Jüdische Hunde

Von Abraham Melzer

Irgendwann stellt sich jeder Israeli die Frage: Müssen wir zigtausende Menschen in Gaza töten? Objektiv fehlen für die Fortsetzung des Krieges die rationalen Gründe,  emotionale Beweggründe haben längst deren Platz eingenommen. Bei den einen sind es Gelüste nach Rache oder, wie es viele Kommentatoren in Israel behaupten, Netanjahus Angst, dass ein Friedensvertrag sein politisches Ende bedeuten könnte. Dieser Krieg entwickelt sich immer mehr in Richtung eines Genozids am palästinensischen Volk. Längst spielt es keine Rolle mehr, ob israelische Politiker und einige Intellektuelle es nicht zulassen wollen, dass dieser Krieg so genannt wird. Er hat sich längst zu einem Kriegsverbrechen entwickelt, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das Völkerrecht. Es hilft der Kriegspartei der Israelis nicht mehr, die Kriegsgegner in Israel als Antisemiten zu diskreditieren. Die Diffamierung als Antisemit wirkt nicht mehr. Das böse Wort hat seine Schärfe verloren und wird von vielen nicht mehr ernst genommen. Es ist eben nicht jeder Antisemit, der sich gegen Israel ausspricht, weil zu viele Menschen reale Gründe hätten. Juden zu hassen, zumindest die Juden, die in Israel leben und den verbrecherischen Krieg fortführen wollen.

Während andere Völker ein, zwei oder vielleicht drei Generationen in den Verlauf ihrer Geschichte zurückblicken, scheinen die Juden in der Retrospektive Weltmeister zu sein. Sie blicken zurück bis hin zur Erschaffung der Welt und vergleichen zeitnahe Ereignisse mit Situationen, in denen Juden unter den Pharaonen ausgesetzt waren. Der Judenhasser Haman im antiken Persien und der Judenmörder Chemelnietzky in der Ukraine im 17. Jahrhundert sind präsente Zombies. Die gesamte Weltgeschichte wird für sie zu einer Geschichte des Antisemitismus. Die Nazis erschienen nur eine als eine Re-Inkarnation des biblischen Volkes Amalek, das die unschuldigen und friedfertigen Juden, als sie aus der ägyptischen Knechtschaft entflohen waren, in der Wüste überfallen hatte. Immer sind wir die Opfer und immer sind die anderen die Täter.

Das hat sich allerdings in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Gründung des Staates Israel verändert und die Juden drehten den Spieß um: Jetzt wurden sie die Täter und ein anderes Volk das Opfer. Mit der Macht aller Propagandamittel bis hin zur Geschichtsfälschung versuchen die Israelis und die zionistischen Juden ihre Legende als ewige Opfer fortzuspinnen.

Der Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 ist für die Israelis und für viele Juden wieder der ultimative Beweis, dass die ganze Welt die Juden hasst. Für sie ist klar, dass sie heimtückisch und grundlos überfallen und ermordet wurden, und dass dies wieder ein Versuch des Genozids an allen Juden der Welt, von Moskau bis New York war. Natürlich wurden die unschuldigen Israelis ermordet, nur weil sie Juden waren und, wie der jüdische Pulitzer-Preisträger Joshua Cohen schreibt, „man könnte das noch weiterspinnen und sagen, die Hunde, die an jenem Tag starben, wurden getötet, weil sie jüdische Hunde waren. In vielen der Kommentare israelischer und jüdischer Intellektueller stieß ich nicht auf ein einziges Wort über das, was die Israelis seit mehr als 75 Jahren den Palästinensern angetan hatten und immer noch zufügen. Stattdessen wurde der 7. Oktober als aktuelles Eintreffen des uralten Geschichtsverlaufs jüdischen Leidens betrachtet. In der Zeit, in der nationalistische Religiosität und jüdischer Extremismus auf dem Vormarsch sind, wurde an Juden ein Massaker verübt. Und Joshua Cohen vergisst nicht zu erwähnen, dass es am 7.10.23.säkulare Juden waren, die betroffen wurden. Er betont noch in vollkommener Selbstgerechtigkeit, die ihn naiv erscheinen lässt, dass „Juden getötet wurden, weil sie Juden waren“.

Im Massaker vom 7. Oktober sieht Cohen wie viele andere Israelis und Juden in der Diaspora, die Wiederkehr der ewigen Geschichte des alten Amalek, die vor 3000 Jahren stattgefunden haben soll. Sie müsste den Menschen des 21. Jahrhunderts wie ein Märchen aus 1001 Nacht vorkommen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vergaß in seinen Ansprachen Zum Kriegsbeginn nicht, den biblischen Satz zu wiederholen, „was Amalek euch angetan hat….“  Jedes Jahr, wenn ein Jude die Geschichte von Amalek liest, soll ihm das Gefühl kalt den Rücken hinunterlaufen, er „sei selbst von den blutrünstigen Amalekiten angegriffen und nur durch ein Wunder errettet worden“. Die Erinnerung eines Juden reicht nicht 3000 Jahre zurück, sondern es ist die Erinnerung an den Geschichtsunterricht, der 3000 Jahre zur Gegenwartsgeschichte verdreht. Als Beispiel für solche Erinnerungspflege verweise ich auf Marek Halter (in: Abraham : Wege der Erinnerung.und ähnliche Werke ) . Alle jüdischen Opfer von Amalek sind präsent, aber die Opfer ihrer eigenen Gewalt, die nicht so alt sind, sind bereits aus dem Kurzzeitgedächtnis entschwunden. Sie, die Juden, nennen den 7. Oktober den tödlichsten Tag für die Juden seit dem Holocaust. Sie stellen damit die Terrortat vom 7. Oktober auf derselben Stufe wie den Holocaust, bei dem ein Drittel des jüdischen Volkes vernichtet wurde. Wenn der Tag des Massakers nicht traurig wäre, wäre seine Einstufung lächerlich.

Fast alle Israelis und Palästinenser unserer Generation wurden in diese Atmosphäre der Gewalt hineingeboren. Trotz mehrerer Versuche einer Befreiung aus dieser Zwangslage hält dieser Zustand seit bald 100 Jahren unverändert an. Auf jede Aktion der Palästinenser folgt eine Vergeltung der Israelis oder vice versa. Ein Problem ist dabei, dass auf israelischer Seite eine hoch gerüstete Armee gegen weit unterlegenen Widerstand auftritt.

1983 schworen sich Rabin und Arafat „nie wieder Krieg“: „Wir kommen aus einem gequälten Land, trauernden Land…Wir wollen versuchen, den Feindseligkeiten ein Ende zu bereiten. Es reicht mit Blut und Tränen. Es reicht!“ Offensichtlich reichte es doch nicht. Israelis und Palästinenser sind derart traumatisiert, dass sie nicht mehr miteinander können. Sie wollen das Land wie eine Pizza teilen, und während sie darüber verhandeln frisst die israelische Seite inzwischen Stück Land für Stück Land. Am Ende bleibt für die Palästinenser nichts mehr übrig.

Lee Yaron rekonstruiert in Ihrem Buch Israel – 7. Oktober den Tag, der in die Geschichte Israels und des Nahen Ostens als schwarzer Sabbat eingehen wird. Sie zeichnet die Porträts der Ermordeten und geht in der Geschichte ihrer Familie zurück bis ins 15. Jahrhundert, als ob die Vertreibung der Juden aus Portugal irgendeinen Einfluss auf die desolate heutige Situation zwischen Israelis und Palästinenser haben könnte. Sie will uns belehren, dass das Massaker eng mit dem Holocaust verbunden sei. Das lässt sich nicht darstellen, auch wenn sie es sich wünscht. Das Massaker vom 7. Oktober hat keinen Bezug zum Holocaust, aber Bezüge zu Gaza und zu allem, was in Gaza seit Jahren passiert, Das Massaker hat auch einen Bezug zur Nakba, der Katastrophe der Palästinenser, die für letztere immer noch keinen Abschluss gefunden hat. Im Gegenteil zu den Juden, deren Shoa ultimativ abgeschlossen ist, und mit der es nichts auf der Welt Vergleichbares gibt, stellt der Aufstand der Palästinenser vom 7. Oktober 2023 etwas Eigenes dar. Dies nicht nur wegen der unvergleichbaren Zahl der Opfer an nur einem Tag, sondern vor allem wegen der unvergleichbaren Motive zu dem Anschlag. Während die Nazis keine rationalen Gründe hatten die Juden zu hassen und zu ermorden, so kann man solches von den Palästinensern nicht behaupten. Sie hatten jede Menge rationale und erst recht emotionale Gründe, angefangen mit ihrer Vertreibung aus ihrer Heimat durch die Juden bis zu ihrer Behandlung durch die Israelis, die sie zu Menschen zweiter und dritter Klasse gemacht haben.

Vielleicht war der Überfall der Hamas zu brutal und vielleicht auch erschreckend barbarisch. Sicherlich war er eine Tragödie. Aber muss Israel derart brutal und selbst mörderisch antworten und in Kauf nehmen, dass Gaza nicht nur zerstört wird, sondern total ausgelöscht wird. Ist das nicht auch menschengemachter Terror gegen unschuldige Zivilisten, Frauen, Kinder und Säuglinge, die nicht nur durch Bomben, sondern auch an Hunger und Kälte sterben? Der Auftrag Israels bestand darin, die Juden aus der Opferrolle zu befreien. Die Politik Israels, nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, treibt die Juden aber aufs Neue in diese Rolle zurück. Israel ist schon lange nicht mehr das sicherste Land für Juden. Und die Israelis werden inzwischen weltweit verachtet, nicht weil sie Juden sind, sondern weil sie eine völkerrechtswidrige Politik treiben. Israelis wurden am 7. Oktober 2023 getötet, nicht, weil sie Juden waren, sondern weil ihre Regierung seit Jahrzehnten eine palästinenserfeindliche Politik macht. Es ist das in der Charta der Menschenrechte verbriefte Recht der Palästinenser, sich dagegen zu wehren. Die Autos, die an diesem Tag angezündet wurden, verbrannten nicht, weil sie jüdische Autos waren, schon weil Autos nur Autos keine Menschen sind. Es gibt keine jüdischen Autos wie es auch keine katholischen oder protestantischen Autos gibt. Aber für Autoren wie Joshua Cohen gibt es nur Juden, oder nichts.

Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.

Vielleicht analog zu Müllers Milch Werbung:

Alles Antisemiten, oder was?

Zufällig lese ich gerade in der „Jüdischen Allgemeinen“ ein Interview deren Redakteure mit 4 aus Israel nach Berlin verzogenen Juden; einige Passagen passen so gut zu meinen Ausführungen, dass ich diese aus dem Gespräch von Joshua Schultheis und Mascha Malburg über jüdische Identität und wachsenden Antisemitismus mit Roy, Shay, Tal und Hila hier anfügen möchte:

Frage der „JA“:

Berlin war lange ein Magnet für junge Israelis. Ist das noch so? Ihr habt Israel verlassen und seid in die deutsche Hauptstadt gezogen.

Roy: Ich wollte etwas aus meinem Leben machen, und in Tel Aviv ging das einfach nicht. Dort musste ich wie verrückt arbeiten, um meine Rechnungen bezahlen zu können. Manche brauchen drei Jobs, um in Tel Aviv über die Runden zu kommen. Man kann die Stadt nicht genießen.

Hila: Ich wollte Israel einfach nur verlassen, weil es in jeder Hinsicht ein schreckliches Land ist. Es ist rassistisch, es wird mehr und mehr religiös, es ist wirtschaftlich instabil. Es gab nichts, was ich wirklich mochte, außer das Essen. Ich habe erkannt, dass die Besatzung die israelische Gesellschaft von innen heraus ruiniert. Ich wollte kein Teil davon bleiben. ….

Shay, warum hast du Israel verlassen? Als Israel immer teurer, immer nationalistischer und religiöser wurde, bin ich endgültig nach Berlin gezogen. Ich fühle mich in Berlin jüdischer. In Israel konnte ich nichts mit den Religiösen anfangen. Wenn ich in Berlin jemanden sehe, der eine Kippa trägt, freue ich mich. Ich feiere auch  Chanukka Hila: Man wird jüdischer außerhalb Israels. Shay: Ich bin überzeugter Atheist. Aber ich bin in Deutschland damit konfrontiert, dass mich Leute als Juden sehen. Roy: Ich hatte aschkenasische Freunde, die sagten, ich würde jetzt ins »Reich« ziehen. Meine Familie hatte gar kein Problem damit und ich auch nicht. Aber wenn ich dauernd daran denken würde, was hier passiert ist, wenn ich durch Berlin laufe, würde ich verrückt werden. Man muss nach vorn blicken. Tal: Für meine Eltern war das absolut in Ordnung. Nur meine Mutter meinte, dass mein Großvater das gar nicht gut gefunden hätte. Tal: Ich wollte schon lange nach Berlin ziehen. 2023 fiel dann aber meine Entscheidung, wegzugehen.

Der 7. Oktober war auch eine Zäsur für Israelis im Ausland. Wie hat sich euer Leben in Berlin seitdem verändert?
Hila: Mein Blick auf Israel ist noch kritischer geworden. Ich lehne die Reaktion des Landes auf den 7. Oktober ab. Viele Leute in Berlin sind nicht in der Lage, beide Seiten zu sehen: Sie interessieren sich nur für das Schicksal der Juden oder nur für das der Palästinenser. Ich habe mein ehrenamtliches Engagement aufgegeben. An meinem Sicherheitsgefühl hat sich aber nichts geändert. Ich habe keine Angst, in Neukölln auf die Straße zu gehen und Hebräisch zu sprechen.

Es gab in Neukölln aber Angriffe auf Israelis, nur weil sie Hebräisch gesprochen haben.
Hila:  Ich verstehe Arabisch und weiß, was die Leute um mich herum reden. Sie geben mir keinen Anlass, Angst zu haben. Ich habe kein Problem damit, Taxifahrern zu sagen, woher ich komme. Mit palästinensischen Fahrern, die ich in diesem Jahr getroffen habe, hatte ich ein verständnisvolles Gespräch. Wenn ich in einen arabischen Supermarkt gehe, fühle ich mich besser, als wenn ich zu Netto gehe. Ich fühle mich mit den Menschen in Neukölln verbunden: Sie sehen aus wie ich, sie haben eine ähnliche Kultur. Ich teile nicht die Vorstellung vieler Israelis, dass alle Palästinenser Juden töten wollen. Wenn ich in den israelischen Nachrichten sehe, wie Menschen eine Flasche Champagner öffnen, um den Tod des Hamas-Chefs Sinwar zu feiern, dann bin ich angewidert. Man empfindet keine Freude, dass jemand getötet wurde. Roy:  Leider habe ich Freunde verloren und mich isoliert. Früher bin ich immer zu einer türkischen Frau zum Haareschneiden gegangen. Am 7. Oktober hat sie dann auf WhatsApp gepostet: »Free Palestine!« Das war’s für mich. Ich habe keine Kraft, Leute über die antisemitischen Wurzeln der palästinensischen Bewegung aufzuklären. Ich bin enttäuscht von den Deutschen. Wir hatten ein rotes Dreieck an unserem Nachbarhaus, »Intifada« stand darunter. Mein Mann hat es überstrichen. Diese Hilfe hätte ich mir von allen Deutschen gewünscht. Es scheint mir, dass es vielen Deutschen einfach egal ist. Ehrlicherweise hoffe ich mittlerweile auf die AfD, damit sich etwas ändert. Die AfD sollte vielleicht nicht stärkste Kraft werden, aber doch Teil einer Koalition. Sie sind die Einzigen, die endlich durchgreifen wollen: Kriminelle rausschmeißen und Leute abschieben, die nicht loyal zu Deutschland sind. Ich weiß zwar nicht, ob die AfD wirklich etwas unternehmen könnte. Aber was wird passieren, wenn wir weiter nichts tun? Hila: Das ist doch das israelische Narrativ, dass du hier hineinbringst. Immer harte Kante zeigen. Das funktioniert dort schon nicht. Wir müssen demokratische Wege finden, zum Beispiel in Bildung investieren.

