„Warum sind sie da?“ Anmerkungen zur Tagung: „Das Gerücht über Juden“

Ich habe es mein Leben lang vermieden, auf sogenannte „Antisemitismus-Tagungen“ zu gehen. Ich war und bin der Meinung, dass Antisemitismus nicht mein Problem ist, dass ich deshalb auch kein Problem mit dem Antisemitismus habe, und deshalb diejenigen auf solche Tagungen gehen sollen, die damit ein Problem haben.

Wenn ich  mich trotzdem zu einer Tagung der Evangelischen Akademie in Berlin angemeldet habe, dann deshalb, weil ich seit Anfang des Jahres an einem Buch mit dem Titel: Antisemiten sind mir egal – Das Gerücht über die Juden arbeite  und die Tagung genauso hieß, nämlich: Das Gerücht über die Juden. Ich habe gehofft, etwas zu hören, zu erfahren und zu erleben, was ich noch in diesem Buch einfügen könnte. Es war selbstverständlich eine vergebliche Hoffnung.

Die herbeigerufenen Professoren haben das Thema wie eine Leiche auf dem Seziertisch behandelt, haben viel über Antisemitismus geredet und eigentlich nichts gesagt, so wenig, dass am Ende der Tagung ein Teilnehmer sich noch beschwerte,  weil er eigentlich wissen wollte, woher der Antisemitismus kommt. Da hat er, und wahrscheinlich auch viele andere, den ironischen und distanzierten Vortrag von Prof. Moshe Zimmermann, dem einzigen Juden unter den Wissenschaftlern, nicht verstanden, dass Antisemitismus in der Regel ein Produkt der Kultur sei, in der er entstanden ist und es deshalb keinen Antisemitismus in China gebe und die Japaner all das, was europäische Antisemiten über die Juden sagen, als Grund verstehen, die Juden zu bewundern. 

Die unzähligen Bücher über den Antisemitismus sind eigentlich überflüssig, denn Antisemitismus heißt, Juden zu hassen, nur weil sie Juden sind, nicht mehr und nicht weniger, und dass der Antisemitismus das Produkt eines Jahrhunderte währenden Judenhasses in der christlichen Gesellschaft Europas ist, darf auch niemanden wundern. Den kirchlich-christlichen Judenhass gibt es nicht mehr, außer bei einigen wenigen Christen, und den völkischen Judenhass gibt es ebenso wenig, aber geblieben sind zahlreiche Vorurteile, die in den Genen vieler Nichtjuden liegen und wie Schläfer, hin und wieder erwachen und sich zu Wort melden. Solange sie sich aber nur zu Wort melden ist die Welt noch absolut in Ordnung, zumindest unsere Welt, die ja Meinungsfreiheit propagiert und bereit ist, diese mit dem eigenen Leben zu verteidigen.

Zurück also zur Tagung in Schwanenwerder, die in einem prächtigen Haus stattgefunden hat, das angeblich einst Reichspropagandaminister Joseph Goebbels gehörte, der es wiederum einem jüdischen Industriellen geraubt hat. Es ist eine Ironie der Geschichte, wenn jetzt dort Tagungen über Antisemitismus stattfinden und Männer mit Kippa rumlaufen.

Die Aussicht auf den  Wannsee war das Schönste an der Tagung und eine Entschädigung für die dumpfe Atmosphäre im Plenum. Eröffnet wurde die Tagung aber  in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt, in der die Veranstalter kurze Begrüßungsworte von sich gaben. Dr. Christian Staffa von der Evangelischen Akademie, Prof. Dr. Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, die die Tagung finanziert hat.

Die Reden der ersten zwei Referenten sind es nicht wert, erwähnt zu werden. Sie waren trocken, langweilig und voller Gemeinplätze bestehend aus unzähligen Daten, die durch Forschungsaufträge herausgefunden worden sind, die im Großen und Ganzen vollkommen belanglos und unwichtig waren. Oder muss ich wissen, dass der Antisemitismus unter arabischen Immigranten genauso hoch ist wie unter  Deutschen. Ein solcher Vergleich verbietet sich von selbst, denn der Antisemitismus der Moslems kann nicht verglichen werden mit dem mörderischen Antisemitismus des christlichen Abendlandes. Es handelt sich da mehr um Kritik an Israel, die von deren Seite mehr als berechtigt ist, und nicht um Judenhass.  Es waren schließlich die Moslems im Balkan und in der Türkei, die die aus dem christlichen Spanien vertriebene Juden aufgenommen haben.

