Ist Bundestagspräsident Lammert ein „Sayanist“?*

Ich habe Bundestagspräsidenten Norbert Lammert immer für einen klugen intelligenten Menschen gehalten. Seine Aussagen zum Antisemitismus und besonders die absurde Forderung „Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, müssen das Existenzrecht Israels anerkennen“ haben mich aber überrascht und erschreckt. Seine Behauptung, viele Flüchtlinge würden aus Ländern kommen, wie Iran, Irak und Syrien, in denen Judenhass und Hass auf Israel herrsche, zeigen, dass er nicht weiß, wovon er redet und offensichtlich auch beratungsresistent ist.

In Iran, Irak und in Syrien herrschte und herrscht kein Antisemitismus, es sei denn, man bezeichnet die Auseinandersetzung mit dem Staat Israel als solchen. In Iran dürfen und müssen sogar die Juden in der Armee dienen, und sie sind auch im Parlament vertreten, und in Syrien und im Irak wurden sie auch nicht als Juden gehasst. Die Juden in diesen Ländern waren loyale Bürger und lebten genauso sicher und unsicher, wie die übrige Bevölkerung. Sie wurden nicht verfolgt, und wenn man sie hin und wieder misstrauisch behandelt hat, dann hatte es keine „antisemitischen“ Ursachen, sondern politische und solche, die direkt mit dem Nahost-Konflikt zu tun hatten. Erst mit der gewaltsamen zionistischen Kolonisierung palästinensischen Landes entstand so etwas wie „Antisemitismus“, wie es sich Lammert einbildet. 

Schließlich haben Juden hunderttausende von Palästinenser vertrieben, die jetzt in diesen Ländern als Flüchtlinge lebten. Und wenn in Deutschland Animositäten gegen Flüchtlinge geschürt werden können, so konnten auch in diesen Ländern bei den palästinensischen Flüchtlingen Animositäten gegen Juden geschürt werden, die sie für die Verantwortlichen an ihrem Schicksal machten. Es war kein grundloser „Judenhass“ wie in der christlichen europäischen Welt, sondern ein Hass, der konkrete Gründe und Ursachen hatte.

Hass gab es gegenüber Israel und das ist nicht überraschend, denn es herrschte zwischen Syrien und Israel seit bald siebzig Jahren Kriegszustand, und es wurden auch mehrere Kriege geführt. Dass die arabische und muslemische Welt gegen Israel Vorbehalte hat, sollte auch niemanden wundern, zumal auch Israel seinerseits Vorbehalte gegen diese Länder hat und der Hass gegen Moslems und Palästinenser dort auch weit verbreitet ist und besonders von den Siedler gepflegt wird.

Besonders absurd ist es aber, von Flüchtlingen ein Bekenntnis der Treue zu Israel zu verlangen und vielleicht auch noch, dass Israels Sicherheit zu ihrer Doktrin wird. Der Nahost-Konflikt ist ein kolonialer Konflikt, durch den Zionismus verursacht, der arabisches Land für sich und für alle Juden beansprucht, es mit Hilfe der Vereinten Nationen auch bekommen und bei der gewaltsamen „Übernahme“ hunderttausende von Landbewohner vertrieben und getötet hat. Das alles hat vielleicht auch mit Antisemitismus zu tun, aber nicht mit dem Antisemitismus von Flüchtlingen und schon gar nicht mit Antisemitismus von Araber und Moslems allgemein, sondern einzig und allein mit dem europäischen Antisemitismus und ganz besonders mit dem deutschen Antisemitismus.

Der Antisemitismusbegriff wird von Israel, aber auch von naiven deutschen Politikern, die das Gute wollen aber das Böse machen, instrumentalisiert, indem Kritik an Israel, die man „Israelkritik“ nennt, diskreditiert und für politisch nicht korrekt erklärt. Wenn man den Zionisten, den rechten Israelis, ihren Antisemitismusbegriff aus der Hand geschlagen hat, so stehen sie und ihre informellen Mitarbeiter, wie Horst Lammert u.a., so nackt und bloß vor der Öffentlichkeit da, wie der Kaiser in Andersens Märchen.

So wie der Antisemitismus 1933 in Deutschland zur Staatsräson wurde, so ist heute Hass auf Palästinenser in Israel Staatsräson und der Kampf gegen Antisemitismus im Deutschland von heute Staatsdoktrin. Und wenn man Antisemitismus als das sieht, was es ist, nämlich ganz gewöhnlicher Rassismus, der sich aber nur gegen Juden richtet, so ist der Zionismus auch nichts anderes als Rassismus, der sich gegen Nichtjuden im allgemeinen und Palästinensern im Besonderen richtet.

