Sehr geehrte Mitglieder des Kollegiums des DEKT,
mit großer Verärgerung, Frust und Enttäuschung habe ich von der Entscheidung des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT) gelesen, dass die Ausstellung „DIE NAKBA – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ auf dem Markt der Möglichkeiten (MdM) des DEKT nicht gezeigt werden darf, obwohl diese Ausstellung unter anderem auch vom Evangelischen Entwicklungsdienst in Baden-Württemberg mitfinanziert wurde. Besonders irritiert und verärgert bin ich darüber, dass für diese skandalöse und traurige Entscheidung bislang keine Begründung mitgeteilt wurde, sondern lediglich darauf verwiesen wurde, dass das Präsidium diese Entscheidung getroffen habe. Frau Dr. Stefanie Rentsch vom Deutschen Evangelischen Kirchentag schreibt sogar, dass eine Begründung für die Ablehnung oder Zulassung auf keinen Fall erfolgt, zumal ein Recht auf Zulassung gar nicht besteht. Das sind für mich sehr merkwürdige und nicht akzeptable Auslegungen von demokratischen Rechten und Pflichten. Der DEKT ist keine Privatsache der Evangelischen Kirche. Es wird von öffentlichen Geldern mitfinanziert und geht uns alle an. Auch mich als jüdischer Deutscher, besonders wenn es um Palästina und Israel geht. Frau Dr. Rentsch schreibt in ihrem Brief an Andreas Zumach, dass der Kirchentag „ein Mitmachfestival sei, bei dem jede und jeder eingeladen ist.“ Offensichtlich aber nicht jeder, denn Palästinenser und eine Ausstellung über ihr Schicksal sind, wie wir sehen, nicht gern gesehen.
Frau Rentsch verweist auf ein Expertengremium, dass für diese Entscheidung verantwortlich war. Sie ist aber nicht in der Lage Auskunft über die Zusammensetzung dieses Gremiums zu geben und natürlich auch nicht über die Gründe, die zu dieser unsäglichen Entscheidung geführt haben. Statt die Entscheidung zu begründen und zu erklären, flüchtet sie vielmehr in das Formale, worauf ihr Brief klar und deutlich auf eine Unterstützung von Zensur hinausläuft.
Der Kirchentag ist ein Mitmachfestival, bei dem jede und jeder eingeladen ist, sich mit eigenen Ideen und Projekten zu bewerben. Ist es nicht merkwürdig und absurd, wenn Frau Rentsch schreibt, dass die Organisation „Flüchtlingskinder im Libanon e.V.“ zwar zugelassen wurde, jedoch mit der Einschränkung hinsichtlich der Nakba-Ausstellung. Dabei ist doch diese Ausstellung genau das, was diese Organisation vorzuzeigen hat und was sie auch jahrelang erfolgreich seit 2008 in über 80 Städten in Deutschland und in anderen Ländern zeigt, auf dem Ökumenischen Kirchentag in München und ab 2013 auf allen folgenden Deutschen Evangelischen Kirchentagen. Ein diffamierender Versuch der DIG Stuttgart (Deutsch-Israelische Gesellschaft), die Nakba-Ausstellung 2013 auf dem Kirchentag in Hamburg zu verhindern, wurde von der damaligen Generalsekretärin Frau Dr. Ellen Überschär zurückgewiesen. An Frau Rumpf, der Organisatorin der Ausstellung, schrieb Dr. Überschär: „Der Markt der Möglichkeiten ist ein offenes, zivilgesellschaftliches Forum. Wir haben gegenüber der DIG deutlich gemacht, dass Ihr Stand im Kontext verschiedener anderer Stände anzusehen ist, die eine kontroverse Debatte ermöglichen. Das ist das Ziel des marktes – Dialoge zu ermöglichen.“
Vertritt die DEKT diesen Standpunkt nicht mehr? Ich habe diese Nakba-Ausstellung seit vielen Jahren begleitet und immer wieder festgestellt, dass sie die Möglichkeit für eine offene, wenn auch manchmal sehr leidenschaftliche, Diskussion mit den Besucherinnen und Besucher geboten hat und zu keinem Zeitpunkt Anlass für Beanstandungen gegeben hat, es sei denn die Kritik seitens der unbelehrbaren und nationalistisch wie ideologisch festgefahrenen DIG, und, nicht zu vergessen, seitens jüdischer Gemeindevorsteher wie Charlotte Knobloch in München, die ebenfalls erfolglos versucht haben die Ausstellung zu verhindern und zu delegitimieren. Es ist erfreulicherweise bis heute nicht gelungen.
Das Verbot der NAKBA-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag ist ein unakzeptabler Akt der Zensur und des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Der DEKT verhindert damit den demokratischen Diskurs. Der bisherige Umgang des DEKT mit Fragen nach einer Begründung des Verbots ist willkürlich und selbstherrlich. Und das DEKT-interne Verfahren, das zu dem Verbot geführt hat, ist offensichtlich nicht einmal für Mitglieder des „gesamtverantwortlichen“ Präsidiums transparent. Der DEKT ist zwar ein Verein. Aber die Großveranstaltung in Nürnberg ist keine Privatveranstaltung. Sie wird außer durch Ticketverkäufe, Spenden und Sponsoring ganz wesentlich mit öffentlichen Geldern (Kirchensteuern und anderen Zuschüssen) finanziert. Daher ist der DEKT auskunftspflichtig uns allen mitzuteilen, warum diese Ausstellung, die bei der UNO in Genf und im EU-Parlament in Straßburg gezeigt wurde, ausgerechnet auf dem Kirchentag in Nürnberg nicht gezeigt werden darf. Auf diese Frage haben wir bisher, trotz mehrerer Nachfragen, keine Antwort bekommen. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft wie die unsrige nicht akzeptabel. Die Evangelische Kirche hat schon einmal versagt und geschwiegen, als Millionen Juden ermordet wurden. Jetzt schweigt die Kirche angesichts des Unrechts gegenüber den Palästinensern.
Die Veranstalter haben sich zwar entschieden Frau Inge Rumpf eine Zulassung zum Markt der Möglichkeiten zu gewähren, aber mit der Auflage, die Nakba-Ausstellung nicht zu zeigen, also mit der Auflage über geschichtlichen Tatsachen zu schweigen. Daran wollen die Veranstalter festhalten und besitzen auch noch die Chuzpeh Frau Rumpf und alle, die seit Jahren diese Ausstellung unterstützen, um „Kooperationsbereitschaft“ zu bitten. Das ist nicht nur irritierend, das ist dumm und dämlich und zeigt von einem Mangel an Empathie und Verständnis. Eine sachliche Begründung hätte gereicht. Wobei ich mir andererseits keine Begründung vorstellen kann, die ich akzeptiert hätte. Man denke da nur an unser Grundgesetz. Unser Recht auf eine Begründung und die Verpflichtung der DEKT, zu begründen, ergibt sich aus Art. 19 IV GG für jede Körperschaft des öffentlich-rechtlichen Rechts.
Zivilcourage scheint bei den heutigen Verantwortlichen des DEKT ein Fremdwort zu sein. Dabei sind es erst 10 Jahre her, dass eine frühere Generalsekretärin Zivilcourage gezeigt hat und die DIG in ihre Schranken gewiesen hat. Damals ist Frau Rumpf die Bereitschaft zum Dialog bestätigt worden. Heute legt man offensichtlich keinen Wert mehr darauf und beugt sich dem Druck einer fanatischen, undemokratischen und rassistischen Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die nur Sprachrohr einer nationalistischen und offensichtlich auch faschistischen Regierung in Jerusalem ist, wenn man an den Regierungschef Benjamin Netanjahu und einige seiner Minister denkt, für die nur „ein toter Araber ein guter Araber ist“.
Ich betone nochmals: Ich schreibe diesen Brief als Jude, der in Israel aufgewachsen ist und in der angeblich „humansten Armee der Welt“ gedient hat. Israels Armee ist nicht human. Es ist eine Armee wie jede andere, wie zum Beispiel die russische Armee, die in der Ukraine täglich Völkerrecht verletzt. Israel ist auch nicht mehr die „einzige Demokratie im Nahen Osten“. Es ist keine Demokratie mehr und nähert sich mit gewaltigen Schritten einer Theokratie und ist schon lange ein Apartheid-Staat. Ich weiß, dass Sie Israel schützen wollen angesichts der unentschuldbaren Verbrechen, die Deutschland und auch die Evangelische Kirche begangen hat. Aber das tut man nicht, indem man die Augen vor dem Unrecht der Israelis verschließt oder indem man Kritik an der israelischen Politik nicht zulässt oder in dem man die Opfer der israelischen Aggression zum Schweigen zwingt. Ich erinnere an das deutsche Sprichwort: „Wer Unrecht sieht und es schweigend duldet, hat es mitverschuldet.“
Wollen Sie wieder vor der Geschichte versagen? Werden Sie wieder behaupten Sie hätten nichts gewusst? Wen wollen Sie schützen? Die Besucher und Besucherinnen des Kirchentages haben laut GG das recht eine Ausstellung zu sehen, die die Wahrheit über die Vertreibung des Palästinenser 1948 zeigt, zumal die Ausstellung nicht zuletzt auch von israelischen und jüdischen Historikern mitgestaltet wurde, denen man definitiv keinen Antisemitismus vorwerfen kann.
Für die DIG, Charlotte Knobloch und manchen deutschen Philosemiten und zionistisch Verblendeten, ist historische Wahrheit schon Antisemitismus und die Evangelische Kirche (allerdings nicht nur sie) schaut zu und verhält sich wie die berühmten und berüchtigten drei asiatischen Affen: Nicht sehen, nicht hören und nichts sagen.
Abraham Melzer
Verleger und Publizist