Aufgefallen ist mir nur Thomas Krüger, in seiner etwas gewöhnungsbedürftigen, eher an einen  Zirkusclown erinnernden Bekleidung, die man ganz und gar nicht bei einem Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung erwartet hätte. Aufgefallen auch noch deshalb, weil er eigentlich nicht viel zu sagen hatte, außer, dass seine Bundeszentrale die Tagung finanziert. Dennoch hat er es nicht versäumt in dem Wenigen, das er sagte, einen Lobgesang auf ein Buch einzufügen und es zu empfehlen, das ich erst kürzlich verrissen habe, und zwar das Buch von Esther Schapira und Georg Hafner. Dazu schrieb ich:

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Buch „Israel ist an allem schuld“ tatsächlich von zwei mitteleuropäischen, deutschen Publizisten geschrieben worden ist. Ich vermute vielmehr, es handelt sich um eine ähnliche geheime Operation des israelischen Hasbara-Ministeriums, wie 1969 das Erscheinen des Buches „Die Geschichte des PG 2633930 Kiesinger“ war.  Als Autorin outete sich damals Beate Klarsfeld, die sich einen Namen gemacht hat, als sie den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger im Bundestag geohrfeigt hatte. In Wirklichkeit ist das Buch aber in Ost-Berlin bei der Stasi geschrieben und mit Dokumenten aus dem Stasiarchiv angereichert worden. Selbst ich, als ich 1969 das Buch im Melzer Verlag veröffentlicht habe, konnte nicht wissen, woher das Manuskript stammt, zumal Beate Klarsfeld es mir persönlich übergeben hatte. Ich habe es erst 20 Jahre später, nach der Wende erfahren. Da ich aufgrund dieser Erfahrung weiß, dass so etwas möglich ist, kann ich mir auch vorstellen, dass das Buch von Esther Schapira und Georg M. Hafner in der deutschen Abteilung des riesigen Propaganda-Ministeriums in Jerusalem geschrieben wurde. Die beiden Autoren, die  schon öfters bewiesen haben, dass sie, wie es Rafael Seligmann kürzlich in der “Jüdischen Allgemeine” ausgedrückt hat, „ohne Wenn und Aber hinter Israel“ stehen, meinten wohl, sie seien das „dem Judenstaat schuldig.“ Dem folgte ein 20 seitiger Verriss.

Sabena Donath von der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland durfte auch ihren Senf zum Thema dazugeben und versäumte es  nicht, den Zuhörern das Märchen zu servieren, dass „Israels Politik jüdisch“ sei. Sie hat es allerdings versäumt zu erklären, was an dieser Politik jüdisch sei. Etwa die Besetzung fremden Landes, die Folter palästinensischer Gefangener in Gefängnissen des Shin-Beth (Sicherheitsdienst) oder die Ernennung eines wegen Korruption aus der Regierung entlassenen und zu fünf Jahren Haft verurteilten Ministers, erneut zum Minister?  Und wie geht diese „jüdische Politik“ mit den 25,1% Nichtjuden im Lande um?

Sabena Donath versäumte es auch nicht uns zu erzählen, dass sie in Frankfurt in einer „antisemitischen Realität“ lebt, die sie später „rassistische Realität“ bezeichnet hat. Ich frage mich natürlich, in welcher Realität sie wirklich lebt, möglicherweise in der Realität des „Ghettos“, in dem sie zwar nicht lebt, aber das sie in sich trägt. Auch ich lebe schon über 57 Jahren in diesem Land und wenn ich das Gefühl hätte, ich lebte in einer „antisemitischen Realität“ dann hätte ich schon längt diese Realität verlassen, zumal wenn man Jude ist und wenn Israel jeden Juden mit offenen Armen empfängt, damit man dann ruhigen Gewissens im Rahmen der „jüdischen Politik“ einen Palästinenser die Rückkehr in seine Heimat verweigern kann.

Damit war der erste Tag vorbei, der Freitag, und wir wechseln in den Samstag, den Tag, an dem Gott ruhte und wir den Sozialpsychologen ausgeliefert waren. Spezialisten wie Henryk M. Broder zitieren in ihrer Häme über solche Veranstaltungen oft Alexander Roda-Roda, der gesagt hat, dass aus dem Antisemitismus etwas werden könnte, wenn sich Juden seiner annähmen. So ist aber der Antisemitismus heute verkommen zur einer wissenschaftlichen Disziplin  und wurde zu einer Spielwiese für Professorinnen und Professoren, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die darüber Tag und Nach grübeln, woher er kommt und wohin er geht, ob die Juden selbst schuld sind am Holocaust oder vielleicht doch die Deutschen. Die Ergebnisse werden immer so interpretiert, wie man es gerade braucht bzw. wie der Besteller der Studie es will. Die Gedanken sind zwar frei, aber sie werden von Professoren dauernd hinterfragt, wenn nicht gar kontrolliert und deshalb möchte ich behaupten, dass aus solchen Veranstaltungen auch  etwas werden könnte, wenn sich die Opfer ihrer annähmen würden. Zurzeit ist alles reines akademisches Geschwafel, und jede Professorin oder Professor fühlt sich gut bei dem Gedanken, er sei kein Antisemit.

