Aus Liebe zu Palästina oder Hass gegen Israel?

Zur Debatte, die zur Zeit im Verteiler von „Deutscher Koordinierungskreis Palästina Israel“ (KoPI) geführt wird, erlaube ich mir, einige Gedanken und Fakten hinzuzufügen, und fordere gleich am Anfang alle diejenigen auf, die sich an dieser Debatte nicht beteiligen wollen oder denen die Debatte peinlich und ärgerlich ist, die Löschtaste zu betätigen. Keiner soll gezwungen werden, Texte zu lesen, die er oder sie nicht lesen will, weil sie vielleicht sein Weltbild, seine Moral oder sein Rechtsempfinden in Frage stellen könnten.

Grundsätzlich glaube ich, dass man eine solche Plattform, wie sie KoPI uns bietet, gerade für Debatten nutzen sollte, auch wenn diese sich zuweilen gegen Personen und deren Verhalten richten muss. Jeder kann seine Meinung äußern, sich verteidigen oder seine Argumente kämpferisch vorbringen. Ich sehe darin eine lebendige Streitkultur. Es ist ein offener, doch geschützter Raum in denen man Probleme aufdecken und lösen kann.  Natürlich sollte man nicht persönliche Beleidigungen nur um der Beleidigungen willen vorbringen. KoPI ist sicherlich auch kein Platz, um persönliche Unstimmigkeiten zu verbreiten. Es lässt sich jedoch nicht immer vermeiden, dass man den einen oder anderen persönlich wegen seines Verhaltens, seiner Ideologie oder seiner Aussagen kritisiert. Im Interesse unserer gemeinsamen Ziele sollte es aber eine Selbstverständlichkeit sein, auf eindeutiges Fehlverhalten hinzuweisen.

Es geht um Meinungen, aber leider nicht nur um Meinungen, sondern auch um den Versuch mancher unter uns, ihre Meinung nicht nur als das allein Seligmachende zu verbreiten, sondern andere Meinungen und Personen mit teilweise sehr persönlichen Angriffen und Verleumdungen zu delegitimieren.

Wenn man sich dagegen wehrt und eine andere Meinung vertritt, wird man an die „Palästinasolidarität“ erinnert, die für mich ein Phantom ist.

„Die große Mehrzahl stellte fest, dass das dogmatische Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung, die tatsächliche Realität ignoriert“. Das konnte man lesen in der Schlusserklärung der Palästina Konferenz, die vom 26. – 28. September 2011 in Stuttgart stattgefunden hat. Und Evelyn Hecht-Galinski ergänzte mit folgender Aussage: „So geht es gar nicht mehr um die Frage Zwei Staaten oder ein Staat, sondern einzig und allein um die Frage, wie man den Palästinensern zu Gerechtigkeit verhelfen kann, dass sie frei und demokratisch leben können, wie es jedem jüdischen Israeli zugestanden wird. Und das ist nach realistischer Sicht der Dinge nur noch in einem Staat Palästina/Israel möglich“. 

Diese Meinung kann man ja auch vertreten. Wenn sie (und einige andere) diese Meinung aber sektenartig vertritt und Andersdenkende herabsetz, ja persönlich, unanständig angreift, dann sollte ein Widerspruch das Selbstverständlichste auf der Welt sein.

Sie war sogar bereit, die von ihr vorher verehrte Ikone der Palästina-Solidarität, Felicia Langer, zu verraten und herabzusetzen, weil diese nicht ihrer Meinung war. Sie schämte sich nicht Felicia zu beleidigen und zu diffamieren. Bei aller Auseinandersetzung in er Sache soll hier nicht verschwiegen werden, dass sie wesentlich dazu beigetragen hat, das Felicia das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse überreicht bekam.

