Pazifismus contra Militarismus

Bei der Frage Pazifismus oder Militarismus stehen manche Zeitgenossen,  Politiker und Intellektuellen wie die Kaninchen vor der Schlange. Nur die LINKE und die AfD wissen, wie sie sich verhalten sollen. Für die LINKE ist in diesem Fall die Schlange keine andere als Sahra Wagenknecht, die sie, die LINKE, schon mehrmals gebissen hatte, ihr aber den Todesbiss noch nicht gegeben hat. Sie hat Angst, dass sie selbst dabei politisch sterben könnte. Es wäre um beide nicht schade. Gemeinsam mit der AfD haben sie und viele in Deutschland, die Wagenknechts absurden und naiven Appel, unterzeichnet haben, vergessen, dass sie in einer Demokratie leben, in der auch solche dümmlichen Appelle möglich sind, weil die USA nicht pazifistisch waren und mit Waffengewalt und Millionen Opfer Hitler und sein Naziregime bekämpft und besiegt haben. Und heute wollen wir an die Ukraine Waffen liefern, damit sie sich gegen eine barbarische Aggression Russlands wehren können. Wir können genauso wenig abseitsstehen und tatenlos zusehen, wie im Zweiten Weltkrieg die Engländer und Amerikaner. Wir haben eine historische Stunde, in der wir nicht abseitsstehen können. Entweder stellen wir uns Putins Regime entgegen, oder wir werden zu Kollaborateuren. Die imperialistische Politik des Kremls muss thematisiert werden, denn sie zielt letztlich gegen den Westen, gegen uns.

Während die Fundamentalpazifisten tatsächlich pazifistisch sind verhält es sich bei den sogenannten „Kriegstreiber“ anders. Sie sind mitnichten alle militant, sie folgen nur der ethischen Forderung: „Wer Unrecht sieht und es schweigend duldet, hat es mitverschuldet.“ Und da ist noch der zweitausendjährige Satz aus dem Talmud: „Wenn jemand aufsteht dich zu töten, töte du ihn zuerst.“ Selbstverteidigung ist nicht nur Pflicht, sie wird sogar moralisch geboten. Waffen liefern an die Ukraine ist demnach erlaubt und sogar ethisch begründet, während zusehen und nicht helfen unmoralisch ist.

Insofern muss man dankbar und froh sein, dass unsere links-liberale Regierung ihre Antikriegshaltung so versteht, dass sie sich mit der Ukraine auch international solidarisch erklärt und auf diese Weise den Krieg in der Ukraine als einen „linken“ beziehungsweise „linksliberalen“ Krieg versteht, zumal auch die konservative Opposition genauso denkt. Nur die Rechtsaußen und Linksaußen Parteien, die LINKE und die AfD würden am liebsten sofort die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen und aus der sicheren Tribüne zusehen, wie die Ukraine zerstört und vernichtet wird.

„Wenn die Ukraine sich weiter verteidigt, dann wird sie selbst schuld sein an der totalen Zerstörung ihres Landes.“ So oder ähnlich drückte sich der ehemalige Bundeswehrgeneral und Berater von Angela Merkel Erich Vad, der die Meinung vertrat, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann, dass „die Sache ein paar Tage und nicht mehr“ dauern würde. Dieser abartige und perverse Satz erinnert an Franz Werfels Kurzgeschichte, die ich in der Schule lesen musste: „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuld“. In der Presse hieß es: „Merkels General kam, sah und irrte.“ Aber bis heute tritt er im Fernsehen auf und ist sich nicht bewusst, dass er sich mit alledem schuldig gemacht hat. Er war nicht allein. „So manche Angehörige der früheren politischen und militärischen Eliten in Deutschland haben russischen Interessen bewusst oder aus Naivität zugearbeitet und tun es immer noch“, sagt Marcus Keupp. Das wird für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag noch ein interessantes Thema, denn auch die propagandistische Unterstützung von Kriegsverbrechen ist strafbar. Das alles ist ärgerlich, weil sie die narrative des Kremls verbreiten.

Erich Vad ist dumm und zynisch, während seine Anhänger Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer dogmatisch und naiv sind. Wenn man solch einen Schwachsinn hört, kann man nur noch zornig und wahnsinnig werden. Da möchte man sie, wie einst Jud Oppenheimer, in einem Käfig auf dem Roten Platz wünschen, wo sie ihre pazifistischen Weisheiten Vladimir Putin zurufen, während die Menschen drumherum sie auslachen.

