Juden und Judentum

Die Juden betrachten sich als Volk, aber sie sind es nicht. Sie sind höchstens eine Glaubensgemeinschaft, falls sie überhaupt gläubig sind, die überall auf der Welt verstreut ist, wie Katholiken, Protestanten und andere religiöse Minderheiten. Sofern sie in Israel leben, sind sie Angehörige der israelischen Nation, obwohl es diese offiziell nicht geben darf. Im israelischen Personalausweis steht unter Nationalität, dass der Inhaber Jude ist. Israelis sind demnach keine Israelis, sondern Juden und diverse Klagen israelischer Bürger, die das ändern wollten, scheiterten am Obersten Gericht. In Israel gibt es keine Israelis, sondern nur Juden oder Nichtjuden.

Dabei gibt es gar keine jüdische Nationalität. Schon immer, in der Literatur, in Buchtiteln und in den verschiedensten Schriften ist die Rede immer nur von „AM ISRAEL“ – vom Volk Israel. Gemeint sind natürlich die Juden. Für Nation steht das hebräische Wort LEOM, aber die zionistische Ideologie benutzt das Wort Nation auch als Volk und macht da keinen Unterschied. Insofern ist es für die zionistische Staatsideologie Israels konsequent, Nichtjuden als nicht zugehörig zum jüdischen Volk und zur jüdischen Nation zu betrachten – siehe das neue Nationalstaatsgesetz. Sie sind Fremde im eigenen Land und werden auch als solche behandelt, obwohl die jüdische Religion das verbietet. 

Die meisten Staaten der Welt erkennen die Tatsache an, dass Israel ein jüdischer Staat ist, aber es gibt in Israel auch eine große Minderheit, die nicht zum jüdischen Volk gehört und es ist ihr Recht, ihre autonome Sprache und Kultur zu behalten, und der Staat Israel muss diese Minderheit anerkennen und respektieren und all seine Behörden einem Publikum öffnen, dessen Sprache arabisch ist. Arabisch ist nicht russisch oder rumänisch oder jede andere Sprache, die Juden gesprochen haben, bevor sie nach Israel eingewandert sind, zumal die Hälfte, der heute in Israel lebenden Juden aus Ländern stammt, in denen arabisch gesprochen wurde. Deshalb muss man diese Sprache genauso akzeptieren wie die Menschen, die sie sprechen. Diese Menschen und ihre Sprache und Kultur lebten im Land schon viele Generationen bevor der erste Jude aus Europa eingewandert ist. Das Nationalstaatgesetzt gehört auf dem Müllhaufen der Geschichte neben den Nürnberger Gesetzen, den Rassengesetzen in den USA und der Apartheid in Südafrika.

Israelische Nichtjuden sind auch keine Israelis, sondern Araber, Christen, Drusen oder was auch immer sie sind. Der Zionismus bemüht sich mit allen juristischen Tricks, und wenn es sein muss mit Gewalt, die Entstehung einer israelischen Nation zu verhindern und macht aus Israel ein jüdisches Ghetto, aus dem man die Nichtjuden lieber heute als morgen vertreiben möchte. Das Wort Vertreibung wird allerdings nicht gebraucht. In Israel nennt man es „transfer“.

Sind die Juden ein Volk? Der israelische Historiker Shlomo Sand sagt: Nein! Denn zu einem Volk gehörten eine gemeinsame Sprache und vor allem eine gemeinsame Alltagskultur. Genau darüber verfügen die Juden aber nicht. Die meisten Juden der Welt leben nicht in Israel und sehr viele von ihnen identifizieren sich auch gar nicht mit diesem Staat, ja sie wehren sich sogar gegen die Vereinnahmung durch den Zionismus, der sich jüdisches Leben ausschließlich als Ethno-Nationalismus vorstellen kann, dass jüdisches Leben also nur in einer ethnisch abgegrenzten Nation vorstellbar ist – anders ausgedrückt, in einem großen Ghetto nur für Juden.