Gleichwohl schrieb sie folgende für mich völlig inakzeptablen Zeilen: „Alte, linke, jüdisch-israelische, um Hoffnung kämpfende Aktivisten, die sich für die Palästinenser einsetzen und ihr Geld damit verdienen, sind Heuchler und Verräter an der palästinensischen Sache, weil sie die Realität ignorieren, da sie dogmatisch an der Zwei-Staaten-Lösung festhalten.“

Jeder wusste sofort, dass es sich um Felicia Langer handelt, die sie hier kritisierte, denn jeder kannte ihr Buch „Hoffnung und Zorn“ und jeder wusste, dass Felicia trotz ihres hohen Alters und ihrer körperlichen Gebrechen nicht müde wird, Vorträge und Seminare zu halten und dafür Honorare erhält. Zu schreiben, wie es EHG gemacht hat, „sich für Palästinenser einsetzen und ihr Geld damit verdienen“, ist eine unverzeihliche Häme und eine zynische Beleidigung von jemanden, der sein Geld zu einer Zeit gemacht hat, als Felicia umsonst und unter großem Einsatz Palästinenser vor der Willkür der israelischen Militärgerichte verteidigt hat. Sie hat keine Reichtümer (besonders nicht auf Kosten anderer) ansammeln können.

Solch ein Verhalten kann man nicht verzeihen und nicht vergessen. Ich zumindest nicht. Denn zur Solidarität, die von so vielen unter uns gefordert wird, gehört auch Anstand und Achtung vor der Würde des anderen. Ich verstehe auch nicht, dass es scheinbar noch einige gibt, die das nicht verstehen wollen. Wo fängt Solidarität an, wo hört sie auf. Würden sie auch, wenn jemand neben ihnen zu Unrecht beleidigt wird daneben stehen und den beleidigten kritisieren, wenn er sich das verbietet? Würden sie auch dem, der manchmal mit einer große Wut das über Jahre erlebt, der das kritisiert und aufdeckt, damit es aufhört, sagen, lass deinen Mitstreiter da stehen, der muss alleine damit fertig werden?

Obwohl EHG ihr Geld damit nicht verdienen muss, war sie verärgert über mich, als sie herausfand, dass ich für meine Vorträge über den Israel/Palästina-Konflikt, halb so viel verlange wie sie. „Du machst mir die Preise kaputt“, meinte sie, und mir war klar, dass sie es ernst meint.

Diese Kritik an der Person ist das eine.

Haben wir das Recht, für die Palästinenser zu bestimmen, dass sie nur noch die Ein-Staaten-Lösung anstreben sollen, ansonsten werden sie, wie es EHG betreibt, auch herabgesetzt und Verbrechern gleichgestellt? Ist das unsere Solidarität den Palästinensern gegenüber? Muss man ein solch schädliches Verhalten nicht kritisieren?

Trotzdem finden sich unter uns naive und unwissende Israelkritiker, die eine Ein-Staaten-Lösung propagieren und sich auf EHG und auf den auch von mir geschätzten Ilan Pappe stützen.

Grundsätzlich bin auch ich der Meinung, dass jeder das Recht auf eine eigene Meinung hat und nach seiner Facon  selig werden soll. Darum geht es mir auch nicht. Ich will keine Einheitsmeinung und begrüße es, wenn Menschen eine eigene Meinung vertreten. Peinlich, unangenehm und abzulehnen ist es aber, wenn sie dogmatisch bestimmen, dass eine Lösung  „nach realistischer Sicht der Dinge nur noch in einem Staat Palästina/Israel möglich ist“. Wer hat das bestimmt?

Ilan Pappe ist bestimmt ein kluger, integrer und Gerechtigkeit liebender Mensch. Aber er ist auch ein wenig naiv, wenn er eine Meinung vertritt, die 99% der Israelis und 99% der Palästinenser ablehnen und er trotzdem meint, dass darin die allein selig machende Lösung liegt. Als Israeli sollte er die Meinung in seinem Land eigentlich besser kennen.

Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hat dieser Tage vor der gesamten Welt verkündet, dass er und seine Regierung alles tun werden, um die Besatzung zu beenden, und zwar  auf der Basis von zwei Staaten in den Grenzen von 1967. Dies betonen die unterschiedlichen Kräfte seit Jahren. Das bedeutet eindeutig, dass die Palästinenser einen eigenen Staat haben wollen. Die Israelis wollen erst Recht einen eigenen, jüdischen Staat. Dies war und ist bis heute das Ziel des Zionismus. Um darauf zu kommen, dass keiner der beiden Völker einen Einheitsstaat haben will, hätte ein gesunder Menschenverstand genügt. Man muss dazu kein Professor sein. Man braucht auch nur wahrzunehmen, was die Siedler und extremistischen Religiösen treiben. Ja, diese wollen auch einen Staat, da decken sich ja sogar die Meinungen, und EHG hat dafür einen „Traumpartner“. Nur wollen die extremistischen Israelis einen Staat ohne Palästinenser. Sie freuen sich sicher darüber, dass EHG versucht, ihnen dafür den Weg zu bereiten, indem sie die palästinensischen Politiker als „Zweistaatler“ bekämpft.

Aber die Ironie der Geschichte liegt darin, dass hier um ungelegte Eier gestritten wird, denn für die Palästinenser bietet sich vorerst weder die eine noch die andere Lösung an. Zurzeit ist Palästina wie eine riesen große Pizza, von der die Israelis, unbeeindruckt von irgendwelchen Debatten und Wünschen anderer Völker, ohne Pause zu machen, Häppchen abbeißen und verschlingen. Es bleibt nur die Hoffnung, dass ihnen diese Häppchen bald im Halse stecken bleiben.

Abbas ist von den Israelis und den USA für seine Rede scharf kritisiert worden. Die USA meinten, Abbas Rede sei „beleidigend“ gewesen und sein Auftritt vor der UN-Vollversammlung sei voller „provozierender Äußerungen“ gewesen. Israel meinte, die Rede sei „diplomatischer Terrorismus“. Vor allem warf ihm Netanjahu vor, die Rede sei „eine Hetze voller Lügen“ gewesen. Netanjahus Außenminister Lieberman meinte, dass Abbas „Lügen über Israel verbreitet“ und damit beweist, dass er „kein Mann des Friedens“ sei. All das beweist nur, dass er die richtigen Worte gesagt und bei den Israelis wohl ins Schwarze getroffen hat. Vor allem als er sagte, dass „das palästinensische Volk nicht vergessen und nicht verzeihen wird“. Abbas sagte auch, dass er nicht vor hat, zu „sinnlosen Verhandlungen“ zurückzukehren. Es war eine selbstbewusste, stolze, ehrliche und mutige Rede. Sie hat den Israelis nicht gefallen, wahrscheinlich auch nicht Evelyn Hecht-Galinski und ihrem zionistischen Widergänger aus Berlin.

EHG schreibt dieser Tage in der NRhZ: „Natürlich müssen die Palästinenser selbst bestimmen, ob sie denn zwei Staaten oder einen Staat in Palästina/Israel wollen. Aber wo ist die gewählte, handlungsfähige palästinensische Vertretung? Sicher nicht in Ramallah, in Gestalt dieser „Vichy-Regierung“, ohne Mandat und abhängig von Israels und der USA Gnaden. Palästina wird von einer „Kollaborateuren-Clique“ aus Ramallah verraten und verkauft?

Durch diesen Schachzug der Ramallah-Clique werden im Gegenteil die Rechte und der Handlungsspielraum der Palästinenser auf null gesetzt. Man verzichtet damit auf das verbriefte Rückkehrrecht der vertriebenen Palästinenser und lässt sich auf einen Bantustaat, unter Luft- und sonstiger militärischer Hoheit und weiterer Unterdrückung seitens Israel ein. Die Ausrufung eines solchen Staates läge in Wahrheit voll im Interesse Israels, im Gegensatz zu einem einzigen wirklich demokratischen Israel/Palästina in einem Staat. Natürlich möchte auch „Vichy-Ramallah“ das nicht, weil sie genau wissen, dass sie in diesem demokratischen Staat keine Chance mehr hätten“.

Aber auch die doppelte Betonung von „einem einzigen“ und „in einem“ Staat hilft nicht darüber hinwegzutäuschen, dass hier jemand sich übernommen hat und nicht weiß, worum es hier eigentlich geht.

Woher nimmt EHG die Chuzpe, die palästinensische Führung so zu beleidigen? Ich würde eine solche Kritik nur einem Palästinenser abnehmen, aber nicht einer deutschen Jüdin, die im finsteren Schwarzwald lebt. Wir können uns zwar Meinungen bilden, aber wir sollten einem anderen Volk nicht Kollaboration vorwerfen, ohne zu wissen, unter welchem Druck dieses Volk steht, und ohne zu wissen, ob die palästinensische Führung tatsächlich mit den Israelis zusammenarbeitet.

Ich glaube es nicht und die Rede von Abbas in New York und die Art und Weise, wie die Israelis mit ihm seit Jahren umgehen, spricht auch nicht dafür, dass Ramallah mit „Vichy“ gleichzusetzen ist. Und überhaupt, es ist nicht die Aufgabe und das Recht einer deutschen Jüdin oder auch einer „Deutschen mit jüdischem Hintergrund“, wie EHG sich bezeichnet, die Palästinenser zu belehren, ihnen zu zeigen was Moral und Mut sind, wenn das eigene Leben nicht gefährdet ist und man im bequemen Sofa im Schwarzwald sitzt und sich Gedanken über Palästina macht. Gedanken kann und soll man sich machen, aber Menschen, die täglich ihr Leben riskieren, wie Abbas oder Frangi, als Kollaborateure zu beleidigen, ist so absurd und abartig, dass es mir schwer fällt, die richtigen Worte zu finden, ohne beleidigend zu werden. Wer die Ramallah-Regierung mit „Vichy“ in einem Atemzug nennt, scheint über wenig oder gar keine historische Bildung zu verfügen, und dies ausgerechnet von einer deutschen Jüdin!

Politik ist die Kunst des Machbaren und kein Wunschkonzert für Naivlinge, Träumer und „Gutmenschen“. Natürlich haben auch diese und andere das Recht, sich mit Politik zu beschäftigen, aber sie sollten tunlichst vermeiden, andere zu beurteilen, zu bevormunden und zu verurteilen, besonders solche, die unter Einsatz ihres Lebens Verantwortung tragen.

Nein, ich meine nicht, dass wir aufhören sollten, Netanjahu und Liebermann, Graumann und Broder, Putin und Obama zu kritisieren. Wir sollten aber das, was sie tun, kritisieren und sie nicht  pauschal als Verräter und Kollaborateure diffamieren. Wenn man schon „Kollaborateure“ benutzt, dann bitte mit Belegen aufklären wodurch, womit, wann und wieso. Kann man das nicht, verleumdet man.

Ich kann also erwarten, dass man auch von EHG verlangt, dass sie ihre Vorwürfe gegen die palästinensische Führung belegt. Kann man nicht verlangen, dass sie aufhört, Menschen mit anderen Meinungen unfair zu bekämpfen?

2 Gedanken zu „Aus Liebe zu Palästina oder Hass gegen Israel?

  1. „Abbas ist von den Israelis und den USA für seine Rede scharf kritisiert worden. Die USA meinten, Abbas Rede sei „beleidigend“ gewesen und sein Auftritt vor der UN-Vollversammlung sei voller „provozierender Äußerungen“ gewesen. Israel meinte, die Rede sei „diplomatischer Terrorismus“. Vor allem warf ihm Netanjahu vor, die Rede sei „eine Hetze voller Lügen“ gewesen. Netanjahus Außenminister Lieberman meinte, dass Abbas „Lügen über Israel verbreitet“ und damit beweist, dass er „kein Mann des Friedens” sei.“
    Naja, das war ja vorhersehbar, ehrlich gesagt. Ist nicht wirklich überraschend.
    Aber es gibt schon das eine oder andere Zeichen daß viele unserer Journalisten jetzt doch von der blinden Israel-Solidarität abrücken. Noch vor 5 oder 10 Jahren wäre Abbas hier in Deutschland runtergemacht worden als ob er Radovan Karadzic wäre. Er wäre zum abgrundtief bösen Randalierer hochstilisiert worden, zur akuten Gefahr für den Weltfrieden!

  2. Diejenigen, die einen demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle seine Bürger für das Beste halten sind höchstens so naiv, wie diejenigen, die denken ein Zweitaatenmodell sei angesichts der Lage noch realistisch. Ilan Pappe, die Organisation Zochrot, das israel. Komitee gegen Hauszerstörungen etc. arbeiten an einem Zukunftsmodell, das sie für besser und gerechter halten – das ist legitim und gar nicht naiv. Auch Nelson Mandela schien manchen als naiv unter den damaligen Zuständen in Südafrika.

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