von Helmut Suttor
Staatssekretär Michael Bußer
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Johannes Schellakowsky
Regierungsdirektor
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Sehr geehrter Herr Bußer,
Sehr geehrter Herr Schellakowski,
ich beziehe mich auf Ihre Internetseite
Hessischer Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker bezieht Stellung zu BDS-Bewegung[1]
Die dort getätigten Aussagen sind mit dem deutschen Recht aus verschiedenen Gründen nicht vereinbar.
Sie stehen u.a. in Widerspruch zum Demokratieprinzip und Sachlichkeitsgebot.
Zum Demokratieprinzip hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil (Rn 28 29) aus dem Jahr 2017 klare Aussagen getroffen.[2]
Staatliche Amtsträger unterstehen jedoch nicht allein dem Rechtsstaatsgebot, sondern auch dem Demokratieprinzip. Die freie Bildung der öffentlichen Meinung ist Ausdruck des demokratischen Staatswesens (Art. 20 Abs. 1 GG), in dem sich die Willensbildung des Volkes frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollzieht. Der Willensbildungsprozess im demokratischen Gemeinwesen muss sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion ist deshalb eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verwehrt. (…) Während sich der Bürger auf die Wahrnehmung seines Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) stützen kann, ist dem Staat die Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG gegenüber seinen Bürgern verwehrt (…) Staatliche Amtsträger dürfen ferner in der öffentlichen Diskussion Vertreter anderer Meinungen weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren, solange deren Positionen die für alle geltenden rechtlichen Grenzen nicht überschreiten, namentlich nicht die allgemeinen Strafgesetze verletzen. Nur so kann die Integrationsfunktion des Staates sichergestellt werden, die ebenfalls im Demokratieprinzip wurzelt.
Die Ausführungen auf Ihrer Internetseite stellen einen massiven Verstoß gegen die Grundsätze des Demokratieprinzips dar.
In der Debatte um BDS geht es um einen Meinungsstreit zwischen einer Mehrheit und Minderheit, ausgetragen auf beiden Seiten von Menschen mit und ohne jüdischen Hintergrund. Ihre Aussagen versuchen in massiver Weise in diesen Meinungsstreit lenkend und steuernd einzugreifen zu Gunsten einer Partei im Meinungsstreit.
In der Rechtssprechung zum Sachlichkeitsgebot ist geklärt:
„dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen.“[3]
Daraus ergibt sich u.a. dass „Tatsachenbehauptungen verifizierbar sein müssen„[4]
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit steht folgendes aus Ihrem Text im Widerspruch zu Demokratiegebot und/oder Sachlichkeitsgebot:
- Sie greifen nicht nur lenkend in einen Meinungsstreit ein, sie tun dies in grotesk einseitiger Weise. Was vorkommt ist die Konfliktperspektive der israelischen Regierung. Was nicht vorkommt ist die Perspektive der Palästinenser oder BDS. Zu BDS werden die Interpretationen und Unterstellungen der israelischen Regierung referiert, nicht die Eigeninterpretationen von BDS.
- Es wird behauptet, BDS stelle „Existenz des jüdischen Staates in Frage„. Was nicht zur Sprache kommt ist erstens, dass BDS und die Mehrheit der Palästinenser dies tun, weil der jüdischen Staat ihnen keinen demokratische Perspektive als gleichberechtigte Bürger bieten kann und zweitens, dass die BDS/die Palästinenser den jüdischen Staat allenfalls rhetorisch in Frage stellen könnten, während die israelische Regierung die Voraussetzungen für einen lebensfähigen palästinensischen Staat durch Annexion und Siedlungspolitik zerstören.
Zuletzt sei vermerkt, dass Uwe Becker als Präsident der Deutsch Israelischen Gesellschaft den Trump-Plan befürwortete, der u.a. die Annexion von 30 % palästinensischem Westbank-Territorium vorsieht.[5] Nach der Logik, nach der Becker eine Infragestellung des Existenzrechts Israels durch BDS konstruiert und daraus „israelbezogenen Antisemitismus“ ableitet, wäre ihm „palästinenserbezogener Rassismus“ vorzuwerfen. Der Trump-Plan impliziert nach Ansicht so gut wie aller Experten das Ende auf eine Perspektive der Palästinenser auf einen selbständigen Staat. Das gilt jedenfalls dann, wenn nicht doppelte Standards angelegt werden und das Recht der Palästinenser auf einen Staat weniger wiegt als das analoge Recht der Israelis.
- „Die BDS-Bewegung ist eine zutiefst antisemitische Bewegung„: Bisher haben es alle Gerichte abgelehnt, dieser Wertung beizutreten mit der immer gleichen Begründung: Eine derart pauschale Aussage sei kann für eine heterogene Bewegung wie BDS nicht richtig sein. Diese Aussage ist offensichtlich nicht nur nicht verifizierbar, sie ist nach vernünftigen Maßstäben für Bewegungen dieser Art grundsätzlich falsch.