Warum sollen Flüchtlinge diese Staatsdoktrin anerkennen und auch noch schützen? Sie müssen das Existenzrecht eines rassistischen Staates nicht anerkennen, sondern lediglich die Gesetze dieses Landes, Deutschlands, lernen und einhalten. Und da gibt es den wunderbaren Artikel 1, indem es heißt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Es reicht wenn sie sich daran halten. Sie werden sicherlich auch ganz andere Probleme haben, als sich um die Legitimität oder Illegitimität Israels oder seiner Politik zu kümmern. Israels Existenzrecht steht auch nicht zur Debatte, sondern einzig Israels Politik.

Ein Staat, der ein Viertel seiner Bürger nicht anerkennt, bekämpft und am liebsten vertreiben würde, ist es nicht wert, beschützt zu werden. Ein Staat, der trotz Warnungen dabei ist, Selbstmord zu begehen, kann gar nicht beschützt werden. Und das alles hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Antisemitismus bedeutet Juden hassen, nur weil sie Juden sind und brutaler und gefährlicher Antisemitismus ist, wenn man am Ende Juden töten, ermorden, vernichten will, nur weil sie Juden sind. Das ist aber nicht die Situation im Nahen Osten. Juden haben wenig Grund, Araber zu hassen, Araber haben aber tausend Gründe, Juden zu hassen, sofern diese Juden Israelis sind, denn schon Henryk Broder, der „Fachmann“ für Probleme des Antisemitismus, hat erkannt, dass die Israelis „Täter“ sind, und zwar nicht, weil sie in Not sind, sondern, und so sagte es Broder: „Weil es Spaß macht“. Und deshalb sind die Palästinenser diejenigen, die Angst haben müssen, weil „Täter“ immer gefährlich sind, ob Nazis oder Zionisten.

Lammert sollte nicht so unüberlegte Statements von sich geben, die so grundfalsch und dazu noch gefährlich sind. Er legitimiert damit nicht den Staat Israel, sondern nur den mörderischen und  gefährlichen Zionismus, gibt seinem Staatsrassismus Futter und Hoffnung und zeigt den Flüchtlingen, dass er ihnen nicht nur nicht traut, sondern sie für gefährliche Menschen hält, die womöglich den Staat Israel nicht anerkennen wollen.

Die Hallstein-Doktrin hat einst diplomatische Beziehungen mit Staaten abgelehnt, die die DDR anerkannt haben. Das war absurd. Wenn aber Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, dann müssten Merkel und Lammert jedem Staat die diplomatischen Beziehungen kündigen, der Israel nicht anerkennt. Tatsache ist aber, dass die zahlreichen Staaten der Arabischen Liga, die Israel nicht anerkennen, schon öfters Israel das Angebot gemacht haben, es anzuerkennen, wenn nur Israel seinerseits bereit wäre, einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Israel ist zu einem solchen Schritt nicht bereit.

Man müsste endlich in Deutschland den Mut haben, Israel zwar nicht zu delegitimieren, dies macht die israelische Regierung schon selbst, aber zu kritisieren. Einem guten Freund muss man die Meinung sagen und vor Torheiten warnen, statt jede Torheit zu legitimieren und zu schützen. Die Heuchelei von Politikern wie Lammert und Merkel führt zu Erfolgen der AfD, weil die AfD auf dieser Klaviatur sehr gut spielen kann.

Und jetzt komme ich zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, zu diesem Dr. Schuster, der besser bei seinen Leisten bleiben sollte. Er ist kein Politiker und sollte sich nicht um Politik kümmern. Ich denke nicht, dass es einen Rechtsruck in Deutschland gibt und jetzt mehr Antisemitismus und Antisemiten als noch vorgestern. Die Wähler waren und sind mit der Politik der Regierung unzufrieden, das ist ihr gutes Recht. Es war eine klassische Protestwahl, aber dennoch haben immer noch mehr oder weniger 90% liberale, demokratische Parteien gewählt. Ich gehe davon aus, dass die AfD das Schicksal der NPD, der Republikaner und anderer Protestparteien erleiden und bei den nächsten Wahlen von der Bildfläche verschwinden wird.