Prof. Dr. Beate Küpper, von der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, hat herausgefunden, dass muslemische Jugendliche nicht antisemitischer sind als alle anderen Jugendlichen. Warum auch? Es wurde an die Hysterie und das Trauma von Sommer 2014 erinnert und an die Märsche durch die Straßen aller großen deutschen Städte, als ob Deutschland da besonders antisemitisch sei. Mit keinem Wort wurde riesen Märsche in Frankreich und eine Demonstration von mehr als 150 000 Menschen in London erwähnt, wo mit Sicherheit dieselben Rufe erschallt und die gleichen Proteste abgehalten wurden, wie überall sonst auch. Und mit keinem Wort wurde der brutale Gaza-Krieg erwähnt, bei dem die moralischste Armee der Welt, die IDF, mehr als 1400 Palästinenser ermordet hatte, darunter mehr als 400 Kinder. Und keiner dieser ehrenwerten Professorinnen und Professoren kam auf die Idee, darin die Ursachen für die Demos zu suchen

Aber in Deutschland ist es immer anders, weil Deutschland noch sein Holocaust-Trauma aufarbeitet und nicht bewältigt hat. „Jude, Jude, feiges Schwein…“ darf man in Deutschland nicht rufen, weil es die sensiblen Philosemiten und Israelfreunde verletzt oder vielmehr, weil es sie an die eigene Vergangenheit erinnert. Man war sich einig, dass es hauptsächlich Demonstranten „mit Migrationshintergrund“ waren, die solche Rufe von sich gaben, aber keiner konnte erklären, dass für die Palästinenser „Jude“ nicht mehr und nicht weniger als „Israeli“ bedeutet. Auf Arabisch „Yahud“, und so nannten die Palästinenser die Juden, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach Palästina eingewandert sind und dabei blieb es auch, nachdem der Staat Israel gegründet wurde. Wenn ein Palästinenser „Yahud“ sagt, dann meint er etwas was anderes als der Deutsche, der „Jude“ sagt.

Man war aber besorgt darüber, dass deutsche Ohren es gehört haben und dadurch vielleicht „antisemitisch“ würden. Die Araber bringen den Antisemitismus zurück nach Deutschland, hieß es. Wenn eine solche These auch nur einen Funken von Glaubwürdigkeit besitzen würde, müssten diese Intellektuellen-Darsteller vehement gegen die Masseneinwanderung von syrischen Flüchtlingen mit Lichterketten auf die Straße gehen.

Auf einen solchen Unsinn können auch nur Intellektuelle kommen, die andererseits sehr wohl wissen, dass „die öffentliche Meinung Kritik an Israel nicht zulässt“.  Leider ist diese Erkenntnis aber falsch. Es ist nicht die „öffentliche Meinung“, die Kritik an Israel nicht zulässt, sondern die sogenannten „opinion leader“ in der Politik und eben solche Professoren, die sich in infantiler Weise mit Antisemitismus beschäftigen. So hofft man auf „moralische Reinheit“ auf Kosten von Juden und ihren Opfern. Man nimmt zur Kenntnis dass die Palästinenser heute die Opfer der Opfer sind, aber man wollte einen Satz von mir, wie „die Palästinenser sind die Opfer der Opfer der Täter und somit auch Opfer der Täter“ nicht zur Kenntnis nehmen. Man schüttelt den Kopf und versuchte, mich mit verachtenden Blicken zum Schweigen zu zwingen, weil ihnen kein Gegenargument einfiel. Man schweigt dazu, als wäre es höhere Mathematik und war sauer und frustriert, dass man ihnen ihr „Gutmensch sein“ so brutal verdirbt, denn es reicht, wenn sie ihre eigenen Opfern mit Samthandschuhen behandeln, sie wollen sich nicht auch noch um die Opfer der Opfer kümmern. Sie erkennen mittelbare Schuld an, nicht aber unmittelbare.

Am langweiligsten und unergiebigsten waren für mich die Ausführungen des  arroganten und blasierten Professors Andreas Zick, der vielleicht sehr viel von Fußball versteht und darüber auch geredet hat und wohl sauer war, dass er nicht das Spiel Deutschland gegen Polen sehen konnte und sich anstatt mit Antisemitismus herumschlagen musste und deshalb in der Pause alles stehen und liegen ließ und für ein Gespräch nicht zu haben war, weil er noch die letzten Minuten des Spiels live erleben wollte. Da stand es noch 2:1 für Deutschland. Er konnte wenigstens noch ein deutsches Tor in der 82. Minute erleben.  Bezeichnend für dies von der Sorge von Antisemitismus in Deutschland zerfressenen Professoren ist, welche Prioritäten sie setzen, wenn es darauf ankommt.

Am Ende haben einige Teilnehmer den Vortrag von Prof. Dr. Astrid Messerschmidt. Institut für allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik an der Technischen Universität Darmstadt, als besten Beitrag der Tagung bewertet. Eine mir vollkommen unverständliche und sachfremde Bewertung. Das Antisemitismus die Fortsetzung des Antijudaismus ist, ist wohl eine Binsenweisheit, für deren Interpretation ich nicht diese angeblich kluge Professorin brauche. Eigentlich sollte es jeder wissen, der sich schon „sein Leben lang mit Antisemitismus und Israel beschäftigt“. Dass Nationalismus den Antisemitismus gratis mitliefert, brauchte diese gescheite Intellektuelle, die damit T.W. Adorno zitiert hat, uns nicht sagen. Wer sich mit Israel beschäftigt, weiß dies.

Mosche Zimmermann, der diesen Vortrag kommentierte, verstand es mit Ironie und profundem Wissen, ein wenig frischen Wind in das verstaubte Plenum zu bringen. Seine Entschuldigung wegen seiner Ironie war vollkommen überflüssig, weil sowieso keiner seine Ironie verstanden hat. Und als er behauptet hat, dass Philosemitismus auch nur umgekehrter Antisemitismus sei, hat es keiner verstehen wollen und keiner bezog es auf sich selbst.

Mittagsessen

Nach dem Mittagsessen wurden wir, alle 162 Teilnehmer in drei Workshops aufgeteilt. Und so wurden Erwachsene, die zum Teil 70 und 80 Jahre als waren, aufgefordert, bei infantilen Spielen mitzumachen, die Sozialpädagogen sich ausgedacht haben. Dabei machte ich die Bekanntschaft mit Jena Hensel, die sich im Programmheft als Autorin und Journalistin vorstellte und sich nicht zu dumm war hinzuzufügen: „Ich war bei der Zeitung „der Freitag“, als Kollegin und Freundin von Jakob Augstein in der Chefredaktion. Sie erinnern sich noch an die „Augstein Affäre“, als das Simon Wiesenthal Zentrum ihn zu den „zehn gefährlichsten Antisemiten weltweit“ ausgewählt hat“. Sie sagt es und  ließ es so stehen.

Natürlich bin ich aufgesprungen und  habe gefragt, ob sie damit sagen will, dass Augstein ein gefährlicher Antisemit sei. Und natürlich bekam ich keine Antwort. Und als ich fragte, wie sie als bekennende Philosemitin mit einem „gefährlichen Antisemiten“ befreundet sein kann, hat sie mich nur bemitleidend angelächelt und schweig. Sie war eine gut aussehende fünfundvierzig Jahre alte unsympathische, arrogante und überhebliche Person, die ein sehr ausgeprägtes DDR-Trauma-Syndrom hatte. Als sie nämlich am nächsten Tag auf dem Podium saß, als es um Israel ging, wunderte ich mich gleich zu Anfang, als sie bekannte, dass sie vor drei Jahren zum ersten Mal in Israel war und das auch noch ausgerechnet mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Thomas Krüger, der zionistische Direktor dieser Zentrale, beeilte sich zu bemerken, dass dies nicht schlimm wäre. Dabei weiß sie gar nicht, wie schlimm es tatsächlich ist.

Krüger fragte, was ihr erster Eindruck von Israel gewesen sei. Sie schwieg, stotterte, dass sie gar nicht wisse, was sie sagen solle und als Krüger drängte, sagte sie: „Das Israel so wie die DDR war. Es hat mich an die DDR erinnert.“ Das Publikum unterdrückte ein Lachen und schwieg und ich habe die Antwort anfangs auch nicht verstanden. Erst später habe ich gemerkt, dass sie ein DDR-Trauma hat und die DDR überallhin  mitnimmt, wohin sie reist.

