von Eurich Lobenstein
Igor Itkin kommt in der „Jüdischen Rundschau“ vom 19. August 2019 mit einem Artikel zu Wort; er schreibt:
„Der Messias war noch nicht da! In Jesaja 53 wird von vielen Christen bis heute fälschlich Jesus als „Messias“ hineininterpretiert. Christen – und leider viele Juden – wachsen mit der Vorstellung auf, Jesaja 53 spreche über Jesus. Ist das wirklich so? Die Propheten Jesaja, Jermija, Hesekiel, Zecharia und Micha prophezeiten über die Tage der Endzeit und über den Messias. Der Messias wird die Juden aus dem Exil nach Erez Israel führen, alle Welt wird den Messias als solchen erkennen. Der Messias wird den Tempel aufbauen, auf der ganzen Welt wird die Gewalt aufhören und nur Frieden wird herrschen und alle Juden werden nach dem Gesetz der Torah leben. Diese Ereignisse münden in der Auferstehung der Toten. Das alles wird der Messias erreichen.
Da keines dieser Ereignisse eingetreten ist, wäre die logische Schlussfolgerung, dass der Messias noch nicht erschienen ist. Doch nicht so für das Christentum. Jesus kündigte sich als Messias an, seine Anhänger erwarteten die ersehnte Erlösung, doch sie kam nicht. Jesus starb und erfüllte keine messianische Prophezeiung. Das Christentum befand sich in einer Krise, man suchte nach Antworten, um seinen Tod zu rechtfertigen. Die Christen erwarteten, dass Jesus wiederkehren wird – und zwar noch zur Lebzeiten seiner Anhänger –, doch auch das trat nicht ein. Ab diesem Zeitpunkt begannen christliche Theologen Konzepte zu entwickeln, die dem Judentum völlig fremd sind. Hierzu gehören z.B. die Vergebung aller Sünden durch den Tod eines Menschen, und die Aufhebung der Torah und der Mizwot. ….(u.s.w. und so fort….)“.
Das ist vulgäre jüdische Apologetik; auf die Worte „fälschlich“ und das Partikel „hinein“ bei „interpretiert“ hätte Itkin leicht verzichten können. Das gibt seiner Apologetik eine unnötige Schärfe, die nicht zur heutigen Religionsnivellierung paßt.
Nach christlicher Lehre ist Jesus auch nicht gestorben im natürlichen Sinn, sondern „am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten“ (christliches Symbolon). Die Apostelgeschichte läßt Petrus ähnlich einem Geist aus dem Kerker herausschweben und seinen Jüngern erscheinen, läßt aber offen, ob Petrus im Kerker verstorben war oder nicht, und was seine Erscheinung bedeute. Daß Petrus der erste römische Bischof gewesen sei, ist eine Legende; die römischen Bischofsreihen beginnen ursprünglich mit Linus als Nummer 1. Es muß aber irgendetwas wunderliches mit der „Auferstehung“ gewesen sein, denn auch der Koran setzt sich mit einem Erscheinen des Jesus nach der Kreuzigung auseinander; der Prophet meint, Gott habe entweder die Juden getäuscht und sie einen Scheinleib kreuzigen lassen (was die christlichen Doketisten ähnlich behaupten) oder sie hätten schlichtweg einen anderen gekreuzigt. Moderne Interessierte haben das Leichentuch von Turin untersucht und festgestellt, daß der in das Tuch gehüllte Leichnam noch blutete, speziell aus den Wunden der Hände, die über dem Bauch gefaltet waren. Das bedeutet, daß das Herz des vom Kreuz abgenommenen Manne noch geschlagen haben muß. Man kann natürlich auch behaupten, daß Leichentuch von Turin sei eine Fälschung. Man kann trotzdem noch zwei andere Fakten in Betracht ziehen: einmal, den Bericht über die Ermordung Rasputins durch den Fürsten Jussopow (1917); Rasputin war von einer Natur, die fast nicht totzukriegen war. Und dann haben deutsche Mediziner im KZ Dachau Kreuzigungen durchgeführt und festgestellt, daß der Tod am Kreuz durch Ersticken frühestens nach 12 Stunden eintritt, bei schwächlicheren Naturen: Jesus, offensichtlich ein Mann von rasputinischer Kraft, wurde aber schon nach 6 Stunden vom Kreuz genommen.
Die Leute der Zeit haben daher geglaubt, daß Jesus zumindest göttlichen Schutz genoß; in Srinagar wird das Grab eines Heiligen Isa verehrt, dessen Fußabdruck auf eine frühere Kreuzigung verweist. Wenn man anfängt, dem „Traktat über die drei Betrüger“ (von Anonymos) zu folgen, sollte man nicht behaupten, daß nur die beiden jüngeren Religionsstifter Betrüger gewesen seien. Religiöse Polemik ist immer närrisch (das steht sogar in „Mein Kampf“). Itkin wird doch kaum das spanische Gespenst von 1492 wiederbeleben wollen. Als Jude sollte man damit leben können, daß die früheren Heiden meinen, der Messias sei bereits da gewesen.
Itkins Artikel zeigt aber auch, wie berechtigt Hannah Arendts und Eva G. Reichmanns Kritik am jüdischen Nicht-Wissen von der christlichen Umwelt ist. Die Kernlehre des Christentums hat zwei elementare Dogmen:
- Die Gottheit besteht aus drei Personen, dem Vater (der Adonai der Juden), dem Sohn (Jesus) und dem Heiligen Geist (ohne Bezug zur Bibel). Jede der drei Personen ist der einzige alleinige Gott.
- Jesus hat zwei Naturen, unvermischt: er ist ganzer Gott und ganzer Mensch
Um die zweite elementare These in der Christenheit durchzusetzen, haben die Kaiser das Reich ideologisch gespalten und gegenüber den islamischen Angriffen an den Rand des Untergangs gebracht. Die früheren Christenverfolgungen durch den Römischen Staat setzten sich als Ketzerverfolgungen gegen Arianer, Nestorianer, Doketisten und andere fort, die an der Zwei-Naturenlehre zweifelten. Das dürfte auch der Grund dafür sein, daß der Islam in den arabischen Gebieten des römischen Reichs einen Siegeslauf vergleichbar mit dem Alexander des Großen veranstalten konnte. Die Ur-Christen werden mehrheitlich Arianer und Doketisten gewesen sein, während die Dogmen der Amtskirche die römischen Juristen entwickelt haben dürften:
Nach der Auferstehung (am Dritten Tage) ist Jesus am 40. Tag körperlich in den Himmel aufgefahren (Lukas-Evangelium). Was er zurück ließ, die Apostel, war sein mystischer Leib, die embryonale Kirche. Sie trauerte 10 Tage, bis zu Pfingsten in diese Gemeinschaft der Hl. Geist gesandt wurden, der in der Gemeinschaft bleibt bis zum Jüngsten Tag. Die sich aus der Apostelgemeinschaft entwickelnde Kirche, die zwischen 313, 325 und 395 mit dem Römischen Staat identisch wurde, ist zwar rein menschlicher Natur, eine menschliche Organisation, aber dadurch, daß der Hl. Geist in ihr unvermischt wohnt, auch göttlich. Wir haben also mit der apostolischen Kirche die Gottheit auf Erden, die gleiche Göttlichkeit wie zwischen 0 und 30 mit der Gestalt des Jesus. Wozu braucht der Christ einen Gott im Himmel, wenn er die Kirche auf Erden hat? Auch wenn der menschliche Teil der Kirche und der weltliche Arm des christlichen Staates die schlimmsten Verbrechen begeht (Sklavenhandel, Ausrottung der Indios), so bleibt der Katholik doch sicher in der Organisation der irdischen Gottheit der Kirche durch den immer präsenten Hl. Geist.
Vereinfacht ausgedrückt: Christentum ist nichts für Warmduscher, schon gar nicht für jüdische Warmduscher.
Die Tora wird zum „Alten Testament“ erklärt. Alte Testamente sind nicht mehr gültig, wenn es ein neues Testament gibt. „Die Juden“ vermitteln der Kirche lediglich eine historische Legitimität für den Absolutheitsanspruch gegenüber den „Altgläubigen“ (Heiden aller Art, Philosophen, Mithras, Kybele etc.), sie sind „die Kronzeugen für die Existenz Gottes“ (des Vaters), wie es Karl Barth 1941 ausdrückte. „Jehova“ vermittelt der christlichen Kirche die Legitimität, die der gute alte Zeus nicht mehr hätte vermitteln können.
Der Irrwitz der Weltgeschichte daran: „die Juden“ fühlen sich geschmeichelt, die Paten des Christentums spielen zu dürfen; in Wirklichkeit werden sie schamlos mißbraucht.
Eine Zeitlang vermutete man hinter dem „Traktat über die drei Betrüger“ des Anonymus Kaiser Friedrich II.; der Kaiser hat eines gesagt: „Gott kann Italien nicht gekannt haben, sonst hätte er dem Moses nicht Kanaan als Ziel des Exodus empfohlen“. Kanaan wird tatsächlich eher keine gute Empfehlung gewesen sein. Aber „die Juden“ glauben es immer noch. Nie können sie akzeptieren, selbst einem „Impostore“ aufgesessen zu sein (wofür vieles spricht).