Sehr geehrter Herr Bürgermeister Napp,
die Mitglieder der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost haben mit Erstaunen die Ereignisse in Neuss zur Kenntnis genommen. Besonders überrascht sind wir, da die Stadt Neuss bereits im Herbst 2013 das Thema „Nahost“ aufgegriffen hat und, wie im Flyer der Volkshochschule zu lesen ist, bereits auf großem Zuspruch stieß. Umso mehr verstehen wir nicht Ihre Entscheidung. Besonders beschämend fanden wir die Einmischung der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf und deren Druck, die Veranstaltungsreihe abzubrechen.
Die Mitglieder der Jüdischen Stimme sind deutsche Juden und Israelis, die in Deutschland wohnen. Wir sehen in der Absetzung der Vortragsreihe aber vor allem einen Verstoß gegen den Geist des Grundgesetzes, in dem ausdrücklich Gleichheit und Freiheit für alle garantiert wird und auch ganz besonders auf die Meinungsfreiheit verwiesen wird.
Wir sind sicher, dass Sie, Herr Bürgermeister, niemals gewagt hätten eine Vortragsreihe über den Holocaust oder über Israel und den Zionismus abzusagen, obwohl solche Vorträge auch einseitig wären. Die Einseitigkeit liegt in der Natur der Sache. Wenn man aber einseitig über die Nakba oder über den Zionismus berichtet, dann heißt das noch lange nicht, dass man Antisemit oder einseitig pro Palästina ist. Ausschlaggebend ist unter anderem die Qualität der Vorträge und der Referenten.
Da haben Sie aber mit Referenten wie Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes, oder Prof. Dr. Rolf Verleger, ehemaliges Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Vorstands der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden, oder Till Gröner, Geschäftsführer der Grünhelme e.V., die von Rupert Neudeck gegründete Organisation, die überall im Nahen Osten und in Afrika Projekte betreut – um nur drei zu nennen – qualifizierte Fachleute, die zwar ihre „einseitige“ Meinung haben, diese aber fundiert, ehrlich und sachlich vortragen können.
Seit Jahren, nicht nur erst seit dem Attentat in Paris, hören wir, dass Kritik an der Politik des Staates Israel – und nur darum geht es – erlaubt sei. Wenn man sie aber vortragen will, dann stellen sich Jüdische Gemeinden und antideutsche Zeitgenossen quer und wollen es verbieten. Meinungsfreiheit ist aber in einer Demokratie so wichtig wie die Luft zum Atmen. Wer Meinungsfreiheit unterdrückt, obwohl er bei seinem Amtseid geschworen hat, diese zu schützen, sollte ernsthaft überlegen, ob er richtig handelt.
Bitte bedenken Sie, dass es sich hier um bekannte, renommierte und in der Sache erfahrene Referenten handelt. Und Sie sollten auch wissen, dass vor allem israelische Historiker und viele jüdische Intellektuelle den Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser immer kritischer bewerten, wie man z. B. einem Aufsatz von David Grossmann aus der Süddeutschen Zeitung vom 30.Januar 2015 entnehmen konnte. Er beklagte sich, dass Frieden heute in Israel vielen Menschen als kindliche, naive Idee gilt.
Auch die peinliche Angewohnheit bei Israel kritischen Ausstellungen nach der Meinung der Jüdischen Gemeinden zu fragen, muss endlich ein Ende finden. Überhaupt ist die permanente Vermischung oder Gleichsetzung von jüdischen Interessen und den Interessen der israelischen Politik, unsäglich und gefährlich, denn mehr als alles andere fördert das Antisemitismus in unserem Land und anderswo auch. Die Jüdischen Gemeinden haben ganz andere Aufgaben, als sich um den Konflikt zwischen Israel und Palästina zu kümmern. Die verantwortlichen Damen und Herren dort sind dazu auch nicht ausgebildet und die Tatsache allein, dass sie Juden sind, prädestiniert sie nicht dafür.
Wir wissen, dass Sie als Deutscher anders darüber denken als wir als Juden und Deutsche. Seien Sie aber versichert, dass wir voll und ganz hinter Ihnen stehen würden, wenn Sie den Mut und die Zivilcourage aufbringen könnten, Ihre Entscheidung nochmals zu überdenken und gegebenenfalls zurückzunehmen.
Abraham Melzer im Namen der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e. V.“