Ich habe in Israel der 1950er Jahre gelebt, da glich Israel tatsächlich noch einer DDR, mit den wie in der FDJ organisierten Jugendorganisationen. Auch ich lief damals mit einem blauen, sozialistischen Hemd mit roter Schleife herum und sammelte Geld mit Büchsen der KKL (Jüdischer National Fond) für den Aufbau des Sozialismus in Israel. Davon ist aber Israel heute so weit entfernt, wie der Nordpol vom Südpol. Das Israel von heute ist eine lupenreine Kolonie der USA. Blaue Hemden gibt es nicht mehr. Es gelten blaue Anzüge mit roten Krawatten. Wie eine deutsche Halbintellektuelle dazu kommt, Israel mit der DDR zu vergleichen, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Oder auch nicht.

Es wurde auf dieser Tagung auch behauptet, dass ein Merkmal des Antisemitismus darin liege, dass man „Verfolgte zu Tätern“ mache oder machen wolle. Dabei sagen doch prominente Zionisten selbst, dass Israelis Täter sind und fügen hinzu, dass Tätersein Spaß mache. Kritik am real existierenden Israel war deshalb verpönt und unerwünscht, man wollte sich bräunen im Licht der ewigen Sonne des Philosemitismus, um sich selbst zu bestätigen, wie gut man sei. Jede noch so geringe Kritik wurde zwar zugelassen, aber nicht erhört und erst recht nicht akzeptiert, sondern arrogant weggelächelt.

Die dunkle Wolke von Auschwitz schwebte immer über diese Tagung, so wie sie immer über Deutschland schwebt. Es ist mir klar geworden, dass man als Jude auf solchen Tagungen nichts verloren hat und dass die Frage von Jena Hensel an mich, was ich auf der Tagung suche und warum ich überhaupt gekommen sei, vollkommen berechtigt war, auch wenn sie es anders gemeint hat.  Wie solche Tagungen es an sich haben, so gab es auch bei dieser einige Alibi-Juden unter den Referenten und unter den Teilnehmern. Unser Alibi-Jude war ein zum Judentum konvertierter Ostdeutscher, der demonstrativ mit einer Kippa herumlief und mir nicht erklären konnte, warum er unbedingt Jude werden wollte.

Wie alle Konvertiten war auch er päpstlicher als der Papst und zionistischer als Benjamin Netanjahu und wusste natürlich alles, vor allem alles besser. Mir wollte er nicht nur beibringen, wie Israel „wirklich“ ist, er meinte auch mir meine Muttersprache beibringen zu müssen. Als ich vom israelischen Propaganda-Ministerium sprach, hat er bestritten, dass es ein solches Ministerium gäbe, weil ja das Wort „Hasbara“ – es heißt ja Hasbara-Ministerium – nicht Propaganda heißt, sondern Erklärung und weil das Ministerium in der DDR „Propaganda-Ministerium“ war und sich auch so nannte. Das erinnerte mich an den israelischen Autor Noam Hayut, der in seinem (leider nur auf Hebräisch) erschienen Buch „Die Diebin meiner Shoah“ von einer Begegnung mit dem israelischen Konsul in Miami berichtet und wie dieser den jüdischen Tanten, Onkel und Greisen erklärt hat, was „Hasbara“ bedeutet: „Der Konsul, oder vielleicht der Stellvertreter des Botschafters oder irgend eine andere hohe Persönlichkeit, hielt eine begeisterte Rede. Er sprach vom Wesen der Hasbara und der Diplomatie, über die israelische Hasbara und besonders über ihre strategische Bedeutung in den USA. Eine der Schwierigkeiten in seiner Rede stellte das Problem dar, das Wort „Hasbara“ zu übersetzen. Er sagte ´Ihr müsst verstehen, das ist nicht nur Diplomatie oder Beschreibung der  Wirklichkeit, es ist viel mehr. Die beste Übersetzung, und ich pflege sie immer zu benutzen, um die israelische Hasbara in der Welt zu erklären, ist: Truth Telling – Wahrheit sagen“. Also nicht Propaganda-Ministerium, sondern Wahrheits-Ministerium. Dabei kann man nicht einmal mehr lachen.

Auch was seine Konvertierung zum Judentum betrifft, war er sich nicht im Klaren, was sie war und was sie bedeutete. Für einen nach den religiösen Gesetzen gültige Konvertierung  gibt es drei notwendige und gemeinsam hinreichende Bedingungen, wobei die erste lautet: Ol mitzwot (‚Joch der Gebote‘): Die bewusste selbstständig getroffene Entscheidung, von nun an als Jude unter den Geboten und Verboten, die das Judentum von jeden einzelnen Juden fordert,  zu stehen und Verantwortung dafür zu tragen. Als aber dieser Alibi-Jude beim Mittagsessen an meinem Tisch saß und alles aß, was auch ich aß, wusste ich, wie ernst diese Konvertierung zu nehmen ist, denn so gut das Essen auch war, koscher war es sicher nicht.

Ein anderer Teilnehmer, ein pensionierter Richter und Spezialist für Verfassungsrecht, wollte mir weißmachen, dass Israel eine Demokratie und ein Rechtsstaat sei. Sehr viel wusste er von Israel nicht, er war dort nur einmal mit einer Gruppe und hatte einen deutsch sprechenden Reiseführer. Es nützte nichts, ihm zu erklären, dass jeder Reiseführer seine Instruktionen vom Hasbara-Ministerium bekommt und nur das den Reisenden sagen darf, was das Ministerium ihm vorschreibt. Es nützte nichts, ihm zu sagen, dass in israelischen Gefängnissen heute noch gefoltert wird und dass die arabische Bevölkerung auf Schritt und Tritt benachteiligt wird. Er wusste alles besser. So verhalten sich die deutschen Besserwessis nicht nur gegenüber ihren ostdeutschen Brüdern und Schwestern sondern auch gegenüber Juden, die in Israel aufgewachsen und in der Armee gedient haben. Es hätte noch gefehlt, dass er mein Hebräisch korrigiert hätte, aber da konnte ich ganz beruhigt sein, da er davon ebenfalls keine Ahnung hatte.

All dies tat der Veranstaltung nicht weh. Sie hatte ihren Alibi-Juden, der jedem Einzelnen Absolution erteilen konnte, dass er kein Antisemit sei. Einen Juden wie mich, der die Suppe versalzen  hat, wollte man dort nicht haben, da man wusste, dass sie von mir keine Absolution bekommen werden und dass ich die Frage, warum ich auf der Tagung bin, jedem Einzelnen stellen konnte und unausgesprochen gestellt habe: Warum sind sie da?

9 Gedanken zu „„Warum sind sie da?“ Anmerkungen zur Tagung: „Das Gerücht über Juden“

  1. Lieber Herr Melzer,

    vielen Dank für den Bericht. Er bestätigt meine Meinung, dass man als halbwegs anständiger Mensch solche Veranstaltungen für die Kulisse meiden muss. Die Referenten bekommen Gelegenheit, ihre gute Gesinnung darzustellen – denn ein falsches Wort und das Damoklesschwert löst sich. Und die meisten Anwesenden wollen auch nur ein sichtbares Zeugnis ablegen, dass sie ganz bestimmt nichts gegen Juden haben, gerade das jüdische Leben gaanz toll finden.

    Es besteht schlicht keine Möglichkeit eines emanzipiert-kritischen und angstfreien Diskurses zwischen Juden und Deutschen über Antisemitismus.

    Eine ernsthafte Diskussion über den heutigen „Antisemitismus“ und seine identitätsstiftende Funktion innerhalb des Judentums, die mir sehr viel bedeutsamer erscheint, müsste auch darüber sprechen, welche Auswirkungen auf das Gemüt eines Juden die alttestamentarische Figur des Amalek hat, der Archetypus des Antisemiten, der „in jeder Generation sich erhebt um uns zu vernichten“, wie es am Sederabend heißt.

    Ihre Vermutung einer „genetischen“ Verankerung des „Judenhasses“ fände Zustimmung bei Menschen, die in dem alttestamentarischen Moses eine reale Person sehen. Der Hass zwischen weltlichen und religiösen Glaubensgemeinschaften ist nicht genetisch fixiert, er ist immer organisiert worden.

  2. Sehr geehrter, lieber Herr Melzer!

    In einer englischsprachigen Internetveröffentlichung fand ich einen Artikel mit dem Titel: „Wie man Antisemit wird.“ Sie war von einem biederen Juden, seit 40 Jahren Bürger Israels, geschrieben, der plötzlich erfuhr, daß er Antisemit sei. Er vertritt zu einer Frage eine andere Meinung als Herr Netanyahu. Ich vertrete dieselbe Meinung zu diesem Problem wie er. Also bin ich auch Antisemit. Da diese Meinung darauf beruht, rechtlich zu denken und rechtlich zu handeln, sehe ich die Titulierung als Antisemit als Nobilitierung an.