Judentum ist eine monotheistische Religion wie Christentum oder Islam, und Jude ist derjenige, der diese Religion trägt, egal ob er Israeli, Russe, Amerikaner oder Deutscher ist. Was er wirklich ist hängt allerdings davon ab, welche Priorität jeder Einzelne für sich setzt, ob ihm religiöse Identität wichtiger ist als nationale Identität. Dennoch lassen sich viele Juden ihre Identität durch den Antisemitismus aufdrücken und verhalten sich so, wie Antisemiten es von ihnen erwarten. Gerade in Zeiten wie heute, in denen die Antisemitismushysterie kaum noch Grenzen kennt, folgen Juden den Ratschlägen eines durchgeknallten „Judenreferenten“, der den Juden rät, sich nicht als Juden erkennbar zu machen, indem sie keine Kopfbedeckung tragen sollen. Er weiß offenbar nicht, dass die Kippa nicht die einzige Kopfbedeckung für Juden ist. Juden können auch Hütte tragen, die sich nicht von Hütten nichtjüdischer Bürger unterscheiden. Kippa tragen ist dagegen für gläubige oder orthodoxe Juden verboten.

 Juden sind in erster Linie Bürger der Staaten, in denen sie leben und besitzen in der Regel die Staatsbürgerschaft dieser Staaten. In Deutschland zum Beispiel sind die Bürger zuerst Deutsche und dann erst Katholiken, Protestanten, Moslems, Juden oder Atheisten. Ihre Religionszugehörigkeit darf im Personalausweis nicht vermerkt werden. In unserem Land herrscht absolute Glaubensfreiheit, die vom Grundgesetz garantiert und geschützt wird. In Israel gibt es diese Freiheit nicht. Juden und Nichtjuden dürfen nicht miteinander Ehen schließen, und Juden können nur von einem Rabbiner getraut werden. Die Religion beherrscht immer größere Teile des öffentlichen Lebens, und als Nichtjude hat man es dort nicht leicht.

Sie haben allerdings ein Problem mit dem Zionismus und besonders mit dem aggressiven Zionismus, wie er seit Jahren in Israel praktiziert wird. Israel nationalistischer Zionismus betrachtet alle Juden der Welt als israelische Bürger und deshalb sind viele Juden gezwungen, in ganzseitigen Anzeigen in den führenden Zeitungen der Welt zu verkünden: Nicht in unserem Namen.

Nicht alle Juden gehören zum gleichen Volk oder gleichen Nation. Deshalb sind die Juden auch kein Volk, sondern Träger einer Religion, die universell ist und sich in der ganzen Welt verbreitet hat. Ein Jude aus Holland hat nichts gemein mit einem Juden aus Persien oder dem Jemen, außer den jüdischen Glauben, so wie ein Deutscher nichts gemein hat mit einem Spanier oder Polen, außer dem christlichen Glauben. Und selbst im Glauben gibt es gravierende Unterschiede in der Liturgie zwischen Juden aus Asien, Nordafrika und Europa.

Und so wie im Verlauf der Geschichte Deutsche gegen Franzosen, Engländer und Polen gekämpft haben, so haben auch deutsche Juden gegen französische, englische, polnische oder russische Juden gekämpft und sich gegenseitig als Feinde betrachtet, obwohl sie jüdischen Glaubens waren.

Ein Jude aus Polen war früher ein glühender Pole und ein Jude aus Frankreich ein nationaler Franzose. Der Jude Leon Blum war Präsident aller Franzosen und hat sich als Franzose identifiziert und Benjamin Disraeli war ein englischer Patriot, so wie Walther Rathenau ein deutscher und Leo Trotzki ein russischer Patriot war. Ganz zu schweigen von all den Künstlern, Autoren, Dichter und Komponisten jüdischen Glaubens, die mit Herz und Seele Deutsche, Franzosen, Engländer oder Russen waren. Heinrich Heine behauptete von sich, „Ich bin ein deutscher Dichter, bekannt im ganzen Land“, und betrachtete sein Judentum als Last, die ihn daran hinderte in die europäische Kultur einzutreten. Deshalb ließ er sich taufen.