Tal:  Ein Taxifahrer hat mich rausgeschmissen, weil ich am Telefon Hebräisch gesprochen habe. Ich gehe nicht mehr nach Neukölln. Wenn du Angst um dein eigenes Leben bekommst, dann ändert sich die Perspektiven.

Überlegst du, nach Israel zurückzuziehen?
Shay: Nicht jetzt. Ich bin viel zu kritisch gegenüber dem, was in Israel passiert. Aber wenn es in Deutschland wirklich so schlimm wird, wie ich befürchte, könnte Israel irgendwann der einzige sichere Hafen sein. Ich werde also nicht zurückkehren, weil ich es will, sondern weil ich es vielleicht tun muss, um zu überleben.

Gibt es irgendetwas, dass dich überzeugen könnte, nach Israel zurückzuziehen?
Hila: Frieden, Mietendeckel, öffentlicher Nahverkehr am Schabbat …

Roy, was ist mit dir – hast du einmal überlegt, zurück nach Israel zu ziehen?
Roy: Nein, niemals. Ich fühle mich Deutschland so verbunden. Ich liebe dieses Land. Und ich habe mehr als nur die Hauptstadt gesehen. Die Seen rund um Berlin! Die grünen Felder! Rügen! So wunderschön! Nein, ich will nicht zurück. Ich vermisse zwar dieses Grundvertrauen in Israel: Wenn etwas Schreckliches passiert, unterstützen wir uns gegenseitig. In Deutschland weiß ich nicht, wer zu mir. Das ist höllisch beängstigend. Dass mir ausgerechnet das Zusammengehörigkeitsgefühl fehlt, ist schon komisch. Genau vor dieser Enge bin ich damals weggelaufen.

„Völkermord? Im Ernst? ( SZ vom 30. 12. 2024)

Zum Leserbrief von Eva Illouz:

Von Abraham Melzer

Eva Illouz, wer ist das? Man kennt sie; Wikipedia informiert:

„Illouz wuchs als Tochter eines Juweliers einer strenggläubigen sephardischen Familie auf. 1971, als sie zehn war, zog die Familie von Marokko nach Frankreich. Sie ist heute Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem sowie an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris. Außerdem wirkt sie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen]. Sie hat bedeutende Beiträge zur Soziologie der Emotionen, zur Kultur und zum Kapitalismus verfasst. Sie war die erste Frau, die als Präsidentin der Bezalel Academy of Arts and Design diente. Ihre Werke, darunter das Buch Der Konsum der Romantik, haben großen Einfluss in der soziologischen Forschung und sind in viele Sprachen übersetzt worden.“

Dies vorausgeschickt,  verlangt sie heute, vor jeder „nüchternen Diskussion über Israels Verbrechen“ vorab anzuerkennen, dass sich die israelische Psyche seit dem 7. Oktober 23 in einer Art Schockzustand befände. Als ob diese Psyche davor vollkommen gesund und vorbildlich für andere Völker gewesen wäre.

Illouz Artikel in der SZ muss auch Ausdruck dieser Schockstarre sein. Anders lassen sich ihre historischen Verdrehungen und Falschaussagen, die abgestandenen Floskeln und Unterstellungen, der hilflose Whataboutism, das apologetische Gerede, das Illouz ihren Gegnern zuschreibt [vgl. SZ vom 14. 10. 2024], kaum erklären. Sie fordert eine „exakte Wortwahl im juristischen, intellektuellen und moralischen Feld“ und bietet selbst pures Ressentiment: „Menschen, die das unfassbare Leid, die humanitäre Katastrophe, die sich vor aller Augen in Gaza abspielt, Genozid nennen, seien „moralische Maximalisten“, getrieben von „offenem Antisemitismus“. Dabei sind selbst israelische Soldaten, die bei den Kämpfen dabei gewesen sind, der Meinung, dass es sich um Genozid handelt.

Was kann mit einer brillanten Autorin und Wissenschaftlerin geschehen sein, die sich noch bis vor kurzem für einen konsequenten Menschenrechts-Universalismus eingesetzt hatte, und damit ihre Kritik an der israelischen Politik begründet hat?

Täglich erreichen uns schreckliche Nachrichten aus Gaza. Täglich schließen sich Berichte über getötete Zivilisten, ermordete Kinder an. Immer wieder sind es Kinder. Seit dem 7. Oktober 2023 finden die Diskussionen über Israels Verbrechen statt: jetzt folgt die Rechtfertigung dieses völkerrechtswidrigen Krieges seitens einer jüdisch-israelischen Philosophin, die sich bis zum grauenhaften Massaker im Oktober 2023 eher damit ein Ansehen geschaffen hat, dass sie die israelische Politik der tagtäglichen Verletzung und Missachtung des Völkerrechts und der Menschenrechte angeklagt hatte. Noch 2015 schrieb sie in ihren Soziologischen Essays, dass

das jüdische Trauma nicht länger als moralische Rechtfertigung für die systematische Blindheit gegenüber der massiven Erosion der Demokratie in Israel und gegenüber der moralisch sowie politisch unverantwortlichen Unterdrückung entrechteter Palästinenser dienen kann…..  Wenn jemand, dem die Menschenrechte wichtig sind, damit zum Verräter an Israel und an den Juden wird […] würde dies den moralischen Bankrott des organisierten Judentums und Israels bedeuten.“

Eva Illouz wollte keine Verräterin an Israel sein. Sie reagierte  wie so viele Israelis und Juden reagieren, wenn vermeintliche Judenfeinde Israel kritisieren: Sie fühlte sich zuerst persönlich angegriffen und dann verpflichtet und berufen Israel zu verteidigen, auch wenn sie ihre Grundsätze und Überzeugungen dabei verraten müsste. Dieser Verrat schien ihr geringer und bedeutungsloser zu sein. Dieser moralische Bankrott Israels, nicht des Judentums, ist nun schneller gekommen, als wir alle dachten. Eva Illouz bietet dafür keine andere Erklärung und Entschuldigung als die des Schockzustandes der israelischen Psyche, „weil an diesem Tag der wohlbekannte Vorsatz zur Vernichtung Israels in die Tat umgesetzt wurde.“

Das ist freilich genauso absurd und falsch wie ihre Behauptung, die palästinensische Führung führe seit 100 Jahren Krieg gegen Israel. Dabei existiert der Staat Israel erst seit 1948, also erst seit 86 Jahren. Und würde sie Deutschlands Versagen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entschuldigen wollen, dass es wegen des verlorenen Ersten Weltkrieges in Schockzustand war? Das wäre zwar die Erklärung, aber es ist keine Entschuldigung, die von den Opfern akzeptiert werden könnte.

Aber Eva Illouz scheint es nicht so genau zu nehmen mit geschichtlichen Fakten und der Beurteilung des Völkermordes im Gazastreifen. Sie stellt alles, was sie bisher gesagt und geschrieben hat auf den Kopf,  und macht aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer.

Ihr Beitrag in SZ vom 30.12.2024 ist überladen mit Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid. Wer ihre früheren Schriften kennt, mag nicht glauben, dass sie wirklich die Autorin dieser Rechtfertigung der israelischen Gräueltaten ist. Sie verharmlost diese Taten und, mehr noch, sie hält sie für notwendig. Sie behauptet ernsthaft, dass sie nicht den Tatbestand des Genozids erfüllten, obwohl unzählige israelische, jüdische und nicht-jüdische Beobachter genau das behaupten und auch belegen. Sie will nicht wahrhaben was sie und alle anderen sehen. Es kann halt nicht sein, was nicht sein darf. Illouz scheint nicht wahrzunehmen, was sie nicht sehen will, und weist solche Zeugen als Antisemiten ab.  Sie taktiert mit einem Vorwurf und einer Diskriminierung, die sie bis zum 7.10.2023 nicht nur vermieden, sondern auch intellektuell und leidenschaftlich bekämpft hatte.

Illouz argumentiert wie die diversen Antisemitismusbeauftragten, die in jeder Kritik an Israel unverzüglich auf Antisemitismus-Abwege schalten. Wenn sie früher solche Praktiken kritisiert und ad absurdum geführt hat, so bedient sie sich jetzt selbst solchen primitiven und obsoleten Argumenten. Der südafrikanische ANC ist für sie genauso antisemitisch wie der gesamte IStGH, weil der eine Israel des Völkermordes angeklagt und der andere Haftbefehl gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erlassen hatte. Illouz richtet ihren Frust und Zorn gegen alles: gegen die UN, weil man es dort gewagt hat, Israel Genozid vorzuhalten. Sie verweist immer wieder auf das Massaker der Hamas, das zweifelsfrei grausam und menschenverachtend war, aber sicher nicht mit „erklärtermaßen genozidaler Absicht“ verübt wurde. Es war für mich ein verzweifelter Ausbruch in einer für die Hamas fast aussichtslosen Lage, als nicht nur Israel und der Westen sich gegen sie vereinten, sondern auch bedeutende arabische Staaten im Begriff standen, die Fronten zu wechseln und die Palästinenser in ihrer verzweifelten Lage aufzugeben. Das Massaker der Hamas barg m. E. keine genozidale Absicht, sondern erscheint eher als Versuch auf sich und seine Lage aufmerksam zu machen. Das Attentat mag zwar gelungen sein, aber der Preis, den die Palästinenser dafür zahlten und weiter entrichten, ist sehr hoch.

Illouz beklagt, dass „drei Tage, nachdem Israelis vergewaltigt, lebendig verbrannt und vor den Augen ihrer Eltern und Kinder erschossen worden waren“, bereits vom Genozid gesprochen wurde. Wenn es damals zu früh für diese Qualifizierung gewesen ist, so ist es doch heute, nachdem die israelische Armee, die humanste Armee der Welt, mehr als 50 000 Frauen, Kinder, Zivilisten und wohl auch Hamas Kämpfer „neutralisiert“ hat, und nachdem mehr als eine Million Menschen aus ihrem Wohnort vertrieben, vielleicht doch zeitlich passend, von Völkermord oder Genozid zu sprechen? Oder wird das Morden erst Genozid, wenn, wie im Tschad, 400 000 Menschen getötet und weit über zwei Millionen vertrieben worden sind? Oder gikt als ultimativer Maßstab die Zahl von 6 Millionen Ermordeten?

Illouz wird nicht müde von ermordeten Israelis zu schreiben und ignoriert die ermordeten Palästinenser. Palästinenser wurden nicht nur in diesem genauso unerbittlichen wie überflüssigen Rachekrieg Israels hingeschlachtet, sondern die ganzen letzten 76 Jahren seit der Gründung des Staates Israel hindurch, seit der Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat, seit der palästinensischen Katastrophe, die sie Nakba nennen und was für die Israelis der Tag der Unabhängigkeit ist. Und ihre Zahl reicht in die hunderttausende.

Illouz erklärt den Schockzustand der Israelis und damit auch ihr eigenes Versagen mit den „jahrzehntelangen Bombardierungen an ihren Grenzen im Norden und im Süden und mit Irans Schlinge um den Hals“, die Israels faschistischste Regierung seit Gründung des Staates genötigt habe, den Gazastreifen abzuriegeln. Sie wundert sich dennoch über den Versuch der Eingeschlossenen aus ihrem Gefängnis auszubrechen und verurteilt ihn. Das dabei hunderte und sogar über eintausend Israelis getötet wurden, ist entsetzlich und ist natürlich zu verurteilen, aber was ist mit den Hunderten und Tausenden Palästinenser, die diesseits und jenseits der Grenzen von israelischen Kommandos und bewaffneten nationalistischen und chauvinistischen Siedler im Verlauf der vielen Jahren ermordet wurden? Was ist mit dem Land, das den Palästinensern geraubt wurde, wo jetzt israelische Siedlungen gegen jedes internationale Völkerrecht entstehen?

Eva Illouz vertritt den Grundsatz, dass für den Fall „wenn in ein fremdes Staatsgebiet eingedrungen wird, wenn Menschen gefoltert, getötet und vertrieben werden, wenn Militärstützpunkte angegriffen und Zivilisten bombardiert werden, eine militärische Antwort durch internationales Recht und den gesunden Menschenverstand gerechtfertigt ist.“ Wenn das aber, nach Illouz’ Meinung, richtig und gerechtfertigt für die Israelis ist, um wie viel mehr ist es gerechtfertigt für die Palästinenser, in deren Staatsgebiet die Israelis schon seit langem eingedrungen sind und es inzwischen als ihr eigenes betrachten, analog zu handeln?

Illouz platzt fast vor Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid, wenn sie von „jahrelanger relativer militärischer Zurückhaltung seitens der Israelis“ schreibt, und dabei übergeht, was sie vor dem 7.10.23 geschrieben hat. Wann war denn Israel „militärisch zurückhaltend“? Ich lasse hier unberücksichtigt die Vertreibung der Palästinenser 1948. Aber die Invasion der West-Bank 1967, die völkerrechtlich Palästina heißt, kann man doch nicht als „militärische Zurückhaltung“ definieren. Die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung ist doch für alle Welt sichtbar und keine Kleinigkeit, vor der man die Augen und das Gewissen verschließen darf und kann. Aber es sieht offenbar jeder nur das, was er sehen will.

