Man hat mir selten ein derart schlechtes, banales und verhetzendes Buch zur Rezension vorgelegt. Schon sein Titel ist mehr Narretei als Provokation. Dem Autor gereicht aber zur Ehre, auf das inzwischen abgenutzte Wort „Antisemitismus“ verzichtet zu haben. Denn alles, was er sich so von seiner verletzten Seele heruntergeschrieben hat, hat nichts mit Antisemitismus und noch eniger mit Judenhass zu tun. Oder glaubt irgendwer noch, dass die Palästinenser die Israelis weniger hassen würden, wenn sie keine Juden wären?
Mit dieser Rezension möchte ich eigentlich vor diesem Buch warnen. Andere Leser sollten sich ersparen, was ich mir mit der Lektüre antun musste. Trotz seines absurden, falschen und dümmlichen Titels bringt das Buch nichts zu Palästina, nichts über die Hamas, und nichts über den Nahost-Konflikt. Es behandelt einzig und allein Friedmans Angstneurosen, sein Paranoia und verläuft sich in einer Warnung vor Antisemitismus in Deutschland, was so weit geht, dass er seine jüdischen Mitbürger auffordert, „ein Land, in dem die Gefahr für jüdisches Leben existenziell werde, zu verlassen. Seit dem 7. Oktober dächten sehr viele, gerade jüngere Menschen darüber mehr nach als je zuvor. Auch ich.“ Also auch er, Michel Friedman.
Wenn das hier nicht sein Land ist, auch wenn er es bisher tausendmal beteuert hat, wenn er sich nicht als deutscher Jude oder meinetwegen jüdischer Deutscher fühlt, sondern immer noch als „Jude in Deutschland“ (als „displaced person“), so wie es der Zentralrat der Juden in Deutschland vorschreibt, dann soll er doch das umsetzen, was er den anderen Juden empfiehlt: Deutschland verlassen. Vielleicht nach Israel, wo jüdisches Leben inzwischen noch gefährdeter ist als woanders in der Welt? Ich werde ihn nicht vermissen.
Friedman empfiehlt „nicht nur auf den Blick der Gesellschaft, der Antisemiten, zu achten“. Die Gesellschaft, die Deutschen, unter denen er lebt, besteht für ihn aus Antisemiten. Wie kann er noch in einem solchen Land leben? Er wiederholt mehrfach, dass Juden keine Opfer mehr sein wollen, beklagt aber unentwegt, dass Juden Opfer sind. Ein anderer „Jude in Deutschland“, Wolf Biermann, sagte dagegen vor wenigen Tagen in einem Spiegel-Interview, dass „Juden in Deutschland wie im Paradies leben“ würden. „Leben“ sagte Biermann. Friedman spricht aber von einem Überleben. Er schreibt: „Das will jeder Mensch. Überleben auch. Und da Juden Menschen sind, sie ebenfalls.“
Da möchte man Friedman allgemein in Erinnerung rufen, dass auch die Palästinenser Menschen sind, dass auch sie überleben, oder sogar leben wollen. Einerseits gibt er seinem Buch den Titel „7. Oktober 2023- JUDENHASS“, andererseits erwähnt er die Palästinenser mit keinem Wort. Er spricht von Bildung, die für ihn der wichtigste Schritt sei, dem radikalen muslimischen Judenhass entgegenzutreten. Wie wäre es mit Respekt und Gleichberechtigung, mit denselben Menschenrechten auch für Muslime? Er mahnt zigfach „antisemitische oder rassistische“ Hetze ab, aber unterlässt es zu erwähnen, dass Antisemitismus auch Rassismus ist . So müsste es ausreichen, wenn man gegen Rassismus kämpft.
Skandalös und deshalb auch absurd und falsch ist Friedmans Abgleich des „Massakers“ vom 7. Oktober 2023 mit denen der Nazis, vollzogen „an entrechteten jüdischen Menschen, mit denen man alles machen konnte.“ Seltsam, dass mir bei diesem Vergleich eher die Palästinenser, die Menschen in Gaza einfallen, mit denen die Israelis so ziemlich alles machen, was früher die Nazis mit den Juden in Warschau gemacht haben. Friedman will uns einreden, dass die Hamas diesen brutalen Überfall verübt hat, weil die Israelis Juden sind. Abgesehen davon, dass das ganze Buch grottenschlecht geschrieben ist und dass es einen Affront gegen die deutsche Sprache darstellt, wird es mit Sicherheit nicht „die Botschaft“ der Hamas gewesen sein, wie Friedman unterstellt. Der Überfall ist nicht, wie bereits UN-Generalsekretär Antonio Guteres erklärte, plötzlich und unerwartet wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Israel hat die ganze Zeit die Palästinenser, ob in Gaza oder auf der Westbank, nicht gerade mit Samthandschuhen traktiert und nicht mit Mozartkogeln auf sie geschossen. Der Abwurf einer 1000 Kilo Bombe auf ein Wohngebiet in Gaza stellt auch keine humanitäre Aktion dar. In Deutschland werden, findet man eine Fliegerbombe aus dem letzten Krieg, die Wohnungen im Umkreis von 500 Metern geräumt. Darüber aber schreibt Friedman nichts in seinen Vergleichen.
Friedman nutzt jede noch so banale Gelegenheit aus, die Hamas mit den Nazis zu vergleichen. „Auch die Nazis hatten die Menschen jüdischen Glaubens entmenschlicht. Sie nannten sie Ratten und Ungeziefer.“ Und er ergänzt: „Ein Mensch, der Jude ist, ist vor allem Jude und weniger ein Mensch.“ Ich aber vermisse die Aussagen israelischer Minister, dass die Hamas „Tiere in Menschengestalt“ seien, dass die Palästinenser ein „Krebsgeschwür“ darstellten. In Israel und auch in den jüdischen Gemeinden in Deutschland werden die Palästinenser auch nicht als Menschen gesehen, sondern als radikale Terroristen, die man vernichten muss.-
Friedman irrt blind und taub durch die Landschaft. Er ist sich nicht zu schade, üble und falsche pro-israelische Propaganda zu wiederholen. Er fragt, warum Brandsätze vor Synagogen stattfinden und nicht vor die israelische Botschaft („Wie bei „Israelkritik“ zu erwarten“). Vielleicht, weil die Juden in Deutschland sich ohne Wenn und Aber hinter Israels Politik stellen und zu Parolen wie „Tod den Arabern“ in Israel schweigen. Vielleicht, weil sie auch schweigen, wenn in Israel „Vom Jordan bis zum Meer“ skandiert wird, und sie sich empören, wenn in Deutschland auf Demonstrationen „From the river to the sea“ gerufen wird und, nach Michel Friedman, „die Fantasie der Vernichtung des Staates Israel und aller seiner (jüdischen) Bewohner“ herausgebrüllt wird. Oft genug fügt er noch hinzu: „Der Vernichtung aller Juden auf der ganzen Welt“. Immerhin räumt er ein, dass es sich dabei um „Israelkritik“ handelt und nicht um Antisemitismus.
Er jammert und weint, dass es schon peinlich wird, weil immer noch kein Mitleid mit ihm aufkommt. Er beschwört, dass Deutschland „doch auch unser Land sei“ und fleht „Ich will doch nur eine Umarmung. Eine Umarmung von einem nichtjüdischen Menschen, der mir zeigt: „Ich fühle deinen Schmerz.“ Und er steht vor den Scherben seiner Arbeit und vor den Scherben seines Lebens. Und wenn irgendwo Verständnis für die Palästinenser durchklingt, und sogar geäußert wird, und wenn man die israelischen Siedlungen und die israelische Besatzungspolitik…und, und, und kritisiert, würde er am liebsten schreien: „Die Israelis sind nicht die Täter. Sie bleiben die Opfer.“ Frei nach Franz Werfels Novelle: Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuld. Und er glaubt wirklich, dass wir nach dem 7. Oktober „an einem Scheidepunkt stünden, weil es nicht nur um das Judentum geht.“ Da zeigt er schon wieder, dass er keine Ahnung hat. Natürlich geht es nicht um das Judentum. Es geht um Juden. Und eigentlich auch nicht um die Juden, sondern um die Israelis, die von vielen Juden nicht mehr als traditionelle Juden akzeptiert werden. Aber das weiß Michel Friedman nicht, und ignoriert es. Und durch das ganze Büchlein macht er keinen Unterschied zwischen Juden und Judentum, als ob Christen und Christentum dasselbe wären. Nicht alle Juden sind Israelis und nicht alle Israelis sind Juden.
Und weil er, wie es Charlotte Knobloch einmal sagte, mit dem Herzen in Israel lebt, fragt er rhetorisch: „haben wir hier (Deutschland) eine Zukunft?“ Und antwortet gleich: „Die Antwort fällt immer pessimistischer aus.“ Aber wohin will er auswandern? Wo hat er selbst eine Zukunft? In Israel etwa? David Grossman schreibt über sein Land: „Dieses Land wurde preisgegeben – zugunsten engstirniger Interessen, zugunsten einer zynischen, schlafwandlerisch unvernünftigen Politik.“ Und obwohl die Politik sich schon längst nach rechts ausgerichtet hat und obwohl Rassisten und Nationalisten schon seit langem in der Regierung sitzen, wird das Land nach dem jetzigen Krieg noch viel rechter, militanter und rassistischer sein. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die Tragödie im Nahen Osten ohne gleichzeitige Linderung des palästinensischen Leides nicht zu bewältigen ist. Wenn sich nichts ändert, werden die Israelis nun wohl auf ewig unter höchster Anspannung und ständiger Kriegsbereitschaft leben müssen. Yael Dayan, die Tochter des legendären Moshe Dayan drückte es so aus: Ich schlafe mit meinem Gewehr. Es war schon immer so und dennoch, die Israelis, wie sie einst waren, werden nie wieder sein können. Das Gefühl der Trunkenheit vor Überheblichkeit und Siegeswahn, wie nach dem Sechs-Tage-Krieg ist für immer verschwunden. Es kommt nie wieder zurück. Jetzt wissen die Israelis, dass sie siegen können, aber auch, dass sie verlieren könnten. Von jetzt an wird alles Erleben binär: Null oder eins. Sein oder Nichtsein.
Jüdische Menschen wie Friedman, nicht alle Juden, sind verstört, traumatisiert und verunsichert. Nicht, weil in Israel mehr als tausend Juden ermordet wurden, sondern weil sie befürchten, dass Juden den Nichtjuden gleichgültig sind. Ich kann diese Art von Furcht nicht verstehen. Friedman schreibt: „Angst griff um sich. Denn gemeint waren von der Hamas nicht die Israelis, sondern alle Juden in der Welt.“ Das ist keine Angst mehr, sondern schon Paranoia. Es erinnert mich an den Mann, dem man vorwirft, dass seine Schwester eine Hure sei. Es hilft nicht, wenn er sagt: Ich habe keine Schwester. Er hat eben eine Schwester zu haben. Und so ist es mit der Hamas. Es hilft nicht, wenn sie immer wieder behauptet, dass sie nichts gegen Juden in New York, Amsterdam oder Berlin hat. Sie hat etwas gegen diese Juden zu haben, damit man sagen kann sie seien Antisemiten. Absurd? Nicht wahr? Genau das kann und will Michel Friedman der Hamas nicht verzeihen, dass sie nicht antisemitisch ist. Es erinnert an die Nazis, die Auschwitz den Juden nie verzeihen werden.
Friedman zitiert Adornos Definition des Antisemitismus, die nicht deshalb richtig sein muss, weil sie von Adorno stammt. Antisemitismus sei „das Gerücht über die Juden“. Ich verstehe nicht wie Adorno, der ja ein kluger und gebildeter Kopf war, auf eine solch abwegige und irreführende Definition kommen konnte. Gerüchte sind schleimig, schreibt Friedman und sein Büchlein ist so voll mit Schleim, dass er fast schon aus dem Buch fließt. Will man Friedman packen, glitscht er weg und schwafelt immer wieder von Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit. Als ob nur Juden benachteiligt würden. Als ob die Sinti und Roma, die in diesem Land von vielen immer noch Zigeuner genannt werden, nicht benachteiligt werden, als ob Türken, Muslime und Schwarze nicht benachteiligt werden. Immer nur die Juden, die Juden, die Juden.
Dass Friedman keine Ahnung hat, belegt er immer wieder selbst. Er behauptet, dass die Kirchen, also das Christentum, das Gerücht über die Juden in die Welt gesetzt hätten. Die Kirche hat die Juden gehasst, und das war kein Gerücht. Das war eine für alle erkennbare Tatsache, besonders für die Juden. Wenn man Friedmans Buch liest, wird es jedem auch deswegen überdrüssig, weil es ununterbrochen den Eindruck erweckt, dass wir immer noch im Mittelalter leben, oder bestenfalls schon im Dritten Reich, wo Juden wirklich verfolgt wurden. Deswegen möchte man es nach jeder mit Abscheu und Widerwillen bewältigten Seite in den Papierkorb werfen, oder auf den Mühlhaufen der Geschichte.
Man wird fast verführt zu glauben, dass in diesem Land täglich Juden ermordet werden. Friedman schreibt von den 1990er-Jahren, in denen es „latenten und manifestierten Antisemitismus und brutalen Rassismus gab.“ Und man könnte fast glauben, dass in Mölln, Solingen, Rostock, Hoyerswerda und Hanau Juden von der NSU ermordet wurden. Mir ist nicht bekannt, dass mehr als ein einziger Jude ermordet worden ist. Es gibt kaum ein anderes Land auf dieser Welt, wo Juden so sicher leben wie in Deutschland, wo die Behörden sie in Watte packen, und sie außerdem noch mit Samthandschuhen anfassen.
Friedman behauptet, dass die Gesellschaft in der Bundesrepublik sich nicht mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt hat. „Man wusch die Hände in Unschuld“. Das ist aber nicht das Deutschland, in dem ich aufgewachsen bin. Er kommt auf Israel, und da schreibt er ab bei der israelischen Propaganda. Der offene Antisemitismus war nach dem Massenmord in Verruf geraten.. Deshalb entstand der „sekundäre Antisemitismus“, der Hass auf Israel. Was für eine Lüge, was für eine Verdrehung der real existierenden Sympathie für Israel. Ich habe nie Hass auf Israel beobachtet. Ich habe Kritik an Israels Politik erfahren und diese zurecht. „Jeder kann und darf die israelische Regierung kritisieren“, behauptet Friedman. Aber wenn ein Jude wie ich es tut, dann wird er von einer Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats war und seit Generationen Vorsitzende (oder Besitzerin) der Jüdischen Gemeinde in München ist, als „berüchtigter Antisemit“ diffamiert. Und Michel Friedman hat geschwiegen, obwohl ihm die Würde des Menschen, jedes Menschen, lieb und teuer wäre.
Michel Friedman redet nicht nur geschwollen, selbstgerecht und immer an der Sache vorbei, er schreibt auch so. Sein Buch, wenn nicht „Friedman“ überhaupt, sind kaum erträglich zu lesen. Er behauptet, dass der Überfall vom 7. Oktober ein Pogrom war. Es wundert mich, dass ein Jude wie Friedman nicht weiß, was ein Pogrom ist. Noch mehr ekelt es mich an, dass er nicht müde wird den Widerstand der Palästinenser gegen eine ungerechte und brutale Besatzung mit den grundlosen antisemitischen Überfällen eines Mobs auf eine unschuldige Bevölkerung zu vergleichen oder gar mit dem organisierten Massenmord der Nazis. Der Überfall der Hamas war bestialisch, aber es stehen nicht palästinensische Panzer in Tel Aviv, sondern israelische, nicht jüdische, Panzer in Gaza.
Friedman meint, dass die rote Linie überschritten ist, wenn man die israelische Regierung mit Nazi-Deutschland vergleicht. Aber der bekannte und geachtete jüdische Religionsphilosoph Jeshajahu Leibowitz nannte die israelische Regierung: „Judeo-Nazis“. Und Henryk Broder schrieb: „Die Israelis sind Täter, aber Täter sein macht Spaß.“ Und dieser fürchterliche Satz ist sogar in der Jüdischen Zeitung abgedruckt worden. Dürfen nur die Israelis Spaß haben? Und was ist mit den Palästinensern, die dabei sicherlich kein Spaß haben, wenn israelische Soldaten mordend durch ihre Siedlungen toben.
Friedman findet die Aktion der Stolpersteine großartig. Er hat es aber bis heute versäumt seine Kollegin Charlotte Knobloch zu kritisieren, die dafür gesorgt hat, dass München die einzige Stadt europaweit ist, die das Einsetzen von Stolperstein verbietet. Verhindert hat es keine andere als Charlotte Knobloch. Die rabiate zionistische Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern hat mit ihrer Art des Drucks, die eher nach Erpressung riecht, die Stadtverwaltung bzw. den Oberbürgermeister gezwungen, Stolpersteinverlegungen in München zu untersagen, obwohl Familienangehörige der Opfer glücklich und dankbar darüber sind, dass ihrer Familienangehörigen gedacht wird.
Und warum ist Knobloch dagegen? Weil sie nicht will, dass Nichtjuden auf jüdische Namen treten. Sie hat wohl mit ihrer begrenzten Einsichtsfähigkeit nicht verstanden, dass dies genau das verhindert, worum es den Stolpersteinen geht. Die Menschen sollen stolpern, erschrecken und zum Nachdenken gebracht werden. Nicht umsonst heißt es, dass dies die nachhaltigste Idee der Versöhnung ist. Knobloch hat es nicht verstanden.
Ich kann nicht weiter und werde hier aufhören. Für Friedman sind Juden wieder Opfer, obwohl er tausendmal versichert, dass er kein Opfer mehr sein will. Er verhält sich aber so, er schreibt wie aus dem Ghetto, als ob wir immer noch regelmäßig Judenpogrome hätten. Man hat bei ihm den Eindruck, als ob er auf gepackte Koffer säße, und auf eine Gelegenheit fiebere zu flüchten. Er wird aber hierbleiben, weil es ihm nirgends auf der Welt so gut gehen wird, wie hier und heute. Das hindert ihn nicht, bei den übrigen Juden Angst und Schrecken zu säen. Er trinkt Wein und predigt Wasser. Aber sein Wasser ist versalzen und schmeckt bitter.
Wenn man es geschafft hat, das Buch zu lesen, dann kann man Juden nicht mehr hassen, man muss einfach Mitleid mit ihnen bekommen. Viele von ihnen, besonders die Zionisten, zahlen heute den Preis, weil sie sich jahrelang von dummen, korrupten und rassistischen Politikern haben verführen lassen. Und selbst jetzt, nach den letzten Gräueltaten sind viele von ihnen nicht bereit die Schuld Israel zuzuschreiben. Wie zum Beispiel Michel Friedman. Die Besatzung ist ein Verbrechen und sie versuchen eine Hierarchie des Bösen mit einer eindeutig pro-israelischen Randordnung zu gestalten. Zivilisten kaltblütig niederzuschießen – das ist ein viel schwereres Verbrechen, behaupten sie. Sie sollten Franz Fanon lesen, der schon vor mehr als achtzig Jahren in seinem Buch „Die Verdammten dieser Erde“ solche Erhebungen gegen Unterdrückung, Gewalt und Dehumanisierung vorausgesagt hat.
Fanon war ein französischer Psychiater, Politiker, Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung. Und bei der Gräueltat der Hamas geht es um nichts anderes als um einen Aufstand gegen eine brutale und erbarmungslose Besatzungsmacht, die den Menschen in Gaza gerade noch die Luft zum Atmen überließ, nicht aber den Strand zum Baden und die Freiheit Gaza zu verlassen. Nicht umsonst wurde Gaza das größte Freiluftgefängnis der Welt genannt. So macht man aus Menschen mit menschlichem Antlitz Bestien, die auch in der Lage sind, Frauen und Kinder zu ermorden.
All das kümmert aber Michel Friedman nicht. Er hat nur seine Juden im Kopf, seine jüdischen Kinder, die jetzt in Angst und Furcht leben, und von ihren nichtjüdischen Kameraden nicht umarmt werden. Es ist typisch jüdisch, und daran leiden viele Juden, dass sie die Probleme der Juden in den Mittelpunkt ihrer Welt stellen und alles, was in der Welt passiert, perifer beurteilen: Ist es gut für die Juden oder ist es schlecht für die Juden. Ob eine mehr als 70jährige Besatzung schlecht ist für die Besetzten, spielt für Friedman und seine Juden keine Rolle. Deshalb ist er auch blind zu erkennen, dass eine solche Besatzung auch schlecht ist für die Besatzer sein könnte. Eine solche Besatzung korrumpiert und entmenschlicht und macht den Besetzern, nach Henryk Broder, nur dann Spaß, wenn sie kein Gewissen haben, wenn sie keine Moral kennen und wenn Menschenrechte für sie nicht gelten. In Israel gilt immer noch David Ben-Gurions Häme über die UNO: Um-Schmum, was ins Deutsche übersetzt, heißt: Die UNO ist nichts wert. Aber dass die UNO die Gründung des Staates Israel in jener verhängnisvollen Nacht im November 1947 beschlossen hatte, das Lernen israelische Schüler schon in der ersten Klasse der Volksschule.
Ob Michel Friedman das weiß? Wenn er es weiß, warum fordert er Israel nicht auf der UN zu folgen, und fordert seinerseits, den Krieg in Gaza zu beenden. Sind 30 000 getötete palästinensische Einwohner noch nicht genug? Sind mehr als 13500 tote Kinder nicht ausreichend? Friedman hat aber nur jüdische Kinder im Sinn. Nur jüdische Kinder verdienen es frei und in Wohlstand zu leben. „Jüdische Kinder waren und sind verstört und traumatisiert. Nicht nur, weil sie sahen, wozu die Terroristen in Israel fähig waren, sondern weil die spontanen Reaktionen auf der Straße nicht solidarisch waren für die jüdische Gemeinschaft.“ Dass palästinensische Kinder mehrfach traumatisiert und verunsichert sind, das interessiert ihn offensichtlich nicht.
Warum sollten sich die Menschen auf der Straße mit den Jüdinnen und Juden solidarisieren? Sind sie also doch Israelis und gehören nicht in dieses Land? Und verdienen die Palästinenser keine Solidarität? Sie sind doch die Juden der Juden. Friedman wirft den Deutschen vor, dass „kaum Fahnen mit dem Davidstern aus den Fenstern gehängt wurden. Es versammelten sich nicht Hunderttausende. Es ist nicht verstanden worden, dass es nur vordergründig um „Juden“ geht, aber in Wirklichkeit um die Würde des Menschen, die verletzt wurde.“ Wenn man will, kann man diesen Satz als die Quintessenz seines schmalen Buches betrachten. Er versucht uns und unser Grundgesetz in die Verantwortung einzubinden. Dabei ging es von Anfang an und auch am 7. Oktober 2023 nicht um „Juden“. Israelis sind Israelis, sind Israelis. Manche von ihnen sind Juden und andere ohne Religion. Die Hamas wollte keine Juden töten, weil sie Juden sind, sondern Israelis, weil es Feinde sind und man sich seit mehr als 70 Jahren in einem Kriegszustand befindet. Und so übel und verbrecherisch die Ermordung von Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, auch war, Friedman sollte nicht vergessen, dass auch palästinensische Frauen und Kinder ermordet wurden und werden. Unter dem Strich sind es weitaus mehr Palästinenser als Israelis.
Wenn Friedman wollen würde, dass das „nie wieder“ passiert, dann soll er sich auch für einen totalen Frieden einsetzen, einen nachhaltigen Frieden, der den Israelis Sicherheit garantiert und den Palästinensern volle Menschenrechte, Achtung ihrer Würde und Freiheit bringt.
Die Rezension ist doch länger geworden als ich beabsichtigt habe. Ich könnte als Antwort auf Michel Friedman ein gleich langes Büchlein schreiben. Aber JUDENHASS verkauft sich besser. Friedmanns Traktat ist gerade erst erschienen, und schon auf der Bestseller-Liste. So macht man Geld mit dem Elend seiner Brüder und Schwestern , und vor allem mit dem Elend der Palästinenser. Man wirft ein Buch auf den Markt, schnell hingeschrieben, hastig lektoriert (wenn überhaupt), eiligst gedruckt und schleunig und billig verkauft. Es kostet nur 12 Euro und das können die Käufer verschmerzen, wenn sie das Buch nach wenigen Minuten in den Abfall, zu den verschimmelten Gurken, werfen
Michel Friedman – 7. Oktober 2023 – JUDENHASS, Berlin Verlag, 104 Seiten, 12,–€, ISBN 9 783827 015150