Solidarität mit dem Kampf Palästinas für Freiheit und Selbstbestimmung

von Hans Christoph Stoodt

Liebe Kriegsgegner*innen, liebe Friedensfreund*innen, liebe Antifaschist*innen,

wir alle sehen und hören es täglich: die Situation im Israel-Palästina-Konflikt eskaliert.
Die Medien unseres Landes reagieren auf ihre Weise darauf. Wir stehen hier, um als erstes einmal festzustellen: beim Israel-Palästina-Konflikt handelt es sich um einen Konflikt zwischen einem Besatzerstaat und den von ihm Unterdrückten.

Dieser Konflikt ist Jahrzehnte alt. Eine Zeitlang schien es in der Vergangenheit manchen so, als habe eine umfassende und gerechte Friedenslösung im Nahostkonflikt eine Chance. Man muß schon bei Betrachtung des damaligen Prozesses ehrlicherweise sagen: er hat Palästina fast alles gekostet und fast nichts gebracht. Wir wissen daher nicht erst seit heute: diese Zeit ist vorbei. Alles, was einmal mit den Stichworten Oslo-Prozess, road-map und so weiter diskutiert worden war, ist heute mausetot. 

Die von der Völkergemeinschaft in riesiger Mehrheit geforderte Zweistaatenlösung ist damit in weite Ferne gerückt. Sie wurde verunmöglicht durch die Besatzungs- und Kriegspolitik ausnahmslos aller israelischen Regierungen in den letzten Jahrzehnten. Diese Regierungen sind zunehmend zum Gefangenen ihrer eigenen Strategie geworden. Gab es früher den Versuch, mit der Siedlerbewegung eine Art Hindernis für ein allzu rasches Voranschreiten auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung zu installieren, zu dulden, zu ermutigen, so ist es heute umgekehrt. Keine israelische Regierung könnte es heute wagen, sich mit den Siedlern anzulegen – bei Strafe eines innerisraelischen Bürgerkriegs. Wie aber sollte ein Staat Palästina mit 600.000 radikalisierten und fanatischen Siedler in seinen Grenzen existieren können? Das ist einfach unvorstellbar.
Hinzu kamen die immer wieder aufflammenden asymmetrischen Kriege zwischen Israel und dem Südlibanon, Gaza, den Bürgerkriegsunruhen nicht nur, aber vor allem der ersten und der zweiten Intifada in den Besetzten Gebieten. Sie sind die Folge nicht etwa der militärisch eher bedeutungslosen Aktionen palästinensischer Kommandos oder Einzelpersonen, sondern weit mehr Ausdruck der aussichtslosen Position, in die sich die israelische Außenpolitik Israels über Jahrzehnte manövriert hat.

Rückendeckung für Israel auf dem Weg hin zu dieser heutigen Lage gab und gibt es durch die stärksten Staaten des Imperialismus, darunter auch dem der Bundesrepublik Deutschland. Diese Rückendeckung hat viele Seiten: militärische, finanzielle, politische, ideologische.

Was bedeutet es für uns als AntifaschistInnen, daß der deutsche Staat sich als felsenfesten Verbündeten Israels definiert?

Aus aktuellem Anlass sei hier an folgendes erinnert: nach 1945 entstand im Westen des besiegten Nazireichs die BRD mit Persönlichkeiten an führenden Positionen, die in der Zeit des Nazifaschismus bereits hohe Positionen eingenommen hatten. Ich nenne nur Namen wie Globke, Oberländer, Schleyer, Kiesinger, Filbinger und so weiter. Es gab seit 1965 ein in der DDR veröffentlichtes „Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik[1] mit Hunderten von Namen führender Funktionsträger der damaligen BRD und ihren Nazivergangenheiten. Menschen in herausgehobenen Positionen aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und Militär der BRD waren darunter. Dieses Buch war in der BRD illegal. Es wurde während der Frankfurter Buchmesse 1967, wo seine zweite Auflage international präsentiert werden sollte, polizeilich beschlagnahmt. Es war hierzulande ein verbotenes Buch. Aus gutem Grund: es entlarvte die Gründungslegende der jungen BRD, die unter anderem um die Stichworte „Westbindung“ und „Wiedergutmachung“ kreisten. Der Vorgang seiner Unterdrückung zeigte, wie schon das KPD-Verbot 1956, daß die eigentliche Staatsräson Deutschlands der Antikommunismus war.

Die heute aktuelle, den Antikommunismus als Staaatsräson allerdings keineswegs ablösende Variante dieser Gründungslegende ist jener bekannte Satz, den Angela Merkel zwar nicht erfunden, wohl aber zu einem offiziösen politischen Statement von einer Art Verfassungsrang 2008 vor der Knesseth zum Ausdruck gebracht hat: „Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.[2]Damit wird die Sicherheit Israels also als Teil der Staatsräson jenes Staats angeeignet, in dem wenige Jahre nach 1945 Hans Maria Globke, der offizielle Mitverfasser und Kommentator der antisemitischen „Nürnberger Rassegesetze“ von 1935, nicht etwa im Knast, sondern als graue Eminenz und rechte Hand Konrad Adenauers im Bundeskanzleramt saß, für die Regierungspartei CDU, deren heutige Vorsitzende Angela Merkel ist. Des Staats, dessen anderer Staatsräson-Anteil bis heute der Antikommunismus ist.

Nahtlos dazu paßt, daß der von einer Mehrheit der wahlberechtigten israelischen Staatsbürger mehrfach ins Amt gewählte Benjamin Netanjahu vor wenigen Tagen vor dem 37. Zionistischen Weltkongress behauptete: nicht Hitler sei auf die Idee einer „Endlösung“ bezüglich der Juden gekommen. Das sei vielmehr im Jahre 1941 ein Palästinenser gewesen, der Mufti von Jerusalem, Hadj Amin El-Husseini. Der habe nicht gewollt, daß Hitler alle Juden in seinem Machtbereich „nur“ vertreibe, da er befürchtet habe, sie würden dann alle nach Palästina fliehen. Sondern er habe Hitler den Rat gegeben: „Burn them“. Schuld an der „final solution“ waren demzufolge nicht die deutschen Nazifaschisten, sondern die „barbarischen“ Muslime Palästinas.[3]

Abgesehen davon, daß dieser verbrecherische Irrsinn einen tiefen Einblick in die Geistesverfassung Netanjahus und seiner Zuhörer gewährt, abgesehen davon, daß Netanahu dies alles nicht allein erfunden hat, sondern Ansichten wiedergibt, wie man sie auch im Wissenschaftsdiskurs Israels immer wieder antrifft (s.u. Anm. 4): es ist offenkundig, daß Netanjahu damit das Andenken von sechs Millionen Opfern der Sho’ah, sechs Millionen Opfern des deutschen Nazifaschismus, bedenkenlos seinem Kalkül eines nahtlosen Schulterschlusses mit dem Imperialismus, ausdrücklich besonders auch des deutschen, opfert, um die sich gegenwärtig zuspitzende Krise zu bewältigen. Ein weiteres Kalkül dürfte auch das Schließen der rechten, neozionistischen[4] Wagenburg durch das Ausschließen des „äußeren Feindes“ Palästina sein, der gegen jede historische Wahrheit mit dem singulären Verbrechen der Sho’ah belastet und damit symbolisch gleichsam aus der Menschheit ausgestoßen werden soll. Und hier hat seine neueste Interpretation natürlich eine besonders hohe Anschlussrationalität mit der oben skizzierten Gründungslegende der BRD und ihrer aktuellen Staatsräson-Variante. Beide stimmen geschichtsrevisionistisch darin überein, heute den Mantel rücksichtsvollen Relativierens über die Täter der Sho’ah zu breiten, wobei es Netanjahu überlassen blieb, die schrille Behauptung aufzustellen: nicht das deutsche Monoplkapital, nicht der deutsche Faschismus, nicht Hitler, Himmler, Heydrich, Eichmann – der Mufti war‘s!
Eine sich nahtlos in dieses Szenario einfügende Fußnote zu dieser Vereinigung der Nachfahren von TäterInnen und Opfern zu Lasten der historischen Realität und zu Lasten Palästinas sind jene sogenannten “Antideutschen” und ihre aktuellen postantideutschen Ausläufer, die bis heute reflexartig „den Mufti“ als Beleg für das Verdikt des Tragens der Kuffiye bis hin zur völligen Entsolidarisierung mit den Kämpfen des palästinensischen Volks um Selbstbestimmung bemühen. Bezeichnend, daß der Antikommunismus, also der zweite Hauptanteil der “deutschen Staatsräson”, im “antideutschen” Bewußtsein ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt.

Als Antifaschist*innen sind wir verpflichtet, den Entlastungsbehauptungen der deutschen wie der israelischen Regierung und ihrer Nachbeter in diesem Zusammenhang entgegenzutreten. Das ist ein Grund, weshalb wir als AntifaschistInnen an dieser Kundgebung teilnehmen. Jeder Antifaschismus muß sich gegen den Mißbrauch wenden, mit dem sich Herrschende, ihre „antideutschen“ Anhängsel und andere immer wieder scheinbar “antifaschistischer” Argumente bedienen, um ihre Kriege, ihre Unterdrückungsapparate, ihre rassistischen Ausfälle, oder ihre öffentliche Parteinahme dafür zu rechtfertigen, egal ob sie Benjamin Netanjahu, Joschka Fischer, Rudolf Scharping, oder, wie jüngst an diesem Ort hier, Heidi Mund heißen, deren antiislamische, migrant*innen- und flüchtlingsfeindliche Haßpredigten dadurch gegen den berechtigten Vorwurf des Rassismus immunisiert werden sollten, daß sie neben der Deutschlandflagge stets eine Flagge Israels trug. Einer der Teilnehmer ihrer Kundgebungen war des öfteren der hessische NPD-Landesvorsitzende, ein anderer ein Israeli, Avituv Rotem, der in einem Redebeitrag, direkt neben dem NPD-Funktionär stehend, antifaschistische GegendemonstrantInnen beschimpfte, sich als stolzen Israeli bezeichnete und die Anwesenden dazu aufrief, ihrerseits stolze Deutsche zu sein. Beide, den knackerechten israelischen Redner wie den NPD-Neonazi, schien das für den Moment überhaupt nicht zu stören: gemeinsam gegen “den Islam”!

Die Logik der Besatzung ist: sie bindet Besatzer und Unterdrückte unauflöslich als Feinde aneinander. Bertolt Brecht hat das im Bild von der hölzernen Badebürste dargestellt: jemand, der versucht, in der Wanne sitzend eine hölzerne Badebürste unter Wasser zu halten, muß die Bewegungsfreiheit seiner Hand dafür geben, sie unter Wasser zu halten. Sobald er sie losläßt kommt das Holz von selber wieder an die Oberfläche.
Wer andere unterdrückt, kann selbst nicht frei sein. Obwohl also das Ende der Besatzung eigentlich im Interesse beider Seiten liegt, hat auch im Palästina-Israel-Konflikt die Seite der Unterdrückten das dringendere, heftigere, überlebensnotwendige Motiv zu ihrer Überwindung. Das sehen bekanntlich auch nicht wenige jüdische Israelis so – schlimmstenfalls werden sie dann ebenso unterdrückt. Denn die Unterdrückten sind nicht ethnisch oder gar religiös definierbar. Es geht nicht um “Juden” gegen “Muslime” (jW, 24.10.2015). Unvergessen bleibt für uns, die wir jetzt hier stehen, mit welchen Methoden jüdische Israelis noch im vergangenen Jahr in Israel attackiert wurden, weil sie sich öffentlich gegen den erneuten Gazakrieg aussprachen.

Wer das Ende der Feindschaft, der Kriege im Nahen Osten will, muß darum für das Ende der Besatzung kämpfen, offen dafür eintreten. Für uns hier in der BRD heißt das, den falschen propagandistischen Behauptungen entgegen zu treten, die von den Herrschenden, weiten Teilen der Medien über diesen Konflikt verbreitet werden. Das heißt ebenso, das sofortige Ende deutscher Waffenlieferungen an Israel und an die reaktionären arabischen Regime wie das von Katar sowie an die Türkei zu fordern.

Für die, die auch im Umfeld unserer heutigen Kundgebung als erstes von uns fordern, uns von Gewalt zu distanzieren – womit sie in aller Regel einseitig die Gegengewalt kämpfender PalästinenserInnen meinen – haben wir eine Botschaft: niemand hat das Recht, aus der Sicht der Besatzer und ihrer Freunde oder aus der bequemen Perspektive scheinbar Unbeteiligter den Unterdrückten vorzuschreiben, mit welchen Mitteln sie sich gegen Unterdrückung und Besatzung zur Wehr setzen. Wenn uns heute gesagt wird, wir sollten uns, wenn wir unsere Solidarität mit Palästina zum Ausdruck bringen, zuerst einmal von den aktuellen verzweifelten Gewaltaktionen palästinensischer Jugendlicher distanzieren, dann sagen wir: wenn Ihr einen Angriff mit einem Messer „Terror“ nennt, was ist dann das Bombardieren von Gaza, das Durchpflügen ganzer Stadtviertel mit Merkava-Panzern, ja sogar das Drohen mit dem Einsatz von Nuklarwaffen, wofür die Regierung der BRD dem Staat Israel gerade U-Boote als schwimmende Abschußrampen geschenkt hat?

Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, Staaten oder Religionen, sondern zwischen oben und unten. Wir stehen heute und hier genau richtig: für die Solidarität aller Unterdrückten untereinander, für internationale Solidarität, für die Solidarität mit Palästina!

Anmerkungen:

[1]
Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland / Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.), Braunbuch Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft; Berlin/DDR 1965; Internetveröffentlichung der dritten Auflage:https://web.archive.org/web/20101119233343/http://braunbuch.de/index.shtml.

[2] Vgl. dazu aktuell einen Artikel der regierungsfinazierten Bundeszentrale für Politische Bildung, Januar 2015

[3] Artikel der Jersualem Post mit Video der Passage in Netanyahus Rede:http://www.jpost.com/Israel-News/Politics-And-Diplomacy/Palestinian-mufti-convinced-Hitler-to-massacre-Europes-Jews-Netanyahu-says-427592.

[4] Vgl. zu den historischen Zusammenhängen aus heutiger Sicht sowie zusammenfasssend und differenzierend zur Unterscheidung von Zionismus, Postzionismus und Neozionismus Gilbert Achcar, Der nützliche Großmufti von Jerusalem, in Le Monde Diplomatique, 14.5.2010 (PDF: Gilbert Achcar, Der nützliche Großmufti von Jerusalem).

Rede anläßlich einer Palästina-Kundgebung am 24. Oktober 2015 vor der Hauptwache in Frankfurt. Zuerst erschienen hier.


Ein Gedanke zu „Solidarität mit dem Kampf Palästinas für Freiheit und Selbstbestimmung

  1. Für mich ist wichtig:
    1. Zwischen Juden und Arabern gibt es keinen Konflikt, wie Daniel Barenboim jüngst gezeigt hat, wohl aber zwischen rechten Zionisten und Palästinensern.
    2. Eine „Zwei-Staaten-Lösung“ ist heute nicht mehr möglich, wahrscheinlich war sie es nie.
    3. Ein säkularer Staat, vergleichbar der Schweiz, mit jüdischen und arabischen Bürgern ebenso wenig. Das war der Wunsch der linken Zionisten.
    4. Die rechten Zionisten sind nichts weiter als Faschisten, die sich als Juden bezeichnen, das aber nicht sind. Daher ihr gutes Verhältnis zu NPD und, in Oldenburg, zu den hiesigen Krypto-Nazis.
    5. Daraus folgt: Deutsche Demokraten können sehr wohl linke Zionisten wie auch demokratische Araber unterstützen, nicht aber Islamisten und rechte Zionisten. (Linke Zionisten gibt es nicht mehr)
    Damit höre ich auf.
    Aber wo bleibt der Friede in Palästina?
    Ich weiß es nicht.

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