Meine Generation hatte Glück. Wir konnten aufwachsen in Frieden und vor allem in Freiheit. Wir haben sogar geglaubt, dass es so ewig weiter gehen könnte, dass durch Handel, Wandel und ewiger Frieden in der Welt stattfinden könnte. Dieser Traum ist nun zu Ende. Es ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Wir leben wieder im Krieg und haben eine vielleicht irrationale Angst vor der totalen Vernichtung der Welt. Wir dürfen uns nicht von der Drohung mit Atomwaffen erpressen lassen. Die Atomwaffen sind eine psychologische Waffe, die Putin gezielt einsetzt und die vor allem in Deutschland wirkt. Allein die Erwähnung erzeugt diesen typischen deutschen Angstdiskurs.

Vollkommen unerklärlich und unverständlich ist aber die Art und Weise wie manche Fundamentalpazifisten und „his masters voice“- Propagandisten, die Schuld einseitig im Westen sehen und Putins Krieg in und gegen die Ukraine als unvermeidliche Reaktion auf westliche Politik der USA und der NATO. Manche sogar als Schuld der Deutschen, weil sie deutsche Panzer an die Ukraine liefern. Bei vielen, wenn nicht gar bei allen Fundamentalpazifisten ist es fast schon mehr als eine Ideologie, nämlich eine Religion. Sie wissen nichts, aber sie glauben alles, was aus Putins Propagandamaschinerie kommt. So wie die Christen an die Jungfrau Maria glauben, so glauben sie an den notorischen Lügner Putin. Und so wie die jungfräuliche Schwangerschaft ein Märchen ist, so ist auch Putins Plan Russland wieder groß zu machen, ein Traum, aus dem für Russland schon ein Albtraum geworden ist.

Dass die AfD-Wähler diesen Traum teilen, ist logisch, denn ihr Hass auf die USA ist bekanntlich der Ersatz für den Hass auf die Juden, die es zumindest in Deutschland kaum noch gibt. Merkwürdigerweise werden sie ausgerechnet aus Israel, von Yair Netanjahu, dem ungeratenen und peinlichen Sohn Benjamin Netanjahus, unterstützt. Und wenn man die USA hasst, nicht zuletzt, auch weil es Nazi-Deutschland besiegt hat, empfindet man auch Empathie für Russland, obwohl Russland auch Nazi-Deutschland besiegt hat, wenn auch mit amerikanischer Unterstützung. Aber der Hass auf Amerika ist natürlich stärker, weil dort Millionen Juden leben, die angeblich die amerikanische Politik und vor allem das amerikanische Kapital lenken. Sowohl die LINKE wie auch die AfD und manche naive Intellektuelle in unserem Land sind wohl in den 60er Jahren stecken geblieben, als der Hass auf Amerika im Trend lag. Damals gingen wir alle auf Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg. Heute frage ich mich, wo die Demonstrationen gegen die Anwesenheit der Russen in Afghanistan geblieben sind und warum keiner gegen den brutalen Krieg der Russen in Syrien auf die Straßen geht.

Und ich frage mich auch warum ein linker Politiker und Fundamentalpazifist die Amerikaner hasst, weil ein amerikanischer Soldat seinen Vater erschossen hat. Schließlich war sein Vater Soldat und erschossen werden gehörte zum Berufsrisiko. Warum ist er den Amerikanern, die mit mehr als eine Million tote und verwundete Soldaten Europa und Deutschland vor dem Faschismus gerettet haben, nicht dankbar? Wo wären wir alle heute, wenn die Amerikaner sich auf Pazifismus bezogen hätten und nicht in den Krieg gegen Deutschland und gegen Japan eingetreten wären. Wo wäre Russland heute, wenn die Amerikaner keine Waffen, Lastwagen, Nahrungsmittel und Kleidung geliefert hätten. Die Nazis hätten die UdSSR erobert und noch mehr Juden ermordet.

Auf Putin und die Wendung Russlands in Richtung Faschismus waren wir nicht vorbereitet, obwohl manch kluger und vorausschauender Journalist und Politiker schon vor Jahren gewarnt hat. Wir waren aber alle naiv und glaubten an den falschen Slogan der SPD: Wandel durch Handel. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass wir sie zum zweiten Mal erleben müssen. Auch an Hitlers Absicht Krieg zu führen und Europa auf den Kopf zu stellen, hat seinerzeit niemand geglaubt und diejenigen, die davor gewarnt haben, hielt man für Kriegshetzer. Heute wissen wir, wie und wann es angefangen hat, lange vor 1939, und wie es geendet hat, nämlich mit der totalen Zerstörung Deutschlands, mit mehr als sechzig Millionen Tote und der Verwüstung halb Europas.

„Keiner hat die Absicht eine Mauer zu bauen“, sagte Ulbricht und baute eine Mauer. „Russland hat nicht die Absicht die Krim zu besetzen“, sagte 2008 Vladimir Putin und besetzte die Krim 2014. Und der frühere russische Schachweltmeister, Kasparow, sagte schon 2012: „Mit Putin kann man nicht verhandeln, man muss ihn militärisch besiegen.“ Keiner hat Putin geglaubt, auch noch als er Tschetschenien und Georgien angegriffen und zerstört hat. Danach ist Russland ein Polizeistaat geworden und inzwischen eine totale Diktatur. Und diese Diktatur will nicht nur die Ukraine schlucken, nicht nur die baltischen Staaten und Polen wieder besetzen, sondern auch Ostdeutschland zurückhaben.

Manche sagen, dass dieser Krieg schon 2014 begann, als Russland die Krim besetzt hat. Ich denke aber, dass dieser Krieg in dem Augenblick begann, als Putin die Macht übernommen bzw. auf einem silbernen Tablett von Jelzin überreicht bekommen hat. Wir haben es nur nicht gesehen, weil wir es nicht sehen wollten. Putins Strategie war von Anfang an die Lüge. Er sprach von Freundschaft und weil er es auf Deutsch gesagt hat, wollte man ihm glauben. Freundschaft zwischen Staaten gibt es aber nicht und erst recht nicht in der russischen Politik und Logik. Viele merken heute, dass wir zu naiv waren in Bezug auf Russland und besonders in Bezug auf Putin, auch wenn Putin nicht Russland ist. Aber Putin ist in Russland von heute alles. Er ist in der Lage 99 Prozent der Russen zu manipulieren. Zum Beispiel mit solch nächtlichen Besuche in Mariupol, wo er eine große Lüge und eine zynische Show im russischen Fernsehen präsentierte. Putin hat Dynamiken entwickelt, die er nicht mehr kontrollieren kann. Er will seiner Bevölkerung die Lüge verkaufen, dass Russland groß und mächtig ist. Dabei stimmt heute mehr denn je, was Barak Obama gesagt hat: „Russland ist eine Regionalmacht.“ Putin verkündet den Bau von 1600 Panzer noch bis Ende des Jahres, dabei gibt es in Russland nur eine Fabrik, die Panzer bauen kann und diese kann nicht mehr als 20 Panzer im Monat fertigen. Für 1600 Panzer würde Putin mehr als 6 Jahre benötigen. Propaganda, die aus Lügen besteht, von morgens bis abends und da die Bevölkerung keine anderen Quellen hat sich zu informieren, beschließen kluge Menschen es nicht einmal zu ignorieren und andere, und das ist die Mehrheit, glaubt es. Bei Hitler war es nicht anders und bei Stalin, Mao oder Saddam Hussein auch nicht.

Russland darf nicht siegen. Es muss diesen völkerrechtswidrigen Krieg verlieren. Der ETH-Militärökonom Marcus Keup aus Zürich glaubt er könne das Ende des Ukraine-Krieges berechnen: „Russland wird den Krieg im Oktober verloren haben“. Danach muss es für Russland eine Art „Entnazifizierung“ geben. Bei der Hinführung Russlands zu einer Demokratie muss man den Russen vor allem den Glauben austreiben, sie seien eine Großmacht, eine Weltmacht. Besonders muss man in Moskau verstehen, dass die amerikanische Industrie zehnfach stärker ist, als die russische und dass im zwanzigsten und erst recht im einundzwanzigsten Jahrhundert Industrie gewinnt und nicht Soldaten oder Panzer.

Und Putin muss so schnell wie möglich kapieren, dass nicht mehr er den Krieg führt, sondern der Krieg ihn. Und da inzwischen ein Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof gegen ihn ausgestellt worden ist, bleibt die Hoffnung, dass man ihn wie den früheren Präsidenten Slobodan Milosevic fassen wird, der auch nicht geglaubt hat, dass er einmal in einem Gefängnis in den Niederlanden enden würde. Insofern würde vollendet, was vor fast 80 Jahren in den Nürnberger Prozessen begann – übrigens mit russischer Beteiligung.

Abraham Melzer, 26.03.2023

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