Illouz behauptet und meint es offensichtlich ernst, dass Netanjahu und sein bisheriger Verteidigungsminister und Armeechef Galant ihren Krieg tatsächlich nur führen, um „ihre Bevölkerung zu schützen“. Wie naiv, unehrlich und närrisch muss man sein, um solche Dinge  zu glauben. Dabei räumt sie doch selbst ein, dass Israel „zweifellos alle Verhältnismäßigkeit missachtet“. Sie schreibt weiter: „Israel hat zahlreiche Kriegsverbrechen begangen…Aber unverhältnismäßige Gewaltanwendung und ein Kriegsverbrechen ergeben noch keinen Völkermord“. Ab wann wird es denn für die israelbezogene Autistin ein Völkermord? Und wenn es nur Kriegsverbrechen bleiben, ist es dann weniger schlimm? Wenn es niederträchtig ist, wie Illouz behauptet, dass die Hamas ihre militärische Infrastruktur unterhalb oder inmitten ziviler Gebäude eingerichtet hat, was in Gaza kaum anders möglich wäre, so ist es doch noch niederträchtiger und erst recht ein Kriegsverbrechen 1000 Kilogramm Bomben auf Häuser abzuwerfen und kollateral zig Tote in Kauf zu nehmen, nur um einen Verdächtigten zu treffen und zu töten. Nein, Illouz leugnet nicht die Grausamkeit der Zerstörungen. Aber sie tröstet sich und ihre Leser damit, dass diese Verbrechen noch keinen Völkermord darstellen. Sie beruhigt ihr Gewissen und das ihrer Leser, mit der These, dass Israel „stets alles getan habe, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen.“  Wie geschah das? Indem die IDF die Bevölkerung 5 Minuten, manchmal sogar 15 Minuten vor einer Bombardierung gewarnt hat. Zynischer geht es nicht.

Sie ist offensichtlich tatsächlich davon überzeugt, dass das Ziel der israelischen Militäroperation war und ist, die Stadt, nicht aber die Identität der Bevölkerung zu zerstören.  Diese wurde schon „zerstört“ bzw. ignoriert, als Golda Meir, Israels eiserne Regierungschefin einst behauptete, sie kenne kein palästinensisches Volk. Die Palästinenser waren für sie wohl nur Statisten.

Das sei für sie eine conditio sine qua non bei der Definition von Völkermord. Die zigtausend Tote und die mehr als eine Million Vertriebene spielen wohl keine Rolle. Das sei für sie kein Völkermord, sondern offensichtlich nur Kollateralschaden. Sie behauptet, dass die Hamas bereit gewesen ist „ihre Bevölkerung jeden Preis zahlen zu lassen.“ Und welchen Preis verlangt die israelische Regierung von ihrem Volk?

Illouz beschuldigt Michael Fakhri, dem UN-Sonderberichterstatter, der von systematischem Aushungern der Zivilbevölkerung klagt, er würde historische Fakten missachten, weil er behauptet, „niemals in der Nachkriegsgeschichte ist eine Bevölkerung so schnell und so vollständig in den Hunger getrieben worden wie die 2,3 Millionen Palästinenser, die in Gaza leben“. Wann beginnt denn für diese Philosophin das Aushungern einer Bevölkerung, wenn sie dazu ergänzt, „dass wir anerkennen müssen, dass die Menschen dort schrecklich leiden“. Die Menschen in Gaza leiden also, sie hungern nicht. Dass sie leiden, scheint sie zu akzeptieren.

Und Illouz beendet ihren polemischen Artikel, mit dem sie einen intellektuellen Tiefstand erreicht, nicht nur indem sie alle Kritiker Israels zu Antisemiten erklärt, sondern auch noch indem sie Moral, Ethik und Völkerrecht auf den Kopf stellt und behauptet, dass die von Zionisten und sich auf den Zionismus berufenden Banden überfallenen Palästinenser „seit hundert Jahren Krieg gegen Israel führen.“ Dabei könnte man glauben, dass die Palästinenser in Palästina eingewandert, um nicht zu sagen eingedrungen sind, und die ansässigen Juden vertrieben haben.

Man kann sich Eva Illouz Ausführungen nur damit erklären,  dass bei ihr, der als aufgeklärter Soziologin geltenden Autorin, unter dem Schock des 7. Oktober 2023 die Koordinaten völlig verrutsch sind. Wenn das bei einer Frau wie ihr schon zutreffen kann, wie muss die Schockwelle auf Millionen jüdische Israelis wirken?“

Gottseidank wirkt der Schock nicht auf alle.

Otzma Yehudit – Jüdische Macht Heute Teil der israelischen Regierung – Wie lange will der Zentralrat der Juden noch schweigen?

Von Abraham Melzer

Seit Jahren, und seit dem 7. Oktober 2023  fast täglich, lesen wir in der Presse, hören im Rundfunk und sehen im Fernsehen, dass „die Zahl der antisemitischen Straftaten sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat.“ Es müssten inzwischen zigtausender Straftaten sein und wir müssten eigentlich in antisemitischen Straftaten ersticken. Ist dem wirklich so?

Ich lebe als Jude in Deutschland und merke nichts davon, außer die ständigen Berichte in der Zeitung, auch in der FAZ. Und erst recht habe ich nicht den Eindruck, dass ich von der Polizei  mehr geschützt werden muss als nichtjüdische Mitbürger oder gar moslemische. Das Bundesinnenministerium ruf aber zum Schutz von Juden (nur Juden?) in Deutschland auf. Und die FAZ beruft sich ausgerechnet auf den jüdischen Philosophen Theodor W. Adorno in ihrem Ruf nach Autorität. Zum letzten Mal, als wir „Autorität“ in Deutschland hatten, gab es nicht weniger Antisemitismus, sondern mehr, viel mehr, und am Ende hat es bis nach Auschwitz geführt.

Was aber bei den täglichen Warnungen vor Antisemitismus fehlt, ist die klare Beschreibung was Antisemitismus (heute) ist und wo und wann es anfängt. Ich lese immer wieder, dass es sich um „Israel bezogenen Antisemitismus“ handelt. Was bedeutet das aber? Für Adorno fing der Antisemitismus stets mit dem „Gerücht über die Juden“, was immer er damit auch meinte. Das ist aber nicht debatierbar, sondern einfach nur falsch. Deshalb, sagte Adorno, müsse dem „Gerücht“ die Wahrheit entgegengesetzt werden. Wer aber die Wahrheit über den Vernichtungskrieg Israels gegen die Palästinenser, ja die Palästinenser und nicht nur die Hamas oder die Hisbollah, sagt, gilt als Antisemit und wenn er selbst Jude ist, wie ich, dann sogar als „berüchtigter Antisemit“. Wie absurd ist das?

Es wäre wünschenswert und wichtig, wenn die Presse uns endlich aufklärt, was das für „antisemitische Straftaten“ sind, die die FAZ am Anfang ihres Beitrags stellt, die die Statistik angeblich immer wieder ermittelt. Oder ist es nur Kritik an Israels völkerrechtswidrige Politik, die nach § 5 unseres Grundgesetzes erlaubt ist. Nur leider halten sich Politiker und Medien nicht daran.

Das Jahr 2024 endete mit einem Eklat, den die Presse anheizte; so etwa die NZZ, die berichtete:

„Judenhass, Schwurbler und Esoteriker: Evangelische Gemeinden auf Abwegen. Eine Kirche im Bundesland Hessen hat einen antisemitischen Weihnachtsmarkt veranstaltet. Unsere Recherche zeigt, wie katastrophal die Zustände wirklich sind. ….

Die Jüdische Gemeinde Darmstadt hat Strafanzeige gegen die lokale Michaelisgemeinde gestellt…. Die Staatsanwaltschaft ermittelt…“

Antisemitismus ist ein echtes Problem und zugleich ein Schreckgespenst geworden. Zwar leben Juden nach den Beobachtungen der Tribune Juive in den USA ohne antisemitische Belästigungen, aber in Europa ist es anders: Hajo Meyer hatte einst gesagt, dass früher derjenige als Antisemit galt, der Juden hasste, und heute derjenige als Antisemit beschimpft wird, den die Juden hassen. Und den Eindruck habe ich auch.

Der Satiriker Roda Roda wird gern von jüdischen Publizisten wie Broder zitiert; „Aus dem Antisemitismus könnte noch was Rechtes werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden“.

Inzwischen haben sich jüdische Funktionäre und Politiker seiner wirklich angenommen und zeihen jüdische Friedensaktivisten und Gelehrte als Antisemiten. Deutsche Akademiker, Unidirektoren, Oberbürgermeister und Sparkassendirektoren verweigern Friedensaktivisten und Gelehrten  – auch wenn sie jüdisch sind  –  das Recht der Meinungsfreiheit verwehren. Statt der SA können sie die Polizei aufmarschieren lassen, wie es im Sommer 24 zur Sprengung des von der „Jüdischen Stimme“ mitveranstalteten Palästinakongresses geschah. Den unerwünschten Juden wird einfach „jüdischer Selbsthass“ unterstellt. Wie soll man dieses „rätselhafte Phänomen“ verstehen? Was motiviert jüdische Funktionäre wie Josef Schuster und Charlotte Knobloch, oder jüdische Intellektuelle wie Broder und Wolffsohn, sich derartig verächtlich gegenüber anderen Juden zu äußern? Menschen, die behaupten, in Israel passiere    – abgesehen vom Holocaust –  Vergleichbares zum Dritten Reich, sind nach Broders Überzeugung Antisemiten. Dabei räumte er in der Jüdischen Allgemeinen selbst ein, dass Israelis – und er meinte Juden – „Täter“ seien, ein Begriff, der sonst nur in Bezug auf „Nazis“ angewendet wird, sind. Ja, was gilt denn nun?

Die überwiegende Mehrheit der Deutschen verabscheut die jüngsten Angriffe auf Juden und jüdische Institutionen, und nimmt sie sehr ernst. Manche jüdischen Funktionäre allerdings bauschen die Ereignisse derart auf, als sei das Dritte Reich kurz vor der Auferstehung von den Toten. Die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ sei der erste Vorbote der antisemitischen Pogrome. Schuster, Broder und Knobloch, um nur wenige zu nennen, tun so, als ob der Antisemitismus die finale Phase der Endlösung der Judenfrage eingeläutet habe, reden, als stünde ein zweites Auschwitz vor der Tür. Sie unterstützen damit die amerikanische Anti-Defamation League (ADL), die sich mehr als alle anderen Organisationen bemüht, das Bild eines aufkeimenden Antisemitismus in Europa zu verbreiten. Wie kommen sie auf diese Idee?

Bürger überall auf der Welt, darunter auch etliche Juden, haben aus den Ereignissen der letzten 80 Jahre gelernt, eine Hemmschwelle zu überwinden, und Israels Politik und Kriegsverbrechen so zu kritisieren, wie sie es bei allen anderen Völkern üblich ist.

Solches darf nach Meinung mancher Juden nicht vorkommen (Ahavat Israel). Für Juden ist es daher grundsätzlich schwierig, sich von Israels Übergriffen zu distanzieren, bei anderen Gelegenheiten dagegen auch leichter als es Nichtjuden fällt. Letztere sind immer einer Art moralischer Erpressung durch Zionisten ausgesetzt, vor allem in Ländern wie Deutschland mit seiner antisemitischen Vergangenheit. Sie müssen sich dann doppelt für ihre Stellungnahme rechtfertigen. Juden werden allerdings auch unter besonderen Druck gesetzt, oft von ihren Familienangehörigen. Man nennt sie zwar nicht Antisemiten, aber dafür Nestbeschmutzer, Vaterlandsverräter, oder auch „koschere Antisemiten“ unabhängig davon, ob Israel ihr Vaterland ist oder nicht.

Gelegentlich wird unsere Neigung zu empörten Reaktionen gefordert, die eine legitime Kritik an der israelischen Politik und ihren Praktiken verlangen. Wenn Palästinenser rücksichtslos enteignet, schnöd entrechtet, willkürlich eingesperrt, vertrieben und nicht seltengetötet werden, ist es ganz und gar nicht antisemitisch, die Taktiken des Boykotts, des Investitionsentzugs und Sanktionen (BDS) als gewaltfreie politische Maßnahmen gegen eine Macht zu verteidigen, die wie eine historische Kolonialmacht sich über die politischen Rechte einer Minderheit hinwegsetzt. Man muss nicht der BDS-Kampagne nahestehen, um  sie als eine legitime politische Äußerung der Betroffenen, zu akzeptieren. Auch ohne, dass jemand die BDS unterstützen möchte, muss man zugeben, dass diese Bewegung nicht zensiert oder für ihre Ansichten bestraft werden darf. In den USA ist bisher jeder Versuch, Gesetze zu erlassen, um die Unterstützung der BDS-Kampagne zu verbieten oder zu kriminalisieren, an der Verfassung der USA gescheitert. Entsprechende Bestimmungen höheren Rechts finden sich auch in den Urkunden über die Menschenrechte und sogar im Grundgesetz. Leider werden solche von vielen Stadtverwaltungen, von Köln bis München und Hamburg bis Frankfurt ignoriert. Sie stehen im Gegensatz zu einer fiktiven „Staatsraison“. Dennoch können die Kommentatoren der Verhältnisse nicht um eine Diagnose herumkommen, dass zwischen der Feindschaft gegenüber Juden und der Gegnerschaft zur Politik Israels ein Zusammenhang besteht. Dieser führte dazu, dass europäische Antisemiten häufig Sympathien für Israel erklären: je schlechter sich Israel benimmt, desto höher steigt das Land in ihrer Wertschätzung. Und je mehr Israel in der Schätzung neo-nazistischer Parteien steigt, desto mehr fühlen sich deutsch-jüdische Patrioten diesen Parteien verbunden. Der jüdische Publizist Henryk M. Broder machte im Frühjahr 2019 eine europäische Begegnungstour mit rechten und ultrarechten europäischen Parteien. Er begann mit der AfD, wo er von der Parteivorsitzenden Weigel herzlich umarmt wurde, und ist inzwischen, wie man hört, auch schon bei der FPÖ gewesen. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis er nach Ungarn und Polen reist.

Es ist die Politik der israelischen Regierung, vor allem in den letzten Jahrzehnten, die rudimentäre antijüdische Gefühle verstärkt und gleichzeitig Sympathien bei rechten Parteien gewonnen hat. Im Grunde hat Israel selbst erheblich zum Wiederaufleben des Antisemitismus beigetragen. Das ist freilich ein Ergebnis, mit dem viele israelische Politiker keineswegs unglücklich sind. Denn die zionistische Ideologie Herzls setzt einen virulenten Antisemitismus voraus.

Geht es den meisten Deutschen, die täglich über Israel und den Antisemitismus schreiben, wirklich um Israel und um die Bekämpfung des Antisemitismus, oder nur um ihre Selbstdarstellung? Wenn ich z. B. an den Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker denke oder an die Frankfurter „linke“ Aktivistin Jutta Ditfurth, dann kommen mir Zweifel an deren Ehrlichkeit. Sie wollen zeigen, wie sehr sie sich von den Verbrechen des Dritten Reiches und ihren eigenen Familientraditionen distanziert haben, und dass sie echte „Gutmenschen“ geworden sind. Jutta Ditfurth hat zugegeben, dass ihre Familie antisemitisch war. Dass sie durch ihre zwanghafte Läuterungsdemonstration die Rechte und Würde dritter Menschen verletzen, Moslems, Christen und Juden, wollen sie nicht wahrnehmen. Sie denken, dass ein einseitiges, blindes Eintreten für  israelische Positionen das Gebot der Stunde sei. Dabei sind diese ganz und gar keine jüdischen Positionen, für die sie sich stark machen, denn das Judentum lehnt Rassismus und Menschenverachtung ab. Wollen sie die Ermordung jüdischer Semiten dadurch ausgleichen, dass sie heute moslemische Semiten diskriminieren und vertreiben?