Es wäre besser, Schuster würde schweigen, denn in solchen Tagen wie diesen ist Reden Silber aber Schweigen Gold. Solche naive und überflüssige Interviews schaffen nur Verunsicherung bei den Juden und eine jetzt „Erst recht“-Stimmung bei den Nichtjuden. Schuster sollte sich um die Integration seiner Juden, die aus Russland gekommen sind, kümmern und die Integration der Flüchtlinge der Regierung und den Kommunen überlassen. Wenn in vielen jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland fast nur russisch gesprochen wird, dann ist es ein Zeichen, dass Schuster hier versagt hat. Er sollte für Deutsch-Unterricht sorgen und für schnellere Integration. Er ist der Letzte, der hier Kritik äußern sollte. Und er sollte endlich entscheiden wem die Loyalität der deutschen Juden oder der Juden in Deutschland gehört: Deutschland oder Israel?

Die Juden in Deutschland handeln schon seit sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Shoa, in Deutschland neu organisiert haben, als wären sie ein Fremdkörper in diesem Land, eben „nur“ Juden in Deutschland und nicht deutsche Juden. Mit einer solchen Distanz zum Land, in dem sie seit Generationen leben, ist eine Integration nicht möglich, und es ist endlich an der Zeit, auch darüber zu reden. Wenn in jüdischen Gemeinden deutsche jüdische Jugendliche für die israelische Armee rekrutiert werden können, dann ist in diesem Land etwas faul. Die Regierung fürchtet sich darüber zu reden und zeigt nur auf die islamischen Jugendlichen, die sich von dem Islamischen Staat anwerben lassen.

Hier stimmt vieles nicht, und es ist an der Zeit, es zu korrigieren. Der Ruf nach Integration gilt für alle, und die Juden sollten da keine Sonderrechte haben. Sie sollten in ihren Gemeindezentren nicht die Bilder israelischer Präsidenten aufhängen und in ihren Samstagsliturgien nicht für das Wohl der israelischen Armee beten. Solange sie das tun, bleiben sie unglaubwürdig und ihre Kritik an deutschen Verhältnissen bleibt unerhört, auch wenn die Medien sie veröffentlichen und das Fernsehen sie ausstrahlt. Draußen im Lande, beim Volk, kommt es nicht an. Und das ist richtig so.

*Sayanim – Unterstützer Israels im Ausland. Viele Juden, aber noch mehr Nichtjuden gehören zu diesen Inoffiziellen Mitarbeitern.

4 Gedanken zu „Ist Bundestagspräsident Lammert ein „Sayanist“?*

  1. Bemerkenswert kluge Erörterung der Probleme, schade daß sowohl
    Antisemiten wie Philosemiten solche Differenzierungen mangels
    funktionierender geistiger Verdauung nicht aufnehmen können.
    Aber gottlob gibt es diese Denkanstöße, und es ist zu hoffen,
    daß sie in der öffentlichen Diskussion mehr und mehr eine
    Rolle spielen.

  2. Norbert Lammert ist in der Tat einer der wenigen Politiker einer etablierten Partei, denen man noch Respekt entgegenbringen kann. Dass er in Bezug auf Antisemitismus, Israelkritik usw. die erforderlichen Stereotype des modernen Zionismus bedient, ist kein Beleg für mangelnde Intelligenz oder „Beratungsresistenz“ sondern der deutschen Staatsräson geschuldet, die sich mangels eines eigenen Standpunktes als „Gegenentwurf zum Nationalsozialismus sieht“. So entstand notwendigerweise aus einem rassisch begründeten Antisemitismus ein politischer Philosemitismus, dessen Opfer nun andere geworden sind. Darüber kann man als Politiker hinwegsehen, da dies in den deutschen Massenmedien – auch Dank der Arbeit des Zentralrats und einiger Heckenschützen wie Benjamin Weinthal – kein Thema ist.

    Antisemitismus sei wiederum – nach verbreiteter öffentlicher Meinung – genuiner Bestandteil „rechten“ Denkens in Deutschland. Wer schon die Deutschlandflagge in seinem Vorgarten hisst, gerät in Verdacht, auch Vernichtungslager bauen zu wollen. Es nützt also auch (noch) der CDU des Norbert Lammert, aus Parteiräson diese Stereotype zu bedienen. Der Antisemitismus wird also seit Jahren als Waffe gebraucht, um die demografischen Probleme des Landes zu lösen, um Kritik an der seit Jahrzehnten bestehenden ungeregelten Einwanderung zu unterdrücken. Das Schicksal der Palästinenser interessiert – bis auf wenige – kein S…. unter deutschen Eliten in Politik und Medien.

  3. Ich stimme nit den Äußerungen des Autors überein. Was die „Unterstützer Israels im Ausland“ angeht, könnte ich von leidvollen Erfahrungen mit Vertretern der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Jerusalem Post berichten.

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