Arnold Schönberg, Jakob Wassermann, Rosa Luxemburg, Albert Balin, Else Lasker-Schüler, Gabriel Riesser, Rahel-Levin-Varnhagen, Henriette Herz und Albert Einstein, um nur einige wenige zu nennen, waren zuerst Deutsche und erst viel später Juden. Alber Einstein hat man angeboten, erster Präsident von Israel zu werden, was er abgelehnt hat. Sie alle stammten zwar aus jüdischen Familien, waren aber durch und durch deutsche Patrioten und Vertreter der deutschen Kultur. Ihr Judentum haben sie abgeworfen und vergessen, auch wenn sie manchmal peinlich und grausam daran erinnert wurden.

Der Zionismus hat versucht, das alles zu verwischen und zu eliminieren und alle Juden in einen Topf zu werfen und sie zu einem Volk und einer Nation zu machen. Ein Volk ist aber eine Gruppe von Menschen, die aufgrund bestimmter kultureller Gemeinsamkeiten und enger Beziehungen verbunden sind. Dazu gehört vor allem, gemeinsames Land, gemeinsame Sprache, gemeinsame Kultur, gemeinsame Geschichte, gemeinsame Lieder und gemeinsames stehen hinter der nationalen Fußballmannschaft. Allerdings wird in neuerer Zeit der Begriff Volk eher vom Begriff Nation ersetzt. Nation  bezeichnet größere Gruppen oder Kollektive von Menschen, denen gemeinsame Merkmale wie SpracheTraditionSittenBräuche oder Abstammung zugeschrieben werden. Und ob alle Juden die gleiche Abstammung haben, ist höchst fraglich und wird von vielen Wissenschaftlern bestritten.

Die staatsbezogene Nationsentwicklung, bei der Staat und Nation miteinander verbunden bzw. gleichgesetzt wurden, geschah zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters und der Moderne. Vor diesem Hintergrund ist zu unterscheiden zwischen StaatNation und Nationalstaat. Nur in einem Nationalstaat fällt das Staatsgebilde zusammen mit dem Begriff der Nation. Das ist heute der Fall in Israel, wo aber, unabhängig von arabisch, mehr als 50 Sprachen gesprochen werden, Traditionen, Sitten und Bräuche unterschiedlich sind, und die Abstammung der Menschen gemischter nicht sein kann.

Eine gemeinsame Religion reicht nicht als Voraussetzung für eine gemeinsame Nation. In Ländern wie den USA, Russland, China, Brasilien und andere existieren viele verschiedene Religionen nebeneinander, und alle Bürger betrachten sich als Amerikaner, Russen, Chinesen, Brasilianer etc. Dagegen betrachten sich nicht alle Katholiken als Bürger des Vatikans und nicht alle Buddhisten als Bürger Indiens, und selbstverständlich nicht alle Juden als Israelis.

Die Vorstellung des Zionismus, dass alle Juden der Welt einem Volk angehören und noch dazu potenzielle Israelis sind, ist abwegig und lächerlich. Man kann höchstens von einer gemeinsamen Schicksalsgemeinschaft sprechen, aber das ist schon alles, was Juden aus dem Jemen, Nordafrika und Zentralasien  mit Juden aus Europa verbindet, wobei auch das nur eine Fiktion ist, denn das Schicksal der europäischen Juden ist nicht zu vergleichen mit dem Schicksal der Juden in der moslemischen Welt und selbst das Schicksal der Juden in der europäisch-christlichen Welt ist nicht überall gleich gewesen. In Spanien wurden zum Beispiel alle Juden in einem beispiellosen Akt der Barbarei vertrieben, während sie in Mitteleuropa, von Frankreich, über England bis nach Russland geduldet waren, auch wenn sie von Fall zu Fall verfolgt und ermordet wurden. Sie haben jedenfalls über die Jahrhunderte alle Verfolgungen überlebt und ihre Kultur behalten, während es in Spanien seit der Vertreibung 1492 keinen einzigen Juden bzw. jüdische Gemeinden mehr gibt. Eine Schicksalsgemeinschaft ist aber kein Volk.

Judentum ist eine Religion und es ist höchst zweifelhaft, ob alle, die sich als Juden betrachten, dieser Religion anhängen. Für mich ist Religion, wie für Heinrich Heine und vielen anderen, „Opium für das Volk“. Ich halte nichts von all den Riten, Geboten und Verboten. Mein Judentum besteht aus Rabbi Hillels weisen Spruch: „Tue deinen Nächsten nicht an, was du nicht willst, dass man es dir antut.“ Mehr Religion ist nicht notwendig und sogar lästig. Am Rassismus in dieser Welt sind nicht zuletzt die Religionen schuld, die alle, zumindest die monotheistischen, Judentum, Christentum und Islam, sich als allein selig machend betrachten und sich jahrhundertelang bis aufs Blut bekämpften. Juden waren zwar immer in der Rolle der Opfer, aber sie überspielten dieses Opfersein, indem sie fest daran glaubten, dass sie ein auserwähltes Volk seien. Ihrem Stammvater gaben sie den Namen Av-ra-ham und das bedeutet: Vater eines großen Volkes. Spätestens aber nachdem das Volk der Chasaren und davor Berberstämme in Nordafrika zum Judentum konvertierten und sich derart mit den Juden identifizierten, dass sie jüdischer als die Juden wurden, entstand die Idee eines Volkes, weil diese „neuen Juden“ unbedingt dazugehören wollten.

Wer weiß, wie die Welt heute aussehen könnte, wenn es keine Religionen und keinen eifrigen und eifersüchtigen Gott gäbe, der immer das Gute will und stets das Böse schafft.

5 Gedanken zu „Juden und Judentum

  1. Ein erhellender Beitrag, in dem allerdings Beschimpfungen wie „durchgeknallte Judenreferenten“ nichts zu suchen haben . Schadet dem lesenswerten Text und
    dem Anliegen seines Verfassers.

  2. Die Vokabel „Antisemitismus“ wird im Medien-Mainstream von heute benutzt, um Attacken gegen Judentum zuzuordnen. Dahinter steckt die Tatsache, dass diese Vokabel gegen Ende des 19 Jahrhunderts erfunden wurde, um den jahrhundertealten Judenhass aus dem Nebel religiöser Irrungen-Wirrungen herauszulösen, indem man ihm einen genetisch-rassistisch-wissenschaftlichen „Beiwert“ verpasste.

    Wenn aber tatsächlich rassistische Elemente eine Rolle spielen sollten, dann ist es förderlich die völkertafel aus dem Alten Testament zu Rate zu ziehen, welche die drei Söhne von Noah – nämlich Sem, Ham und Jafet – als Urahnen der Semiten (Vorderasien), der Hamiten (die Bevölkerung Afrikas) und der Jafetiten (Völker Europas) zuordnet.

    Die „Absonderung“ der Juden von den sie umgebenden anderen Semiten, wie sie durch Mose und seine Gebote erfolgte, wurde von denen semitisch geprägten Traditionalisten seiner Zeitgenossen nicht mitgetragen, indem sie die alten ererbten semitischen wertvorstellungen für unverzichtbare hielten. Sie sind das Rückgrat auch heutiger kapitalistischer Grund-Fehler. Zum Beispiel „Wohlstand ohne Arbeit“, „Vergnügen ohne Gewissen“, “ Handel ohne Moral „, „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ usw.

  3. „Kippa tragen ist dagegen für gläubige oder orthodoxe Juden verboten.“

    Das stimmt natürlich nicht – die National-Religiösen in Israel SIND orthodox, und ihre Männer tragen selbstverständlich Kippot (üblicherweise gehäkelte), während die verheirateten Frauen ihre Haare bedecken, vielfach mit Kopftüchern.

  4. Volksgruppen nach ihrer Abstammung von Sem, Ham und Japhet einzuordnen, ist natürlich auch totaler Blödsinn. Kein ernstzunehmender Geist glaubt an die Geschichte von Noah und die Sintflut. Da Antisemitismus sich gegen Semiten richtet, betrifft es die Völker, die der semitischen Sprachgruppe angehören. Damit sind alle europäischen, amerikanischen, afrikanischen und asiatischen Juden keine Semiten. Anti-Semitismus bedeutet Anti-Zionismus. Leider klingt dieser Begriff nicht so gut und man kann damit weniger Unruhe stiften.

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