Es vergeht doch seit Jahren kein Tag an dem nicht in irgendeiner Zeitung, im Rundfunk oder im Fernsehen, über Antisemitismus geschrieben wird. Meistens dozieren vermeintliche Experten, die wenig Ahnung von Judentum und kaum Kenntnisse über Israel haben, und daher wie Blinde über Farben reden. Der Versuch, die anstößige israelische Politik mit dem Holocaust zu rechtfertigen, widerspricht den moralischen Grundsätzen des Judentums. Wenn ein Deutscher mit Blick auf Auschwitz zu den Maßnahmen Israels eine Meinung hat, dann schweige er besser taktvoll und diskret. Das ist das Einzige, was der Holocaust rechtfertigen kann; er kann aber nicht die Maßnahmen der israelischen Regierung gegen Araber rechtfertigen. Es ist offensichtlich, dass wir nicht vor der Gefahr eines zweiten Auschwitz stehen, auch wenn Hetzer wie Josef Schuster vom Zentralrat der Juden, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Jüdischen Gemeinde in München oder der Hofjude und Hofnarr Henryk M. Broder immer wieder diese Vorstellung beschwören. Sie verunsichern damit nur ihre geistige Klientel, die angeblich auf gepackten Koffern sitze. Noch nie sind Juden sicherer gewesen als heute. In den USA, in Europa und auch in Deutschland leben Juden friedlich und zumeist in Wohlstand.

Schaut man aber nach Israel, dann kann einem schwindlig werden. Seitdem Benjamin Netanjahu an der Regierung ist, gleitet Israel ohne Halt nach rechts. Es nähert sich immer mehr einem wirtschaftlichen Abgrund. Nationalismus und Rassismus bestimmen die Richtlinien Netanjahus Politik.

Statt aber die Gründe für diese Entwicklung in der israelischen Politik zu suchen, holt man lieber die Antisemitismus-Keule hervor. Die Völkergemeinschaft, die Europäer und vor allem die Deutschen werden als Judenhasser in verletzender Weise diskreditiert. Man schreckt nicht einmal vor Beleidigungen zurück. Die Taktik ist klar: man zeigt auf andere, um von seinen eigenen Problemen abzulenken. Und wenn das internationale Strafgericht in Den Haag gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erlässt, wegen der Beteiligung an Kriegsverbrechen, dann ist die Antwort Netanjahus und der israelischen Öffentlichkeit: Die Richter sind Antisemiten.

Zwar trifft Deutschland wohl eine Schuld daran, dass es so weit kommen konnte, aber es hilft weder den Juden noch den Israelis und auch nicht den Palästinensern, wenn man immer nur zurückblickt und sich weigert, nach vorn zu schauen. Es stimmt, ohne den deutschen Nationalismus und Rassismus hätte es in den dreißiger Jahren nicht die massive Einwanderung nach Palästina gegeben. Ohne die britische Mandatsmacht, die diese Einwanderung begünstigt hat, hätten wir nie die Probleme von heute bekommen. Aber wir sollten auf die heute anstehenden Probleme schauen und nicht in der Vergangenheit nach Rechtfertigung suchen. Wir sollten vor allem nach Recht und Gerechtigkeit streben und dem Propheten Jeremias nacheifern, der gerufen hat: „Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachlaufen.“

Der angebliche neue Antisemitismus ist letztlich nichts anderes als ein Propagandainstrument bestimmter jüdischer und israelischer Interessen. Für diese ist es geschickt, wenn Antizionismus mit Antisemitismus  vermengt wird. Die Zionisten haben von Anfang an mit den antisemitischen Nazis kooperiert. Bis zuletzt hat Benjamin Netanjahu den Antisemitismus begrüßt, weil er „Juden nach Israel spült“. Kritik an dieser Politik ist nicht einmal Antizionismus, sondern eine nur allzu berechtigte Kritik an der aggressiven, nationalistischen, ja chauvinistischen Politik Israels, die von vielen Juden und Israelis mitnichten antisemitisch bzw. antijüdisch aufgefasst wird. Netanjahu hat sogar versucht, den Mufti von Jerusalem, Hagh al Husseini, für den Holocaust verantwortlich zu machen und behauptet, der Mufti hätte Hitler die Ermordung der Juden ins Ohr geflüstert. Als ob Hitler Ratschläge des Muftis, den er verachtete, nötig hatte. Diese Behauptung wird aber trotzdem immer wieder frisch daher gebetet.

Aber die Kritik kann noch so sachlich, berechtigt und moderat sein, von zionistischer Seite wird stereotyp der Vorwurf erhoben, dass sie „weit über eine sachlich gerechtfertigte Kritik hinausginge.“ Man hört immer wieder von prozionistischen Kreisen, vom Zentralrat der Juden und anderen jüdischen Hasspredigern, dass man selbstverständlich Israel kritisieren könne und dürfe. Wenn man es aber tut und nicht etwa Israel, sondern dessen Politik kritisiert, dann wird man umgehend als Antisemit verleumdet. Diese zionistische Kritikabwehr wurde und wird derart überzogen, dass sie immer weniger Menschen überzeugt und auch immer mehr Juden und Israelis abstößt.

Inzwischen ist eine radikal chauvinistische Partei aus der Asche wieder auferstanden. Es ist eine israelische Nazi-Partei, die in eine Koalition rechter Parteien in das israelische Parlament einzog, gefördert von Benjamin Netanjahu, der so hofft, mit deren Hilfe an der Macht zu bleiben. Kein Wunder, wo doch schon sein Vater, der jahrzehntelang Sekretär des rechtsradikalen jüdischen Politikers Ze‘ev Jabotinski war, des Ahnherrn der heutigen rechten Parteien, ein bekennender Faschist und Bewunderer von Mussolini war. Seine paramilitärische Beitar-Jugend brachte sich mit braunen Hemden zur Geltung.

Das Panier der neuen Kach-Partei lautet: Entfernung aller Nichtjuden aus Jerusalem, Aberkennung der israelischen Staatsbürgerschaft für alle nichtjüdischen Israelis und Kontaktverbot zwischen Juden und Arabern. Die Nazis in Deutschland dürften sich freuen und manche Juden auch. Manche sind schon der AfD beigetreten und verteilen dort fleißig Persilscheine.

Ich habe lange geglaubt, dass es zwecklos und entwürdigend ist, mit solchen jüdischen Chauvinisten zu diskutieren. Das würde ihnen bloß Legitimität verschaffen. „Es gibt jedoch Zeiten, in denen Absurditäten zu politischen Tatsachen werden und nicht mehr ignoriert werden können“, schreibt Omer Bartov. Wir müssen uns wohl oder übel mit diesen Leuten auseinandersetzen, nicht nur, indem wir ihre gewalttätigen, rassistischen Vorstellungen entlarven, sondern indem man ihnen Grenzen setzt, und sei es mittels Boykotts und Delegitimation.

Es ist nachvollziehbar, dass fanatische Zionisten uns nicht mögen. Wir mögen sie auch nicht. Der Unterschied ist nur, dass wir sie nicht daran hindern, ihre Meinung zu sagen oder Israel-Tage zu veranstalten, während sie alles tun, um unsere Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Es ist ein Skandal, wenn der Zentralrat der Juden und jüdische Funktionäre linken jüdischen Intellektuellen Antisemitismus vorwerfen, weil diese sich für die Rechte der Palästinenser und einen gerechten Frieden in Israel einsetzen. Und es ist ein noch größerer Skandal, dass deutsche Funktionsträger (der Bürgermeister in Göttingen, die dortige Unipräsidentin, der Antisemitismusbeauftragte, etc.…), sich dieser Verleumdungskampagne unterwerfen und sich gegen die Vergabe des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ wenden.

Besonders ärgerlich für uns kritische demokratische Juden ist der Mangel an Sensibilität bei Herrn Josef Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sich nicht geniert, den Bundespräsidenten zu kritisieren wegen seines Glückwunschtelegramms zum iranischen Nationalfeiertag. Schuster schreibt: »Beim Glückwunschtelegramm des Bundespräsidenten zum Jahrestag der Revolution im Iran scheint die Routine‐Diplomatie das kritische Denken verdrängt zu haben.“ Dabei scheint es mir, dass bei Schuster das kritische Denken ausgesetzt hat. Es ist eine ausgesprochene Unverschämtheit, dass beim Thema Iran im Zentralrat offenbar die nötige Sensibilität gefehlt hat. Weiterhin sagte Schuster laut Bild.de: »Ich erwarte vom Bundespräsidenten, dass er die nächste Gelegenheit ergreift, um gegenüber dem Iran unmissverständlich die kritische Haltung der Deutschen zu verdeutlichen, in deren Namen er spricht.«

Josef Schuster hat da aber nichts zu erwarten und sollte sich für diesen Ton möglichst bald entschuldigen. Wir, als Volk, dürfen aber sehr wohl von unserem Präsidenten erwarten, dass er den Israelis „unmissverständlich die kritische Haltung der Deutschen verdeutlicht, in deren Namen er spricht.“

Das Auswärtige Amt hatte dazu erklärt, solche Telegramme seien zu Nationalfeiertagen eine verbreitete Praxis im diplomatischen Verkehr zwischen Staaten. Darauf hat auch das Bundespräsidialamt hingewiesen. Offenbar hat Schuster das nicht eingesehen. Ich habe nirgends gelesen, dass der Zentralrat der Moslems in Deutschland sich beim Bundespräsidenten beschwert hat, weil er 2018 Israel zum 70. Geburtstag gratuliert hat. Da liegt auch der Unterschied zwischen Menschen ohne Erziehung, die davon ausgehen, dass sie alles dürfen, weil sie Juden sind, und kultivierten Menschen, die sensibel genug sind zu wissen, was man nicht tun darf. Einen besseren Beweis, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland nichts anderes ist als eine Filiale der israelischen Botschaft und ein treuer Vertreter der israelischen Propaganda, konnte uns Schuster nicht erbringen.

Er erweist sich damit als getreuer Anhänger der rechtsextremen israelischen Regierung und liefert den Kritikern dieser Politik noch mehr Munition, diese abzulehnen. Es ist wie ein Teufelskreis, in dem wir alle stecken. Seit dem Jahre 2004 verweisen die israelischen Regierungen zunehmend auf den Holocaust, um ihre Unterdrückung der Palästinenser zu rechtfertigen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland fördert ihn dabei, indem er die Gefahr eines neuen Holocaust heraufbeschwört und sich in außenpolitischen Fragen einmischt, die ihn gar nicht angehen. Es ist nicht die Aufgabe eines Zentralratsvorsitzenden Kommentare zur deutschen Außenpolitik zu geben.

Wenn er sich aber für berufen hält, die Außenpolitik zu beeinflussen, dann sollte er sich bei der Politik Israels zu Wort melden und die dortigen Menschenrechtsverletzungen anprangern. Leider ist er aber auf diesem Auge blind. Er will nicht wahrhaben, dass -so sehen es inzwischen viele israelische Kommentatoren –  „Israel zunehmend eine Erosion der Demokratie, ein Erstarken des Rassismus, das Aushöhlen des Rechtsstaates und einen immer rücksichtsloseren Einsatz von Gewalt, erlebt. Kritik an Regierungshandeln wird in Israel regelmäßig nicht nur als antizionistisch, sondern als antisemitisch betrachtet.“

 

 

 

Zu den Juden in Deutschland

Viele Juden in Deutschland sind traumatisiert, verunsichert und ängstlich. Gottseidank nicht alle. Traumatisiert und verunsichert sind in erster Linie die Mitglieder der Jüdischen Gemeinden, die vom Zentralrat der Juden gelenkt und geleitet werden. Sie sind folglich selbst für ihrer Selbstverängstigung verantwortlich; ihre Führung, die nicht müde wird zu verkünden, dass alle Juden geschlossen hinter Israel stünden, und dass alle Juden über die 1200 ermordeten Israelis und etwa 140 noch lebenden Geiseln zu trauerten, irritiert es nicht, dass sie vollkommen gleichgültig wirken gegenüber dem Tod von mehr als 40 000 palästinensischen Kindern, Frauen und Männern, alles Zivilisten. Für die gelenkten Juden sind alle Palästinenser in Gaza „Hamas-Terroristen“, auch die arabischen Schulkinder. Dabei sind diejenigen, die sie „Terroristen“ nennen, in den Augen der anderen Seite nichts minderes als Freiheitskämpfer. Die deutsche Wehrmacht definierte die russischen Partisanen und die Mitglieder der französischen Resistance  als Terroristen. Auch die jüdischen Widerstandgruppen „Etzel“,  die „Lechi“ und die „Stern-Gruppe“, die in Palästina gegen die englische Verwaltung Anschläge vornahm, galten den Briten als Terroristen.  Den Israelis dagegen gelten diese Leute heute als Freiheitskämpfer. Ob Terrorist oder Freiheitskämpfer ist also eine Frage des Standpunkt oder der Zeit.

Die Führung der Juden in der Diaspora argumentiert im Gaza-Konflikt so, als sei Israel aus heiterem Himmel mit dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 konfrontiert worden. Natürlich war dieser Überfall auf eine überflüssige Weise grausam und brutal, aber die israelische Besatzung der arabischen Teile Palästinas darf ebenso als grausam und brutal verstanden werden. Das Abwerfen von 1000-kg-Bomben auf ein feindliches Wohngebiet lässt sich kaum als eine humanitäre Tat darstellen.

Im Konflikt Israels mit den Arabern werden seit mehr als 100 Jahren unzählige Massaker von beiden Seiten verübt . Die Zahl der Opfer auf palästinensischer Seite ist um ein Vielfaches höher als die Verlustzahlen auf der israelischen. Nicht Palästinenser, sondern jüdische Terroristen waren es, die als erste Bomben auf Marktplätzen in Haifa und in Jerusalem zur Explosion brachten und zahllose Opfer „billigend in Kauf nahmen“. Über diese weinen palästinensische Mütter genauso wie jüdische um ihre getöteten Söhne und ihre ermordeten Kinder. Der Autor dieser Zeilen hatte in der Schule in Israel gelernt, dass palästinensische Mütter nicht um ihre Kinder weinten, weil ihre Tränen im Widerspruch zu den Umständen stehen, dass sie zuließen, dass die Kinder von der Hamas zum Krieg rekrutiert werden. Die pädagogischen Theoretiker überlegten niemals, dass die gleiche Argumentation auch den jüdischen Müttern vorgehalten werden könnte, die ihre Söhne und Töchter stolz in die Armee schickten.