- Zum Apartheidsvorwurf gegen Israel sagen Sie: „Dieses Bild, das im völligen Gegensatz zur tatsächlichen Realität des vielfältigen und bunten Israels steht, hat sich leider in zu vielen Köpfen und gesellschaftlichen Gruppen als legitime Kritik am jüdischen Staat etabliert ohne tiefer hinterfragt zu werden“. Hier sind Sie nicht ganz auf dem Laufenden. Zu den Köpfen, in denen sich die Vorstellung eines Israels in Verbindung mit Apartheid langsam einzunisten scheint, gehört auch der von Felix Klein, wenn er feststellt, es sei zulässig zu sagen „Israel befinde sich auf dem Weg in apartheidsähnliche Zustände.[6] Dass Apartheid in den besetzten Gebieten herrscht ist für viele Experten unbestreitbar. Von einem „völligen Gegensatz zur tatsächlichen Realität“ kann bei einer sachgerecht und vertretbar Würdigung des Tatsachenkern jedenfalls nicht die Rede sein.Ihre Aussage zu den BDS-Resolutionen in diversen Kommunen darunter Frankfurt und München lässt ebenfalls einen im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern Das gilt jedenfalls dann, wenn die Frage wesentlich ist, ob diese Beschlüsse rechtmäßig sind.
- Für München gibt es dazu ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, dass das Gegenteil besagt.[7]
- In Frankfurt verweigert der Magistrat drei Jahre nach Beschlussfassung eine Begründung des BDS-Beschluss, obwohl dieser in seiner „Maßgabe“ eine solche Begründung, nachzuliefern von Uwe Becker, vorsieht. Anfang Mai 2020 wurde auf eine Anfrage zur Rechtmäßigkeit des BDS-Beschluss in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung die Beantwortung auf alle grundrechtsrelevanten Fragen (3-6) mit der Begründung verweigert, die „Kommentierung einzelner Gerichtsentscheidungen ist nicht zielführend, da diese keine Frankfurter Einzelfälle betreffen„. Der Magistrat Frankfurts und der federführend verantwortliche Dezernent Becker verabschieden sich mal eben vom Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, der einheitlichen Geltung des Rechts im gesamten Staatsgebiet, weil sie mit ihrem juristischen Latein am Ende ist. Insofern ist in Frankfurt zu Gerichtsverfahren in diesem Kontext kam, ist die Stadt unterlegen. Sich auf die BDS-Beschlüsse zu beziehen, wenn man selbst zu der Einsicht gekommen ist, dass diese nur noch eine rechtlich nicht belastbare Legitimationsfassade darstellen, kommt einer Täuschung der Öffentlichkeit gleich, nicht nur eine Verletzung des Sachlichkeitsprinzips.
Der Vollständigkeit sei noch darauf hingewiesen, dass Ihr Text der IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus widerspricht auf die sich die BDS-Beschlüsse angeblich stützen. Diese sieht vor, dass eine jeweils konkrete Aussage im jeweiligen „Gesamtzusammenhang“ zu würdigen ist, um zu einer belastbaren Aussage in Sachen Antisemitismus zu kommen. Davon kann bei Ihrem Text schon deswegen nicht die Rede sein, weil die Perspektive der Palästinenser und von BDS von vorneherein ausgeklammert wird. Wenn man die Hälfte von Anfang an ausklammert, kann der Gesamtzusammenhang nicht mehr ins Blickfeld geraten kann.
Ich möchte Sie bitten, dass Sie diesen Text aus Ihrer Homepage entfernen.
Wenn Sie dazu zusätzliche juristische Begründungen für erforderlich halten, dann empfehle ich einen Text des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom Dezember 2020 (erstellt auf Anregung von Felix Klein)[8] und den Aufsatz von Prof Gräditz (Mitglied des Verwaltungsgerichtshofs in NRW). [9] Prof. Gräditz hält das Amt des Antisemitismusbeauftragten für verfassungswidrig, insofern mit diesem Amt ein betrieben wird, was Sie betreiben: Ein „Outsourcing“ staatlicher Meinungspflege an Beauftragte „die diejenigen Äußerungen tätigen, die der Regierung sowie sonstigen Bundesbehörden verwehrt bleiben (müssen).“
Das Münchner Verfahren geht in die Revision. In zwei Jahren wird es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geben, das aller Voraussicht nach die Folge haben wird, dass die BDS-Beschlüsse bundesweit ohne Rechtsgrundlage da stehen.
Ein gesellschaftlicher Grundkonsens sollte darin bestehen, dass die Bekämpfung des Antisemitismus nachhaltig nur dann sein kann, wenn diese auf gesicherter Rechtsgrundlage erfolgt – auch, weil sie nur dann die Chance hat mehrheitsfähig zu werden.
Ich denke Hessen sollte diesem Konsens beitreten.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Suttor
[1] https://staatskanzlei.hessen.de/pressearchiv/pressemitteilung/hessischer-antisemitismusbeauftragter-uwe-becker-bezieht-stellung-zu-bds-bewegung Stellungnahme
[2] https://www.bverwg.de/130917U10C6.16.0
[3] z.B. https://www.bverwg.de/111110B7B54.10.0
[4] https://verfassungsblog.de/mandat-zu-meinungspflege/
[5] http://www.deutsch-israelische-gesellschaft-freiburg.de/archiv/
[6] https://www.migazin.de/2020/08/25/interview-felix-klein-es-form/
[7] https://www.vgh.bayern.de/media/bayvgh/presse/4_b_19-1358_bds.pdf
[8] https://verfassungsblog.de/mandat-zu-meinungspflege/
[9] https://www.bundestag.de/resource/blob/814894/cf6a69d010a1cc9b4a18e5f859a9bd42/WD-3-288-20-pdf-data.pdf