von Amos Gvirtz
Gemäß dem Urteilsspruch des Richters Yoav Atar vom Beer Sheva Bezirksgericht ist Scheich Sayah Abu Medigham Al Touri ein Krimineller, der eine 10-monatige Gefängnisstrafe verdient, weil er auf ein Land eingedrungen ist, das seiner Meinung nach ihm gehört. Dieses Urteil wurde gefällt noch ehe das Gericht zu einer Entscheidung über die Besitzansprüche dieses Landes kam. Der Richter urteilte, das Scheich Sayah für 10 Monate ins Gefängnis gehen und eine Strafe von 36 000 Schekel bezahlen muss, zusätzlich bekommt er eine fünfmonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung falls er wieder das Gebiet vonAl Araqib betritt.
Dies ist Land, welches Scheich Sayahs Urgroßvater 1905 von jemandem vom Al Uqbi Stamm um das Gebiet von Al Araqib herum kaufte. Im Jahre 1952 sagte der israelische Militärgoverneur dem damaligen Scheich des Stammes, dass die Armee plane, auf dem Gebiet Manöver abzuhalten und der Stamm das Gebiet für ein halbes Jahr verlassen müsse bis die Manöver vorbei seien. Als sie zu ihrem Land zurückkamen wurde ihnen gesagt, sie müssten Pacht bezahlen. Natürlich lehnten sie es ab, Pacht für ihr eigenes Land zu bezahlen.
Im Jahre 1953 verabschiedete die Knesset (Parlament) das Landkaufgesetz, welches unter anderem vorsah, dass Land, welches für eine gewisse Zeit, die vom Gesetzgeber bestimmt wird, nicht genutzt wurde zu „Staatsland“ wird. Die Leute wurden daher vertrieben und ihr Land vom Staat übernommen. Das war praktisch Landraub per Gesetzgebung. Darüberhinaus erkennt der Staat auch keine traditionellen Besitzansprüche an. Wer sein Land nicht offiziell registriert hatte, wird von der israelischen Regierung nicht als Besitzer anerkannt. Scheich Sayah hat jedoch Dokumente, die den Kauf des Landes bestätigen. Man muss wissen, dass das Land auf dem die zionistischen Siedler-Kolonien in der Negevwüste vor 1948 errichtet wurden, von Beduinen auf traditionelle Weise erworben worden war.
Jetzt, wenn Scheich Sayah und sein Volk sich weigern, den Raub ihres Landes durch Gesetze und juristische Tricksereien anzuerkennen, werden sie kriminalisiert! Tausende von Beduinen, die im Negev leben, besituzen ihr Land auf traditionelle Weise. Das wird von Israel nicht anerkannt und wenn sie versuchen, an diesem Land festzuhalten, werden sie durch den Staat Israel kriminalisiert. Die Eindringlinge haben das Land zu „Staatsland“ deklariert und behaupten nun, dass die Beduinen die Eindringlinge seien.
Aber das ist nicht alles. Israelische Regierungen haben bisher Beduinendörfer, die schon vor der Gründung des Staates Israel im Negev existierten, nicht offiziell anerkannt. Das ist sogar für Dörfer der Fall, die enstanden, weil Israel Beduinenstämme von ihrem Land vertrieben und sie in den Sayag Distrikt umsiedelten. Es ist kaum zu glauben – ein Staat beraubt Menschen ihres Landes und nennt sie dann Eindringlinge, wenn sie das ihnen zugewiesene Land betreten wollen! Wenn ein Dorf nicht offiziell anerkannt ist, ist jede Art von Bautätigkeit illegal. Der Staat entscheidet dann durch Planungs- und Bebauungsbestimmungen, dass der größte Teil des Sayag Gebietes nur für Landwirtschaft und nicht zum Bebauen genutzt werden darf. So entstand ein legaler Zustand, der alle Beduinen zu Kriminellen macht, wenn sie ihr Menschenrecht auf Wohnen wahrnehmen wollen.
Eine solche Implementierung israelischer Gesetzgebung, die die Opfer der Besatzung zu Kriminellen macht, kann man in den besetzten palästinensischen Gebieten häufig beobachten. In den frühen 1970er Jahren hat die israelische Armee örtliche Planungs- und Bebauungsausschüsse aufgelöst und ihre Rechte und Aufgaben übernommen. Jetzt macht der Staat keine Gesamt-Pläne mehr und verbietet eine Bebauung, so dass nahezu alles palästinensische Bauen „illegal“ ist. Die Armee hat Gebiete, in denen wenige Palästinenser leben, zu „Feuerzonen“ erklärt, so dass diejenigen, die dort wohnen, die „Gesetze“ der Armee verletzen. Ähnlich werden Naturreservate und archäologische Fundstellen als Vorwand genutzt, um Palästinensern die Möglichkeit ihr Land zu nutzen zu versagen.
Das ist nichts anderes als eine ungewünschte Bevölkerung aus dem Land oder in äußerst begrenzte Gebiete zu drängen. Es ist ein Krieg, den Israels Sicherheitskräfte gegen eine wehrlose zivile Bevölkerung führen. Um die Israelis und den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass seine Taten gerechtfertigt sind, hat der Staat ein umfassendes juristisches System geschaffen, das diesen Krieg als Durchsetzung von Gesetzen gegenüber deren Verletzern darstellt. Ich nenne das „Kriminalisierung der Opfer“. Wie könnten wir auch sonst uns selbst und unsere Unterstützer davon überzeugen, dass wir die Guten und sie (die Palästinenser) die Bösen sind, wenn wir sie nicht mit einem juristischen System überziehen würden , das unsere Opfer kriminalisiert?!
Der Autor ist ein israelischer Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer des israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD).
Danke für diese eindrucksvolle Schilderung. Der seit vielen Jahrzehnten anhaltende Landraub muss jeden gerecht denkenden Menschen empören. Aber wie kommen diese Informationen an eine breitere Öffentlichkeit?
Die neue Israel-Korrespondentin der SZ, Frau Alexandra Föderl-Schmid, berichtet ausführlich über die politische, aber auch über die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Fände sich da nicht auch einmal ein Anknüpfungspunkt für einen Leserbrief? Auch nicht gedruckte Leserbriefe werden von den Redakteuren bzw. Korrespondent*innen gelesen und häufig per Mail beantwortet. Außerdem werden solche ungedruckten Leserbriefe über diverse Verteiler verbreitet und erhöhen dadurch den Druck auf die Redaktionen, die sich heute öfter als früher von verschiedenen Seiten und nicht immer auf die feine Art angegriffen sehen.
Solidarische Grüße
Rolf Eckart, München