„Nie wieder“ ist nicht erst „heute“. Nie wieder galt auch schon gestern und gilt eigentlich immer. Aber die Juden beziehen diesen Slogan allein auf sich. Nie wieder Auschwitz. Nie wieder Antisemitismus. Nie wieder Hass auf Juden. „Nie wieder“ meint aber ein „Nie wieder Hass, Antipathie und Vernichtungswünsche“ zugunsten aller Menschen. „Nie wieder Krieg“ rufen gewisse Leute und wir sehen, dass die Juden im Nahen Osten wieder Krieg führen und in Europa den Gemetzeln zugestimmt wird. Deutsche Politiker fordern wieder blind und gewissenlos eine kritiklose Unterstützung Israels, obwohl alle Welt gesehen hat und weiß, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu diesen Krieg gewollt und herbeigeführt hat.

Natürlich behaupten gewisse Juden, dass sie „keine andere Wahl“ hätten. Aber die Behauptung von fehlender Wahlfreiheit und bedrückender Alternativlosigkeit ist Unsinn. Der denkende Mensch findet immer eine alternative Möglichkeit. Das Zwanghafte des Prinzips „Aug´um Auge“ lässt die Welt erblinden, sagte Mahatma Ghandi. Wenn beide Seiten behaupten, dass sie alternativlos gestellt seien, dann leiden sie beide am politischen Grünen Star.

Ich denke da an die Geschichte des Juden Jakubowski und dem polnischen Oberst, für den es immer nur eine Möglichkeit gab und die heute von Netanjahu besetzt ist. Für den Juden Jakubowski gab es immer zwei Möglichkeiten, die er von seiner Mutter lernte, wie er immer wieder sagte. Damit wollte er sagen, dass es jüdische Lehre und Tradition war und ist, über eine Alternative im Köcher zu haben. Dass die Israelis seit Jahrzehnten keine Alternative sehen zeigt, dass sie sich vom traditionellen Judentum ziemlich weit entfernt haben.

Im konkreten Konflikt geht es nicht um Ideologie; der Konflikt ist nicht rassistisch und auch nicht religiös geprägt, sondern er ist ein ganz banaler Streit um Quadratmeter. Die Juden beanspruchen Land, weil ihre Bücher erzählen, dass ihre Vorfahren dort vor 2000 Jahren gelebt hätten, und die Palästinenser beanspruchen das Land, weil dort seit 2000 Jahren alle ihre Vorfahren bis zu ihnen hinab lebten.

Juden in Deutschland stehen „wrong or right“ hinter Israel, und sind empört, wenn an Wänden von Synagogen oder Gemeindehäuser gesprüht wird „Fuck Israel“ oder „Free Palestine“. Sie haben dafür keine andere Erklärung als: Antisemitismus. Damit verfremden sie diesen Begriff von seiner ursprünglichen Bedeutung, nämlich Judenhass aus den Reihen der Mitbürger. Sie verballhornen den Antisemitismusbegriff zu einem politischen Kampfmittel im Konflikt um Israel und in der Auseinandersetzung mit den Palästinensern. Wenn die Palästinenser in dieser klassischen Auseinandersetzung agieren oder reagieren, dann gelten sie den Juden als Antisemiten. Dabei steht auf den diversen Wänden nicht „Fuck die Juden“. Und wenn die Juden sich so sehr mit Israel identifizieren, dass sie „Fuck Israel“ als Judenhass interpretieren, dann sind sie taub und blind für die Realität in Israel/Palästina und in Deutschland. Nach allem was die Israelis den Palästinensern angetan haben, haben letztere das Recht „Fuck Israel „ zu sprühen.

So einfach kann  man es sich machen. Aber damit kann man keine Probleme lösen und erst recht nicht den Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser, der offensichtlich unlösbar bleiben wird. Wenn man Menschen unterdrückt und die Freiheit raubt, sie quält, ausraubt, enteignet und brutal behandelt, dann darf sich nicht wundern, wenn diese Menschen sich irgendwann dagegen wehren, auch wenn ihre Reaktion unmenschlich und grausam ist. In diesem Konflikt wird ständig Grausamkeit mit  Grausamkeit verrechnet.

Ich habe längst den Glauben verloren, dass ich noch in meiner Lebzeit eine Lösung erlebe.

von Abraham Melzer

 

Zum Mail von Götz Schindler:

Lieber Götz,

ich habe Deine Empfehlung das Buch „Feuer“ von Ron Leschem zu lesen ernst genommen und das Buch bestellt. Vorab, noch bevor ich das Buch gelesen habe, möchte ich aber zu Deinen Zeilen und zur Rezension von Matthias Kolb in der SZ folgendes schreiben:

Du zitierst aus der Vorbemerkung des Autors folgenden Satz: „Es ist nicht möglich, den Teufelskreis des Blutvergießens zu stoppen und zu einer Lösung des Konflikts zu gelangen, ohne die Geschichte in ihrer ganzen Komplexität zu kennen.“ Und Du vergleichst diese Worte mit den Worten von Antonio Guterras, der daran erinnert hat, dass die grausame tat der Hamas vom 7. Oktober 2023 eine Vorgeschichte hat.

Das ist alles richtig und jeder weiß doch, dass die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht am 7. Oktober 2023 begonnen hat. Wer es nicht weiß ist nicht ignorant, sondern er will es bewusst und mit Absicht nicht wissen. Wenn aber bei uns in Deutschland nicht alle Menschen die Geschichte des Konflikts in seiner ganzen Komplexität kennen, dann ist es für die Lösung des Konflikts vollkommen belanglos, denn den Konflikt sollen nicht die Deutschen, Franzosen oder Engländer, sondern Israelis und Palästinenser beenden. Und sie, die Israelis und die Palästinenser wissen alles über die Komplexität des Problems, weil sie es seit zwei, drei Generation tagtäglich erleben. Während aber die Palästinenser immer wieder darüber reden, sich beklagen und ihre Tote zählen, schweigen die Israelis und suchen die Schuld bei der Hamas. Der Elephant im Raum ist aber die Besetzung Palästinas durch eine brutale israelische Armee. Inzwischen kann man auch nicht mehr von Besetzung reden. Man muss die Dinge beim Namen nennen: Es ist eine Kolonialisierung Palästinas durch israelische Siedler und Siedlungen. Solange es diese Kolonisierung geben wird, wird es keinen Frieden geben und alle Verhandlungen, auch wenn sie vermeintliche Ergebnisse ergeben, sind vergebens. Israel und seine jüdischen Bewohner müssen endlich kapieren, dass das Zeitalter der Kolonisation längst beendet ist. Solange die Israelis und die übrigen westlichen europäischen Staaten, und besonders Deutschland, die palästinensischen Kämpfer „Terroristen“ nennen, wird es eine faire Lösung des Problems nicht geben. Solange man in der Politik und in den Medien die palästinensischen Widerstandkämpfer Terroristen nennen wird, solange wird eine gleichberechtigte Verhandlung zwischen Kontrahenten nicht möglich sein. Solange die Israelis arrogant und selbstgerecht ihre Gegner, die Hamas, als Terroristen und ihre israelische Armee als die humanste Armee der Welt bezeichnen, wird es keinen Frieden geben. Und wenn Israel seine Politik nicht ändern wird, dann ist Israels Untergang nur eine Frage der Zeit. Eigentlich ist Israel schon heute mit seiner faschistischen und zum Teil kriminellen Regierung auf dem besten Wege dazu.

Das ist auch das Problem der Rezension von Matthias Kolb, dass sie unkritisch und naiv von der Hamas als eine Terrororganisation spricht. Überall auf der Welt waren Freiheitskämpfer, bevor sie ihr Ziel erreicht haben, Terroristen. In Indien unter der britischen Herrschaft, in Algerien unter französischer Herrschaft und in Kenja auch unter britischer Herrschaft, um nur drei Beispiele zu nennen. Jomo Kenjata, der Führer der sogenannten Terroristen bzw. Rebellen, wurde von der britischen Kolonialmacht als Terrorist gesucht. Nachdem Kenja frei wurde von der britischen Besatzung wurde er 1963 Ministerpräsident, und  ist von der britischen Königin mit allen diplomatischen Ehren empfangen worden. Und auch jüdische Widerstandskämpfer wie Menachem Begin und Moshe  Shamir, wurden von den Briten, die damals Palästina besetzt hielten, per Steckbrief als Terroristen gesucht und Shamir wurde sogar gefasst und in ein britisches Konzentrationslager in Afrika gesteck. Später wurden Begin und Shamir als Ministerpräsidenten ihres Landes überall auf der Welt mit allen Ehren empfangen. So wird es eines Tages auch mit den Führern der Hamas passieren, sofern sie nicht von der brutalen israelischen Regierung ermordet werden.

Es ist an der Zeit nicht mehr zurückzublicken, sondern nach vorn schauen. Die Israelis haben nur über eine Frage zu entscheiden, die für ihre Zukunft wichtig ist: Wollen sie in Frieden leben, wie zum Beispiel andere Nationen überall auf der Welt, oder wollen sie ewig Krieg führen? Wollen sie wie einst Yael Dayan, die Tochter des legendären Moshe Dayan, geschrieben hat: Ewig mit dem Gewehr schlafen?

Leider gibt es in Israel Politiker und viel zu viele Wähler, die das wollen. Bis zum letzten Palästinenser oder Palästinenserin, Kinder und Greise, alle vernichten. Und wenn Benjamin Netanjahu es vielleicht selbst nicht will, weil er kein blinder Fanatiker ist, sondern ein rationaler Faschist, wie sein Vater, so wird er aber von seinen Koalitionspartner Itamar ben Gvir und Bezalel Smotrich bedrängt und getrieben. Und schließlich geht es ihm auch um seine persönliche Zukunft. Er weiß, dass wenn er nachgibt, er selbst am Ende im Gefängnis landen wird. Und das will er vermeiden. Das Hemd ist ihm näher als der Rock und seine eigene Freiheit näher als die Freiheit der entführten Geiseln.

Ich wiederhole mich: Das Problem ist nicht die Hamas,  auch wenn es so aussieht, als ob die israelische Armee die Hamas nicht besiegen Kann. Das Problem ist die israelische Besatzung und Unterdrückung eines anderen Volkes, brutal und herzlos, das Problem sind die unzähligen Siedlungen auf palästinensischen Boden, den die Israelis Judäa und Samaria  bezeichnen und sich dabei auf die Bibel berufen, als ob die Bibel ein Grundbuchverzeichnis sei. Das Problem ist die totale Ignorierung des palästinensischen Volkes, das Problem war und ist, dass sämtliche israelische Regierungen fest davon überzeugt waren, dass sie die Besatzung beherrschen können und es nur eine Frage der idealen Organisation sei. Das Problem ist, dass so viele Israelis das wissen, aber nicht wissen wollen. Dabei geschieht es vor ihren Augen und den Augen der Weltöffentlichkeit. Es erinnert mich an die Zustände in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1939, als man die Juden entrechtet hat, sie aus ihren Wohnungen vertrieben und schließlich in vollen Viehwagons nach Auschwitz gebracht hat. Die Bevölkerung hat das gesehen und geschwiegen.

Und wenn die Israelis so dumm, so stur und so selbstgerecht sind, dass sie die Realität nicht sehen wollen und diejenigen, die sie sehen schweigen oder das Land verlassen, so bleibt nur noch die Hoffnung, dass die Weltöffentlichkeit das sieht und aufschreit. Jüdische Menschen überall auf der Welt, die Jahrzehnte Israel moralisch und finanziell unterstützt haben, wenden sich ab von Israel. „Nicht in unserem Namen“ sagen sie in New York, London, Paris und Berlin.

Und mit dem Missbrauch der Benutzung des Holocaust als Entschuldigung für Israels völkerrechtlich falsches Verhalten und der Diffamierung von jedem, auch Juden, der Israels Politik kritisiert, als „Antisemit“ ist jetzt auch Schluss. Die Zeit der elenden und überflüssigen Antisemitismusbeauftragten ist vorbei. Schaffen wir sie ab und schicken wir sie nach Gaza, wo sie beim Wiederaufbau helfen können.

von Abraham Melzer

Heute weiß es jeder!

Man kann Sarah Wagenknecht vieles vorwerfen, vor allem, dass sie und ihre Partei weit entfernt von Demokratie sind. Manche werfen ihr sogar Faschismus vor. Ministerpräsident Michael Kretschmer meint sogar, dass sie ein Talent hat, Dinge zu zerstören. Ihre Affinität zu Putin ist gefährlich und ihre Nähe zur AfD noch mehr.

Aber was der Zentralrat der Juden durch den Zentralratsvorsitzenden Josef Schuster ihr vorwirft, ist absurd, lächerlich und dumm. Sie bediene antisemitische Narrative, meint Schuster, und er kann ihr nichts anderes vorwerfen, als dass sie den Bundestag aufgefordert hat Waffenlieferungen nach Israel einzustellen bzw. dass sie im März gesagt hat, dass Israels Kriegsführung in Gaza „Züge eines Vernichtungszuges“ trage. Dabei sagen das inzwischen auch viele Israelis und Juden überall auf der Welt und leider ist es wahr.

Schuster wirft Wagenknecht vor, sie würde „die Realitäten in diesem Krieg nicht anerkennen: Israel kämpft gegen die Terrororganisation Hamas – und nicht gegen die palästinensische Bevölkerung.“ Wenn das so ist, dann sollte Schuster uns erklären, wie es kommt, dass bis heute mehr als 40 000 Zivilisten in Gaza von der israelischen Armee getötet, wenn nicht sogar ermordet wurden. Darunter mehr als die Hälfte Kinder und Frauen.

Israel kämpft (angeblich) um sein Überleben, sagt Schuster. Aber die Hamas und die Palästinenser kämpfen auch um ihr Überleben, zumal es genügend Israelis auch im Parlament und in der Regierung gibt, die Gaza vernichten und ausradieren wollen. Und während diese Racheaktion der israelischen Armee jenseits von allen völkerrechtlichen Linien ist, ist der Kampf der Palästinenser (der Hamas) völkerrechtlich gerecht.

Und wenn die Hamas eine Terrororganisation ist, wie Schuster behauptet, waren nicht die Juden, die gegen die Nazis im Warschauer Ghetto rebelliert haben, nicht in der Sprache der Nazis auch Terroristen? Und die russischen Partisanen und die französische Resistance? Die Nazis haben sie zumindest so genannt, wie heute die israelische Regierung, Schuster und manche naiven Politiker weltweit die Hamas „radikal-terroristisch“ nennen. Radikal ist vor allem Netanjahu und seine rechts-nationalen Partner, von denen einer bereits im Gefängnis saß wegen Terrorismus.

Schuster nennt Wagenknechts Wortwahl „völlig unangemessen.“ Dabei ist seine Wortwahl schlimmer, weil sie dumm und peinlich ist. Den Judenhass in Deutschland befeuert nicht Sarah Wagenknecht, so sehr ich persönlich vor dieser Frau und Volksverhetzerin warne. Den Judenhass befeuert in Deutschland Josef Schuster, sein Zentralrat und nicht zuletzt die Jüdische Allgemeine mit ihren lächerlichen und primitiven Hetzartikel.

Schuster braucht doch nur zuzusehen, was in Israel seit dem 7. Oktober 2023 los ist. Die ach so berühmte und leider auch berüchtigte IDF, die von sich behauptet die humanste Armee der Welt zu sein, begeht Kriegsverbrechen und ist nicht in der Lage die Hamas zu besiegen.

Wenn Netanjahu und seine national-religiösen und radikalen Partner nicht bald einen fairen und nachhaltigen Friedensvertrag mit der Hamas und mit allen Palästinensern abzuschließen, die Westbank räumen und die Siedlungen abbauen, dann wird der Kriegszustand nie enden und das wird Israel nicht überleben. Das habe ich schon vor 10, 20 und 30 Jahren geschrieben und ich bin ausgelacht worden und als Antisemit diffamiert. Heute weiß es jeder.

von Abraham Melzer

Die größte Katastrophe des Judentums

17.06.2024, Abraham Melzer

(Geschrieben im Krankenhaus unter unerträglichen Schmerzen)

Manche sagen, und es sind auch sehr viele Juden darunter, dass die größte Katastrophe des Judentums die Gründung des Staates Israel war. Gemeint hat Seligmann wohl die größte Katastrophe der Juden und nicht des Judentums. Das Judentum ist eine Ideologie (Religion + Kultur) und kann durch einen noch so brutalen Anschlag nicht gefährdet sein. Juden und Judentum sind nicht dasselbe. Juden sind das Volk, die Masse, die Menschen. Judentum ist die Religion, die Ethik und Moral und schließlich die Kultur. Für das Judentum war nicht einmal der Holocaust, die Ermordung von sechs Millionen Menschen jüdischer Abstammung, die größte Katastrophe, so groß, grausam und barbarisch sie war. Das Judentum hat die deutsche Barbarei überlebt und ist heute stärker als je zuvor. m Judentum hat sich nichts verändert. Die 613 Gebote und Verbote gelten nach wie vor.

Ist aber der Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 tatsächlich „die größte Katastrophe seit dem Holocaust für alle Juden auf der ganzen Welt“, wie es Rafael Seligmann in seinem Aufsatz in Spiegel 24 vom 8.6.2024 bejammerte? Mitnichten. Er ist ein brutaler Überfall gewesen, der nicht nur die Juden, sondern auch Nichtjuden überall auf der Welt entsetzt hat. Nicht mehr entsetzt als andere Katastrophen in Asien, Afrika oder sonst wo auch. Die Juden aber neigen ihre Katastrophen immer als Superlative in den Mittelpunkt des Weltgeschehens stellen zu müssen, als ob die Katastrophen anderer Völker zweit und dritt rangig wären. Der Slogan „Juden first“ ist bei den Juden schon länger in Gebrauch als Trumps „Amerika first“. Und viele Juden glauben wirklich, es sei so.

Der 7.Oktober 2023 war  mehr für den Staat Israel eine Katastrophe, eine solche für seine Sicherheit und für den trügerischen Glauben, man könnte den Konflikt mit den Palästinensern irgendwie erfolgreich managen.  Netanjahu hat diesen Glauben propagiert und alle habe es ihm glauben wollen. Und nun sind sie im Schrecken aufgewacht, dass es nicht absolut zutrifft, dass man den Konflikt „verwalten“ könne, sondern dass man ihn schleunigst lösen muss. Die Politik der israelischen Regierung lässt aber  nach diesem Überfall keine Hoffnung durchscheinen, dass die Verantwortlichen in Jerusalem das verstanden haben.

Es war und bleibt also eine tragische Situation für den Staat Israel und seine Armee, die seit 8 Monaten mit kollateralen Erfolgen gegen die Hamas vorgeht. Abgesehen davon, dass die Armee Gaza fast total ausradiert hat, und dass sie fast 2 Millionen Menschen obdachlos gebombt hat, schweigt sie von den tausenden von Toten, auch von den eigenen Verlusten. Aber der Staat Israel und seine Armee, selbstdefiniert als die humanste Armee der Welt, sind nicht das Judentum. Manche ultraorthodoxen jüdischen Sekten zweifeln sogar daran, dass der Staat Israel jüdisch sei. (vgl. Tuvia Tenenbom in: Gott spricht Jiddisch).

Rafael Seligman nennt sich selbst schon seit mehr als einem halben Jahrhundert „Hebräer“, obwohl dieser Begriff in Israel schon genauso lange aus der Mode gekommen ist. Als Hebräer wurden die biblischen Juden bezeichnet. Der Zionismus hat sich aber nicht mit den biblischen Juden identifiziert, sondern wollte einen neuen, modernen Juden schaffen, der sich sogar von den alten Riten und Gebräuchen befreit hat. Das ist freilich nicht gelungen.

Trotzdem war der 7.10.23 für die Existenz des Staates Israel keine Katastrophe. Es war eine militärische Schlappe, die die Überheblichkeit des israelischen Militärs offenbart hat und zeigte, wie schwer es für reguläre Armeen ist, gegen eine Widerstandsbewegung zu obsiegen, wenn diese kein Land erobern will, sondern um spirituelle Begriffe wie Freiheit und Würde ficht. Der Staat hat die militärische Niederlage selbst nach 8 Monaten nicht wett gemacht. Die Kampfjets und Panzer schlagen zwar zielgenau zu und erreichen die totale Zerstörung der Stadt Gaza, aber nicht den Freiheitswillen und nicht die Würde der Bekämpften.

Selbst eine der moralisch motoviertesten Armeen der Welt ist offensichtlich nicht in der Lage einer Widerstands-organisation  das Rückgrat zu brechen. War es in Vietnam nicht ähnlich? Und wie war es in Afghanistan?  Moralisch hat Israel in der ganzen Welt  verloren. Die Stimmung im Land ist niedergeschlagen, von den wirtschaftlichen Problemen, die der Krieg verursacht, schweigt man besser. Trotzdem glauben noch viele Israelis, sie seien allen anderen Nationen überlegen. Sie weigern sich über die Ursachen der präsenten Katastrophe nachzudenken und einzuräumen, dass der Überfall auch seine Gründe hatte, die in der seit Jahren und Jahrzehnten  falschen Politik gegenüber den Palästinensern liegen.

Seligmann schreibt von der „Schamlosigkeit und Härte der Demokratien in Nordamerika und Europa“, weil dort Israels Krieg verurteilt wird. Er phantasiert über das Gespenst des Antisemitismus, der angeblich nach dem 7. Oktober in neuem Gewand erscheine. Er hat wie oft keine Erklärung und füllt die Lücke mit dem Begriff „Antisemitismus“. Er könnte es auch mal mit dem Begriff „Gottlosigkeit“ versuchen. Ist es nicht gottlos, die Juden hängen zu lassen? Schamlos und dumm ist Seligmanns  Argumentation, wenn er nicht müde wird den Freiheitsdrang unterdrückter Völker und den damit verbundenen oft verzweifelten und brutalen Kampf verächtlich zu machen und als Antisemitismus hinzustellen, als Terror, Aufsässigkeit, Ungehorsam, Rebellion und Frechheit gegenüber den vermeintlich moralisch überlegenen Juden zu diskreditieren. Es gibt so viel Hass auf der Welt und Judenhass ist nicht frei davon. Viele palästinensische Politiker und Intellektuelle haben wiederholt widersprochen, darunter auch die Führer der Hamas, und betont, dass die Palästinenser um ihre politische und persönliche Freiheit kämpfen und dass sie diesen Kampf auch führen würden, wenn die Besatzer keine Juden wären, sondern Hottentoten.

Es wird in Europa und ganz besonders bei uns in Deutschland vergessen, dass sie schon gegen die türkische Herrschaft und gegen die Briten rebelliert haben, als diese Mächte Palästina besetzt hielten.  Besatzung ist Besatzung und der Stiefel der Besatzer ist immer der gleiche Stiefel, ob braun, schwarz, rot oder blau.

Seligmann schreibt „der Judenhass ist Teil der christlichen und islamischen Gesellschaft“ und fügt hinzu, dass der Judenhass vor 1945 ein „ehrlicher“ Judenhass gewesen sei. Was für eine erstaunliche und doch dümmliche These. Haben die Nazis die Juden in ehrlicher Haltung und nach Ansage ermordet? Nein, sie haben den Juden Duschräume vorgetäuscht. Auch ihr Judenhass war nie ehrlich. Er war immer von Kräften gelenkt, die zynisch ihr hinterhältiges Geschäft damit gemacht haben. Die Kirche, die die Juden hasste, weil sie sich nicht bekehren ließen, und trotzdem die Christenheit immer daran erinnerte, dass Jesus König der Juden vom Stamm Davids war, den die Pharisäer verleugneten. Die Fürsten und Könige waren gerne bei jüdischen Geldverleihern verschuldet, weil sie „ganz ehrlich“ (Raffael Seligmann) durch Pogrome und Vertreibung ihre Schulden loswerden konnten. Später “erfreuten“ (Raffael Seligmann)  sich die Juden   des ehrlichen Antisemitismus von fanatischen Rassehygienikern und zuletzt von eiskalten Nationalsozialisten des 3. Reiches.

Ehrlichen Judenhass gibt es nicht und kann es nicht geben. Seligmann wollte vielleicht sagen „offenen“ Antisemitismus, der bis in die 50er Jahre hinein (Philipp  Auerbach)  in Deutschland und Europa herrschte und in bürgerlichen Haushalten sogar zum guten Ton gehörte. Hier schließt sich der Kreis zu Seligmann, weil es auch erschreckend viele ehrliche Menschen gab, die Juden hassten, weil es von der Gesellschaft nicht verpönt war.

Die Debatte um den Antisemitismus wird leider seit Jahren unehrlich und falsch geführt. Rafael Seligmann ist ein Beispiel für einen Geisterfahrer gegen antisemitische Gespenster. Der sogenannte Israel bezogene Antisemitismus beherrscht die Debatten und Schlagzeilen. Das ist aber – und das muss deutlich und klar gesagt werden – kein Antisemitismus, den man mit dem Judenhass ehrlicher Antisemiten übersetzen kann und darf, sondern ein Antizionismus, der genauso legitim und erlaubt ist, wie Antikommunismus oder Antikapitalismus. Im Rahmen der Meinungsfreiheit ist es doch Nichtjuden und Juden erlaubt den Zionismus, der eine politische Ideologie ist, als eine kolonialistische oder gar rassistische Lehre zu verurteilen, die nichts mit Judentum zu tun hat. Der jüdische Religionsphilosoph Yakov Rabkin erklärt das in seinem in 14 Sprachen übersetztes Buch „Im Namen der Thora“, sehr klar und überzeugend.

Seligmann schreibt: „Man gibt vor, prinzipiell nichts gegen Juden zu haben, und stützt sich auf jüdische Antizionisten als Alibi, um den israelischen Zionismus zu geißeln .“ Wer ist „man“ und welche „jüdische Antizionisten“ können alibihalber benutzt werden? Was für eine üble, zynische und unehrliche Behauptung ins Blaue hinein! Um die falsche, atavistische und arrogante israelische Politik zu kritisieren, benötigt man keine „jüdische Antizionisten“. Da reicht es die zionistische israelische Politik zu beobachten und den gesunden Menschenverstand zu benutzen. Natürlich muss man jeder Form von Judenhass opponieren; dazu gehört aber auch, Kritik an Israels Politik von purem Antisemitismus zu unterscheiden. Es ist nicht alles im Interesse der Juden der Welt, was Israel veranstaltet. Die politischen Ansprüche der Palästinenser wollen die Juden der Diaspora nicht delegitimieren. Die Interessen der jüdischen Israelis in allen Ehren, aber sie sind zum großen Teil unmoralisch, unberechtigt und entsprechen nicht den internationalen Gepflogenheiten menschlichen Zusammenlebens, wenn sie die Interessen eines anderen Volkes ignorieren. Das Judentum ist eine universale Religion, der Zionismus dagegen eine separatistische Ideologie, die zum Religionsersatz großer Teile der Judenheit geworden ist, speziell derjenigen, die in Israel leben, denen der Universalismus des Judentums völlig fremd geworden ist. Den Universalismus, der im Judentum steckt, haben das Christentum und offensichtlich auch der Islam übernommen. Deshalb ist der Zionismus dem Judentum fremd. So denken zumindest Millionen orthodoxe und ultraorthodoxe Juden, denen der Zionismus wie ein Feind erscheint.

Seligmann empört sich, dass der Internationale Gerichtshof in Den Haag Israel verurteilt, und dass er das Land auf eine Stufe mit sogenannten islamischen Terrororganisationen gestellt hat. Seligmann schäumt geradezu vor Wut, weil Brasiliens Präsident Lula behauptet hat, die Israelis hätten „Zwölf Millionen Palästinenser ermordet“. Das eine solche Behauptung nur Unsinn sein kann, ergibt sich von selbst. Seligmann aber stellt sichtlich erleichtert fest, „dass selbst die Behörden der Hamas von rund 35000 Toten schreiben“. Als ob die Ermordung von lediglich 35000 Zivilisten, die Hälfte davon Minderjährige und Kinder, moralisch vertretbar und gerechtfertigt sei. Wie weit entfernt ist das vom jüdischen Gebot der Thora: Auge um Auge, Zahn um Zahn, wo es um die Verhältnismäßigkeit von Strafen und Rache geht.

Die Ermordung von 1000 Israelis war ohne jeden Zweifel ein Verbrechen, eine barbarische Tat, die geahndet werden muss. Aber muss man 35000 Palästinenser als Racheaktion niedermetzeln? Und noch ist die israelische Aktion nicht zu Ende. Es könnten am Ende doppelt und dreifach so viele Opfer werden.

Israel wird deswegen nicht völlig zu Unrecht des Völkermordes beschuldigt. Das Internationale Gericht in Den Haag hat Israel wohl zurecht Auflagen für die Kriegführung erteilt. Aber Zionisten wie Rafael Seligmann und fast die gesamte israelische Elite meinen, dass Israel wegen Völkermord beschuldigt wird, „um weltweit antisemitische Proteste zu rechtfertigen“. Das interpretieren sie kollektiv als Zeichen von „Geschichtsvergessenheit“. Sie messen alles, was Juden und gegen Juden passiert mit dem Maßstab von Auschwitz; sie sehen alles durch eine Brille des vor 100 Jahren verfolgten „ewigen Juden“. Bist Du Antisemit oder bist Du kein Antisemit, danach wird man beurteilt und verurteilt. Dass die Israelis mit der gleichen Intensität und Verachtung die Palästinenser bzw. alle Araber missachten. und dass sie die übrigen Nationen geringschätzen, wird nicht erwähnt. Sie alle jammern ständig, dass Israel seit dem Bestehen des jüdischen Staates mit Anschlägen und Terror leben muss und vergessen dabei, dass das palästinensische Volk seit Gründung des Staates Israel und davor mit noch mehr Anschlägen und Terror leben musste und mit dem schlimmsten von allem: mit dem Verlust ihrer Heimat.

Seligmann offenbart, dass er wenig Wissen von jüdischer Geschichte hat. Hat er die Bände Simon Dubnovs und die von Heinrich Graetz wirklich gelesen? Oder die von Alex Bein? Er bleibt bei seiner Marotte, die europäischen Juden „Hebräer“ zu nennen und erstreckt diese Bezeichnung auch auf die mehr als fünf Millionen russischen Juden. Dabei haben seriöse Historiker inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen, dass sie und auch große Teile der Juden in Westeuropa nicht Nachkommen der Hebräer sein können, sondern der Chasaren. Arthur Ruppin (in Soziologie der Juden) definiert die Juden als „ostisches“ Mischvolk, Friedrich Rosen hält die sephardischen Juden für Nachkommen der Phönizier. Aber für Seligmann sind auch die Juden in Deutschland Hebräer, und er behauptet „hier dienten die Hebräer in der jüngsten Vergangenheit vor allem als Musterjuden mit Alibi-Figuren“. Das versteht kein Mensch, was er sagen will. Meint er, „Musterjuden“ seien die Funktionäre der jüdischen Gemeinden und des Zentralrats der Juden, die sich mehr als Gesandte des Staates Israel geben, als als Vertreter ihrer Wähler. Peinlich wird es, wenn sie ohne Wenn und Aber hinter der israelischen Politik stehen und sie empört protestieren und „haltet den Dieb“ (den Antisemiten) rufen, wenn man sie mit Israel identifiziert. Es wäre besser und gesünder für Rafael Seligmann und Josef Schuster, wenn sie nicht so blind und einäugig hinter Israels nationalistisch-chauvinistische Politik stehen würden nach der Devise:  „wrong or right – my country“. Israel kann  – realistisch gesehen –   nicht ihr „country“ sein. Es ist an der Zeit, dass in jüdischen Gemeinden und im Büro des Zentralrats der Juden in Deutschland Bilder deutscher Präsidenten   – oder wenigstens deutscher Staatsbeamter jüdischer Herkunft –   hängen. Sie  (die Zentralrätler) und Seligmann müssen langsam wissen, ob sie nur Juden in der deutschen Diaspora bleiben oder jüdische Deutsche werden wollen.

Unlogisch und verworren kommt mir Seligmanns These im Zusammenhang mit der von Politiker  immer neu gestellten Frage an Ignaz Bubis vor, ob Israel seine Heimat und dessen damaliger Präsident Chajim Herzog  sein Staatsoberhaupt sei. Bubis Antwort wirkte gekünstelt und unaufrichtig, wenn er mit Empörung reagierte. Jeder wusste, dass in seinem Büro beim Zentralrat der Juden in Deutschland und in jeder jüdischen Gemeinde israelische Fahnen und die Portraits des jeweiligen israelischen Präsidenten sichtbar aufgehängt waren, aber kein Konterfei eines  deutschen Staatspräsidenten. Was sollten deutsche Politiker und andere, die das gesehen haben, denken und fragen dürfen? Sind jüdische Gemeinden ein Staat im Staat? Sie sind es jedenfalls mehr als christliche Kirchen, denn die jüdischen Gemeinden sind nicht nur religiöse Einheiten.

„Seit dem 7. Oktober 2023 ist das deutsche Judentum so gefährdet wie lange nicht“, schreibt Seligmann. Er sagt sogar „heute quaken die Hebräer speziell der Diaspora, ihre Angst und ihren Schmerz heraus.“ Was für ein Unsinn. Antisemiten hätten es nicht besser ausdrücken können. Die Juden in Deutschland sind nicht gefährdet und außer Rafael Seligmann und andere zionistische Juden, wenn sich die Vertreter der „Juden in Deutschland“ nicht so blind und einseitig hinter Israels Politik stellen würden und nicht den Eindruck erwecken würden „right or wrong – my country“. Sie müssen endlich entscheiden, ob Deutschland oder Israel ihr „country“ ist.  Sie müssen endlich entscheiden, ob sie ewig fremd in diesem Land sein wollen oder jüdische Deutsche.

Es stimmt, in Gaza droht ein Krieg ohne Ende, was nicht nur für die Juden gefährlich ist, sondern auch für uns in Deutschland. Es ist längst an der Zeit, politischen Quacksalbern wie Rafael Seligmann (und Joseph Schuster) den Stecker zu ziehen. Es ist Zeit für eine Kurskorrektur, nicht nur in der Politik in Israel, sondern auch die Haltung des Zentralrats der Juden zu der Israels. Wir dürfen nicht vergessen und viele ahnen es gar nicht, dass der Zionismus von Anfang als binationaler Staat für Juden und Palästinenser gedacht war. Das wollte Theodor  Herzl , bevor er die zionistische Organisation gegründet hatte. Die binationale Idee geht also bis auf den Gründer des Zionismus zurück. Die Idee eines Staates für zwei Nationen hatte ganz zu Beginn des Zionismus gestanden. Wenn man bedenkt, dass Herzl und die ersten Zionisten aus einem Viel- Völker-Staat kamen, dann braucht man sich darüber nicht zu wundern. Herzl träumte nicht von einem exklusiv jüdischen Staat.

Der Holocaust hat jedoch alles verändert, nicht nur unter den Juden. Nach dem Holocaust wollten viele einen separaten Staat nur für Juden, und konnten auch bei den Nationen der Welt, die aus schlechtem Gewissen nach 1945 der Meinung waren, dass die ganze Welt den Juden „Wiedergutmachung“ schulde, eine solche Forderung durchsetzen. Deswegen beschlossen die Mitglieder der UN mit einfacher Mehrheit am 27. November 1947 die jüdischen Siedlungen in Palästina  zur ideellen  Wiedergutmachung als Staat anzuerkennen.

Die Idee hatte nur einen gravierenden Schönheitsfehler. Das Land, auf dem die Juden ihren Staat errichten wollten, gehörte einem anderen Volk. Und so beschloss man den Juden Teile Palästina zu schenken, weil die Palästinenser sich gegen einen solch perfiden Beschluss nicht wehren konnten. Das war ein Fehler, der durch das arrogante und selbstgerechte Verhalten der Juden bis heute nicht korrigiert werden konnte. Und so spitzte sich die Lage bis zum heutigen Tag mehr und mehr zu.

Zum Schluss seines Pamphlets fordert Seligmann die Allgemeinheit auf, ihre „Menschlichkeit auch auf die Juden auszudehnen.“ Schade, dass er die Palästinenser wieder ausgelassen hat. Auf die Idee, dass auch sie Menschlichkeit verdienen, ist er nicht gekommen. Deren Katastrophe, die Nakba, zählt wohl nicht. Für Seligmann und Gesinnungsgenossen gilt wohl heute noch was David Ben-Gurion, der Gründer des zionistischen Staates Israel einst erklärt hat: „Wir müssen die Araber vertreiben und ihren Platz einnehmen.“ Und selbst Itzhak Rabin, der pragmatischste aller israelischen Ministerpräsidenten, sagte noch wenige Monate bevor er die Oslo-Verträge unterschrieb: „Brecht den Palästinensern die Knochen.“

Seit zwei Jahren beherrscht aber in Israel eine rechtsradikale Regierung den Lauf der Dinge, die an Frieden nicht denkt. Zwei wegen Terrorismus vorbestraften Minister bestimmen den Kurs des Staatsschiffs mit. Die Führer der Welt und die Juden sollten langsam erkennen, dass der israelische Terrorismus durchaus gefährlicher und bedrohlicher werden kann als der der Hamas. Von der BDS und von einem zahnlosen Alt-Antisemitismus droht niemanden Gefahr, dagegen von einem ungezügelten jüdischen Nationalismus sehr wohl.  Das gilt erst recht, wenn  ein  politischer Hasardeur ohne Gewissen wie Benjamin Netanjahu die Konfliktstoffe anhäuft. Die größte Katastrophe für die Juden und für Israel ist also in voller Vorbereitung. Sie ist in Arbeit beim israelischen Parlament und in der israelischen Regierung.

 

 

 

Friedman kritisiert Netanjahu. Aber wo?

Von Abraham Melzer

Danke Michel Friedman, dass du uns wieder gezeigt hast, wes Geistes Kind Du bist. Du behauptest in der Überschrift Deines naiv-primitiven Artikels, voller Banalitäten und Widersprüche, dass „nun das Schweigen das letzte Wort“ hat. Wieso eigentlich? Von welchem Schweigen sprichst Du? Ich stelle erfreut fest, dass nach dieser politischen Berlinale nirgends geschwiegen wird. Es wird heftig diskutiert und gestritten und es geht überhaupt nicht um Antisemitismus, sondern immer nur um Meinungsfreiheit. Antisemitismus interessiert niemanden mehr. Es reicht. Es hat sich ausantisemitiert. Du selbst hast ja Dein neues Pamphlet JUDENHASS genannt, weil Du geahnt hast oder schon wusstest, dass sich niemand mehr für Antisemitismus interessiert und niemand Dein Buch mit einem solchen Titel kaufen wird.

Dass Du gefangen bist im Ghetto des Antisemitismus ist uns allen schon lange klar. Es ist deshalb kein Skandal und kein Wunder, dass Du so schreibst, wie Du schreibst, geschwollen bis zum Erbrechen und dummdreist. Skandalös und für mich verwunderlich ist allein die Tatsache, dass sich immer noch Zeitungen und Verlage finden, die deinen Mist drucken. Aber, schon die alten Römer wussten: Pecunia non olet – Geld stinkt nicht.

„Nie wieder ist jetzt“, ist Dein Slogan und wohl auch Dein Wunsch. Das wünschen sich aber auch viele andere Menschen. Nicht zuletzt auch für Palästina. Es stimmt, dass der Angriff der Hamas bestialisch war und es ist absolut richtig das immer wieder zu sagen, aber wenn Du beklagst, dass den Menschen der Mut fehlte „zum Widerstand gegen den Antisemitismus“, wobei ich korrigieren würde in „den vermeintlichen Antisemitismus“, dann frage ich mich wo Deine Kritik und Widerstand geblieben ist gegen den bestialischen Überfall israelischer Soldaten auf eine Versammlung von Menschen in Gaza, die hungrig nach Brot waren. Das geschah vor laufenden Kameras und wurde in der ganzen Welt ausgestrahlt.

Du schreibst, dass durch unser Land „eine weitere, dramatische, antisemitische Welle rollt.“ Das erinnert mich an das Kommunistische Manifest von Karl Marx, das damit beginnt: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europas haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet.“ Und es war schon damals übertrieben, wenn nicht gar eine propagandistische Lüge, wie das, was Du heute schreibst, übertrieben und eine propagandistische Lüge ist. Du schreibst von einem exzessiven Judenhass und behauptest, dass sich auf deutschen Straßen „Gewalt breit macht“ und dass „Tod den Juden“ skandiert wird. Ich frage mich in welchem Land du lebst oder in welchem Jahrhundert. In dem Deutschland, in dem ich lebe, hört man jedenfalls sowas nicht und schon gar nicht, so wie bei Dir scheint, täglich. Menschen im Ausland, und vor allem Juden, müssen Angst haben nach Deutschland zu kommen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Viele israelische Juden kommen gerne nach Deutschland und auf Berliner Straßen hörten man oft Hebräisch plappern.

Du behauptest auch: „Jüdische Menschen sind meist nicht israelische Staatsbürger, sondern Deutsche.“ Auch das ist nicht ganz richtig. Sehr viele Juden sind tatsächlich auch israelische Staatsbürger, wobei es darauf gar nicht ankommt, solange die politischen Vertreter der Juden, der Zentralrat der Juden in Deutschland, stramm, fest und ohne Widerstand hinter der rechts-radikalen israelischen Regierung stehen, solange alle jüdischen Gemeinden sich mit Israel solidarisieren, solange sie die Portraits der israelischen Präsidenten in ihrem Büro hängen und die israelische Fahne zeigen. Solange es so bleibt, wird man eben dem Vorsitzenden des Zentralrats immer wieder zum Geburtstag des israelischen Präsidenten gratulieren und nicht zu vergessen, solange eine Charlotte Knobloch in aller Öffentlichkeit behaupten wird, dass ihr Herz „in Israel begraben ist“. Leider ist auch ihr Verstand in Israel begraben, sonst hätte sie und die anderen Vorsitzenden längst dafür gesorgt, dass „Jüdische Menschen“ Deutsche sind und nicht nur Juden in Deutschland. Als Juden in Deutschland sind die Juden keine Deutsche, sondern eben nur Juden in Deutschland, wie Türken, Italiener oder Palästinenser in Deutschland. Es liegt an den Juden dies zu ändern und nicht an den Deutschen, denen sie Antisemitismus vorwerfen, wenn sie von Juden in Deutschland sprechen, die man leicht mit Israelis  verwechseln kann, da sie selbst sich von eine Identifizierung mit Israel und seiner Politik nicht Abstand nehmen. Es gibt aber nochmal genauso viele Juden, die nicht Mitglieder von jüdischen Gemeinden sind und nicht dem von Israel dirigierten Zentralrat angeschlossen sind. Das sind die jüdischen Deutschen oder Deutschen, von denen Du geschrieben hast. Du hast aber die falschen gemeint.

Du beklagst Dich, dass Demonstrationen gegen Judenhass „mickrig“ ausfallen. Dass der Funke der Empathie gegenüber Juden nicht übergesprungen ist. Und Du fragst warum. Frag doch Dich selbst. Du und Deine Mitstreiter hast doch mit dem Vorwurf des Judenhasses, den ihr bis zuletzt Antisemitismus genannt habt, völlig übertrieben. So sehr übertrieben, dass die Leute es satthatten und nicht mehr hören konnten. Und überhaupt, gab es nicht in Deutschland Jahrzehnte lang eine Empathie für die armen Juden? Und gibt es sie nicht heute noch, wenn Politiker immer noch Merkels unverantwortlichen und dümmlichen Satz wiederholen: „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson.“? Und ist es nicht an der Zeit auch Empathie für die Palästinenser zu zeigen, deren Schicksal auch mit der deutschen Schuld zusammenhängt? Es reicht eben nicht nur von einer „Zweistaaten-Lösung“ zu sprechen. Man muss den zweiten Staat, nämlich Palästina auch anerkennen, und zwar sofort. Jede weitere Bemühung um Frieden zwischen Israel und den Palästinensern ist sinnlos und zum Scheitern verurteilt, solange man Palästina nicht als souveränen Staat anerkannt hat und damit den Palästinensern einen Teil ihrer Würde zurückgegeben hat.

Du interpretierst die Kritik der Kulturszene an Israels Politik als „Aggressivität gegen den Staat Israel.“ Das ist aber falsch, wo Du doch selbst schreibst: „Kultur ist ein geschützter Ort. Dort müssen alle Emotionen…möglich sein. Auch der Hass“. Das sind Deine Worte. Aber Du bist nicht in der Lage die Emotionen anderer Menschen, die Dir nicht passen, zu ertragen. Du meinst, wie schon seit langer Zeit, oder schon immer, dass man alles sagen darf und alle kritisieren darf – nur Israel nicht, denn das ist Antisemitismus.“ Und was Hass betrifft, so kann ich Dir versichern, dass in den Israel kritischen Kreisen, in denen ich verkehre, kein Hass auf Israel herrscht; allerdings Hass auf Israels rassistische Apartheid-Politik.

Du schreibst: „Harte, durchaus berechtigte Kritik an der israelischen Regierung ist eine Selbstverständlichkeit und kein Judenhass.“ Allerdings erlebe ich schon immer und ganz besonders in den letzten Tagen, dass Kritik an der Politik der israelischen Regierung überhaupt nicht selbstverständlich ist und von Dir und allen anderen Philosemiten und Israel-Freunde immer als Antisemitismus und Judenhass diskreditiert wird. Ich warte schon seit Jahren, dass Du oder Josef Schuster, oder vielleicht sogar Charlotte Knobloch, endlich uns Kritiker der israelischen Politik sagen, wann eine Kritik erlaubt sei und wann sie antisemitisch ist. Und ich warte auch schon Jahre darauf, dass Charlotte Knobloch sich bei mir entschuldigt dafür, dass sie mich einen „berüchtigten Antisemiten“ genannt hat. Ihr verhaltet euch wie der ehemalige israelische Botschafter in Washington, der nach seinen Erfolgen als Botschafter gefragt wurde und geantwortet hat: „Es ist mir gelungen die amerikanische Administration zu überzeugen, dass Kritik an Israels Politik Antisemitismus ist.“

Du behauptest, dass Terroristen und Autokraten keine Demokraten sind. Sie beschützen ihr Volk nicht, sie nutzen es aus und die eigenen Opfer spielen keine Rolle. Wie recht Du hast. Wir brauchen nur auf den Ukraine-Krieg zu schauen und auf den brutalen und rücksichtslosen Putin. Aber Netanjahu ist nicht weniger brutal, zynisch und rücksichtslos. Die israelischen Geiseln sind ihm egal und die inzwischen in die hunderten gefallenen oder besser gesagt getöteten israelischen Soldaten ebenfalls. Und nicht alle Terroristen sind Terroristen. Auch Menachem Begin und Moshe Shamir, die Führer der Etzel und Lechi, wurden von den Briten als Terroristen mit Steckbrief gesucht. Und Kenjata, der gefürchtete Führer der kenianischen Freiheitskämpfer wurde, nachdem er gesiegt hatte und Staatsoberhaupt wurde, sogar von der englischen Königin mit allen Ehren empfangen. Terrorist ist man, solange man der schwächere ist. So nannten die Nazis auch die russischen Partisanen und die französische Resistance Terroristen und die Israelis setzen diese Tradition fort. Ihre Gegner, die sie brutal bestialisch foltern und brutal unterdrücken bezeichnen sie Terroristen, wenn diese sich wehren. Und dass ein sich Wehren mit Worten nichts bringt, wehren sich die Unterdrückten am Ende mit „bestialischen Taten“. Natürlich ist das schrecklich. Aber eine mehr als fünfzigjährige Besatzung, Demütigung und Unterdrückung sind eben auch schrecklich.

Und wenn Du Dich darüber beklagst, dass man auf der Bühne der Berlinale nur Israel kritisiert hat und nicht die bestialische Tat der Hamas erwähnte, dann solltest Du so ehrlich sein und hinzufügen, dass Du auch nicht von der bestialischen Besatzung ein Wort geschrieben hast. Die sinnlose Siedlungspolitik der Netanjahu Regierung zu kritisieren, reicht nicht. Die Besatzung ist das Problem und sie muss aufhören und ich vermisse hier Deine Kritik.

Nie wieder ist jetzt, heißt Deine Forderung. Warum gilt sie nicht für den israelischen und palästinensischen Filmemacher, die es gewagt haben, eben jetzt, in Berlin und vor einem vollen Saal zu verlangen: „Peace for Palestine and Israel“. Und wo blieb Deine Stimme, als bekannt wurde, dass der israelische Filmemacher nicht nach Israel zurückkehren kann und sich in Griechenland versteckt, aus Angst vor einem jüdisch-israelischen Mob, der sich für seine vernünftigen Worte rächen will. Und ist das schon Antisemitismus, wenn der amerikanische Kollege mit einem Arabertuch, einer Kefia, auftritt? Sind denn alle bescheuert?

Und Du manipulierst wieder Deine Leserschaft, wenn Du fragst: Warum eigentlich immer Israel? Es geht um BDS und um Boykott. Wieso also „immer nur Israel“. Wird denn Russland nicht boykottiert, und der Iran und Nord-Korea?

Du schreibst geschwollen und selbstgerecht von Artikel 1 des Grundgesetzes, von der „Würde des Menschen“, die unantastbar ist. Du vergisst aber zu erwähnen, dass dies für alle Menschen gilt, nicht nur für Juden, auch für Moslems und auch für Palästinenser, deren Menschenwürde in Israel nichts gilt. Wir haben es gerade in Gaza gesehen. Und es begann nicht erst jetzt. Als vor mehr als 30 Jahren in der Wüstenstadt Beer-Sheva ein durchgeknallter Richter entschieden hat, das jüdisches Blut wertvoller als arabisches Blut sei, hat keine israelische Zeitung aufgeschrien und die Bevölkerung schwieg. Als voriges Jahr Netanjahu zwei vorbestrafte rassistische Minister in sein Kabinett aufgenommen hatte, schwiegen die Israelis und die ganze Welt. Es sind Minister, die seit Jahren Genozid für die Palästinenser fordern, und wenn nicht das, dann zumindest die totale Vertreibung der Palästinenser. Als ob das menschlicher und humaner wäre. Und Du beklagst Dich, dass der harmlose Slogan „From the River to the Sea“ an das Verhalten der Nazis erinnert. Daran erinnert mich eher die Gewalt der Siedler und der Siedlerjugend gegen palästinensische Bauern und dass Yeshajahu Leibowitz diese Juden als „Judeo-Nazis“ bezeichnet hat. Und was den Slogan betrifft, so weißt Du sicherlich, dass das auch der Slogan der Rechts-Nationalisten in Israel ist. Sie haben es allerdings umgedreht und skandieren: „Vom Meer bis zum Joran „ und sogar darüber hinaus. Ich habe lange genug in Israel gelebt um das nicht zu vergessen.

Die Bühne in Berlin wurde mitnichten missbraucht, als Israel, als Apartheid-Staat bezeichnet wurde. Viele Juden und Israelis machen es auch. Und das Israels Handeln in Gaza ein Genozid genannt werden kann, hat auch das IGH in Den Haag schon festgestellt. Engstirnigkeit, Hetze und Hass sehe ich auf beide Seiten und leider gießen die Politiker beider Seiten, aber auch Du und Deine Freunde, immer mehr Öl ins Feuer. Es wird keinen  Frieden geben, wenn es so weiter geht. Netanjahus Politik, dass man den Konflikt „managen“ kann, ist gescheitert. Es kann nur noch eine radikale Umkehr der israelischen Politik etwas ändern. Aber eine solcher ist nicht in Sicht..

Du schreibst: „Kultur ist ein geschützter Ort. Dort müssen alle Emotionen in Texten, in Musik, in bildenden Künsten und in vielen anderen kulturellen Übersetzungen möglich sein. Auch der Hass.“ Dann solltest Du dich entscheiden, ob das auch für Kritik an Israels Politik gilt.  Wenn ja, dann solltest Du endlich aufhören Kritik an Israel als antisemitisch diskreditieren. Wenn nein, wenn Du der Meinung bist, dass es so ist, dann solltest Du nicht mehr von der Freiheit der Kunst bzw. von jeglicher Meinungsfreiheit schwafeln, denn es hört sich dann heuchlerisch, zynisch und falsch an. Ich bin schon seit langem überzeugt, dass Du ein Heuchler und Lügner bist. Du redest und predigst von Wahrhaftigkeit und betrügst uns alle, sogar Deine Frau. Du bist ein falscher Prophet und ein schlechter Schriftsteller. Deine Sprache ist gefällig und schwer lesbar. Aber Du bist wie Du bist und ich kann Dir deswegen keine Vorwürfe machen, denn wie Du selbst sagst: Die Gedanken sind frei. Auch wenn sie voller Hass, Verachtung und Geringschätzung sind. Wahrhaftigkeit, Dein Lieblingswort, sieht anders aus.

 

An die Beauftragte für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth

1. März 2024

Guten Tag Frau Staatsministerin Claudia Roth,

ich bin entsetzt über Ihre Antisemitismusvorwürfe nach der Berlinale.

Ist es antisemitisch, wenn man einen Waffenstillstand fordert, ist es antisemitisch, wenn man dieses Gemetzel in Gaza als Völkermord bezeichnet? Nein, der israelische Experte für Völkermord und
Holocaust, Raz Segal, bezeichnete den israelischen Angriff auf den Gazastreifen als Genozid, und wies auf die Kriterien der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen von 1948 hin. Gaza ist für Segal ein „Lehrbuchfall“ von Genozid, denn es ist ein Völkermord mit Ansage, wie einige Aussagen israelischer Politiker eindeutig zeigen:

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend. Der Gazastreifen wird nicht mehr so sein wie vorher. Wir werden alles liquidieren.“

Premierminister Netanjahu: „Ich sage den Bewohnern des Gazastreifens: Verschwindet jetzt von dort, denn wir werden überall und mit aller Kraft handeln […] Gaza ist die Stadt des Bösen, wir werden alle Orte, an denen sich die Hamas aufhält und versteckt, in Trümmer verwandeln.“

Energie- und Wasserminister Yisrael Katz: ”Sie werden nicht einen Tropfen Wasser oder eine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen.”

Tsachi Hanegbi, Vorsitzender des Rates für nationale Sicherheit: „Mit einem Feind, den wir auslöschen wollen, wird es keine Verhandlungen geben.“

Das israelische Militär befolgt diese Anweisungen und lässt kaum Lebensmittel, Wasser, noch Medikamente in den Gazastreifen, die die hungernde Bevölkerung so dringend braucht.

Das Aushungern von Zivilisten als Mittel der Kriegführung ist laut dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ein Kriegsverbrechen und sollte auch von der deutschen Regierung immer wieder angeprangert werden. Aber schöne Worte oder Appelle scheinen schon lange ohne irgendwelche Konsequenzen zu verhallen. Also müssen den Worten Taten folgen, was etliche Regierungen angesichts des anhaltenden Mordens und Zerstörung schon lange fordern. Das heißt, keine Waffenlieferungen, keine finanzielle Unterstützung und sofortiges Aussetzen des EU-Israel-Assoziierungsabkommens!

Es ist absolut unverständlich und in meinen Augen auch absolut skandalös, dass die Bundesregierung weiterhin Waffen an die israelische Regierung liefert. Will die Bundesregierung wirklich die israelische Regierung unterstützen, der zwei rechtsextreme Minister angehören? Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit und Polizei, wird von der israelischen Zeitung Haaretz als „jüdischer Terrorist“ bezeichnet und ist wegen Rechtsterrorismus rechtskräftig verurteilt. Er verteilte unlängst Waffen an die Siedler im Westjordanland, die Palästinenser aus ihren Häusern und von ihrem Land vertreiben.
Die Bedrohungen und Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland sind allerdings kaum in den deutschen Medien. Die fokussieren sich wie die Politik auf den Antisemitismus, der mit Israelkritik gleichgesetzt wird.

Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich nennt sich selbst öffentlich Faschist und leugnet die Palästinenser als Volk, „weil es so etwas wie das palästinensische Volk nicht gibt“. Und solche Leute
unterstützt die Bundesregierung?

Sie werden wohl gehört haben, dass der israelische Filmemacher Yuval Abraham, dem Sie auf der Berlinale applaudiert haben, nach den Antisemitismusvorwürfen nach seinem Berlinale-Auftritt Morddrohungen erhalten hat und dass seine Familie von einem rechtsgerichteten israelischen Mob in ihrem Haus bedroht wurde, so dass sie noch in der Nacht flohen.

Ist Ihnen und den anderen Politikern eigentlich bewusst, dass sie mit den Antisemitismusvorwürfen gegen Juden und Jüdinnen diese Menschen gefährden? Warum wird nicht zwischen Kritik an der
israelischen Politik und Antisemitismus unterschieden, wird diese Differenzierung bewusst nicht gemacht?

Darf ich Sie erinnern, dass der Bundestag 2010 einmütig einen Antrag angenommen hat, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, alles zu tun, um die Blockade Gazas aufzuheben? Leider haben die Bundesregierungen der letzten 14 Jahre nicht ansatzweise versucht, dieser Forderung stattzugeben. Jetzt ist die Aufhebung der Blockade lebensnotweniger denn je.

Mit dem drohenden Hungertod Tausender Menschen im Gazastreifen und der Fristverstreichung, die der Internationale Gerichtshof der israelischen Regierung auferlegt hat, muss die internationale Gemeinschaft, und insbesondere die USA und die Bundesregierung als die größten Unterstützer der israelischen Regierung, sich jetzt eindeutig positionieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören die sofortige Einstellung aller Waffen- und Geldlieferungen an Israel, Suspendierung aller Handelsverträge und die sofortige Wiedereinstellung der Zahlungen an UNRWA! Die Ermöglichung von Hilfslieferungen auf dem Land-, Wasserweg und von Flugzeugen und ein sofortiger
Waffenstillstand.

Wie Sie wissen, hat der IGH Ende Januar Israel auf Antrag Südafrikas in einer Eilentscheidung aufgefordert, in Gaza keinen Völkermord zu begehen und die Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verbessern. Bis Ende Februar sollte Israel dem IGH berichten, wie es die Vorgaben umgesetzt hat. Das ist nicht geschehen. Welche Konsequenzen hat diese Unterlassung?

Ich möchte Sie bitten, die ungerechtfertigten Antisemitismusvorwürfen gegen Kulturschaffende zu unterlassen, die sie gefährden, und die eher dem Antisemitismus dienlich sind und ihn befördern.

Wenn die Diffamierungen gegen israelkritische Menschen weitergehen, werden immer wenige Kulturschaffende bereit sein, nach Deutschland zu kommen, weil sie Gefahr laufen, beschimpft und möglicherweise bestraft zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie eine solche drohende kulturelle Armut bei uns fördern möchten.

Ich hoffe sehr, dass die beiden Regisseure des Films „No other Land“ Yuval Abraham und Basel Adra die Anschuldigungen und Antisemitismusvorwürfen ohne weitere große Probleme überstehen! Falls ihnen etwas passiert, tragen Sie, Claudia Roth, eine Mitschuld.

Am besten wäre eine publikumswirksame Entschuldigung Ihrerseits und die „Reinwaschung“ der beiden Regisseure vom Stigma des Antisemitismus! Viele Menschen würden Ihnen dafür viel Beifall zollen!

Mit der Bitte um Bestätigung des Erhalts meines Briefes verbleibe ich

Annette Groth

ehemalige Menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag