in Vorurteilen, Neid, Unterlegenheitsgefühlen oder Ähnlichem.
Wenn aber Broder seine Deutung des Antisemitismus damit beschließt, dass „der Antisemit dem Juden nicht übel nimmt wie er ist und was er tut, sondern dass er existiert“, dann hat der Jude eh keine Chance dem zu entkommen und es kann ihm egal sein, was Broder meint, ob es die Folge eines Ressentiments oder eines Vorurteils ist. Allein aus solcher „Kartenlesen Qualität“ besteht Broders „Fachwissen“. Er versteht von Antisemitismus offenbar so viel wie ein Esel von seinem Besitzer, der ihn schlägt. Auf diesem Niveau also wird der Bundestag belehrt.
Broder muss mann nicht hören und auch nicht lesen.
Er stellt sich selbst ins Abseits.
Der Bundestag – die Regierung und ganz besonders Frau Merkel machen sich mitschuldig am Elend der Palästinenser.
Sie tun dies nicht in meinem Namen.
Mit freundlichem Gruß
Christel Baumann