Schuld, Sühne und Irrtum

Wenn man Israel als Speerspitze des Westens in der arabischen Welt versteht, als letzte Bastion des angloamerikanischen Empires nach dem Verlust von Malta und Zypern (die aber zur EU gehören), dann wird man Israel bedingungslos unterstützen müssen.

Aber eine „besondere Verantwortung der Deutschen“ für Israel sehe ich nicht. Die Deutschen haben 1952 bezahlt, und was damit die Israelis veranstalteten, konnte Deutschland nicht beeinflussen. Es waren in den 50ern die „displaced persons“ einzugliedern. Dass dann noch Misrachim ohne Ende hinzukamen, liegt in der Verantwortung der Araber. Der alte osmanische Sandschak ist für sich selbst – souverän und unter eigener Regie – zuständig.

Es ist auch nicht richtig, von Deutschland als einem „Land der Täter“ zu sprechen. „Täter“ ist ein strafrechtlicher Begriff und Synonym für Verbrecher. Wenn die Leute „die Deutschen“ pauschal für Verbrecher halten, mögen sie sich von ihnen fernhalten. Davon abgesehen hat sich die völkische Struktur Deutschlands völlig verändert. Sie ist anders als vor 1950. Allein die vielen Ost- und Südosteuropäer, die nach 1945 im Lande blieben, machen mit den Türken und zugereisten Afrikanern, Italienern und Iberern aus „den Deutschen“ ein elementar anderes Volk als es vor 1945 war.

Mein Großvater väterlicherseits galt als Mischling 2. Grades, und, obwohl der Ahnenpass meines Vaters in Ordnung war, wurde er nicht in die Reichsschriftleiterkammer aufgenommen, weil sein Urgroßvater „Volljude“ gewesen sei. Man kann sein Büchlein „Strafrechtspflege in rechtloser Zeit“ lesen. Das sollte man auch tun, bevor man pauschal von Tätern spricht. Mein Vater wollte Reiseberichte aus Albanien veröffentlichen, was in Deutschland die Zwangsmitgliedschaft bei der Reichsschriftleiterkammer voraussetzte. Heute gibt es solche Zwangsmitgliedschaften noch für Rechtsanwälte und Steuerberater, die das Vertrauen von Justiz und Finanzverwaltung haben müssen. Damals bannte man „jüdischen Geist“ selbst aus der Reiseliteratur. Dr. Goebbels wollte Vertrauen haben können, dass der Geist der Schriftsteller in seinen Reihen mitmarschiere, selbst bei Reisen in Albanien.

Unter diesen vertraulichen Bedingungen waren 10 Millionen Deutsche bei der NSDAP eingeschrieben; aber 8% der Deutschen sollen nach Hildegard Hamm -Brücher gegen das Regime eingestellt gewesen sein. „Land der Täter“ ist ein überholter Pauschalismus. Er passt schon geographisch nicht, denn in den verlorenen Ostgebieten wählte man am bräunsten. Menschlich passt er auch nicht mehr, und beleidigt letztlich auch die Juden hierzulande. Von diesen leben die meisten ohne Bindung an Opferinstitutionen. Wenn sie nicht selbst den „Tätern“ neu zugerechnet werden, was machen sie dann unter lauter „Verbrechern“? Sollen sie hier die Kapos machen und Aufsicht führen?

Das seit 1945 gezeugte Volk erweist sich nicht einmal als fähig, sich ordentlich zu bewaffnen, geschweige denn, dass es den Willen aufbrächte, den Russen den Rest Ostpreußens zu entreißen. Es läßt die Gelegenheit des Ukrainekrieges verstreichen. Die Enklave Kaliningrad sollte keine russische Insel in der Welt der NATO-Staaten bleiben.

Deswegen dürfte es auch eine hohle Phrase sein, wenn die deutsche Regierung von besonderer Verantwortung für Israel spricht. Sie erweckt den Eindruck, Deutschland käme Israel bewaffnet zu Hilfe, wenn die Iraner ihr neupersisches Reich errichteten. 1967, einem kritischen Jahr für Israels Existenz, hatten die Deutschen auch nur Gasmasken geschickt.

Inzwischen passen auch die geübten Rituale zum Holocaust nicht mehr, wenn die klassischen Holocaustpilger an den Gedenkstätten gegen die gedenkenden israelischen Minister demonstrieren. Sie tragen T-Shirts mit dem Spruch „wir wissen, was Faschismus ist“. Blödsinn. Sie wissen es nicht. Sie haben eine diffuse Vorstellung davon, und so subsumieren sie alles Rechte unter den Begriff „Faschismus“. Ist die jetzige Regierung Netanjahu faschistisch, währed die vorige mit Ajelet Schaked nicht faschistisch war? Auch andere israelische Regierungen können nicht viel anders agieren als die aktuelle, die wohl um einiges aggressiver reagiert und vielleicht „imperialistische“ Ziele im Auge hat. Ayelet Schani sprach sogar von Neonazi- Ministern. Ihre frei geäußerte Meinung gereicht ihr zur Ehre. Trotzdem gehört zur Demokratie, dass man den politischen Gegner auch mal wursteln lässt. Wenn die Justiz vom Gesetzgeber in ihre Schranken gewiesen werden soll, ist das noch lange keine Abschaffung der Gewaltenteilung. Was sagte Mussolinis jüdische Gefährtin Margherita Sarfatti nach Krieg und Holocaust?
„Ich habe mich geirrt, was soll‘ s?“
Die Deutschen hatten sich auch geirrt, was soll‘ s? Die Überlebenden des Holocaust haben nun ihren jüdischen Staat. Vielleicht ist dessen Weg auch ein Irrweg. Was soll‘ s?

Panta rhei, alles ist in Bewegung, nur das Judentum bewegt sich nicht. Ob Heinrich Graetz, Simon Dubnov, Alex Bein oder Leon Poliakov, alle beschreiben nur die Geschichte des Synagogenjudentums. Vielleicht nehmen sie den kulturellen Dunstkreis (Franz Josef Strauß) des „jüdischen Geistes“ nicht einmal wahr. Das wäre vergleichbar, wenn man die Geschichte Europas auf die des Papsttums reduziert. Der enge jüdische Kultverein von Spießern ließ selbst die Bücher des Maimonides verbrennen, sprach über Baruch Spinoza das Cherem, das die meisten heutigen Rabbiner noch rechtfertigen; der Spießer würdigt die Kabbala, weil er sie nicht zu verwerfen wagt, hält an vorzeitlichen Gebräuchen fest und beschimpft einen Max Czollek als „Segler unter falscher Flagge“, der sich ideell dem Judentum anschloss. Alles ist Antisemitismus, was dem Gefühl dieser Spießer unbehaglich erscheint. Am unbehaglichsten wäre wohl eher eine Liste großer und größter Geister, die dem spießigen Judentum trotz jüdischer Ahnengalerie den Rücken gekehrt haben:

Heinrich Heine, Ludwig Börne
Simon Freiherr von Eichthal und seine Familie und der überwiegende Teil des Adels „jehudäischen Ursprungs“, selbst derer von Oppenheim
Georg Jellinek als Jurist, Walter Rathenau als Politiker (Höre Israel!)
die Nachkommen von Moses Mendelsohn
Sigmund Freud, und die meisten Psychologen.
Maximilian Harden, Otto Weininger u.a. werden als Selbsthasser verunglimpft.

Was soll‘ s?
Es irrt der Mensch, solang er lebt. Warum soll es bei Juden anders sein? Sind doch auch nur alles Menschen, oder nicht?

von von Godin

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