    Und nun zu der Meinung des pensionierten Richters, ich bin ja selbst einer. Der Richter soll die Wahrheit suchen und dann entscheiden. Die Wahrheit kann er nach Netanyahus Meinung im Hasbara-Miniserium finden. Ich habe herzlich gelacht, anders als Sie, als ich las, Hasbara heiße Wahrheit, und das Ministerium heiße demnach Wahrheits-Ministerium. Hieß nicht in Orwells Roman 1984 das entsprechende Ministerium auch Wahrheitsministeriume?

    Auf jeden Fall: Ihr Artikel ist erfreulich, nicht für die Redner, aber für die, die Ihren Gedanken folgen mögen. Es sollten noch vielele Menschen so denken wie Sie, und auch öffentlich dazu stehen!!!

    Freundliche Grüße,
    Ihr
    Ulrich Heise

  3. Lieber Abi,
    wenn das Thema und seine Folgen hier bei uns in Deutschland nicht so ernst wäre, hätte ich laut gelacht über deine treffenden und anschaulichen Schilderungen. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie du als „Schaf“ unter den „Wölfen“ gesessen hast… und dass sie dich am liebsten vor die Türe gesetzt hätten, den Störenfried für ihre größte Waffe, die sie weltweit einsetzen können, „den Antisemitismus-Vorwurf!“ –

    Wenn man das liest, so sind manche Redner/Teilnehmer reif für den Psychiater, da sie unter „Verfolgung“ leiden. Kritik an Israel ist KEINESWEGS Antisemitismus, denn Freunde sagen sich die Wahrheit ohne Beschönigung!

    Wenn man Kritiker Israels, Friedens- und Menschenrechtsaktivisten, die sich für einen GERECHTEN Frieden beider Völker einsetzen, in einem oder zwei Staaten, als Antisemiten beschimpft, wie will man da richtigen Antisemitismus erkennen, davor warnen, niemand hört mehr darauf. (wie bei dem Dorf, wo es immer hieß, der Wolf käme – und – als er dann wirklich kam, glaubte es keiner mehr…)

    Weiter so, Abi!
    LG Inga

  4. Melzer, der Vadder Abraham aller durchgeknallten Judenhasser im deutschsprachigen Raum™, dreht mal wieder komplett am Rad und ein pensionierter Richter freut sich diebisch, dass er endlich frank und frei bekennen kann: „ich bin ein Antisemit“. Was für eine erbärmliche Freakshow!

    • Sehr geehrter Herr Bundy

      „Antisemit“ ist ein rassistisches „Feindbild“ nichts mehr und nichts weniger, so wie es der „Jude“ zur Zeit Hitlers war. Den „Ketzer“ kennen wir aus Zeiten der Inquisition, den „Heiden“ den „Ungläubigen“, den „Papisten“ aus Zeiten der Religionskriege. Den „Demagogen“ ließ Metternich verfolgen, die Kommunisten Stalins hatten in den „Faschisten“ ihr Feindbild und die ersten Marxisten in dem „Bourgeois“. Helldeutschland hat in den „Rechten“ endlich sein Feindbild des 21. Jahrhundert gefunden. Es scheint, Feindbilder sind da erforderlich, wo der Verstand behindert werden soll.

      Die Funktion des Feindbildes hat einer seiner Großmeister eindrucksvoll beschrieben: „Die Psyche der breiten Masse erfordert, um überhaupt Erfolge erringen zu können, schon aus rein seelischen Erwägungen heraus, der Masse niemals zwei oder mehr Gegner zu zeigen, da dies sonst zu einer vollständigen Zersplitterung der Kampfkraft führt, deshalb ist die Stoßrichtung auf einen Gegner allein einzustellen. .. Der Kampf benötigt innere und höhere Weihe um moralisch zu erscheinen, es bedarf der Überzeugung, dass es sich um eine Lebensfrage der gesamten Menschheit handele, von deren Lösung das Wohlergehen aller Menschen abhänge.“ (Adolf Hitler, Mein Kampf, 1924)

      Überall wo Feindbilder eingesetzt werden ist also allergrößte Vorsicht geboten.

  5. Eine brillante Analyse und Reportage zum den Themen „zionistische Instrumentalisierung des Antisemitismus-Begriffs“ und „Geschäftsidee zionistische Antisemitismusforschung“.

    Jeder weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, dass der Antisemitismus-Begriff seit 1933 einen Paradigmenwechsel erfahren hat, insofern er von der Bezeichnung einer persönlichen Gesinnung und Haltung – „ich hasse jeden Juden, weil er Jude ist“ – zu einer Staatsdoktrin gemacht worden ist, die diese beiden Eskalationsstufen aufgewiesen hat:

    a) die Politik „Lösung der Judenfrage“ mit dem Resultat der erzwungenen Auswanderung / Vertreibung von 550.000 Juden des „Großdeutschen Reiches“ und

    b) die Politik „Endlösung der Judenfrage“ zum Zwecke der Sozialisierung einer möglichst großen Anzahl von Halbstarken und Familienvätern zu „Herrenmenschen“, also zu Männern, die befähigt gewesen wären, das nationalsozialistische Kolonisierungsprojekt „Lebensraum im Osten“ auch gegen den zu erwartenden Widerstand der überlebenden Einheimischen mehrere Generationen lang durchzusetzen.

    Dieser Paradigmenwechsel ist zumindest jedem professionellen Zionisten bekannt, weiß er also, dass es – von einer Ausnahme abgesehen – im Prozess von „nation building“ weltweit niemals mehr zu einem Staatsgebilde kommen wird, das es auch nur wagen würde, wie einstens die Nazis den RASSISMUS ALS STAATSDOKTRIN zu etablieren und mit der Politik der militärisch realisierten ethnischen Säuberung die Doktrin vom angestammten „Lebensraum“ des eigenen „Volkes“ durchzusetzen.

    Da der professionelle Zionist dieses Land sehr gut kennt, da er es liebt und an seiner Expansion interessiert ist, unternimmt er alles, von dem damit verbundenen Unrecht durch die Skandalisierung von „Verbal-Antisemitismus“ (Frau Prof. Dr. Schwarz-Friesel) abzulenken, der nach Art. 5 GG erlaubt ist; noch.

    Und da der professionelle Hasbara-IM es im Laufe der vergangenen 40 Jahre geschafft hat, die deutsche „Funktionselite“ für sein Projekt „Bekämpfung“ des psychologistischen Antisemitismusbegriffs – konkret: einer persönlichen Meinung, einer wissenschaftlichen These, einer wütenden Entäußerung eines vom Säuberungsterror Betroffenen – zu ködern („Only Antisemitism sells“), so ist auch von der BpB, also der deutschen Dependance des Hasbara-Ministeriums, die Finanzierung von „Forschungsaufträgen“ und „Symposien“, wie sie Abi Melzer trefflich beschrieben hat, weiterhin sichergestellt.

  6. Lieber Herr Melzer,

    was ich in solchen Diskussionen und Debatten immer vermisse, ist die Tatsache, dass die PalaestinenserInnen die letzten Semiten sind und all die vielen, die sich Israelis, Juden oder sonst etwas nennen, mit den Semiten nichts zu tun haben. Auch wenn sie hebraeisch sprechen, die zusammen mit dem arabischen eine semitische Sprache war und ist.

    Insofern ist doch jegliche Diskussion um „Anti-Semitismus“, uebersetzt anti-palaestinensich, doch ohne jede substanzielle Grundlage, wenn der Begriff selbst nicht aufgelöst, also seinem Wesen entsprechend behandelt wird.

    mit lieben gruessen, willi
    Recife, Brasil

  7. Liebe Freunde,
    Herr Melzer hat mir diese mail geschickt.
    „Hallo Herr Übelherr,
    Antisemitismus hat nichts mit Semiten zu tun. Antisemitismus ist nur
    Antijudaismus. Nichts mehr und nichts weniger.
    A.M.“

    Lieber herr Melzer,
    ich weiss das. Aber ich frage, warum sie und Ludwig Watzal diesen Begriff, obwohl sie doch beide pro-palaestinensisch argieren. Also fuer das Selbstbestimmungsrecht der palaestinensichen Bevoelkerung.

    Wenn die profi-Zionisten sich heute selbst von diesem Begriff und deren Anwendung abwenden, dann deswegen, weil der Begriff „Anti-Semitismus“ selbst eine Luege ist. Und sie machen munter weiter. Warum?

    Im Kindergarten, wenn wir die deutsche Oeffentlichkeit heute bezeichnen koennen, oder meinetwegen Hollywoodshow, das kann ich es gelassen tolerieren. Aber doch nicht in einem Umfeld ernsthafter und nachdenkender Menschen.

    mit lieben gruessen, willi
    Recife, Brasil

Schreibe einen Kommentar zu willi uebelherr Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert